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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.656/2005 /gij 
 
Urteil vom 24. Oktober 2005 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Aeschlimann, Fonjallaz, 
Gerichtsschreiber Kessler Coendet. 
 
Parteien 
X.________, zzt. in Untersuchungshaft, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Raess, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl, Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich, 
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich. 
 
Gegenstand 
Art. 9, 10, 31 BV und Art. 5 EMRK (Haftanordnung), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter, vom 5. Oktober 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl (nachfolgend Staatsanwaltschaft) führt eine Strafuntersuchung gegen X.________ wegen mehrfacher Veruntreuung. Sie erhob am 22. April 2005 eine entsprechende Anklage; diese wurde vom Bezirksgericht Zürich mit Beschluss vom 18. Juli 2005 einstweilen nicht zugelassen. Das Gericht erkannte, die Untersuchung sei zu Unrecht ohne Beizug eines amtlichen Verteidigers geführt worden. Die Akten wurden zur Ergänzung der Untersuchung an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen. 
B. 
Der zuständige Staatsanwalt konfrontierte den Beschuldigten anlässlich der Einvernahme vom 4. Oktober 2005 mit drei gleich gelagerten Strafanzeigen, die nach der einstweiligen Nichtzulassung der Anklage eingegangen waren, und nahm ihn anschliessend vorläufig fest. Der Haftrichter des Bezirksgerichts versetzte den Angeschuldigten am 5. Oktober 2005 in Untersuchungshaft. 
C. 
Gegen die haftrichterliche Verfügung ist X.________ am gleichen Tag mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht gelangt. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Entlassung aus der Haft. Die Staatsanwaltschaft hat sich am 10. Oktober (Posteingang: 14. Oktober) 2005 im abschlägigen Sinne vernehmen lassen. Der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich hat auf eine Vernehmlassung ausdrücklich verzichtet. Der Beschwerdeführer hält in der Replik vom 17. Oktober 2005 an seinen Begehren fest. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Der Beschwerdeführer beantragt neben der Aufhebung des angefochtenen Entscheides seine sofortige Freilassung. Dieses Begehren ist in Abweichung vom Grundsatz der kassatorischen Natur der staatsrechtlichen Beschwerde zulässig, da im Falle einer nicht gerechtfertigten strafprozessualen Haft die von der Verfassung geforderte Lage nicht schon mit der Aufhebung des angefochtenen Entscheids, sondern erst durch eine positive Anordnung hergestellt werden kann (BGE 129 I 129 E. 1.2.1 S. 131 f.; 124 I 327 E. 4b/aa S. 333, je mit Hinweisen). 
2. 
2.1 Untersuchungshaft darf nach Zürcher Strafverfahrensrecht nur angeordnet werden, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird und ausserdem ein besonderer Haftgrund vorliegt (§ 58 Abs. 1 der Strafprozessordnung vom 4. Mai 1919 [StPO/ZH; LS 321]). Der besondere Haftgrund der Kollusionsgefahr ist erfüllt, wenn aufgrund bestimmter Anhaltspunkte ernsthaft befürchtet werden muss, der Angeschuldigte werde Spuren oder Beweismittel beseitigen, Dritte zu falschen Aussagen zu verleiten suchen oder die Abklärung des Sachverhalts auf andere Weise gefährden (§ 58 Abs. 1 Ziff. 2 StPO/ZH). Liegt ausser dem allgemeinen Haftgrund des dringenden Tatverdachts Kollusionsgefahr vor, so steht einer Inhaftierung auch unter dem Gesichtswinkel der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 Abs. 1 BV bzw. Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK) grundsätzlich nichts entgegen. 
 
Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht nicht, stellt aber das Vorliegen eines besonderen Haftgrundes in Abrede. Der Haftrichter hat Kollusionsgefahr bejaht. Es ist zu prüfen, ob diese Beurteilung zutrifft. 
2.2 Kollusion bedeutet, dass sich der Angeschuldigte mit Zeugen, Auskunftspersonen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten ins Einvernehmen setzt oder sie zu wahrheitswidrigen Aussagen veranlasst. Die Untersuchungshaft wegen Kollusionsgefahr soll verhindern, dass ein Angeschuldigter die Freiheit dazu missbraucht, die wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhaltes zu vereiteln oder zu gefährden. Dabei genügt nach der Rechtsprechung die theoretische Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in Freiheit kolludieren könnte, nicht, um die Fortsetzung der Haft unter diesem Titel zu rechtfertigen, vielmehr müssen konkrete Indizien für eine solche Gefahr sprechen (BGE 128 I 149 E. 2.1 S. 151 mit Hinweisen). 
2.3 Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit wegen der Anordnung von Untersuchungshaft erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs die Auslegung und die Anwendung des kantonalen Rechts frei. Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz willkürlich sind (BGE 128 I 184 E. 2.1 S. 186 mit Hinweisen). 
 
Demzufolge kommt der gleichzeitig erhobenen Willkürrüge bezüglich der Annahme von Kollusionsgefahr keine darüber hinausgehende Bedeutung zu. 
3. 
Der Beschwerdeführer wird dringend verdächtigt, in leitender Stellung bei einem Unternehmen, das unter anderem Finanzdienstleistungen anbietet, anvertraute Kundengelder zweckwidrig für übrige betriebliche Bedürfnisse verwendet zu haben. 
3.1 Gemäss dem angefochtenen Entscheid ist Kollusionsgefahr bezüglich der am 4. Oktober 2005 neu vorgehaltenen drei Tatvorwürfe gegeben. Der Haftrichter erwog, der Beschwerdeführer habe insofern kein umfassendes Geständnis abgelegt. Zudem sei dieses auch nicht ohne weiteres verwertbar, weil er gleichzeitig eine ärztlich bescheinigte Einvernahmeunfähigkeit beansprucht habe. Es bestehe die konkrete Gefahr, dass der Beschwerdeführer bei einer Freilassung versuchen könnte, Beweismittel zu beseitigen oder Dritte zu beeinflussen. Dies gelte namentlich hinsichtlich der mutmasslich Geschädigten in den genannten Fällen, bei denen sich eine Konfrontationseinvernahme aufdränge. 
3.2 Demgegenüber bringt der Beschwerdeführer vor, er sei in der Einvernahme vom 4. Oktober 2005 im Hinblick auf alle zur Last gelegten Straftaten geständig gewesen. Es könne dahin gestellt bleiben, ob die Behörden sein damaliges Geständnis unter Hinweis auf dieses ärztliche Zeugnis im Nachgang relativieren dürften, nachdem die Einvernahme trotzdem erzwungen worden sei. Mit Sicherheit vermöchten aber die dort gemachten Aussagen des Beschwerdeführers keine Kollusionsgefahr zu begründen. Selbst wenn Konfrontationseinvernahmen mit den mutmasslichen Geschädigten erforderlich wären, gebe es keine Anhaltspunkte, dass der Beschwerdeführer in Freiheit Kollusionshandlungen vornehmen könnte. Insbesondere könne der Umstand, dass im bisherigen Verfahren Geschädigte nachträglich Desinteresseerklärungen abgegeben hätten, noch keine Kollusionsgefahr belegen. Zudem seien derartige Erklärungen vorher auch kein Grund für eine Verhaftung gewesen. Die neu vorgehaltenen Delikte seien der Staatsanwaltschaft bereits seit mindestens zwei Monaten bekannt. Es sei nicht einzusehen, weshalb erst im heutigen Zeitpunkt Kollusionsgefahr bestehen solle. 
3.3 Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer am 4. Oktober 2005 kein umfassendes Geständnis bezüglich der ihm neu angelasteten drei Straftaten gemacht hat, erweist sich als willkürfrei. Deshalb kommt es im vorliegenden Verfahren auf die Frage der Verwertbarkeit seiner dort abgegebenen Aussagen nicht an. In dieser Einvernahme hat der Beschwerdeführer mit seinen Ausführungen zum Vorhalt der Veruntreuung zum Nachteil von Y.________ inhaltlich gar nicht Stellung genommen; auch bei den anderen beiden vorgeworfenen Delikten gab er ausweichende Antworten. Insgesamt geht es bei diesen drei Vorfällen um eine Summe von über Fr. 125'000.--. 
3.4 Weiter ist festzuhalten, dass die Stadtpolizei Zürich bei der ihr am 24. August 2005 eingereichten Strafanzeige von Z.________ zunächst eigene Ermittlungen tätigte. Sie überwies den Fall am 19. September 2005 an die Staatsanwaltschaft, nachdem der Beschwerdeführer seit dem 13. September 2005 ihren Vorladungen aus angeblich gesundheitlichen Gründen nicht mehr nachkam. Die beiden anderen Strafanzeigen gingen anfangs August direkt bei der Staatsanwaltschaft ein. Auch für ihre Vorladung, die auf den 15. September 2005 angesetzt worden war, liess sich der Beschwerdeführer entschuldigen. Er reichte dazu ein Arztzeugnis ein, das ihm vom 13. bis 30. September 2005 Arbeitsunfähigkeit bescheinigte. Erst der Vorladung vom 4. Oktober 2005 leistete der Beschwerdeführer schliesslich Folge. Dort gab er zu, im fraglichen Zeitraum im Unternehmen gewesen zu sein und gearbeitet zu haben. Unter diesen Umständen steht die Tatsache, dass die Strafanzeigen bereits vom August 2005 datieren, einer Verhaftung anlässlich der Einvernahme vom 4. Oktober 2005 nicht entgegen. 
3.5 Insgesamt befindet sich die Strafuntersuchung bezüglich der nachträglich aufgetauchten Tatvorwürfe somit erst am Anfang. Der Beschwerdeführer behauptet nicht, ohne vollumfängliches Geständnis seien Konfrontationseinvernahmen mit den mutmasslichen Opfern der neuen Tatvorwürfe entbehrlich. Entgegen seiner Meinung bestehen aufgrund seines bisherigen Verhaltens in der Untersuchung genügend konkrete Anhaltspunkte für die Annahme von Kollusionsgefahr. Bis zur Durchführung der genannten Konfrontationseinvernahmen ist die entsprechende Einschätzung des Haftrichters zu bestätigen. 
3.6 Bei dieser Sachlage kann einerseits offen bleiben, ob eine rechtsgenügliche Kollusionsgefahr auch für die geplante Erweiterung der Strafuntersuchung auf die Finanzflüsse im Privatbereich des Beschwerdeführers vorliegt; eine derartige Verfahrensausdehnung wird von der Staatsanwaltschaft erst in der Vernehmlassung erwähnt. Anderseits brauchte der Haftrichter nicht zu prüfen, ob die weiteren Haftgründe der Flucht- und der Fortsetzungsgefahr erfüllt sind. Dazu erübrigen sich Ausführungen. 
4. 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang trägt der Beschwerdeführer die Gerichtskosten (Art. 156 Abs. 1 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 24. Oktober 2005 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: