Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
4P.146/2002 /rnd 
 
Urteil vom 24. Oktober 2002 
I. Zivilabteilung 
 
Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter, Präsident, 
Klett, Rottenberg Liatowitsch, 
Gerichtsschreiberin Schoder. 
 
A.________, 
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Hannelore Fuchs, Oberer Graben 44, 9000 St. Gallen, 
 
gegen 
 
X.________ AG, 
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Bürki, Auerstrasse 2, Postfach 91, 9435 Heerbrugg, 
III. Zivilkammer des Kantonsgerichts St. Gallen, 
 
Art. 9 und Art. 30 Abs. 1 BV (Willkürliche Beweiswürdigung im Zivilprozess; richterliche Befangenheit), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid der III. Zivilkammer des Kantonsgerichts St. Gallen vom 14. Februar 2002. 
 
Sachverhalt: 
A. 
A.________ trat am 22. April 1998 eine Stelle als Hilfsarbeiterin in der X.________ AG in Diepoldsau an. Auch der Betriebsinhaber, B.________, und dessen Ehefrau, C.________, arbeiteten dannzumal in der Stickerei. Die Angestellten arbeiteten entweder in der Morgen- oder in der Abendschicht. A.________ wurde der Abendschicht zugeteilt. Dieser gehörte auch D.________ an. Am 8. Oktober 1998 begann A.________ während der Arbeit zu schreien und zu weinen. Sie erklärte B.________ und C.________, dass sie von D.________ während der Arbeit sexuell belästigt und schikaniert worden sei. Am 12. Oktober 1998 wurde A.________ in die Morgenschicht eingeteilt. Nach einem Gespräch am 19. Oktober 1998 mit B.________ suchte A.________ ihren Arzt auf. Dieser erklärte sie für die Zeitspanne vom 20. bis zum 30. Oktober 1998 vollumfänglich arbeitsunfähig. Am 2. November 1998 trat A.________ eine Stelle bei einem anderen Arbeitgeber an. Am 19. November 1998 erhob sie Strafklage wegen sexueller Belästigung gegen D.________. Im März 2000 wurde das Strafverfahren gegen D.________ mangels Beweisen eingestellt. 
B. 
A.________ klagte im November 1998 gegen die X.________ AG auf Bezahlung von Fr. 20'000.--, nebst Zins. Das Arbeitsgericht Unterrheintal wies die Klage am 22. November 2000 ab. Die Klägerin legte gegen das Urteil Berufung ein, die das Kantonsgericht St. Gallen am 14. Februar 2002 abwies. 
C. 
Die Klägerin hat gegen das Urteil des Kantonsgerichts staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Sie beantragt die Aufhebung des Urteils. 
Die Beschwerdegegnerin sowie das Kantonsgericht beantragen die Abweisung der Beschwerde. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Nach der Schlussverhandlung in der vorliegenden Streitsache hielt die mitwirkende Richterin, Frau E.________, vor den CVP-Frauen, welche an der besagten Verhandlung teilnahmen, ein Referat. Die Beschwerdeführerin bringt vor, die mitwirkende Kantonsrichterin habe zu Problemen der Beweiswürdigung referiert, und es liege eine natürliche Vermutung dafür vor, dass Frau E.________ die Problematik des Themas anhand der vorliegenden Streitsache aufzeigte. Frau E.________ habe sich somit zu einem Zeitpunkt, als das Verfahren noch nicht abgeschlossen war, öffentlich zur vorliegenden Streitsache geäussert. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung der Garantie des unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richters, wie sie sich aus Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK ergibt. 
1.2 Nach der in Art. 58 Abs. 1 aBV bzw. im materiell unverändert in die neue Bundesverfassung vom 18. April 1999 überführten Art. 30 Abs. 1 BV (BGE 126 I 68 E. 3a S. 73) und in Art. 6 Ziff. 1 EMRK enthaltenen Garantie des verfassungsmässigen Richters hat der Einzelne Anspruch darauf, dass seine Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Liegen bei objektiver Betrachtungsweise Gegebenheiten vor, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen, so ist die Garantie verletzt (BGE 126 I 68 E. 3a S. 73, mit Hinweisen). Eine gewisse Besorgnis der Voreingenommenheit und damit Misstrauen in das Gericht kann bei den Parteien immer dann entstehen, wenn das Verhalten eines Richters oder einer Richterin einen unmittelbaren Bezug zum konkreten Verfahren aufweist, etwa bei Äusserungen über den Verfahrensausgang (BGE 108 IA 48 E. 3 S. 53, E. 4b S. 172). 
 
Kantonsrichterin E.________ ist Mitglied der CVP. Im Anschluss an die am 14. Februar 2002 stattgefundene Schlussverhandlung in der vorliegenden Streitsache hielt sie vor den an dieser Verhandlung anwesenden CVP-Frauen des Kantons St. Gallen ein Referat, wobei sie unter anderem prozessuale Grundsätze erörterte. Diese vom Kantonsgericht St. Gallen bestätigten Tatsachen vermögen den Anschein der Befangenheit von Frau E.________ aber nicht zu begründen. Im Übrigen liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich Frau E.________ anlässlich ihres Referats vor ihren Parteikolleginnen zum laufenden Verfahren äusserte, wodurch ihre Unbefangenheit in der Fällung des Urteils hätte beeinträchtigt werden können. Auch das sonstige Verhalten von Frau E.________ hatte keinen Bezug zur vorliegenden Streitsache. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als offensichtlich unbegründet. 
 
2. 
2.1 Die Beschwerdeführerin beansprucht von der Beschwerdegegnerin eine Entschädigung gestützt auf Art. 5 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die Gleichstellung von Frau und Mann vom 24. März 1995 (Gleichstellungsgesetz, GIG; SR 151.1). Nach dieser Bestimmung kann das Gericht einer von sexueller Belästigung betroffenen Person eine Entschädigung zusprechen, wenn der Arbeitgeber nicht beweisen kann, notwendige, angemessene und zumutbare Massnahmen gegen sexuelle Diskriminierung am Arbeitsplatz getroffen zu haben. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin geht das Kantonsgericht zu Unrecht davon aus, dass die Beschwerdeführerin die angeblich am Arbeitsplatz erfolgten Belästigungen seitens D.________ nicht habe nachweisen können. Die Beschwerdeführerin wirft dem Kantonsgericht willkürliche Beweiswürdigung vor. 
2.2 Im Diskriminierungsstreit würdigt das Gericht die Beweise frei (Art. 12 GIG i.V.m. Art. 343 Abs. 4 OR). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts liegt Willkür in der Beweiswürdigung vor, wenn das Gericht in seinem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation im klaren Widerspruch stehen, auf einem offenkundigen Fehler beruhen oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufen. Die Beweiswürdigung ist mithin nicht schon dann willkürlich, wenn vom Gericht gezogene Schlüsse nicht mit der Darstellung des Beschwerdeführers übereinstimmen, sondern bloss, wenn die Beweiswürdigung offensichtlich unhaltbar ist. Dabei genügt es nicht, wenn das Urteil sich nur in der Begründung als unhaltbar erweist; eine Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn es im Ergebnis verfassungswidrig ist (BGE 128 I 81 E. 2 S. 86; 127 I 38 E. 2a S. 41; 125 II 129 E. 5b S. 134, je mit Hinweisen). 
2.3 
2.3.1 Die Beschwerdeführerin bringt vor, das Arztzeugnis vom 28. November 1998 bestätige, dass die behaupteten Belästigungen am Arbeitsplatz als Ursache ihres damaligen Gesundheitszustandes in Frage kamen. Zudem habe die ärztliche Behandlung zeitlich in unmittelbarem Zusammenhang mit den Vorkommnissen am Arbeitsplatz gestanden. Dies sei ein Beleg dafür, dass die psychischen Störungen auf die Belästigungen am Arbeitsplatz zurückgehen. Weiter macht die Beschwerdeführerin geltend, dass ihre Therapeutin in dem im Strafverfahren gegen D.________ erstellten Bericht vom 13. Februar 1999 ebenfalls davon ausgehe, dass die psychischen Störungen auf die Belästigungen am Arbeitsplatz zurückzuführen sind. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin hat das Kantonsgericht den Beweiswert des Arztzeugnisses und des Therapieberichts willkürlich verneint. 
 
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts darf das Gericht in Fachfragen nicht ohne triftigen Grund von einem Gutachten abweichen und muss Abweichungen begründen. Zu beachten ist aber, dass das Abstellen auf nicht schlüssige Gutachten gegen Art. 9 BV verstossen kann, so wenn gewichtige, zuverlässig begründete Tatsachen oder Indizien die Überzeugungskraft des Gutachtens ernstlich erschüttern (BGE 128 I 81 E. 2 S. 86, mit Hinweisen). Bei Ärzten und Therapeuten, die einen Bericht über einen eigenen Patienten erstellen, darf das Gericht der Erfahrungstatsache Rechnung tragen, dass diese wegen ihrer auftragsrechtlichen Vertrauensstellung in Zweifelsfällen eher zu Gunsten ihres Patienten aussagen (BGE 125 V 351 E. 3b/cc S. 353, mit Hinweisen). 
 
Das Kantonsgericht schloss sich der Auffassung des Arbeitsgerichts Unterrheintal an, wonach die angeblichen Belästigungen am Arbeitsplatz geeignet waren, die im Arztzeugnis und im Therapiebericht beschriebenen psychischen Störungen bei der Beschwerdeführerin hervorzurufen. Nach Auffassung des Kantonsgerichts enthalten die Berichte aber keinen Beweis für die Vorkommnisse am Arbeitsplatz. Das Kantonsgericht begründet seine Zurückhaltung damit, dass für den Arzt und die Therapeutin der Behandlungserfolg der Patientin im Vordergrund stehe und die Berichte deshalb möglicherweise nicht mit der nötigen Objektivität erstellt worden seien. Zudem würden die Berichte ausschliesslich auf den Aussagen der Beschwerdeführerin beruhen. Der Therapiebericht enthalte überdies Widersprüche zu den Akten. 
 
Damit macht das Kantonsgericht plausible Gründe geltend, welche die Überzeugungskraft der Berichte abzuschwächen vermögen. Mit Blick auf die erwähnte Rechtsprechung hat das Kantonsgericht den Beweiswert des Arztzeugnisses und des Therapieberichts somit nicht willkürlich in Frage gestellt. 
2.3.2 Sodann macht die Beschwerdeführerin geltend, das Kantonsgericht habe die Loyalitätskonflikte der Zeugen im Verhältnis zur Beschwerdegegnerin und die daraus hervorgehende Befangenheit ausser Acht gelassen. Die Zeugenaussagen seien stereotyp und gehemmt. So würden die Zeugen ihren Aussagen zum Streit zwischen der Beschwerdeführerin und D.________ geflissentlich die Bemerkung beifügen, dass die Spannungen nur wegen der Arbeit entstanden seien. Aussagen zu den behaupteten sexuellen Belästigungen würden nur auf beharrliche Nachfrage und mit Zurückhaltung gemacht und die Brisanz der Vorfälle heruntergespielt. Sämtliche Zeugen hätten zudem verschwiegen, dass am 16. Oktober 1998 eine Belegschaftssitzung stattfand, an der B.________ die Mitarbeiter zur heimlichen Beschädigung des Autos von D.________ befragte. Die Beschwerdeführerin bringt weiter vor, die Widersprüche in ihren eigenen Aussagen hätten nicht den Kern, sondern nur unwesentliche Nebenpunkte der Ereignisse betroffen. Ihre Glaubwürdigkeit würde dadurch nicht in Frage gestellt. Das Kantonsgericht habe zudem ausser Acht gelassen, dass sie keine Motive für eine Falschaussage gehabt hätte. Das Kantonsgericht habe ihren Aussagen und auch denjenigen ihres Ehemannes zu Unrecht nur geringe Bedeutung beigemessen, und es habe sie nicht gegen die Zeugenaussagen abgewogen. 
 
 
Was die Zeugenaussagen anbelangt, so trifft es zu, dass darin eine gewisse Gehemmtheit ausgemacht werden kann. Auch das Verschweigen der Belegschaftssitzung vom 16. Oktober 1998 erweckt gewisse Zweifel an der völligen Unbefangenheit der Zeugen. Den Akten lässt sich hingegen nichts entnehmen, woraus auf ein schlechtes Verhältnis der Zeugen zur Beschwerdeführerin und auf ein diesbezügliches Motiv für eine Falschaussage geschlossen werden könnte. Ebenso wenig sind konkrete Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass B.________ seine Angestellten unter Druck gesetzt und zu einer Falschaussage bewogen hat. Aus der vor der Zeugeneinvernahme abgegebenen Bemerkung B.________s, dass er mit seiner Mannschaft ankomme, kann jedenfalls nichts abgeleitet werden. Das Kantonsgericht schliesst, dass nicht festgestellt werden kann, ob einer der Zeugen die sexuelle Belästigung unmittelbar wahrgenommen und ob die Belegschaft bereits vor dem Vorfall am 8.Oktober 1998 über die behaupteten Belästigungen unter sich gesprochen hat. Dafür, dass dieser Schluss des Kantonsgerichts unhaltbar wäre, bieten die Akten keine Anhaltspunkte. 
 
Gemäss dem angefochtenen Urteil berücksichtigt das Kantonsgericht die Aussagen der Beschwerdeführerin wegen deren eigenen Interessen am Verfahrensausgang mit Zurückhaltung. Es hält fest, dass die Aussagen recht detailliert und von daher glaubwürdig seien, dass sie aber auch einige Widersprüche und Übertreibungen enthielten. Mit ebensolcher Zurückhaltung würdigt das Kantonsgericht aber auch die Aussagen von B.________ und D.________. B.________ habe nur vage Aussagen gemacht und sich an vieles nicht erinnert. Die Aussagen von D.________ seien karg und widersprüchlich. Das Kantonsgericht hat deshalb auch den Aussagen von B.________ und D.________ wenig Bedeutung beigemessen. Die Aussagen der Beschwerdeführerin sind daher nicht einseitig abgewertet worden. 
2.3.3 Das Kantonsgericht kommt zum Schluss, es sei erwiesen, dass zwischen der Beschwerdeführerin und D.________ ein Streit geherrscht habe. Sodann sei erwiesen, dass die Beschwerdeführerin psychische Probleme hatte und sich deswegen in ärztliche und therapeutische Behandlung begab. Nicht erwiesen sei aber, dass die Beschwerdeführerin sexuell belästigt worden sei und die psychischen Probleme auf die behaupteten Belästigungen zurückgeführt werden müssten. Zu diesem Ergebnis kommt das Kantonsgericht, indem es dem Arztzeugnis und dem Bericht der Therapeutin aus plausiblen Gründen nur beschränkte Beweiskraft beimisst, den Aussagen aller Betroffenen mit berechtigter Zurückhaltung begegnet und mit den sorgfältig geprüften Zeugenaussagen vergleicht. Selbst wenn aufgrund der Abhängigkeit von der Beschwerdegegnerin gewisse Zweifel an der völligen Unbefangenheit der Zeugen nicht in Abrede gestellt werden können, kann das Beweisergebnis des Kantonsgerichts nicht als unhaltbar und somit willkürlich im Sinne von Art. 9 BV betrachtet werden. Die Beschwerde ist somit abzuweisen. 
 
3. 
Gemäss Art. 12 Abs. 2 GIG wird keine Gerichtsgebühr erhoben. Hingegen hat die Beschwerdeführerin die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und der III. Zivilkammer des Kantonsgerichts St. Gallen schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 24. Oktober 2002 
Im Namen der I. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: