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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_460/2022  
 
 
Urteil vom 24. November 2022  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichterin Jametti, Bundesrichter Merz, 
Gerichtsschreiber Hahn. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Marco Bivetti, 
 
gegen  
 
Obergericht Appenzell Ausserrhoden, Einzelrichter, Fünfeckpalast, Landsgemeindeplatz 7c, 
Postfach 162, 9043 Trogen, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; unentgeltliche Rechtspflege im Verfahren O2S 22 5, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden, Einzelrichter, 
vom 8. Juli 2022 (ERS 22 21). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Appenzell Ausserrhoden führt gegen A.________ eine Strafuntersuchung wegen gewerbsmässigen Betrugs, Veruntreuung, Urkundenfälschung und weiterer Delikte. Im Rahmen der Strafuntersuchung beauftragte die Staatsanwaltschaft Dr. med. B.________ mit der psychiatrischen Begutachtung von A.________. Das am 22. Oktober 2021 erstellte Gutachten wurde A.________ mit Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 3. November 2021 eröffnet. Mit Eingabe vom 25. Februar 2022 nahm sie dazu Stellung und beantragte dabei unter anderem, es sei gegen B.________ ein Strafverfahren wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses zu eröffnen. 
 
B.  
Mit Verfügung vom 22. März 2022 nahm die Staatsanwaltschaft die gegen B.________ angestrebte Strafuntersuchung nicht anhand. Dagegen erhob A.________ am 4. April 2022 Beschwerde an das Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden. In prozessualer Hinsicht ersuchte sie um die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. Mit Verfügung vom 8. Juli 2022 wies das Obergericht das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ab. 
 
C.  
Gegen die Verfügung des Obergerichts vom 8. Juli 2022 erhebt A.________ Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung der Verfügung und die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das vorinstanzliche Beschwerdeverfahren. 
Das Obergericht hat sich mit Stellungnahme vom 15. September 2022 ohne Verfahrensantrag vernehmen lassen. Die Beschwerdeführerin hält mit Replik vom 22. September 2022 an ihren Anträgen fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen offen (Art. 78 Abs. 1 i.V.m. Art. 80 BGG). Es handelt sich um einen das Strafverfahren nicht abschliessenden Zwischenentscheid, der geeignet ist, einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zu bewirken (vgl. BGE 140 IV 202 E. 2.2; Urteil 1B_81/2022 vom 20. Juni 2022 E. 1). Zur Rüge, ihr sei im vorinstanzlichen Verfahren zu Unrecht die unentgeltliche Rechtspflege verweigert worden, ist die Beschwerdeführerin nach Art. 81 Abs. 1 lit. a und b BGG unabhängig von ihrer Legitimation in der Sache berechtigt, da dies einer formellen Rechtsverweigerung gleichkäme (BGE 146 IV 76 E. 2; 141 IV E. 1.1; Urteile 1B_450/2021 vom 9. Februar 2022 E. 1.1; 1B_80/2019 vom 26. Juni 2019 E. 1). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten. 
 
2.  
Die Beschwerdeführerin macht eine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV, Art. 118 und 136 StPO sowie eine unrichtige vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung geltend. 
 
2.1. Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. Art. 29 Abs. 3 BV bezweckt, allen Betroffenen ohne Rücksicht auf ihre finanzielle Situation tatsächlichen Zugang zum Gerichtsverfahren zu vermitteln und die effektive Wahrung ihrer Rechte zu ermöglichen (BGE 131 I 350 E. 3.1; Urteil 1B_75/2022 vom 3. Mai 2022 E. 2.3, je mit Hinweisen).  
Art. 136 StPO konkretisiert die Voraussetzungen, unter denen der Privatklägerschaft unentgeltliche Rechtspflege im Strafprozess gewährt wird (Urteil 1B_317/2021 vom 9. Dezember 2021 E. 4.1 mit Hinweisen). Als Privatklägerschaft gilt die geschädigte Person, die spätestens bis zum Abschluss des Vorverfahrens ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Straf- oder Zivilklägerin zu beteiligen (vgl. Art. 118 Abs. 1 und 3 StPO). Nach Art. 136 Abs. 1 StPO ist der Privatklägerschaft die unentgeltliche Rechtspflege für die Durchsetzung ihrer Zivilansprüche ganz oder teilweise zu gewähren, wenn sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügt (lit. a) und die Zivilklage nicht aussichtslos erscheint (lit. b). Die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands setzt überdies voraus, dass die Rechtsvertretung zur Wahrung der betreffenden Ansprüche notwendig ist (Art. 136 Abs. 2 lit. c StPO). 
Der Gesetzgeber hat die unentgeltliche Rechtspflege zugunsten der Privatklägerschaft damit prinzipiell auf Fälle beschränkt, in denen sie Zivilansprüche geltend macht. Wenn sich die Privatklägerschaft ausschliesslich im Strafpunkt beteiligt, ist die unentgeltliche Rechtspflege nach dem Willen des Gesetzgebers im Grundsatz ausgeschlossen, da der staatliche Strafanspruch durch den Staat wahrgenommen wird. Diese Beschränkung ist mit Art. 29 Abs. 3 BV vereinbar (Urteile 1B_75/2022 vom 3. Mai 2022 E. 2.3; 1B_518/2021 vom 23. November 2021 E. 3.1; 1B_605/2020 vom 16. März 2021 E. 2.1; je mit Hinweis). Beziffert und begründet werden muss die Zivilforderung zwar erst (und spätestens) im Parteivortrag (Art. 123 Abs. 2 StPO). Die um unentgeltliche Rechtspflege ersuchende Privatklägerschaft muss indessen in jedem Verfahrensstadium darlegen, dass die Zivilklage nicht aussichtslos erscheint (Urteile 1B_80/2019 vom 26. Juni 2019 E. 3.2; 1B_446/2018 vom 14. November 2018 E. 5.3.1; je mit Hinweis), sofern dies nicht geradezu offensichtlich ist (Urteil 1B_75/2022 vom 3. Mai 2022 E. 2.3; zum Ganzen: Urteil 1B_81/2022 vom 20. Juni 2022 E. 3.1). 
Ist eine Zivilklage nicht möglich und fallen die beanstandeten Handlungen wahrscheinlich in den Anwendungsbereich des Verbots von Folter und anderer grausamer oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (vgl. Art. 3 EMRK, Art. 10 Abs. 3 BV und das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe [SR 0.105]), ist der beschwerdeführenden Person gemäss der Rechtsprechung indessen unter Umständen gestützt auf Art. 29 Abs. 3 BV unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren (Urteile 1B_518/2021 vom 23. November 2021 E. 3.1; 1B_561/2019 vom 12. Februar 2020 E. 2.2). 
 
2.2. Das Obergericht erwog, die Gewährung der unentgeltliche Rechtspflege an die Privatklägerschaft sei auf Situationen beschränkt, bei welchen diese Zivilansprüche geltend mache. Vorliegend habe die Beschwerdeführerin keinen Strafantrag gestellt und weder im obergerichtlichen Verfahren noch gegenüber der Staatsanwaltschaft erklärt, dass sie sich in der von ihr gegen B.________ angestrebten Strafuntersuchung als Privat- oder Strafklägerin beteiligen wolle. Insbesondere habe sie keine Zivilklage erhoben. Auch stünden keine Handlungen zur Diskussion, die als Folter oder andere grausame Behandlung qualifizierten werden könnten. Die Voraussetzungen für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege seien daher nicht erfüllt.  
 
2.3. Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, ist nicht geeignet, die angefochtene Verfügung als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen.  
 
2.3.1. Aus den kantonalen Akten geht zwar hervor, dass die Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 25. Februar 2022 zum über sie erstellten psychiatrischen Gutachten sinngemäss einen Strafantrag gegen B.________ stellte. Die Staatsanwaltschaft hat die Stellungnahme in ihrer Nichtanhandnahmeverfügung vom 22. März 2022 jedenfalls als Strafantrag behandelt. Die vorinstanzliche Feststellung, die Beschwerdeführerin habe keinen Strafantrag gestellt, erweist sich damit als unzutreffend. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ändert dies jedoch nichts daran, dass die angefochtene Verfügung im Einklang mit der erwähnten Rechtsprechung (vorne E. 2.1) steht.  
 
2.3.2. Wie die Vorinstanz zutreffend festgehalten hat, hat die Beschwerdeführerin bisher keine Zivilklage erhoben. Insoweit finden sich weder in ihrem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege noch in den kantonalen Akten Ausführungen zu allfälligen zivilrechtlichen Ansprüchen gegen den von ihr beschuldigten B.________. Die Beschwerdeführerin legt vor Bundesgericht sogar selber dar, sie habe in ihrem Strafantrag noch keine ausdrückliche Erklärung abgegeben, ob sie sich im Strafverfahren als Zivilklägerin beteiligen wolle. Dies könne ihr im vorliegend noch sehr frühen Verfahrenszeitpunkt, in welchem erst die Eröffnung der Strafuntersuchung zur Diskussion stehe, allerdings nicht zum Nachteil gereichen.  
Auch wenn die Begründung und Bezifferung der Zivilklage gemäss Art. 123 Abs. 2 StPO grundsätzlich erst im Parteivortrag erfolgen kann, verkennt die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin mit ihrem Einwand, dass sie die Regelung von Art. 123 Abs. 2 StPO nach der zitierten Rechtsprechung nicht davon entbindet, im Rahmen eines Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege in jedem Verfahrensstadium darzulegen, weshalb ihre Zivilklage nicht aussichtslos erscheint (vgl. vorne E. 2.1). Sie hätte im vorinstanzlichen Verfahren somit darlegen müssen, weshalb sie welche Zivilforderung erheben will und warum diese nicht aussichtslos sei. Aufgrund der Akten ist dies nicht offensichtlich. So ist fraglich, inwiefern die Beschwerdeführerin durch die dem Beschuldigten vorgeworfene Verletzung des Berufs- und Amtsgeheimnisses einen Schaden erlitten haben soll (Art. 41 OR). Ebenso wenig ist ersichtlich, inwiefern die Schwere einer allfälligen Verletzung der Persönlichkeit eine Genugtuung rechtfertigen sollte (Art. 49 OR). Hierzu äussert sich die Beschwerdeführerin auch vor Bundesgericht nicht. 
 
2.4. Hat die Beschwerdeführerin im vorinstanzlichen Verfahren somit keinerlei Ausführungen bezüglich der Prozessaussichten ihrer zivilrechtlichen Ansprüche gemacht bzw. steht nach wie vor nicht abschliessend fest, ob sie überhaupt Zivilklage erheben will, verletzt es angesichts der zitierten Rechtsprechung kein Bundesrecht, wenn ihr die Vorinstanz mangels hinreichender Substanziierung einer Zivilklage die unentgeltliche Rechtspflege verweigerte. Die Ausführungen in der angefochtenen Verfügung, wonach keine besonderen Umstände vorliegen, die einen direkten Anspruch der Privatklägerschaft auf die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gestützt auf Art. 29 Abs. 3 BV begründen würden, werden von der Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellt. Nicht weiter einzugehen ist sodann auf alle Rügen, die sich einzig zu den Prozessaussichten des Strafverfahrens äussern, nicht aber zu den allfälligen zivilrechtlichen Ansprüchen. Diese Vorbringen gehen an der Sache vorbei (vgl. vorne E. 2.1).  
 
3.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit auf sie einzutreten ist. Da sie von vornherein aussichtslos war, ist das für das bundesgerichtliche Verfahren gestellte Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Rechtsverbeiständung abzuweisen (Art. 64 BGG). Im vorliegenden Fall rechtfertigt es sich jedoch, ausnahmsweise davon abzusehen, für das bundesgerichtliche Verfahren Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren wird abgewiesen. 
 
3.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.  
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Obergericht Appenzell Ausserrhoden, Einzelrichter, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 24. November 2022 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Hahn