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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_3/2010 
 
Urteil vom 25. Februar 2010 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Bundesrichterin 
Jacquemoud-Rossari. 
Gerichtsschreiber Faga. 
 
Parteien 
X._________, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Stadelmann, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Grobe Verletzung von Verkehrsregeln, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, vom 16. November 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X._________ fuhr mit einem Personenwagen am Dienstag, den 16. September 2008, um ca. 18 Uhr, auf der Autobahn A1 in Richtung Zürich. Auf dem Gemeindegebiet Othmarsingen hielt er auf dem Überholstreifen über eine gewisse Strecke einen ungenügenden Abstand zum vorausfahrenden Personenwagen ein. 
 
B. 
Das Bezirksamt Lenzburg sprach X._________ mit Strafbefehl vom 19. Januar 2009 der groben Verletzung von Verkehrsregeln (durch ungenügenden Abstand zum voranfahrenden Fahrzeug) schuldig. Es bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu Fr. 220.-- und auferlegte ihm eine Busse von Fr. 3'000.--. Gegen diesen Strafbefehl erhob X._________ Einsprache. 
 
C. 
Das Gerichtspräsidium Lenzburg verurteilte X._________ am 19. Mai 2009 wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln zu einer bedingten Geldstrafe von 10 Tagessätzen à Fr. 220.-- und zu einer Busse von Fr. 300.--. Eine von X._________ erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 16. November 2009 ab. Es bestätigte den Schuldspruch sowie die Geldstrafe und setzte die Busse in teilweiser Gutheissung einer Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau auf Fr. 500.-- fest. 
 
D. 
X._________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben, und er sei vom Vorwurf der groben Verkehrsregelverletzung freizusprechen. Des Weiteren ersucht er um Erteilung der aufschiebenden Wirkung. 
 
E. 
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Vorinstanz geht davon aus, dass der Beschwerdeführer über eine Strecke von ca. 1'100 Metern bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h mit einem Abstand von höchstens 15 Metern zum vorausfahrenden Fahrzeug gefahren sei (angefochtenes Urteil S. 8). 
 
2. 
2.1 Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz eine willkürliche Beweiswürdigung (Art. 9 BV) und eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) vor. 
 
2.2 Die dem Beschwerdeführer vorgeworfene Fahrweise wurde von zwei Polizeibeamten beobachtet, die in einem neutralen Dienstfahrzeug hinter dem Beschwerdeführer fuhren. Die Vorinstanz stützt ihre Feststellungen auf den Polizeirapport vom 2. Oktober 2008 (inkl. Fotos), die Zeugenaussagen eines Polizeibeamten vom 19. Mai 2009, das Einvernahmeprotokoll vom 16. September 2008 sowie die Aussagen des Beschwerdeführers vor erster Instanz. Im Polizeirapport vom 2. Oktober 2008 wird festgehalten, dass der Beschwerdeführer auf einer Strecke von ca. 1'200 Metern dem voranfahrenden Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von ca. 100 bis 110 km/h und einem Abstand von 10 bis 15 Metern gefolgt sei. Einer der beiden Polizeibeamten sagte als Zeuge aus, der Beschwerdeführer sei mit einer Geschwindigkeit von 100 bis 110 km/h gefahren. Dabei habe er lediglich einen Abstand von schätzungsweise 10 Metern zum vorangehenden Fahrzeug eingehalten. Dies gehe auch aus den Fotos hervor, wobei die Leitlinie 6 Meter und der Abstand zwischen zwei Leitlinien 9 Meter betrage. Sie seien ihm mit etwa gleicher Geschwindigkeit über eine Strecke von ca. 1'100 Metern gefolgt. Der Abstand sei stets zu gering gewesen. 
 
2.3 Der Beschwerdeführer kritisiert die vorinstanzliche Tatsachenfeststellung als qualifiziert falsch (Art. 9 BV). Er bringt insbesondere vor, es sei keine Abstandsmessung vorgenommen worden, und die Vorinstanz stütze sich einzig auf die Zeugenaussagen des Polizisten. Dieser habe den fraglichen Abstand bloss geschätzt. Auch treffe es nicht zu, dass er den vorausfahrenden Lenker dazu habe bewegen wollen, den Überholstreifen freizugeben. Vielmehr habe er sein Fahrzeug "rollen lassen", nachdem der Hyundai sich unvermittelt vor ihn gesetzt habe. Die Vorinstanz habe auf die beantragte Einvernahme verschiedener Personen sowie die Einholung einer Expertise zu Unrecht verzichtet. Zudem habe sie nicht dargetan, weshalb sie die beantragten Beweise nicht abgenommen habe. Dadurch habe die Vorinstanz sein rechtliches Gehör verletzt (Art. 29 Abs. 2 BV; Beschwerde S. 5 ff.). 
 
2.4 Der Beschwerdeführer vermag keine Willkür respektive keine Verletzung des rechtlichen Gehörs darzutun (vgl. dazu BGE 135 V 2 E. 1.3 S. 4 f.; 134 I 140 E. 5.3 S. 148; je mit Hinweisen). Die Darstellung im Polizeirapport und die Schilderung des Polizeibeamten als Zeugen sind eine Schätzung, die auf der eigenen Beobachtung der Polizeibeamten vor Ort beruhen. Die Vorinstanz darf willkürfrei davon ausgehen, dass der zur Überwachung des Verkehrsgeschehens auf der Autobahn eingesetzte Polizeibeamte, der dem Beschwerdeführer unmittelbar und über eine längere Strecke folgte, auf Grund seiner Ausbildung und beruflichen Erfahrung in der Lage war, die Distanz zwischen zwei hintereinander fahrenden Personenwagen relativ zuverlässig einzuschätzen. Ebenso kann die Vorinstanz ohne Willkür gestützt auf die Fotos einen grösseren Abstand als 15 Meter ausschliessen. Aus diesen ergibt sich zwar nicht, wie viele Meter der Abstand zwischen dem Fahrzeug des Beschwerdeführers und dem Vorderen genau beträgt. Die Bilder zeigen hingegen ohne Weiteres, dass der Abstand gering ist. 
 
Weiter kann die Vorinstanz ohne Willkür gestützt auf die Beurteilung des einvernommenen Polizeibeamten die Geschwindigkeit des Beschwerdeführers, der sich auf der Überholspur befand, auf 100 km/h einschätzen. Sie berücksichtigt diesbezüglich auch die Ausführungen des Beschwerdeführers, wonach er die Geschwindigkeit vor der ersten Instanz auf ca. 100 km/h und im Berufungsverfahren auf ca. 90 km/h geschätzt habe. Schliesslich bemisst die Vorinstanz die Distanz, die der Beschwerdeführer dicht hinter dem Hyundai zurückgelegt hat, gestützt auf die Zeugeneinvernahme des Polizeibeamten auf rund 1'100 Meter. Im Polizeirapport wurde die Strecke auf 1'200 Meter beziffert, und der Beschwerdeführer hat dies im vorinstanzlichen Verfahren nicht in Abrede gestellt. 
Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die Vorinstanz habe in Verletzung seines rechtlichen Gehörs nicht dargetan, weshalb sie die beantragten Beweise nicht abgenommen habe, ist seine Rüge unbegründet. Der in Art. 29 Abs. 2 BV gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt, dass die Behörden die Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen auch tatsächlich hören, prüfen und in der Entscheidfindung berücksichtigen. Die Begründungspflicht und der Anspruch auf Begründung sind nicht dadurch verletzt, dass sich die urteilende Behörde nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken (BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88 mit Hinweisen). Keine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt vor, wenn eine Behörde auf die Abnahme beantragter Beweismittel verzichtet, weil sie aufgrund der bereits abgenommenen Beweise ihre Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, dass ihre Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde (BGE 131 I 153 E. 3 S. 157; 130 II 425 E. 2.1 S. 428 f.; je mit Hinweisen). 
 
2.5 Die Feststellung der Vorinstanz, dass der Beschwerdeführer über eine Strecke von ca. 1'100 Metern mit einem Abstand von höchstens 15 Metern dem vorderen Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h folgte, beruht somit auf einer vertretbaren Beweiswürdigung und ist nicht willkürlich. Ebenso kann die Vorinstanz gestützt auf die äusseren Umstände Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Beschwerdeführers ziehen und willkürfrei feststellen, dass dieser mit seiner Fahrweise den vorderen Fahrer dazu bewegen wollte, den Überholstreifen freizugeben. 
 
3. 
3.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Bundesrecht (Art. 90 Ziff. 2 SVG i.V.m. Art. 34 Abs. 4 SVG und Art. 12 Abs. 1 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 [VRV; SR 741.11]). Die Vorinstanz habe den Begriff des ausreichenden Abstands unzutreffend ausgelegt und ihm ohne Grund ein rücksichtsloses Verhalten zur Last gelegt. 
 
3.2 Nach Art. 34 Abs. 4 SVG ist gegenüber allen Strassenbenützern ausreichender Abstand zu wahren, namentlich beim Kreuzen und Überholen sowie beim Neben- und Hintereinanderfahren. Gemäss Art. 12 Abs. 1 VRV hat der Fahrzeugführer beim Hintereinanderfahren einen ausreichenden Abstand zu wahren, so dass er auch bei überraschendem Bremsen des voranfahrenden Fahrzeugs rechtzeitig halten kann. 
 
Nach Art. 90 Ziff. 2 SVG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. Der Tatbestand ist nach der Rechtsprechung objektiv erfüllt, wenn der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer ist nicht erst bei einer konkreten, sondern bereits bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben. Subjektiv erfordert der Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG nach der Rechtsprechung ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrswidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit (BGE 131 IV 133 E. 3.2 S. 136 mit Hinweisen). 
 
Gemäss BGE 131 IV 133 ist die Wahrung eines ausreichenden Abstands beim Hintereinanderfahren von grundlegender Bedeutung. Das Bundesgericht erwägt im zitierten Entscheid, allgemeine Grundsätze zur Frage, bei welchem Abstand in jedem Fall, d.h. auch bei günstigen Verhältnissen, eine einfache respektive grobe Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 1 und 2 SVG anzunehmen sei, habe die Rechtsprechung nicht entwickelt. Es verweist betreffend das Vorliegen einer einfachen Verkehrsregelverletzung auf die Faustregel "halber Tacho" (entsprechend 1.8 Sekunden) sowie auf die Zwei Sekunden-Regel. Weiter verweist es auf die schweizerische Lehre, die vorschlage, einen Abstand von 0.6 Sekunden oder weniger als grobe Verkehrsregelverletzung zu qualifizieren. Demgegenüber bezeichne die Praxis in Deutschland (bei höheren Geschwindigkeiten und über eine Strecke von mindestens ca. 300 Metern) bereits einen Abstand von weniger als 0.8 Sekunden als gefährdend. Gestützt auf diese Erwägungen qualifizierte das Bundesgericht einen zeitlichen Abstand von 0.33 Sekunden bei einer Geschwindigkeit von über 100 km/h und einer Strecke von mindestens 800 Metern als grobe Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG (BGE 131 IV 133 E. 3 S. 134 ff. mit Hinweisen). Im Urteil 6B_534/2008 vom 13. Januar 2009 hat das Bundesgericht eine gefährliche Situation angenommen bei einem zeitlichen Abstand von 0.4 Sekunden und einer Geschwindigkeit von 90 km/h, ungeachtet dessen, dass die Fahrzeuge nur kurzfristig hintereinander fuhren. 
3.3 
3.3.1 Der Beschwerdeführer folgte dem Hyundai mit einem zeitlichen Abstand von 0.54 Sekunden bei regem Verkehr. Ein derart geringer Abstand auf dem Überholstreifen einer Autobahn bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h und über eine Strecke von ca. 1'100 Metern (mithin während rund 40 Sekunden) begründet nach den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz eine erhöhte abstrakte Gefahr. Dies gilt in jedem Fall, d.h. unabhängig von der Beschaffenheit der Fahrzeuge und auch bei günstigen Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Aus der behaupteten überdurchschnittlichen Bremsleistung seines Fahrzeugs vermag der Beschwerdeführer deshalb nichts zu seinen Gunsten abzuleiten. Er hat demnach eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer, insbesondere eine erhöhte abstrakte Gefahr einer Auffahrkollision, geschaffen. Der objektive Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG ist erfüllt. 
3.3.2 Die Rüge des Beschwerdeführers, wonach die Vorinstanz sich mit dem subjektiven Tatbestand nicht auseinandergesetzt habe, ist offensichtlich unbegründet (vgl. angefochtenen Entscheid S. 10). Der Beschwerdeführer folgte dem voranfahrenden Personenwagen vorsätzlich in dem von ihm gewählten Abstand auf einer Strecke von ca. 1'100 Metern respektive während rund 40 Sekunden. Es ging ihm offenkundig und nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz darum, den vorderen Fahrer dazu zu bewegen, den Überholstreifen freizugeben. Seine Fahrweise zeugt von Rücksichtslosigkeit und erfüllt auch subjektiv den Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG
 
4. 
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 25. Februar 2010 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Favre Faga