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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_58/2011 
 
Urteil vom 25. März 2011 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann, 
Gerichtsschreiber Ettlin. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Jolanda Würgler, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 2. Dezember 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der 1957 geborene A.________ meldete sich am 2. Juni 2008 zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an (Berufsberatung, Umschulung und Invalidenrente). Nach beruflichen und medizinischen Abklärungen verneinte die IV-Stelle des Kantons Aargau gestützt auf die Stellungnahme vom 13. Januar 2010 des Dr. med. K.________, Regionaler Ärztlicher Dienst (RAD), den Anspruch auf eine Invalidenrente (Invaliditätsgrad von 21 %; Verfügung vom 12. Februar 2010). 
 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 2. Dezember 2010 ab, soweit es darauf eintrat. 
 
C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, es sei die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids und der Verfügung vom 12. Februar 2010 zu weiterer medizinischer Abklärung an die Vorinstanz zurückzuweisen; eventualiter sei eine halbe Invalidenrente zuzusprechen. Sodann beantragt A.________ die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde, währenddem sich das Bundesamt für Sozialversicherungen der Stellungnahme enthält. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
2. 
Streitig und zu prüfen ist der Rentenanspruch. 
 
2.1 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 2 IVG) sowie die Invaliditätsbemessung nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG; BGE 130 V 343 E. 3.4 S. 348 f.; 128 V 29 E. 1 S. 30 f.) zutreffend dargelegt. Ebenfalls richtig sind die Ausführungen zum Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten und zur Beweiswürdigung (BGE 125 V 351 E. 3 S. 352 ff.; 122 V 157 E. 1c S. 160 ff., je mit Hinweisen; vgl. auch BGE 132 V 393 E. 4.1 S. 400). Darauf wird verwiesen. 
 
2.2 Zu ergänzen ist, dass gemäss Art. 59 Abs. 2bis IVG die regionalen ärztlichen Dienste den IV-Stellen zur Beurteilung der medizinischen Voraussetzungen des Leistungsanspruchs zur Verfügung stehen. Sie setzen die für die Invalidenversicherung nach Artikel 6 ATSG massgebende funktionelle Leistungsfähigkeit der Versicherten fest, eine zumutbare Erwerbstätigkeit oder Tätigkeit im Aufgabenbereich auszuüben. Sie sind in ihrem medizinischen Sachentscheid im Einzelfall unabhängig. Nach Art. 49 IVV beurteilen die regionalen ärztlichen Dienste die medizinischen Voraussetzungen des Leistungsanspruchs. Die geeigneten Prüfmethoden können sie im Rahmen ihrer medizinischen Fachkompetenz und der allgemeinen fachlichen Weisungen des Bundesamtes frei wählen (Abs. 1). Die regionalen ärztlichen Dienste können bei Bedarf selber ärztliche Untersuchungen von Versicherten durchführen. Sie halten die Untersuchungsergebnisse schriftlich fest (Abs. 2). Nicht zwingend erforderlich ist, dass die versicherte Person untersucht wird. Nach Art. 49 Abs. 2 IVV führt der RAD für die Beurteilung der medizinischen Voraussetzungen des Leistungsanspruchs nur "bei Bedarf" selber ärztliche Untersuchungen durch. In den übrigen Fällen stützt er seine Beurteilung auf die vorhandenen ärztlichen Unterlagen ab (BBl 2005 4572 zu Absatz 2). Das Absehen von eigenen Untersuchungen ist somit nicht an sich ein Grund, um einen RAD-Bericht in Frage zu stellen (Urteil 9C_622/2007 vom 9. September 2008 E. 2.2). Dies gilt insbesondere, wenn es im Wesentlichen um die Beurteilung eines feststehenden medizinischen Sachverhalts geht und die direkte ärztliche Befassung mit der versicherten Person in den Hintergrund rückt (SVR 2011 IV Nr. 2 S. 7, 9C_904/2009 E. 2.2; SVR 2009 IV 56 174, 9C_323/2009 E. 4.2 und 4.3; Urteil I 1094/06 vom 14. November 2007 E. 3.1.1 in fine mit Hinweisen; vgl. auch BGE 127 I 54 E. 2e und f S. 57 f.). 
 
2.3 Bei den vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit der versicherten Person handelt es sich grundsätzlich um Entscheidungen über eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.), welche das Bundesgericht seiner Urteilsfindung zugrunde zu legen hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die konkrete Beweiswürdigung stellt eine Tatfrage dar. Dagegen ist die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; erwähntes Urteil I 865/06 E. 4 mit Hinweisen), die das Bundesgericht im Rahmen der den Parteien obliegenden Begründungs- bzw. Rügepflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 und 1.4.2 S. 254) frei überprüfen kann (Art. 106 Abs. 1 BGG). Der Verzicht der Vorinstanz auf weitere Abklärungen oder Rückweisung der Sache an die IV-Stelle zu diesem Zwecke (antizipierte Beweiswürdigung; Urteil 9C_561/2007 vom 11. März 2008 E. 5.2.1) im Besonderen verletzt etwa dann Bundesrecht, wenn der festgestellte Sachverhalt unauflösbare Widersprüche enthält oder wenn eine entscheidwesentliche Tatfrage, wie namentlich Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit einer versicherten Person, auf unvollständiger Beweisgrundlage beantwortet wird (Urteile 8C_831/2008 vom 29. Mai 2009 E. 2.3 und 9C_410/2008 vom 8. September 2008 E. 3.3.1 mit Hinweisen). 
 
3. 
3.1 Das vorinstanzliche Gericht stellte gestützt auf die Aktenbeurteilung vom 13. Januar 2010 des Dr. med. K.________, RAD, fest, der Beschwerdeführer leide objektiv an einer inkompletten Störung der Augenbeweglichkeit (Abduzensparese), hingegen sei das zuvor diagnostizierte Tolosa-Hunt Syndrom nicht mehr aktiv. Sodann seien die Spannungskopfschmerzen und die depressive Reaktion als Anpassungsstörung zu werten, was keiner dauernden Gesundheitsstörung entspreche. Mit Blick auf die gesundheitlichen Verhältnisse könne der Beschwerdeführer einer leichten bis schweren Tätigkeit ohne Bedienen von gefährlichen Maschinen oder Arbeiten in sturzgefährdeten Situationen im Pensum von 100 % nachgehen. Gestützt darauf ermittelte das Gericht anhand eines Einkommensvergleichs einen Invaliditätsgrad von 23 %. 
 
3.2 Der RAD-Arzt wich sowohl in der Diagnosestellung wie auch der Einschätzung des Leistungsvermögens von den aktenkundigen spezialärztlichen Unterlagen ab. Als Grund für die Spannungskopfschmerzen gab Dr. med. K.________ eine Anpassungsstörung und das im neurologischen Bericht vom 4. Mai 2009 erwähnte depressive Symptom an. Eine Anpassungsstörung lässt sich den Untersuchungsbefunden jedoch nicht entnehmen; namentlich fand nie eine psychiatrische Abklärung statt. Der Beschwerdeführer weist alsdann mit Recht auf die divergierenden ärztlichen Zumutbarkeitsbeurteilungen hin: Frau Dr. med. L.________, Oberärztin Neurologische Klinik Spital X.________, hielt am 4. Mai 2009 dafür, eine körperliche oder mentale Belastung sei nicht möglich, weswegen derzeit keine Arbeit zumutbar sei. Eine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit könne allenfalls erreicht werden, falls sich die Kopfschmerzen und die depressive Symptomatik besserten. Demgegenüber mutete der behandelnde Arzt Dr. med. S.________ laut Verlaufsbericht vom 5. Januar 2009 dem Beschwerdeführer in einer adaptierten Tätigkeit ein Pensum von drei bis vier Stunden zu, welcher Einschätzung Frau Dr. med. P.________, RAD, am 30. Januar 2009 folgte. Dabei diagnostizierten die behandelnden Ärzte eine Abduzensparese und chronische fronto-temporale Kopfschmerzen. Demgegenüber schloss Dr. med. K.________ auf eine uneingeschränkte Leistungsfähigkeit in einer dem Leiden angepassten Beschäftigung. Der RAD-Bericht vom 13. Januar 2010 beruht folglich nicht auf einem feststehenden medizinischen Sachverhalt, welcher Voraussetzung für eine Aktenbeurteilung ist (E. 2.2 hievor; SVR 2009 IV Nr. 56 S. 174, Urteil 9C_323/2009 E. 4.3.1). Die Stellungnahme des Dr. med. K.________ geht vielmehr über eine blosse Würdigung der vorhandenen medizinischen Unterlagen hinaus, ohne jedoch die Schlussfolgerungen aktenmässig nachvollziehbar zu begründen. 
 
3.3 Hinzu kommt, dass das kantonale Gericht den Berichten der Frau Dr. med. L.________ vom 4. Mai 2009 und des Dr. med. S.________ die Beweiskraft absprach. Ein Aktengutachten des RAD hat sich hingegen auf beweiskräftige Arztberichte abzustützen. Soweit die RAD-ÄrztInnen wie hier regelmässig nicht selber medizinische Befunde erheben, sondern die vorhandenen Befunde aus medizinischer Sicht würdigen, wozu namentlich auch gehört, bei widersprüchlichen medizinischen Akten eine Wertung vorzunehmen und zu beurteilen, ob auf die eine oder die andere Ansicht abzustellen oder aber eine zusätzliche Untersuchung vorzunehmen sei (Urteil I 143/07 vom 14. September 2007 E. 3.3), müssen die Akten für die streitigen Belange beweistaugliche Unterlagen enthalten. Ist das nicht der Fall, kann die RAD-Stellungnahme in der Regel keine abschliessende Beurteilungsgrundlage bilden, sondern nur zu weitergehenden Abklärungen Anlass geben. Der Bericht des RAD vom 13. Januar 2010 genügt auch unter diesem Aspekt als Grundlage für die Leistungsfestsetzung beweisrechtlich nicht. In diesem Licht braucht nicht zusätzlich erörtert zu werden, ob Dr. med. K.________ die fachlichen Voraussetzungen zur psychiatrischen Diagnosestellung erfüllt (SVR 2009 IV Nr. 56 S. 174; Urteil I 142/07 vom 20. November 2007 E. 3.2.3). 
 
4. 
Nach dem Gesagten durfte sich die Verwaltung nicht mit einer Aktenbeurteilung des RAD begnügen, sondern hätte mit Blick auf die widersprüchliche und unklare Aktenlage weitere Abklärungen tätigen müssen. Indem die Vorinstanz dieses Vorgehen schützte, hat sie Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a BGG; E. 2.3 hievor). Die Sache ist unter den gegebenen Umständen nicht wie beantragt an die Vorinstanz, sondern an die IV-Stelle zurückzuweisen, damit sie ergänzende medizinische Abklärungen vornehme und anschliessend über das Leistungsgesuch neu entscheide. 
 
5. 
Die Gerichtskosten werden der Beschwerdegegnerin als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat dem obsiegenden Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG), womit das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos ist. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 2. Dezember 2010 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Aargau vom 12. Februar 2010 werden aufgehoben. Die Sache geht an die IV-Stelle, damit diese nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen über das Leistungsgesuch neu verfüge. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.- zu entschädigen. 
 
4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau zurückgewiesen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 25. März 2011 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Meyer Ettlin