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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_661/2018  
 
 
Urteil vom 24. August 2018  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Rüedi, 
Gerichtsschreiberin Bianchi. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Ulrich, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, Leitender Oberstaatsanwalt, An der Aa 4, 6300 Zug, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Aufhebung einer Massnahme (Art. 19 Abs. 1 JStG), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug, I. Beschwerdeabteilung, vom 23. Mai 2018 (BS 2018 27). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Das Jugendgericht des Kantons Zug verurteilte X.________ am 22. Mai 2014 zu einer jugendstrafrechtlichen Massnahme gemäss Art. 15 Abs. 1 JStG. Seither befindet er sich im Massnahmevollzug, wobei dieser durch zahlreiche Fluchten, zwei erwachsenenrechtliche Freiheitsstrafen sowie den Vollzug eines kurzen Freiheitsentzugs (wegen nicht erbrachter persönlicher Leistung) unterbrochen wurde. Am 23. Mai 2017 ordnete das Obergericht des Kantons Zug für X.________ die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung gemäss Art. 15 Abs. 2 JStG an. 
 
B.   
Am 27. März 2018 ersuchte X.________ um Entlassung aus dem geschlossenen Massnahmevollzug. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug wies das Entlassungsgesuch am 12. April 2018 ab. 
 
C.   
Das Obergericht des Kantons Zug wies die von X.________ gegen die Ablehnung des Entlassungsgesuchs geführte Beschwerde am 23. Mai 2018 ab, soweit es darauf eintrat. 
 
D.   
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts und die Anordnung der geschlossenen Unterbringung seien aufzuheben. Eventualiter sei die Sache sei zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt, die geschlossene Unterbringung verletze Art. 19 Abs. 1 JStG sowie das Verhältnismässigkeitsprinzip gemäss Art. 5 Abs. 2 BV. Aus der Vollzugsgeschichte gehe hervor, dass die Vollzugsbehörden alles Erdenkliche unternommen hätten, um die Massnahme zum Erfolg zu bringen. Dennoch entziehe er sich jeglichen erzieherischen Bemühungen. Da er weder massnahmewillig noch massnahmefähig sei, komme der Massnahme keinerlei Wirkung zu und es mache keinen Sinn, sie aufrecht zu erhalten.  
Unter dem Blickwickel der Verhältnismässigkeit könne es nicht angehen, dass er ohne Hoffnung auf einen Erfolg bis zum Erreichen des 25. Altersjahres in der Massnahme bleiben müsse. Zu diesem Zeitpunkt hätte er zehn Jahre im Massnahmevollzug verbracht, wobei dies unter Berücksichtigung der nebst der angeordneten Massnahme ursprünglich ausgesprochenen Freiheitsstrafe von acht Monaten nicht verhältnismässig sei. Eine Gefahr für die Sicherheit Dritter sei nicht rechtsgenügend nachgewiesen. 
 
1.2. Nach Art. 19 Abs. 1 JStG prüft die Vollzugsbehörde jährlich, ob und wann die Massnahme aufgehoben werden kann. Sie hebt sie auf, wenn ihr Zweck erreicht ist oder feststeht, dass sie keine erzieherischen oder therapeutischen Wirkungen mehr entfaltet. Alle Massnahmen enden mit Vollendung des 25. Altersjahres (Art. 19 Abs. 2 JStG).  
Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit (Art. 5 Abs. 2 und Art. 36 Abs. 2 und 3 BV) gilt im gesamten Massnahmerecht, sowohl bei der Anordnung von Massnahmen als auch bei den Folgeentscheidungen (BGE 142 IV 105 E. 5.4 S. 112; Urteil 6B_616/2018 vom 12. Juli 2018 E. 3.5.3). Gemäss Art. 1 Abs. 2 lit. c JStG ist Art. 56 Abs. 2 StGB, welcher die Verhältnismässigkeit im Massnahmerecht konkretisiert, sinngemäss anwendbar. Das Verhältnismässigkeitsprinzip verlangt, dass die Massnahme geeignet ist, beim Betroffenen die Legalprognose zu verbessern. Weiter muss die Massnahme notwendig sein. Sie hat zu unterbleiben, wenn eine gleich geeignete, aber mildere Massnahme für den angestrebten Erfolg ausreichen würde. Schliesslich muss zwischen dem Eingriff und dem angestrebten Zweck eine vernünftige Relation bestehen (Verhältnismässigkeit i.e.S.). Das bedeutet, dass die betroffenen Interessen gegeneinander abgewogen werden müssen. Bei einer Prüfung des Zweck-Mittel-Verhältnisses fallen im Rahmen der Gesamtwürdigung auf der einen Seite insbesondere die Schwere des Eingriffs in die Freiheitsrechte des Betroffenen in Betracht. Auf der anderen Seite sind das Behandlungsbedürfnis sowie die Schwere und die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten relevant (vgl. BGE 139 I 180 E. 2.6.1 S. 187; Urteil 6B_835/2017 vom 22. März 2018 E. 5.2.2; je mit Hinweisen). 
 
1.3. Die Vorinstanz erwägt, im Ergänzungsgutachten des Instituts für forensische Psychologie Zentralschweiz vom 16. Juni 2016 werde darauf hingewiesen, dass die Ankündigung des Beschwerdeführers, einen Massnahmeabbruch gegebenenfalls mit körperlichen Angriffen auf Mitarbeiter zu erzwingen, ernst zu nehmen sei. Die gutachterliche Prognose habe sich als zutreffend erwiesen, wie die Verwüstung seines Zimmers und das gewalttätige Verhalten gegenüber einem Sozialpädagogen sowie gegenüber seinen Mitinsassen gezeigt hätten. Unter Berücksichtigung des prognostizierten Verhaltens werde im Ergänzungsgutachten eine längerfristig angelegte geschlossene jugendstrafrechtliche Massnahme im Sinne von Art. 15 Abs. 2 JStG empfohlen. Die bisherigen Probleme zeigten gerade seine unreife Persönlichkeit, seine Identitätsstörung sowie die Aggressionsproblematik und damit seine hohe Massnahmebedürftigkeit. Auch wenn sich erst längerfristig ein Behandlungserfolg einstellen sollte, sei die Massnahmebedürftigkeit höher zu gewichten als die momentane Unwilligkeit des Beschwerdeführers.  
Ferner erwägt die Vorinstanz, der Beschwerdeführer sei gemäss Ergänzungsgutachten vom 16. Juni 2016 grundsätzlich introspektionsfähig, könne eigenes Verhalten kritisch reflektieren, sei fähig zu Perspektivenübernahme und könne Zusammenhänge erkennen. Die Massnahmefähigkeit sei damit zu bejahen. Es könne schliesslich offenbleiben, ob vom Beschwerdeführer eine schwerwiegende Gefährdung für Dritte ausgehe, so dass die Massnahme auch zum Schutz Dritter erforderlich wäre. Wie die Gewaltausbrüche gezeigt hätten, lägen dafür allerdings durchaus konkrete Anhaltspunkte vor. 
 
1.4. Für den Entscheid über die Beendigung der Massnahme ist massgebend, ob die Massnahme keine erzieherische oder therapeutische Wirkung im Sinne von Art. 19 Abs. 1 JStG mehr entfaltet. Betreffend die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Massnahmeunwilligkeit ist zu berücksichtigen, dass eine Unterbringung nach Art. 15 JStG über die Mündigkeit des Jugendlichen hinaus auch ohne dessen Einverständnis angeordnet und vollzogen werden kann (BGE 141 IV 172 E. 3.2 S. 175 mit Hinweisen; Urteil 6B_611/2016 vom 21. September 2016 E. 1.4). Eine Massnahme kann sich gerade aufdrängen, wenn ein Jugendlicher jegliche Zusammenarbeit verweigert, therapeutisch-erzieherisch unerreichbar ist und zudem weitere schwere Delikte begeht bzw. sich in immer grössere Schwierigkeiten verstrickt (Urteile 6B_85/2014 vom 18. Februar 2014 E. 4; 1B_ 437/2011 vom 14. September 2011 E. 4.2; je mit Hinweisen). Mit fehlender Motivation und schlechter Führung soll der Jugendliche nicht eine weniger eingreifende Massnahme erzwingen können (RIESEN-KUPPER, in: Kommentar Schweizerisches Strafgesetzbuch, Andreas Donatsch [Hrsg.], 20. Aufl. 2018, N. 4 zu Art. 15 JStG). Jungen Straftätern soll durch die Massnahme gerade die Chance einer noch möglichen Förderung ihrer Persönlichkeitsentwicklung eröffnet werden (Urteile 6B_1000/2017 vom 25. Oktober 2017 E. 3.7; 6B_866/2017 vom 11. Oktober 2017 E. 1.6.3).  
Mit seinem Verhalten versucht der Beschwerdeführer offenkundig, den Abbruch der Massnahme zu erzwingen. Dies verdient von vornherein keinen Rechtsschutz. Dass die Massnahme mittelfristig keine erzieherische oder therapeutische Wirkung mehr haben könnte, ist nicht erwiesen. Die Vorinstanz hat dies unter Berücksichtigung der gutachterlichen Empfehlung zu einer längerfristig angelegten Massnahme verneint und den Ausführungen des Beschwerdeführers lässt sich nichts entnehmen, das eine Abweichung von der gutachterlichen Einschätzung begründen könnte. Vielmehr rechtfertigt der Beschwerdeführer mit der Verweigerung der Zusammenarbeit und dem gezeigten therapeutisch-erzieherisch schwer erreichbaren Verhalten die Massnahme. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im weiteren Massnahmevollzug Kooperationsbereitschaft zeigt. Davon ausgehend ist nicht auf die Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen, er werde sich bis zur Vollendung des 25. Altersjahres im geschlossenen Massnahmevollzug befinden, zumal die Aufhebung der Massnahme nach Art. 19 Abs. 1 JStG jährlich überprüft wird. 
Schliesslich verkennt der Beschwerdeführer, dass die Verhältnismässigkeit der Massnahme nicht von der Dauer der ursprünglich angeordneten Freiheitsstrafe abhängt, sondern von deren Eignung, die Legalprognose zu verbessern. Dass seine Erziehung und Behandlung durch eine geeignete, mildere Massnahme sichergestellt werden könnte, ist nicht ersichtlich. Schliesslich ist die Massnahme auch angesichts des von ihm anerkannten Behandlungsbedürfnisses als verhältnismässig zu qualifizieren. 
 
1.5. Sofern der Beschwerdeführer seine Massnahmefähigkeit lediglich pauschal bestreitet, ohne sich mit dem Gutachten oder den diesbezüglichen vorinstanzlichen Erwägungen auseinander zu setzen, ist gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG nicht auf die Beschwerde einzutreten.  
 
2.   
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 BGG). Bei der Festsetzung der Gerichtskosten ist der finanziellen Lage des Beschwerdeführers Rechnung zu tragen (vgl. Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.   
Dem Beschwerdeführer werden die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- auferlegt. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zug, I. Beschwerdeabteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 24. August 2018 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Bianchi