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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5A_637/2010 
 
Urteil vom 25. Januar 2011 
II. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin, 
Bundesrichter Marazzi, von Werdt, 
Gerichtsschreiber Schwander. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Fürsprecherin Ursula Zimmermann, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Obergericht des Kantons Solothurn, Zivilkammer, Amthaus I, 4502 Solothurn. 
 
Gegenstand 
Unentgeltliche Rechtspflege, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts des Kantons Solothurn, Zivilkammer, vom 20. Juli 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ (Ehefrau) und Z.________ (Ehemann), Staatsangehöriger von Guinea, heirateten am xxxx 2006 in A.________. Am xxxx 2006 wurde der gemeinsame Sohn Y.________ geboren. Am 20. April 2007 erging die Eheschutzverfügung des Gerichtspräsidenten 5 des Gerichtskreises II Biel-Nidau. Diese stellte Sohn Y.________ unter die Obhut der Mutter und verpflichtete den Ehemann zu einer monatlichen Kinderunterhaltszahlung von Fr. 510.-- (zuzüglich allfälliger Kinderzulagen). 
 
B. 
Nachdem das Richteramt Solothurn-Lebern der Ehefrau die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt hatte, schied es die Ehe auf deren Klage hin mit Urteil vom 7. Oktober 2009. Der Ehemann, dessen Aufenthaltsort unbekannt war, blieb dem Verfahren trotz öffentlicher Vorladung fern. Gemäss Scheidungsurteil wurden beidseitig keine nachehelichen Unterhaltsbeiträge zugesprochen, und es waren auch keine während der Ehe erworbenen Vorsorgeguthaben vorhanden. Sohn Y.________ wurde unter die elterliche Sorge der Mutter gestellt. Auf eine Regelung des persönlichen Verkehrs zwischen Vater und Sohn wurde verzichtet, da der Aufenthaltsort des Vaters nicht bekannt war. Wegen fehlender Leistungsfähigkeit des Vaters verzichtete das Gericht in Dispositivziffer 4 des Urteils auf die Festsetzung von Kinderunterhaltsbeiträgen. Dazu hielt es unter anderem fest: "Es muss vielmehr mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass er [der Vater] aktuell und auf absehbare Zeit hin nicht leistungsfähig im Sinne von Art. 285 ZGB ist und sein wird, auch wenn gleichzeitig aufgrund der Eheschutzakten und der heutigen Verhandlung feststeht, dass er leider auch völlig leistungsunwillig war und ist." 
Mit Eingabe vom 18. November 2009 erklärte X.________ Appellation (im Sinne von § 291 ff. ZPO/SO) und beantragte vor dem Obergericht des Kantons Solothurn die Aufhebung der vorerwähnten Dispositivziffer 4 sowie die Verurteilung des Ehemannes zur Zahlung eines Kinderunterhaltsbeitrages von Fr. 510.-- (zuzüglich allfälliger Kinderzulagen). Der Präsident der Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Solothurn entzog X.________ mit Verfügung vom 8. Dezember 2009 mit sofortiger Wirkung die unentgeltliche Rechtspflege zufolge Aussichtslosigkeit und verwies im Wesentlichen auf die seiner Ansicht nach überzeugende Begründung des erstinstanzlichen Entscheids. 
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 18. Januar 2010 gelangte X.________ an das Bundesgericht und beantragte die Aufhebung der obergerichtlichen Verfügung sowie die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das Appellationsverfahren. Mit Urteil 5A_54/2010 vom 19. März 2010 hiess das Bundesgericht die Beschwerde gut, hob die obergerichtliche Verfügung vom 8. Dezember 2009 auf und ordnete die unentgeltliche Rechtspflege zugunsten der Beschwerdeführerin für das kantonale Berufungsverfahren an, und zwar unter Beiordnung von Fürsprecherin Ursula Zimmermann. 
Nach erfolgter Rückweisung setzte das Obergericht X.________ mit Verfügung vom 14. April 2010 bzw. 5. Mai 2010 Frist an, um neue Behauptungen und Beweismittel zu nennen. Mit Eingabe vom 25. Mai 2010 kam X.________ diesem Ersuchen nach: Sie beantragte eine Abklärung bei der Fremdenpolizei betreffend Aufenthaltsstatus des Ehemannes sowie eine Anfrage bei Sunrise Schweiz betreffend die Identität des Inhabers einer Mobiltelefonnummer, von welcher aus der Ehemann sie mehrmals angerufen habe. Es sei davon auszugehen, dass sich der Ehemann nach wie vor in der Schweiz, mutmasslicherweise in B.________ bei seinem Bruder aufhalte. Könne nachgewiesen werden, dass er sich immer noch in der Schweiz befinde, so sei ihm bei der Festsetzung des Unterhaltsbeitrages an seinen Sohn ein hypothetisches Einkommen anzurechnen. 
In der Folge tätigte das Obergericht diese Abklärungen. Diese ergaben, dass die fragliche Prepaid-Mobiltelefonnummer auf den Ehemann registriert ist, und zwar unter Angabe der mittlerweile nicht mehr gültigen Wohnadresse in A.________. Des Weiteren ergab eine Anfrage bei der Berner Fremdenpolizei, dass die B-Bewilligung des Ehemannes längst abgelaufen ist. 
Gestützt auf diese beweismässigen Erhebungen kam die Vorinstanz erneut zum Schluss, das Verfahren erweise sich als aussichtslos und entzog X.________ die unentgeltliche Rechtspflege mit Verfügung vom 20. Juli 2010. 
 
C. 
X.________ (nachfolgend: Beschwerdeführerin) gelangt mit Beschwerde vom 14. September 2010 an das Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung der obergerichtlichen Verfügung vom 20. Juli 2010 und die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das obergerichtliche Berufungsverfahren unter Beiordnung der sie vertretenden Anwältin. Die Beschwerdeführerin stellt für das bundesgerichtliche Verfahren ein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Das Obergericht des Kantons Solothurn beantragt die Abweisung der Beschwerde. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid (Art. 75 Abs. 1 BGG), in welchem der Beschwerdeführerin vor zweiter Instanz die unentgeltliche Rechtspflege entzogen wurde. Es handelt sich um einen Zwischenentscheid, der einen nicht leicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131). Nach dem Grundsatz der Einheit des Verfahrens sind Zwischenentscheide mit dem in der Hauptsache zulässigen Rechtsmittel anzufechten (BGE 133 III 645 E. 2.2 S. 647; BGE 134 V 138 E. 3 S. 143 f.). 
 
1.2 In der Hauptsache sind vorliegend Unterhaltsbeiträge an ein unmündiges Kind streitig, womit eine Zivilsache mit Vermögenswert vorliegt (BGE 133 III 393 E. 2 S. 395). Eine Beschwerde in Zivilsachen ist in einem solchen Fall nur zulässig, wenn der Streitwert mindestens Fr. 30'000.-- beträgt (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) oder es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt (Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG). Die Vorinstanz hat den Streitwert vorliegend "auf unter Fr. 30'000.--" geschätzt und nennt in der Rechtsmittelbelehrung einzig die subsidiäre Verfassungsbeschwerde (unter Vorbehalt von Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG). 
 
Bei wiederkehrenden Leistungen entspricht der Streitwert dem Kapitalwert (Art. 51 Abs. 4 Satz 1 BGG). Ist die Dauer der Leistungspflicht ungewiss, gilt als Kapitalwert der zwanzigfache Betrag der einjährigen Leistung (Art. 51 Abs. 4 Satz 2 BGG). Streitig ist vorliegend ein Kinderunterhaltsbeitrag von Fr. 510.-- monatlich (oder Fr. 6'120.-- pro Jahr). Die Dauer der Unterhaltspflicht ist ungewiss, denn sie endet nicht einfach im Zeitpunkt der Mündigkeit (vgl. Art. 277 Abs. 2 ZGB). Deshalb beträgt der Kapitalwert der Leistung vorliegend Fr. 122'400.--. Für eine "Schätzung" des Streitwertes bleibt kein Platz. Die aus der falschen Streitwertberechnung resultierende falsche Rechtsmittelbelehrung hat vorliegendenfalls allerdings keine Auswirkungen, da die Beschwerdeführerin das richtige Rechtsmittel ergriffen hat, so dass Art. 49 BGG nicht bemüht werden muss. Daraus folgt: Die Beschwerde in Zivilsachen ist in der Hauptsache zulässig, womit sie auch gegen den vorliegenden Zwischenentscheid ergriffen werden kann. 
 
1.3 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die verfassungsrechtlichen Minimalgarantien gemäss Art. 29 Abs. 3 BV seien missachtet worden. 
 
Für die Geltendmachung der Verletzung verfassungsmässiger Rechte gilt das Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254). Das Bundesgericht prüft nur klar und detailliert erhobene Rügen, die, soweit möglich, zu belegen sind, während es auf ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid nicht eintritt (BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246; 133 III 638 E. 2 S. 639). 
 
2. 
Streitig ist vorliegend, ob das Obergericht des Kantons Solothurn der Beschwerdeführerin die unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit entziehen durfte, nachdem ihr das Bundesgericht diese mit Urteil 5A_54/2010 vom 19. März 2010 bewilligt hatte. 
 
2.1 Hintergrund des Bundesgerichtsentscheids vom 19. März 2010 war folgender: Die Beschwerdeführerin hatte damals in Anwendung von § 292 Abs. 2 ZPO/SO Appellation erklärt. In dieser sog. Appellationserklärung ist einzig darzulegen, welche Dispositivziffer des vorinstanzlichen Entscheids angefochten wird, während die eigentliche Appellationsbegründung erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. Dennoch entzog damals das Obergericht des Kantons Solothurn der Beschwerdeführerin einzig gestützt auf die vorinstanzlichen Akten die unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit. Das Bundesgericht erachtete dieses Vorgehen für unzulässig und gewährte der Beschwerdeführerin die unentgeltliche Rechtspflege, denn es gehe nicht an, ihr diese zu entziehen, bevor ihre Einwände im Rechtsmittelverfahren bekannt seien (vorerwähntes Urteil, E. 2.5). 
 
Das Bundesgericht hat im besagten Urteil vom 19. März 2010 die unentgeltliche Rechtspflege nicht nur wegen der noch nicht bekannten Appellationsbegründung gewährt, sondern ausdrücklich auch mit Blick auf die sich im vorliegenden Fall stellenden Rechtsfragen (vorerwähntes Urteil, E. 2.6). 
Im vorliegend angefochtenen Entscheid begründet das Obergericht den Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege damit, dass die Beschwerdeführerin ihre Mitwirkungsobliegenheit vernachlässigt habe. Sie habe im Zusammenhang mit den von ihr angeregten Beweiserhebungen nur vage Andeutungen preisgegeben, und es sei nicht Aufgabe des Gerichts, als Detektiv tätig zu werden. Es sei daher "auch dem Gericht nicht möglich, Feststellungen zum Sachverhalt zu treffen". 
 
Ab welchem Punkt das Gericht zur Annahme berechtigt ist, es sei ihm nicht möglich, den Sachverhalt festzustellen und wie weit die Mitwirkungsobliegenheit der Beschwerdeführerin im Rahmen der in casu anwendbaren unbeschränkten Untersuchungsmaxime geht (vgl. Art. 280 Abs. 2 ZGB), bildet indessen gerade eine im vorliegenden Appellationsverfahren zu entscheidende Rechtsfrage, derentwegen das Bundesgericht den Anschein der Aussichtslosigkeit mit Urteil vom 19. März 2010 ausdrücklich verneint hatte (erwähntes Urteil, E. 2.6 am Ende). Damit erweist sich die Minimalgarantie von Art. 29 Abs. 3 BV erneut als verletzt. 
 
2.2 Zudem gilt es Folgendes zu beachten: Entgegen der Vorinstanz dürfen beweismässige Abklärungen, die inhaltlich Gegenstand des Hauptsacheverfahrens bilden, nicht in das Verfahren betreffend unentgeltliche Rechtspflege "vorverlagert" werden; eine solche Vorverlagerung des eigentlichen Beweisverfahrens in das Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege widerspricht geradezu dem Sinn und Zweck der unentgeltlichen Rechtspflege und vereitelt diese (BGE 101 Ia 34 E. 2 S. 37; Urteil 5A_112/2008 vom 14. April 2008 E. 3.3; STEFAN MEICHSSNER, Das Grundrecht auf unentgeltliche Rechtspflege, 2008, S. 106 mit Hinweisen). Vorliegend hat die Vorinstanz die Aussichtslosigkeit nicht anhand von Akten und Rechtsmittelbegründung beurteilt, sondern erst nach weiteren beweismässigen Abklärungen, die thematisch der Hauptsache zuzurechnen sind. Auch insofern erweist sich die Minimalgarantie von Art. 29 Abs. 3 BV vorliegend als verletzt. 
 
3. 
Die Beschwerde in Zivilsachen ist gutzuheissen, ohne dass die weiteren Rügen zu prüfen sind. In Anbetracht der offensichtlichen und unstreitigen Mittellosigkeit der Beschwerdeführerin, ist ihr für das kantonale Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege unter Ernennung ihrer Anwältin zum unentgeltlichen Rechtsbeistand zu gewähren (Art. 107 Abs. 2 BGG). 
Ungeachtet des Verfahrensausgangs sind dem Kanton Solothurn keine Kosten aufzuerlegen; indessen hat er die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 66 Abs. 4, Art. 68 Abs. 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren wird damit gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, die Verfügung des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 20. Juli 2010 wird aufgehoben und der Beschwerdeführerin wird für das kantonale Berufungsverfahren die unentgeltliche Rechtspflege gewährt sowie Fürsprecherin Ursula Zimmermann zu deren unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt. 
 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3. 
Der Kanton Solothurn hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gegenstandslos. 
 
5. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 25. Januar 2011 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber: 
 
Hohl Schwander