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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 1/2} 
1A.126/2006 /ggs 
 
Urteil vom 24. November 2006 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz, 
Gerichtsschreiberin Schilling. 
 
Parteien 
Bären Sigriswil AG, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Samuel Keller, 
 
gegen 
 
Einwohnergemeinde Sigriswil, 3655 Sigriswil, handelnd durch den Gemeinderat, vertreten durch Fürsprecher Hans-Heinrich Weber, 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, Speichergasse 12, 3011 Bern. 
 
Gegenstand 
Materielle Enteignung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil 
des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 15. Mai 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die Bären Sigriswil AG ist Eigentümerin der unweit der Kirche Sigriswil liegenden, an die Raftstrasse stossenden Parzellen Nrn. 3275, 3276 und 3277 (Gbbl. Sigriswil). Auf dem Grundstück Nr. 3275 steht das Hotel Bären und auf der Nachbarparzelle Nr. 3276 die Dependance zum alten Hotel Bären. Auf der gegenüberliegenden, südlichen Strassenseite liegt das Grundstück Nr. 3277 im Halte von 1'239 m2, auf welchem eine zum Hotel gehörende Minigolfanlage betrieben wird. 
Nach dem Zonenplan der Einwohnergemeinde Sigriswil aus dem Jahr 1976 gehörte die Parzelle Nr. 3277 zur Dorfkernzone. Am 22. Juni 1996 beschloss die Gemeindeversammlung eine Änderung des Zonenplanes und wies die Parzelle Nr. 3277 der Grünzone zu. Dagegen setzte sich die Bären Sigriswil AG erfolglos zur Wehr. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies das Begehren, die Parzelle Nr. 3277 vollständig oder teilweise zur Kernzone K2 zu schlagen, mit Urteil vom 25. April 2002 ab. Das Urteil blieb unangefochten. 
B. 
Im August 2003 ersuchte die Bären Sigriswil AG bei der Enteignungs- Schätzungskommission des Kantons Bern, Kreis 1, um Entschädigung wegen materieller Enteignung. Die Enteignungs-Schätzungskommission verpflichtete die Einwohnergemeinde Sigriswil mit Urteil vom 10. Januar 2005, der Bären Sigriswil AG eine Enteignungsentschädigung von Fr. 297'250.-- nebst Zins zu bezahlen. 
Die Einwohnergemeinde Sigriswil erhob hierauf Appellation beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern. Dieses zog die Akten der Ortsplanungsrevision bei und führte einen Augenschein durch. Mit Urteil vom 15. Mai 2006 wies das Verwaltungsgericht das Gesuch um Zuspruch einer Entschädigung aus materieller Enteignung wegen Zuweisung der Parzelle Nr. 3277 zur Grünzone ab. 
C. 
Die Bären Sigriswil AG hat gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Die Beschwerdeführerin stellt die Anträge, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass die Zuweisung des Grundstücks Sigriswil Gbbl. Nr. 3277 zur Grünzone eine materielle Enteignung darstelle. Die Sache sei zur Festlegung der an die Beschwerdeführerin zu bezahlenden Entschädigung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gerügt, dass die Zuweisung des fraglichen Grundstücks zur Grünzone zu Unrecht als Nichteinzonung statt als Auszonung beurteilt worden sei und das Vorliegen einer Baulücke verneint worden ist. 
Die Einwohnergemeinde Sigriswil und das Verwaltungsgericht des Kantons Bern stellen Antrag auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Raumentwicklung hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die Voraussetzungen zum Eintreten auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sind gegeben. 
Die Beschwerdeführerin ersucht um Vornahme eines Augenscheins. Der massgebende Sachverhalt ergibt sich jedoch mit hinreichender Klarheit aus den Akten, insbesondere auch aus der umfangreichen, an der vorinstanzlichen Augenscheinsverhandlung erstellten Fotodokumentation. Auf eine Ortsschau kann daher verzichtet werden. 
2. 
Die Beschwerdeführerin wirft zunächst unter Hinweis auf BGE 131 II 151 die Frage auf, ob die Zuweisung des umstrittenen Grundstücks zur Grünzone entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichts nicht eine Nichteinzonung, sondern eine Auszonung darstelle. Dies ist jedoch zu verneinen. 
Gemäss ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung gelten Nutzungsbeschränkungen, die sich im Zuge des Wechsels von einer Bau- und Zonenordnung aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Raumplanungsgesetzes zu einer auf diesem Gesetz beruhenden Ordnung ergeben, entschädigungsrechtlich nicht als Auszonungen. Vielmehr ist in solchen Fällen die Entschädigungsfrage nach den auf die Nichteinzonung anwendbaren Grundsätzen zu beurteilen, weil erst nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Raumplanung (RPG; SR 700) im dort vorgesehenen bundesrechtlichen Verfahren im Lichte der verfassungsrechtlichen Prinzipien über die Zugehörigkeit eines Grundstücks zur Bauzone entschieden werden konnte (vgl. etwa BGE 122 II 326 E. 5c S. 332, 123 II 481 E. 5b S. 488; s.a. BGE 131 II 728 E. 2 und 132 II 218 E. 2.1). Sind die erstmals unter der Herrschaft des RPG vorgenommenen Änderungen von altrechtlich zulässigen Nutzungen demnach entschädigungsmässig generell als Nichteinzonungen zu betrachten, so ist die - von der Beschwerdeführerin ebenfalls aufgeworfene - Frage der materiellen oder formellen Bundesrechtskonformität der früheren Zonenplanung für das Vorliegen einer materiellen Enteignung unerheblich. Ob eine Enteignung eingetreten sei oder nicht, bestimmt sich allein danach, ob für das bei der erstmaligen Anpassung der Zonenplanung an das RPG nicht eingezonte Grundstück ein Einzonungsgebot bestand (Urteil 1A.41/2002 vom 26. November 2002 E. 3, publ. in ZBl 104/2003 S. 383, RDAF 2004 I S. 730). Daran hat BGE 131 II 151 nichts geändert. Die Besonderheit lag in jenem Fall darin, dass es zwar um die erstmalige Änderung der Zonenplanung unter der Herrschaft des RPG ging, durch eine Änderung des kantonalen Rechts nach Inkrafttreten des RPG aber für den Grundeigentümer eine neue, aus eigener Kraft zu verwirklichende Nutzungsmöglichkeit geschaffen worden war, die durch die spätere Zonenplanänderung wieder entzogen wurde. Unter diesen Umständen hat das Bundesgericht das Vorliegen einer Auszonung nicht von vornherein ausgeschlossen. Eine solche besondere Situation liegt hier jedoch nicht vor. 
3. 
Wie dargelegt löst die Nichteinzonung eines Grundstücks nur dann eine Entschädigungspflicht aus, wenn ein Einzonungsgebot bestanden hat. Von einem solchen ist u.a. auszugehen, wenn sich das fragliche Grundstück - was hier umstritten ist - im weitgehend überbauten Gebiet befindet. Der bundesrechtliche Begriff des weitgehend überbauten Gebiets im Sinne von Art. 15 lit. a RPG bezeichnet, wie im angefochtenen Entscheid zu Recht ausgeführt wird, im Wesentlichen den geschlossenen Siedlungsbereich mit eigentlichen Baulücken. Baulücken sind einzelne unüberbaute Parzellen, die unmittelbar an das überbaute Land angrenzen, in der Regel bereits erschlossen sind und eine relativ geringe Fläche aufweisen. Der unüberbaute, eine Baulücke bildende Boden muss zum geschlossenen Siedlungsbereich gehören, an der Siedlungsqualität teilhaben und von der bestehenden Überbauung so stark geprägt sein, dass sinnvollerweise nur seine Aufnahme in die Bauzone in Frage kommt. Der Begriff der weitgehenden Überbauung ist somit gebietsbezogen, parzellenübergreifend zu verstehen. Der vorhandene Zustand auf einem Grundstück ist in seiner Gesamtheit und in seinem Zusammenhang mit den Verhältnissen auf den benachbarten Parzellen zu betrachten. Ergibt diese Betrachtung, dass die unüberbauten Flächen im besiedelten Gebiet der Auflockerung der Siedlungsstrukturen, der Erhöhung der Wohnqualität durch Grünflächen sowie der Schaffung von Freizeitbereichen dienen, so bilden sie keine eigentlichen Baulücken, sondern erfüllen eigenständige Funktionen und haben an der Siedlungsqualität nicht teil. Solche unüberbaute Flächen gehören daher nicht zum weitgehend überbauten Gebiet (vgl. zum Ganzen BGE 132 II 218 E. 4 S. 222 ff. mit zahlreichen Hinweisen). 
4. 
Die dreieckförmige Parzelle Nr. 3277 umfasst 1'239 m2 und stösst allseitig an Strassen (Raftstrasse, Räftlistrasse) bzw. an einen Fussweg und an den Zingg-Platz. Die jeweils gegenüberliegenden Grundstücke sind überbaut. Angesichts dieser unmittelbaren Nachbarschaft und der geringen Grösse der Parzelle kann dem Standpunkt der Beschwerdeführerin, es handle sich um eine Baulücke, ein gewisses Verständnis entgegengebracht werden. Ein weiterer Blick auf das westlich des Grundstücks gelegene Gebiet zeigt jedoch, dass mit dem Grüngürtel, der sich vom Zingg-Platz längs der Räftlistrasse bis in die Nähe des Schulhauses zieht, ein Gebiet ausgeschieden worden ist, dem offensichtlich eigenständige Funktion zukommt. Dieser Landstreifen gliedert das Siedlungsareal, lockert das überbaute Gebiet auf und dient, wie gerade auch die Parzelle Nr. 3277 zeigt, als Erholungs- und Freizeitbereich. Zudem gewährleistet die Grünzone die Freihaltung der Sicht auf den Kirchenbezirk mit seinen historischen Bauten. Dass auch weitere Bauten in Sigriswil schützens- und erhaltenswert sind, wie die Beschwerdeführerin geltend macht, ändert nichts daran, dass sich die Grünzone längs der Räftlistrasse als Umgebungsschutz für den Kirchenbezirk eignet. Wohl wird dieser Grüngürtel durch das neben dem Grundstück Nr. 3277 auf den Parzellen Nrn. 1074/2018 stehende alte Doppelbauernhaus durchtrennt. Die Durchtrennung wird aber dadurch gemildert, dass der unüberbaute Teil der beiden Parzellen ebenfalls zur Grünzone geschlagen worden ist. Die Parzelle Nr. 3277 wirkt daher nicht isoliert. Jedenfalls vermag die Existenz des Bauernhauses die umschriebene, selbständige Funktion des Grüngürtels nicht in Frage zu stellen, umso weniger, als dieses ebenfalls zu den schützenswerten Bauten im weiteren Bereich des Kirchenbezirkes zählt. In der Feststellung des Verwaltungsgerichtes, dass die Parzelle Nr. 3277 nicht zum weitgehend überbauten Gebiet gehöre, ist mithin keine Bundesrechtswidrigkeit zu erblicken. 
5. 
Nach dem Gesagten ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen. 
Die bundesgerichtlichen Kosten sind dem Ausgang des Verfahrens entsprechend der Beschwerdeführerin zu überbinden (Art. 156 Abs. 1 OG). Der Einwohnergemeinde Sigriswil ist gemäss Art. 159 Abs. 2 OG keine Parteientschädigung zuzusprechen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 5'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt. 
3. 
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 
4. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Einwohnergemeinde Sigriswil und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, sowie dem Bundesamt für Raumentwicklung schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 24. November 2006 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: