Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
5P.125/2006 /bnm
Urteil vom 24. August 2006
II. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichter Marazzi, Ersatzrichter Hasenböhler,
Gerichtsschreiber Gysel.
Parteien
X.________ (Ehefrau),
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Pius Fryberg,
gegen
Y.________ (Ehemann),
Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marco Toller,
Bezirksgerichtsausschuss T.________.
Gegenstand
Art. 9 und Art. 29 Abs. 2 BV (vorsorgliche Massnahmen nach Art. 137 ZGB),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Beiurteil des Bezirksgerichtsausschusses T.________ vom 16. Februar 2006.
Sachverhalt:
A.
Y.________ (Ehemann) und X.________ (Ehefrau) heirateten 1982. Aus ihrer Ehe ging die Tochter Z.________ hervor. Seit 2002 leben die Ehegatten getrennt. Im Jahre 2003 zog X.________ ins Ausland, wo sie noch heute lebt.
Mit Eingabe vom 5. November 2004 liess X.________ beim Bezirksgerichtspräsidium T.________ ein Gesuch um Anordnung von Eheschutzmassnahmen einreichen. Nachdem am 28. Januar 2005 ein gemeinsames Scheidungsbegehren der Ehegatten eingegangen war, ordnete der Präsident des Bezirksgerichts T.________ am 31. Januar 2005 im Sinne vorsorglicher Massnahmen für die Dauer des Scheidungsprozesses unter anderem an, dass Y.________ seiner Ehefrau mit Wirkung ab 1. Juni 2004 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 2'500.-- zu zahlen habe.
Die von Y.________ gegen die Verfügung des Gerichtspräsidiums erhobene Beschwerde wies der Bezirksgerichtsausschuss T.________ mit Beiurteil vom 26. Mai 2005 ab.
In teilweiser Gutheissung einer staatsrechtlichen Beschwerde von Y.________ hob die erkennende Abteilung das Beiurteil des Bezirksgerichtsausschusses am 10. November 2005 auf.
Durch Urteil vom 19. Januar 2006 erkannte das Bezirksgericht T.________, dass die Ehe von Y.________ und X.________ geschieden werde. Nacheheliche Unterhaltsleistungen wurden im Scheidungsurteil nicht festgelegt.
B.
Mit neuem Beiurteil vom 16. Februar 2006 hiess der Bezirksgerichtsausschuss T.________ die von Y.________ gegen die Massnahmenverfügung des Bezirksgerichtspräsidiums vom 31. Januar 2005 erhobene Beschwerde teilweise gut und änderte die genannte Verfügung unter anderem insofern ab, als er Y.________ verpflichtete, an den Unterhalt von X.________ mit Wirkung ab 1. Juni 2004 monatliche Beiträge von Fr. 1'000.-- zu zahlen.
C.
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 9 und 29 Abs. 2 BV mit dem Rechtsbegehren, das Beiurteil vom 16. Februar 2006 aufzuheben. Ausserdem ersucht sie darum, ihr für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
Y.________ (Beschwerdegegner) beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Der Bezirksgerichtsausschuss hat sich nicht vernehmen lassen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Beim angefochtenen Beiurteil des Bezirksgerichtsausschusses handelt es sich um einen von der letzten kantonalen Instanz (vgl. Art. 218, 232 und 237 der Bündner Zivilprozessordnung [ZPO]) gefällten Entscheid betreffend vorsorgliche Massnahmen im Ehescheidungsverfahren. Gemäss ständiger Rechtsprechung (vgl. BGE 126 III 261 E. 1 S. 263 mit Hinweisen) kann ein solcher mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden. Auf die Beschwerde ist aus dieser Sicht einzutreten.
2.
Die Beschwerdeführerin erblickt darin, dass der Bezirksgerichtsausschuss neu entschieden habe, ohne ihr Gelegenheit eingeräumt zu haben, sich zu den im bundesgerichtlichen Entscheid vom 10. November 2005 aufgeworfenen Fragen zu äussern, eine Missachtung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV).
Nach der Aufhebung des Massnahmenentscheids durch das Bundesgericht wurde das beim Bezirksgericht T.________ hängige (Haupt-)Verfahren betreffend Ehescheidung ebenfalls weitergeführt. Am 19. Januar 2006 fand die Hauptverhandlung statt. Die offen gebliebenen Fragen im Zusammenhang mit dem der Beschwerdeführerin anzurechnenden eigenen Erwerbseinkommen, die zum Entscheid der erkennenden Abteilung vom 10. November 2005 geführt hatten, bildeten Gegenstand auch des Hauptverfahrens. Die Beschwerdeführerin, die nach den Feststellungen im Scheidungsurteil an der Hauptverhandlung persönlich anwesend war, hatte Gelegenheit, sich zum genannten Punkt zu äussern. Im Sinne von Art. 4 des Bündner EG zum ZGB hat der Bezirksgerichtsausschuss die Akten des Hauptverfahrens beigezogen. Auf diese Weise flossen die Äusserungen der Beschwerdeführerin zu ihrem hypothetischen Einkommen auch in das Massnahmenverfahren ein. Die Rüge der Missachtung des Gehörsanspruchs stösst damit ins Leere. Das Gesagte gilt auch, soweit diese Rüge im Zusammenhang mit dem vom Bezirksgerichtsausschuss neu festgestellten Einkommen bzw. Minimalbedarf des Beschwerdegegners erhoben wird.
3.
Sodann wirft die Beschwerdeführerin dem Bezirksgerichtsausschuss in verschiedener Hinsicht vor, gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV) verstossen zu haben.
3.1 Willkür im Sinne von Art. 9 BV liegt nach ständiger Rechtsprechung nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung als die beanstandete ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht hebt einen kantonalen Entscheid wegen materieller Rechtsverweigerung nur dann auf, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder sonst wie in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Die Aufhebung eines kantonalen Entscheids rechtfertigt sich in jedem Fall nur dort, wo nicht nur die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 132 I 13 E. 5.1 S. 17; 131 I 57, E. 2 S. 61, und 217, E. 2.1 S. 219, mit Hinweisen).
Das Bundesgericht prüft nicht von Amtes wegen, ob ein kantonaler Entscheid verfassungswidrig ist. Art. 90 Abs. 1 lit. b OG verlangt die Darlegung, inwiefern verfassungsmässige Rechte und Rechtssätze verletzt worden seien, was appellatorische Kritik, wie sie allenfalls im Rahmen eines Berufungsverfahrens zulässig ist, ausschliesst. Wird Willkür gerügt, ist klar und detailliert aufzuzeigen, inwiefern der kantonale Entscheid qualifiziert unrichtig sein soll (BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 262 mit Hinweisen).
3.2
3.2.1 Die Beschwerdeführerin macht unter Hinweis auf Art. 66 Abs. 1 OG geltend, der Bezirksgerichtsausschuss habe angesichts des bundesgerichtlichen Urteils vom 10. November 2005 seinen früheren Entscheid nur hinsichtlich des ihr anzurechnenden hypothetischen Erwerbseinkommens abändern dürfen. Indem er auch in anderen Punkten sich nicht an seinen Entscheid vom 26. Mai 2005 gehalten und das Einkommen des Beschwerdegegners sowie den Minimalbedarf beider Parteien neu berechnet habe, sei er in Willkür verfallen.
3.2.2 Nach Art. 66 Abs. 1 OG darf die kantonale Instanz, an die eine Sache vom Bundesgericht zurückgewiesen wird, neues (tatsächliches) Vorbringen berücksichtigen, soweit es nach dem kantonalen Prozessrecht noch zulässig ist; sie hat jedoch dem neuen Entscheid die rechtliche Beurteilung zugrunde zu legen, mit der die Zurückweisung begründet wurde. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die kantonale Instanz auf Grund der Gutheissung einer staatsrechtlichen Beschwerde neu zu entscheiden hat (BGE 104 Ia 63 E. 1 S. 63).
Im Urteil vom 10. November 2005 hatte sich die erkennende Abteilung einzig mit der vom Beschwerdegegner in dessen staatsrechtlicher Beschwerde erhobener Rüge, der Bezirksgerichtsausschuss hätte nicht einfach das von der Beschwerdeführerin geltend gemachte gegenwärtige Erwerbseinkommen anrechnen dürfen und hätte von einem hypothetischen (höheren) Einkommen ausgehen müssen, materiell befasst. Sie gelangte zum Schluss, dass die kantonale Instanz gegen Art. 9 BV verstossen habe, indem sie nicht geprüft habe, ob allenfalls ein solches hypothetisches Einkommen einzusetzen sei. Zu anderen Fragen hatte sie sich nicht zu äussern, so dass für den vom Bezirksgerichtsausschuss neu zu fällenden Entscheid in den von der Beschwerdeführerin angesprochenen Punkten (Einkommen des Beschwerdegegners; Minimalbedarf der beiden Parteien) aus bundesrechtlicher Sicht keine Einschränkung bestand.
3.3 Dass der Bezirksgerichtsausschuss bezüglich des Einkommens des Beschwerdegegners und dessen Minimalbedarf ohne entsprechenden Antrag auf seinen früheren Entscheid zurückgekommen ist, stellt nach Ansicht der Beschwerdeführerin zudem eine als Willkür zu qualifizierende Verletzung von Art. 4 EG zum ZGB dar. Die Rüge ist unbegründet: Die erwähnte Bestimmung sieht ausdrücklich vor, dass der Richter in Ehesachen den Sachverhalt von Amtes wegen feststellt und nötigenfalls die Beweisaufnahme auch auf nicht behauptete Tatsachen ausdehnen und von allen zur Abklärung des Sachverhalts erforderlichen Beweismitteln Gebrauch machen kann.
3.4
3.4.1 Die Beschwerdeführerin beanstandet alsdann, dass der Bezirksgerichtsausschuss den Minimalbedarf des Beschwerdegegners in willkürlicher Weise festgesetzt habe. So habe die kantonale Instanz für dessen Wohnung monatlich Fr. 1'000.-- eingesetzt, gleichzeitig aber auch Schuldzinsen von monatlich Fr. 2'964.-- berücksichtigt. Ferner habe der Bezirksgerichtsausschuss dem Beschwerdegegner unter dem Titel "Unterhalt und Rückstellung Liegenschaften" Fr. 2'000.-- im Monat zugestanden, ohne dass ersichtlich wäre, wie sich dieser Betrag bestimme. Auf jeden Fall sei dieser weit übersetzt, was auch für den für "Versicherungen und Sonstiges" eingesetzten Betrag von monatlich Fr. 300.-- gelte.
3.4.2 Dem angefochtenen Entscheid ist zu entnehmen, dass der Bezirksgerichtsausschuss bei den Einkünften des Beschwerdegegners Mieteinnahmen von insgesamt Fr. 3'100.-- im Monat eingesetzt hat. Wenn er als Korrelat dazu auf der anderen Seite die entsprechenden Schuldzinsen (Fr. 2'964.-- im Monat) berücksichtigt hat, erscheint dies nicht als unhaltbar. Weiter ergibt sich aus den Erwägungen der kantonalen Instanz, dass der als "Unterhalt und Rückstellung Liegenschaften" eingesetzte Betrag auf den Steuerveranlagungsverfügungen 2003 beruht, so dass auch in diesem Punkt nicht von Willkür die Rede sein kann. Letzteres gilt auch für den vom Beschwerdegegner ohne nähere Begründung beanstandeten Betrag von monatlich Fr. 300.-- für "Versicherungen und Sonstiges".
4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Sie erschien unter den dargelegten Umständen von vornherein als aussichtslos. Das Gesuch der Beschwerdeführerin, ihr für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, ist deshalb abzuweisen (vgl. Art. 152 Abs. 1 OG), und die Gerichtsgebühr ist ausgangsgemäss der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Diese ist ausserdem zu verpflichten, den Beschwerdegegner für seine Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch der Beschwerdeführerin, ihr für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
4.
Die Beschwerdeführerin wird verpflichtet, den Beschwerdegegner für seine Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bezirksgerichtsausschuss T.________ schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 24. August 2006
Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: