Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_153/2022
Urteil vom 24. Oktober 2022
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiberin Huber.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Davide Loss,
Beschwerdeführerin,
gegen
IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 21. Dezember 2021 (IV.2021.00132).
Sachverhalt:
A.
Die 1967 in Ungarn geborene A.________ reiste im Jahr 2000 in die Schweiz ein. Am 8. Juli 2015 meldete sie sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 4. Oktober 2017 verneinte die IV-Stelle Zürich einen Anspruch auf eine Invalidenrente.
Am 31. Mai 2019 meldete sich A.________ ein weiteres Mal zum Leistungsbezug an. In der Folge gab die IV-Stelle ein polydisziplinäres Gutachten beim Universitätsspital Basel, asim Begutachtung, in Auftrag (Expertise vom 22. Juli 2020) und kündigte am 2. Oktober 2020 die Abweisung des Leistungsbegehrens an. Nachdem A.________ Einwand erhoben hatte, erliess die IV-Stelle am 8. Januar 2021 eine leistungsablehnende Verfügung, die sie am 12. Januar 2021 während laufender Beschwerdefrist wiedererwägungsweise wieder aufhob. Mit Verfügung vom 22. Januar 2021 verneinte die IV-Stelle einen Leistungsanspruch erneut.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 21. Dezember 2021 ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, das vorinstanzliche Urteil sei aufzuheben. Die Sache sei zur Neubeurteilung an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Eventualiter sei ihr eine ganze Invalidenrente zuzusprechen. Ausserdem ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen lässt sich nicht vernehmen.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG geltend gemacht werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 145 V 57 E. 4.2). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG ).
2.
Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535).
Die dem hier angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfügung erging vor dem 1. Januar 2022. Nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1; 129 V 354 E. 1 mit Hinweisen) sind daher die Bestimmungen des IVG und diejenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung anwendbar (BGE 148 V 174 E. 4.1).
3.
3.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die vorinstanzlich bestätigte Leistungsablehnung vor Bundesrecht standhält.
3.2. Die hierfür massgeblichen rechtlichen Grundlagen hat das kantonale Gericht zutreffend dargelegt. Es betrifft dies insbesondere die Bestimmungen und Grundsätze zu den für ausländische Staatsangehörige geltenden versicherungsmässigen Voraussetzungen (Art. 6 Abs. 2 IVG), zum Eintritt der Invalidität (Art. 4 Abs. 2 IVG) sowie zur Beweiswürdigung und zum Beweiswert medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 143 V 124 E. 2.2.2; 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a). Darauf wird verwiesen.
4.
4.1. Die Vorinstanz mass der asim-Expertise vom 22. Juli 2020 Beweiswert zu. Sie würdigte die gutachterlichen Aussagen sowie die Erwerbsbiografie der Beschwerdeführerin und stellte fest, dass diese mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bereits im Zeitpunkt ihrer Einreise in die Schweiz im Jahr 2000 aufgrund von psychischen Einschränkungen mindestens 40 % invalid gewesen sei. Mithin liess das kantonale Gericht diese psychischen Beschwerden bei der Invaliditätsbemessung ausser Acht. Somatisch ging es gestützt auf die Ergebnisse im asim-Gutachten davon aus, dass der Beschwerdeführerin die angestammte Tätigkeit (körperlich schwer) nicht mehr zumutbar sei. Im Rahmen einer optimal leidensangepassten Stelle bestehe aus rheumatologischer Sicht jedoch keine Einschränkung der Leistungsfähigkeit.
4.2. Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Annahme des kantonalen Gerichts, wonach sie im Zeitpunkt ihrer Einreise in die Schweiz im Jahr 2000 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bereits zu mindestens 40 % invalid gewesen sein solle, verletze den Untersuchungsgrundsatz.
5.
5.1. Die asim-Gutachter berichteten, die Beschwerdeführerin leide an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen, histrionischen und abhängigen Anteilen (ICD-10 F61.0). Sie sei deshalb in einer angepassten Tätigkeit nie mehr als 50 % arbeitsfähig gewesen. Das kantonale Gericht erkannte in diesem Zusammenhang, dass namentlich diese Diagnose für den Eintritt des rentenspezifischen Versicherungsfalles vor der Einreise in die Schweiz spreche. Denn die ausgewiesene Persönlichkeitsstörung beginne gemäss den diagnostischen Leitlinien nach ICD-10 immer in der Kindheit oder Jugend und manifestiere sich auf Dauer im Erwachsenenalter.
Es mag zutreffen, dass die an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung leidenden versicherten Personen nicht immer in der Adoleszenz (zu mindestens 40 %) invalid werden, sondern es vielmehr einer Einzelfallbetrachtung bedarf, wie die Beschwerdeführerin geltend macht. Dieser Anforderung kam die Vorinstanz im vorliegenden Fall entgegen den Ausführungen in der Beschwerde jedoch nach. So legte das kantonale Gericht umfassend dar, dass die asim-Gutachter den Ursprung der psychischen Erkrankung überzeugend in Zusammenhang mit den belasteten familiären Verhältnissen in der Kindheit mit Verstossung, Fremdplatzierung und Gewalt gestellt hätten. Ausserdem erkannte es, dass die Beschwerdeführerin erst im Alter von rund 33 Jahren in die Schweiz eingereist sei. Dieser Umstand lasse den Schluss zu, dass die Persönlichkeitsstörung mit entsprechenden Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit bereits bis zu diesem Zeitpunkt erheblich fortgeschritten und verfestigt gewesen sei. Die Vielzahl von Beziehungsabbrüchen zu ehemaligen Partnern und teilweise auch zu den eigenen Kindern, das Bettnässen der Beschwerdeführerin sowie ein erster Suizidversuch bereits im Alter von 17 Jahren würden diese Annahme bestätigen. Ein entsprechendes gewichtiges Indiz, dass die Beschwerdeführerin bei ihrer Einreise in die Schweiz bereits (mindestens) 40 % invalid gewesen sei, biete laut Vorinstanz darüber hinaus auch die Erwerbsbiografie. Das kantonale Gericht wies darauf hin, dass sie bereits ab dem jungen Erwachsenenalter nicht in der Lage gewesen sei, über einen längeren Zeitraum einer kontinuierlichen Arbeit im Umfang von mehr als 50 % nachzugehen. Sowohl in der Zeit in Ungarn als auch in in der Schweiz hätten sich eine Vielzahl von Jobwechseln und Tätigkeitsbereichen (Krankenschwester, Service, Reinigung, häusliche Pflege, Studium) gezeigt. Trotz abgeschlossener Ausbildung zur Krankenschwester habe die Beschwerdeführerin in Ungarn nur kurz in dieser Branche gearbeitet und sei in der Folge in wechselnden Anstellungen im Servicebereich tätig gewesen.
5.2. Die Beschwerdeführerin vermag nicht aufzuzeigen, inwiefern die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen (E. 5.1) offensichtlich unrichtig oder sonstwie bundesrechtswidrig sein sollen (vgl. E. 1 oben). Vor dem Hintergrund dieser für das Bundesgericht verbindlichen Tatsachen und dabei insbesondere mit Blick auf die Aussage der asim-Gutachter, wonach aufgrund der Persönlichkeitsstörung nie eine höhergradige Arbeitsfähigkeit als 50 % in einer angepassten Tätigkeit bestanden habe, durfte die Vorinstanz willkürfrei von einer mindestens 40%igen Invalidität bei der Einreise in die Schweiz im Jahr 2000 ausgehen. Die Rüge der Beschwerdeführerin, wonach der Zeitpunkt des Eintritts der Invalidität nie gutachterlich abgeklärt worden sei, was den Untersuchungsgrundsatz sowie das sich aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör ergebende Recht auf Beweis (Art. 29 Abs. 2 BV) verletze, zielt demzufolge ins Leere. Darüber hinaus lässt sich im asim-Gutachten kein Anhaltspunkt dafür finden, dass bei der Einreise in die Schweiz eine 100%ige Arbeitsfähigkeit vorgelegen hätte und sich der psychische Gesundheitszustand seither schleichend verschlechtert haben soll, wie die Beschwerdeführerin moniert.
5.3. Nach dem Gesagten verletzte das kantonale Gericht kein Bundesrecht, wenn es die psychischen Beschwerden bei der Invaliditätsbemessung ausser Acht liess. Zufolge der unbestritten gebliebenen Feststellungen zum somatischen Gesundheitszustand ist die Beschwerdeführerin in leidensangepassten Tätigkeiten 100 % arbeitsfähig.
6.
Die Vorinstanz ermittelte ausgehend von der 100%igen Arbeitsfähigkeit in angepassten Tätigkeiten einen Invaliditätsgrad von gerundet 15 % bei einem Valideneinkommen (BGE 135 V 58 E. 3.1) von Fr. 64'973.- und einem Invalideneinkommen (BGE 139 V 592 E. 2.3) von Fr. 55'228.-. Sie nahm keinen leidensbedingten Abzug vom Tabellenlohn (BGE 126 V 75 E. 5b/aa) vor. Soweit die Beschwerdeführerin einen solchen von 25 % beantragt, erübrigen sich Weiterungen dazu. Denn selbst bei einem Abzug von 25 % resultiert ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad von gerundet 36 % (zur Rundung vgl. BGE 130 V 121). Die übrigen Faktoren der Invaliditätsbemessung werden nicht beanstandet. Zu einer näheren Prüfung von Amtes wegen besteht kein Anlass.
7.
Die Beschwerde ist unbegründet. Bei diesem Ergebnis ist von der primär beantragten Rückweisung an das kantonale Gericht abzusehen. Es bleibt bei der vorinstanzlich bestätigten Leistungsablehnung.
8.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat grundsätzlich die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu bezahlen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Ihrem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (Art. 64 BGG) kann jedoch entsprochen werden. Es wird indes ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG hingewiesen, wonach sie der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn sie später dazu in der Lage ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Rechtsanwalt Davide Loss wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.
4.
Dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 24. Oktober 2022
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Wirthlin
Die Gerichtsschreiberin: Huber