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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_633/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 23. Oktober 2017  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi, 
Gerichtsschreiber Weber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Pablo Blöchlinger, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Einstellung (häusliche Gewalt), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 18. April 2017 (SBK.2016.285 / va). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ reichte am 14. Januar 2016 gegen ihren Ehemann X.________ Strafanzeige wegen häuslicher Gewalt ein und stellte Strafantrag. 
Nachdem A.________ nicht zur Vergleichsverhandlung bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau erschienen war, stellte diese das Verfahren gegen X.________ am 1. September 2016 ein. Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Aargau am 18. April 2017 ab, soweit es darauf eintrat. 
 
B.  
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben und die Staatsanwaltschaft anzuweisen, das Strafverfahren gegen X.________ fortzuführen. A.________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Zur Beschwerde in Strafsachen ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a) und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (lit. b). Der Privatklägerschaft wird ein rechtlich geschütztes Interesse zuerkannt, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG).  
 
1.2. Grundsätzlich wird von der Privatklägerschaft verlangt, dass sie bereits adhäsionsweise Zivilforderungen geltend gemacht hat. Ausnahmsweise, bei Nichtanhandnahme oder Einstellung des Strafverfahrens, ist auf dieses Erfordernis zu verzichten. Immerhin ist jedoch erforderlich, dass im Verfahren vor Bundesgericht dargelegt wird, aus welchen Gründen sich der angefochtene Entscheid inwiefern auf welche Zivilforderungen auswirken kann (BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 4 f.; 137 IV 246 E. 1.3.1 S. 247 f. mit Hinweisen). Das Bundesgericht stellt an die Begründung der Legitimation strenge Anforderungen. Genügt die Beschwerde diesen nicht, kann darauf nur eingetreten werden, wenn aufgrund der Natur der untersuchten Straftat ohne Weiteres ersichtlich ist, um welche Zivilforderung es geht (BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 4 f. mit Hinweisen).  
Unbekümmert um die fehlende Legitimation in der Sache selbst kann die Privatklägerschaft die Verletzung von Verfahrensrechten geltend machen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Zulässig sind Rügen formeller Natur, die von der Prüfung der Sache getrennt werden können. Nicht zu hören sind aber Rügen, die im Ergebnis auf eine materielle Überprüfung des angefochtenen Entscheids abzielen (sog. "Star-Praxis"; BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 5; Urteil 6B_827/2014 vom 1. Februar 2016 E. 1.1, nicht publ. in: BGE 142 IV 82; je mit Hinweisen). 
 
1.3. Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie habe sich als Privatklägerin konstituiert und am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen. Dies genügt jedoch nicht. Zu einer allfälligen Zivilforderung äussert sie sich nicht. Arztkosten können durch die obligatorische Krankenversicherung gedeckt sein. Genugtuungsforderungen bestehen nur, wenn es die Schwere der Verletzung rechtfertigt (Urteil 6B_1014/2016 vom 24. März 2017 E. 1.2 mit Hinweisen), was vorliegend nicht offensichtlich ist. Damit fehlt es der Beschwerdeführerin an der Beschwerdelegitimation in der Sache selbst. Soweit sie argumentiert, die von ihr angezeigten Straftaten seien entgegen der Ansicht der Vorinstanz als Offizialdelikte zu qualifizieren, ist sie zur Beschwerde daher nicht legitimiert.  
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs. Die Staatsanwaltschaft habe aufgrund des Vorliegens eines Offizialdelikts nicht zu einer Vergleichsverhandlung vorladen und in der Folge das Verfahren gegen X.________ nicht einstellen dürfen. Dass sie nicht an der Vergleichsverhandlung erschienen sei, ändere daran nichts. Sei die Voraussetzung für eine Vergleichsverhandlung entgegen ihrer Ansicht dennoch erfüllt gewesen, hätte die Staatsanwaltschaft eine Nichtanhandnahme verfügen müssen. Ohne eine solche Verfügung habe sie das Vorgehen der Staatsanwaltschaft nicht rügen können. Die Vorinstanz habe Art. 316 StPO überspitzt formalistisch angewandt.  
 
2.2.  
 
2.2.1. Die gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs sowie der Vorwurf des überspitzten Formalismus lassen sich von einer materiellen Überprüfung des angefochtenen Entscheids trennen. Auf diese Rügen formeller Natur ist trotz fehlender Legitimation der Beschwerdeführerin in der Sache selbst einzutreten.  
 
2.2.2. Aus den Erwägungen der Vorinstanz ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin die geltend gemachte falsche rechtliche Qualifikation durch die Staatsanwaltschaft im Beschwerdeverfahren vor der Vorinstanz rügen konnte (vgl. angefochtener Entscheid, E. 2.4 S. 8 f.). Die Vorinstanz hat die entsprechenden Rügen zumindest in einer Eventualbegründung materiell behandelt. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist deshalb nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund ist auch die Rüge, die Staatsanwaltschaft hätte eine Nichtanhandnahme verfügen müssen, unbegründet. Ohnehin darf eine Nichtanhandnahme nur verfügt werden, wenn mit Sicherheit feststeht, dass der zur Beurteilung vorliegende Sachverhalt unter keinen Straftatbestand fällt (vgl. BGE 137 IV 285 E. 2.3 S. 287). Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft war das Strafverfahren betreffend denselben Tatkomplex angesichts des Straftatbestands der Tätlichkeiten jedoch fortzuführen. Ein und derselbe Lebensvorgang (Tat im prozessualen Sinn) kann aufgrund des Prinzips "ne bis in idem" nicht aus einem rechtlichen Gesichtspunkt nicht anhand genommen und aus einem anderen verfolgt werden (vgl. zu derselben Thematik bei einer Einstellungsverfügung Urteil 6B_653/2013 vom 20. März 2014 E. 3.2).  
 
2.2.3. Aus der Vorladung zur Vergleichsverhandlung vom 10. Mai 2016 ergibt sich, dass die Staatsanwaltschaft von Antragsdelikten (Tätlichkeiten im Sinne von Art. 126 Abs. 1 StGB) ausging. Die Staatsanwaltschaft forderte aufgrund ihrer rechtlichen Würdigung die Beschwerdeführerin in der Vorladung ausdrücklich auf, persönlich an der Vergleichsverhandlung vom 28. Juni 2016 zu erscheinen (kant. Akten, act. 74). Sie wies auf die gesetzlichen Säumnisfolgen bei Nichterscheinen hin. Darauf, dass der Strafantrag gemäss Art. 316 Abs. 1 StPO als zurückgezogen gilt, wenn die antragstellende Person ausbleibt, machte sie die Beschwerdeführerin mittels Fettdruck besonders aufmerksam (kant. Akten, act. 75). Die Beschwerdeführerin bestreitet auch nicht, dass ihr die Säumnisfolgen bekannt waren. Dass sie sich der staatsanwaltschaftlichen Qualifikation des angezeigten Sachverhalts als Tätlichkeiten und nicht als einfache Körperverletzung bewusst war, ergibt sich u.a. aus ihrem eigenen Schreiben an die Staatsanwaltschaft (kant. Akten, act. 76.2). Die Beschwerdeführerin hätte der Vorladung daher Folge leisten müssen. Sie erschien auf eigenes Risiko nicht an der Vergleichsverhandlung bei Antragsdelikten und musste damit rechnen, dass auch die Beschwerdeinstanz die rechtliche Qualifikation der Staatsanwaltschaft bestätigen könnte. Von überspitztem Formalismus kann entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin keine Rede sein.  
 
3.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist in Anwendung von Art. 64 BGG abzuweisen, weil die Rechtsbegehren aussichtslos erschienen. Auch eine Herabsetzung der Gerichtskosten kommt nicht in Betracht, da sich mit den geltend gemachten hohen und die monatlichen Einkünfte von Fr. 14'700.-- übersteigenden Lebenshaltungskosten keine Bedürftigkeit begründen lässt. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. Oktober 2017 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Weber