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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
8C_884/2017  
 
 
Urteil vom 24. Mai 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin, 
Gerichtsschreiber Jancar. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
 A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Martin Frey, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Arbeitsunfähigkeit; Invalidenrente; Revision), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 6. November 2017 (UV 2015/78). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.a. A.________ war bei der B.________ AG in der Zubereitung und Verpackung angestellt, und damit bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch unfallversichert. Am 9. Juni 2000 erlitt sei bei einem Autounfall eine subcapitale Humerusfraktur mit Abriss der Tuberculum Majus rechts. Die Suva kam für die Heilbehandlung und das Taggeld auf. Mit unangefochten in Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 22. Februar 2005 sprach sie der Versicherten ab 1. März 2005 eine Invalidenrente bei einer Erwerbsunfähigkeit von 50 % und eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 15 % zu.  
 
A.b. Im Juli 2014 leitete die Suva ein Rentenrevisionsverfahren ein. Sie zog unter anderem das für die IV-Stelle des Kantons St. Gallen erstellte Gutachten des Swiss Medical Assessment- and Business-Centers (SMAB), Bern, vom 10. Oktober 2013 und eine Beurteilung des Kreisarztes Dr. med. C.________, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates FMH, vom 4. September 2014 bei. Mit Verfügung vom 24. September 2014 setzte sie die Invalidenrente ab 1. Oktober 2014 herab, indem sie nur noch von einer 20%igen Erwerbsunfähigkeit ausging. Hieran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 21. Oktober 2015 fest.  
 
B.   
Die gegen den letztgenannten Einspracheentscheid erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen dahingehend gut, dass es ihn aufhob und die Suva verpflichtete, der Versicherten ab 1. Oktober 2014 eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 28 % auszurichten. Zur Festsetzung und Ausrichtung der Rentenleistung wies es die Sache an die Suva zurück (Entscheid vom 6. November 2017). 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Suva die Aufhebung des kantonalen Entscheides. 
 
Die Versicherte schliesst auf Beschwerdeabweisung. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). 
 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
2.   
Das kantonale Gericht hat die rechtlichen Grundlagen betreffend die Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG), den Rentenanspruch Art. 18 Abs. 1 UVG), die Invaliditätsbemessung nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG) und die Rentenrevision (Art. 17 Abs. 1 ATSG; BGE 134 V 131 E. 3 S. 132, 133 V 108, 130 V 343 E. 3.5 S. 349) richtig dargelegt. Gleiches gilt bezüglich des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43, Art. 61 lit. c ATSG), des Beweisgrads der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 138 V 218 E. 6 S. 221) und des Beweiswerts von Arztberichten (BGE 135 V 465 E. 4.4 S. 470, 134 V 231 E. 5.1 S. 232, 125 V 351 E. 3a S. 532). Darauf wird verwiesen. 
 
3.  
 
3.1. Streitig und zu prüfen ist, ob es vor Bundesrecht standhält, dass das kantonale Gericht bei der Rentenfestsetzung ab 1. Oktober 2014 entgegen der Suva nicht von einer 20%igen, sondern von einer 28%igen Erwerbsunfähigkeit der Beschwerdegegnerin ausging.  
 
3.2. Das kantonale Gericht erwog im Wesentlichen, bei der ursprünglichen Rentenzusprache vom 22. Februar 2005 sei die Suva von einer 50%igen Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdegegnerin in einer leidensangepassten Tätigkeit ausgegangen. Das interdisziplinäre SMAB-Gutachten vom 10. Oktober 2013 erfülle die praxisgemässen Anforderungen an eine medizinische Beurteilungsgrundlage. Gestützt hierauf sei die Versicherte in der bis zum Unfall ausgeübten Tätigkeit und in weiteren angepassten Tätigkeiten zu 80 % arbeitsfähig. In erwerblicher Hinsicht seien das im Gesundheitsfall erzielbare Valideneinkommen und das trotz Gesundheitsschadens realisierbare Invalideneinkommen der Versicherten aufgrund desselben Tabellenlohns der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) zu berechnen. Diesfalls entspreche der Invaliditätsgrad dem Grad der Arbeitsunfähigkeit unter Berücksichtigung eines allfälligen Abzugs vom Tabellenlohn (Urteil 8C_365/2012 vom 30. Juli 2012 E. 7). Zu prüfen sei, ob vom Tabellenlohn zur Ermittlung des Invalideneinkommens ein Abzug vorzunehmen sei. Die lange Abwesenheit der Beschwerdegegnerin vom Arbeitsmarkt würde sich lohnsenkend auswirken. Dasselbe gelte für den Umstand, dass auch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mit zusätzlichen Einschränkungen (Limitierungen beim Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, keine übermässige Beanspruchung des rechten Arms) einhergingen. Es sei aber auch zu beachten, dass sich die Abwesenheit vom Arbeitsmarkt bei Tätigkeiten mit Kompetenzniveau 1 nur geringfügig auswirke. Insgesamt sei ein Tabellenlohnabzug von 10 % angemessen. Unter Berücksichtigung dieses Abzugs resultierte bei 80%iger Arbeitsfähigkeit ein Invaliditätsgrad von 28 % (20 % + [80 % x 0.1]).  
 
4.   
Die Suva wendet einzig ein, die Gewährung des Abzugs vom Tabellenlohn sei unrechtmässig. 
 
4.1. Praxisgemäss können persönliche und berufliche Merkmale der versicherten Person wie Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Nationalität oder Aufenthaltskategorie sowie Beschäftigungsgrad einen auf höchstens 25 % begrenzten Leidensabzug von dem nach den LSE-Tabellenlöhnen zu ermittelnden Invalideneinkommen rechtfertigen, soweit anzunehmen ist, dass die trotz des Gesundheitsschadens verbleibende Leistungsfähigkeit infolge eines oder mehrerer dieser Merkmale auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt (vgl. Art. 16 ATSG) nur mit unterdurchschnittlichem Einkommen verwertet werden kann (BGE 135 V 297 E. 5.2 S. 301). Die Frage, ob ein Abzug vom Tabellenlohn vorzunehmen ist oder nicht, stellt eine vom Bundesgericht frei zu prüfende Rechtsfrage dar (Urteil 8C_699/2017 vom 26. April 2018 E. 2.2).  
 
4.2. Gemäss dem SMAB-Gutachten vom 10. Oktober 2013 sind der Beschwerdegegnerin die angestammte Tätigkeit sowie leichte bis mittelschwere Tätigkeiten zu 80 % zumutbar, nämlich bei vollem Pensum und Minderung der Leistungsfähigkeit um 20 %.  
Soweit das kantonale Gericht einen leidensbedingten Abzug veranschlagt, weil die Versicherte auch bei leichten bis mittelschweren Tätigkeiten eingeschränkt sei (vgl. E. 3.2 hiervor), kann dem nicht beigepflichtet werden, wie die Suva zu Recht vorbringt. Denn der Tabellenlohn gemäss der LSE-Tabelle TA1, Kompetenzniveau 1 (einfache Tätigkeiten körperlicher und handwerklicher Art), umfasst bereits eine Vielzahl von leichten und mittelschweren Tätigkeiten. In concreto ist davon auszugehen, dass dem Anforderungs- und Belastungsprofil der Beschwerdegegnerin entsprechende Verweisungstätigkeiten - etwa leichte Kontroll- und Überwachungstätigkeiten - auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt angeboten werden. Die Vorinstanz lässt diesen Aspekt komplett ausser Betracht. Inwiefern die Versicherte selbst in einer leidensangepassten, leichten bis mittelschweren Hilfstätigkeit - über die 20%ige Leistungsminderung hinaus - aufgrund ihrer gesundheitlichen Beschwerden eingeschränkt und ihr erwerbliches Leistungsvermögen entsprechend beschränkt wäre, so dass sie sich überwiegend wahrscheinlich mit einem geringeren Lohn zu begnügen hätte als voll leistungsfähige und entsprechend einsetzbare Arbeitnehmer, ist nicht ersichtlich. Auch vom kantonalen Gericht wird dies mit keinem Wort dargelegt (Urteile 9C_833/2017 vom 20. April 2018 E. 5.1, 8C_439/2017 vom 6. Oktober 2017 E. 5.5 und 8C_805/2016 vom 22. März 2017 E. 3.4.2). Soweit es auf Limitierungen beim Heben, Tragen und Bewegen von Lasten und auf die Notwendigkeit der Vermeidung einer übermässigen Beanspruchung des rechten Arms hinweist (E. 3.2 hiervor), wird dies - wie die Suva zu Recht vorbringt - bereits mit der Einschränkung der Leistungsfähigkeit um 20 % berücksichtigt. 
 
4.3. Soweit das kantonale Gericht mit dem Verweis auf die lange Abwesenheit der Beschwerdegegnerin vom Arbeitsmarkt fehlende Dienstjahre geltend machen will, ist dem entgegenzuhalten, dass deren Bedeutung praxisgemäss im privaten Sektor abnimmt, je niedriger das Anforderungsprofil ist; diesem Aspekt kommt hier somit keine ins Gewicht fallende Bedeutung zu (BGE 126 V 75 E. 5a/cc; Urteile 9C_414/2017 vom 21. September 2017 E. 4.3 und 8C_238/2014 vom 1. Juni 2015 E. 6.3.2)  
 
Hiervon abgesehen arbeitete die Beschwerdegegnerin seit dem Unfall vom 9. Juni 2000 nicht mehr, obwohl sie laut dem interdisziplinären Gutachten der Klinik E.________, vom 7. Juli 2004 - auf dem die Rentenzusprache vom 23. Februar 2005 beruhte - in einer leidensangepassten Tätigkeit zu 50 % arbeitsfähig war. Unter diesen Umständen wendet die Suva zu Recht ein, dass die Versicherte im Hinblick auf ihre Schadenminderungspflicht (BGE 138 V 457 E. 3.2 S. 461) aus ihrer langen Abwesenheit vom Arbeitsmarkt nichts zu ihren Gunsten ableiten kann (vgl. auch Urteil 8C_96/2014 vom 23. Mai 2014 E. 6.3). 
 
4.4. Zu ergänzen ist, dass in der vorliegenden Konstellation, in welcher der Beschwerdegegnerin die Verwertung der 80%igen Arbeitsfähigkeit ganztags zumutbar ist bei verminderter Leistungsfähigkeit, auch kein Teilzeitabzug in Frage kommt (SVR 2014 IV Nr. 37 S. 130, 8C_7/2014 E. 9.2; Urteil 8C_148/2017 vom 19. Juni 2017 E. 6.2.2).  
 
4.5. Nach dem Gesagten hält der vom kantonalen Gericht vorgenommene 10%ige Abzug vom Tabellenlohn (E. 3.2 hiervor) vor Bundesrecht nicht stand. Die Beschwerde ist somit gutzuheissen.  
 
5.   
Die unterliegende Versicherte trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 6. November 2017 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid der Suva vom 21. Oktober 2015 bestätigt. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 24. Mai 2018 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar