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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_25/2023  
 
 
Urteil vom 25. April 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Müller, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Haag, Kölz, 
Gerichtsschreiber Mattle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Friedrich Frank, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Allgemeine Abteilung, 
Beckenstube 5, Postfach, 8200 Schaffhausen. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Entsiegelung und Durchsuchung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Kantonsgerichts Schaffhausen, Zwangsmassnahmengericht, vom 15. Dezember 2022 (Nr. 2021/1386-65-d). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen eröffnete am 23. Oktober 2018 unter anderem wegen verschiedener Vermögensdelikte eine Strafuntersuchung gegen A.________. Der untersuchte Sachverhalt betrifft das Abwerben von Patienten der Schulzahnklinik Schaffhausen in eine Privatklinik sowie ein allfällig daraus entstandener Schaden durch Mindereinnahmen zu Lasten des Kantons Schaffhausen. 
Zur Untersuchung der mutmasslich unzulässigen Vorgänge in der kantonalen Schulzahnklinik wurde vom Kantonsrat Schaffhausen ausserdem eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) eingesetzt. Am 17. September 2021 wurde B.________ von der PUK einvernommen. 
 
B.  
Mit Verfügung vom 27. Oktober 2021 verlangte die Staatsanwaltschaft vom Kantonsratssekretariat die Herausgabe des Protokolls der von der PUK durchgeführten Einvernahme von B.________. Am 1. November 2021 verlangte A.________ die Siegelung dieses Protokolls. Am 3. November 2021 übersandte das Kantonsratssekretariat der Staatsanwaltschaft das besagte Protokoll in einem versiegelten Umschlag. Am 22. November 2021 stellte die Staatsanwaltschaft beim Zwangsmassnahmengericht des Kantons Schaffhausen Antrag auf Entsiegelung und Durchsuchung des Protokolls der von der PUK durchgeführten Einvernahme. Die Einzelrichterin des Kantonsgerichts Schaffhausen hiess den Antrag auf Entsiegelung als Zwangsmassnahmenrichterin am 15. Dezember 2022 gut und gab das erwähnte Protokoll zur Durchsuchung frei. 
 
C.  
Dagegen hat A.________ am 16. Januar 2023 Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht erhoben. Er beantragt, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben, der Entsiegelungsantrag der Staatsanwaltschaft abzuweisen und das gesiegelte Couvert samt Inhalt zu vernichten oder dem Kantonsrat bzw. dem Kantonsratssekretariat zu retournieren. Mit Verfügung vom 7. Februar 2023 hat das präsidierende Mitglied der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Eventualiter - im Falle der Gutheissung der Beschwerde - sei das versiegelte Couvert nicht zu vernichten, sondern dem Kantonsratssekretariat zu retournieren. Die Vorinstanz hat auf Stellungnahme verzichtet. Mit Eingabe vom 6. März 2023 hat der Beschwerdeführer an seiner Beschwerde festgehalten. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts betreffend die Freigabe von gesiegelten Unterlagen zuhanden der Staatsanwaltschaft zwecks Verwendung in einem Strafverfahren. Es handelt sich um einen kantonal letztinstanzlichen Entscheid in einer Strafsache (vgl. Art. 78 Abs. 1 und Art. 80 Abs. 1 und 2 BGG i.V.m. Art. 248 Abs. 3 lit. a und Art. 380 StPO). 
 
2.  
 
2.1. Der angefochtene Entscheid schliesst das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer nicht ab; es handelt sich um einen Zwischenentscheid. Als solcher ist er nach Art. 93 Abs. 1 BGG nur anfechtbar, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (lit. a), oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Die zweite Voraussetzung fällt vorliegend ausser Betracht. Bei der Anfechtung von Zwischenentscheiden hat die beschwerdeführende Person die Tatsachen anzuführen, aus denen sich der nicht wieder gutzumachende Nachteil ergeben soll, sofern dies nicht offensichtlich ist (vgl. BGE 148 IV 155 E. 1.1; 141 IV 284 E. 2.3).  
Im Strafrecht muss es sich beim nicht wieder gutzumachenden Nachteil gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG um einen solchen rechtlicher Natur handeln. Ein derartiger Nachteil liegt vor, wenn er auch durch einen für den Beschwerdeführer günstigen späteren End- oder anderen Entscheid nicht mehr behoben werden kann. Der alleinige Umstand, dass ein Beweismittel, dessen Verwertbarkeit der Beschwerdeführer bestreitet, in den Akten bleibt, stellt grundsätzlich keinen Nachteil rechtlicher Natur dar, da der Beschwerdeführer seinen Einwand bis zum Abschluss des Strafverfahrens erneut vorbringen kann. Er kann die Frage der Verwertbarkeit des Beweismittels namentlich dem Sachgericht unterbreiten. Von diesem kann erwartet werden, dass es in der Lage ist, die unzulässigen Beweise von den zulässigen zu unterscheiden und sich bei der Würdigung ausschliesslich auf Letztere zu stützen (BGE 144 IV 90 E. 1.1.3 mit Hinweis; 141 IV 289 E. 1.2 mit Hinweisen). 
Von dieser Regel bestehen jedoch Ausnahmen. Eine solche liegt insbesondere vor, wenn das Gesetz ausdrücklich die sofortige Rückgabe aus den Akten bzw. Vernichtung rechtswidriger Beweise vorsieht. Ebenso verhält es sich, wenn aufgrund des Gesetzes oder der Umstände des Einzelfalles die Rechtswidrigkeit des Beweismittels ohne Weiteres feststeht. Derartige Umstände können nur angenommen werden, wenn der Betroffene ein besonders gewichtiges rechtlich geschütztes Interesse an der unverzüglichen Feststellung der Unverwertbarkeit des Beweises geltend macht (BGE 143 IV 387 E. 4.4 mit Hinweisen; 141 IV 289 E. 1.3 mit Hinweis). 
Wird im Entsiegelungsverfahren (Art. 248 StPO) ausreichend substanziiert geltend gemacht, dass einer Entsiegelung geschützte Geheimhaltungsrechte entgegenstehen, droht nach der Praxis des Bundesgerichts ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, weil die Offenbarung eines Geheimnisses nicht rückgängig gemacht werden kann (BGE 143 IV 462 E. 1). Beruft sich die betroffene Person dagegen auf andere Gründe, aus denen eine Entsiegelung unzulässig sein soll, wie etwa Beschlagnahmehindernisse oder Nichtverwertbarkeitsgründe, droht ihr in der Regel kein nicht wieder gutzumachender Nachteil, weil sie die Unverwertbarkeit dieser Beweismittel vor dem Sachgericht geltend machen kann (Urteil 1B_250/2021 vom 5. Oktober 2021 E. 2 mit Hinweis). 
 
2.2. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, das Gesetz sehe ausdrücklich die sofortige Rückgabe des Protokolls der von der PUK durchgeführten Einvernahme aus den Akten bzw. dessen Vernichtung vor. Auch bringt er nicht vor und ist nicht zu sehen, dass der Aushändigung des Protokolls an die Strafuntersuchungsbehörden geschützte Geheimhaltungsrechte entgegenstünden. Der Beschwerdeführer ist indessen der Auffassung, das Protokoll dürfe aus zwei Gründen nicht freigegeben werden. Erstens habe die Staatsanwaltschaft dessen Herausgabe fälschlicherweise gestützt auf Art. 265 StPO verlangt und den Kantonsrat bzw. das Kantonsratssekretariat nicht wie in Art. 194 Abs. 2 StPO vorgesehen rechtshilfeweise um die Aushändigung des Protokolls ersucht. Zweitens sei die Unverwertbarkeit des Protokolls als Beweismittel im Strafverfahren im Sinne von Art. 141 StPO offensichtlich, weil die von der PUK einvernommene Person nicht über ihr umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht gemäss Art. 180 Abs. 1 StPO belehrt worden und nicht im Sinne von Art. 320 Ziff. 2 sowie Art. 321 Ziff. 2 StGB vom Amts- bzw. Berufsgeheimnis entbunden worden sei.  
 
2.3. Nach Art. 44 StPO sind die Behörden des Bundes und der Kantone zur Rechtshilfe verpflichtet, wenn Straftaten nach Bundesrecht in Anwendung der StPO verfolgt und beurteilt werden. Gemäss Art. 194 StPO ziehen die Staatsanwaltschaft und die Gerichte Akten anderer Verfahren bei, wenn dies für den Nachweis des Sachverhalts oder die Beurteilung der beschuldigten Person erforderlich ist (Abs. 1). Verwaltungs- und Gerichtsbehörden stellen ihre Akten zur Einsichtnahme zur Verfügung, wenn der Herausgabe keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen (Abs. 2). Dies hat zur Folge, dass die Staatsanwaltschaft Verwaltungs- und Gerichtsbehörden weder im Sinne von Art. 265 Abs. 3 StPO hoheitlich zur Herausgabe von Verfahrensakten auffordern kann noch diese in Anwendung von Art. 263 StPO beschlagnahmen kann, falls die Behörden die Herausgabe verweigern (vgl. BGE 129 IV 141 E. 2; Urteil 1B_26/2016 vom 29. November 2016 E. 4.1 mit Hinweisen).  
Das Protokoll der von der PUK durchgeführten Einvernahme wurde der Staatsanwaltschaft vom Kantonsratssekretariat ausgehändigt. Der Beschwerdeführer geht davon aus, der Kantonsrat bzw. seine Organe könnten von der Staatsanwaltschaft nicht hoheitlich zur Herausgabe von Verfahrensakten gezwungen werden. Die Vorinstanz hat die Frage nach der Rechtmässigkeit der staatsanwaltschaftlichen Editionsverfügung vom 27. Oktober 2021 offengelassen. Selbst wenn man mit dem Beschwerdeführer davon ausgehen würde, die Editionsverfügung der Staatsanwaltschaft sei unrechtmässig gewesen und die Staatsanwaltschaft hätte stattdessen gestützt auf Art. 194 Abs. 2 StPO um Einsicht in das besagte Protokoll ersuchen müssen, stünde damit nicht ohne Weiteres fest, ob das Protokoll im Strafverfahren aus diesem Grund unverwertbar wäre. Inwiefern der Beschwerdeführer insoweit ein besonders gewichtiges rechtlich geschütztes Interesse an der unverzüglichen Feststellung der Unverwertbarkeit des Protokolls haben sollte, ist nicht ersichtlich. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass er die Editionsverfügung der Staatsanwaltschaft nicht nur als unrechtmässig, sondern als nichtig bezeichnet. 
 
2.4. Art. 140 StPO verbietet verschiedene Methoden der Beweiserhebung. Beweise, die in Verletzung dieser Bestimmung erhoben wurden oder die von der StPO als unverwertbar bezeichnet werden, sind in keinem Fall verwertbar (Art. 141 Abs. 1 StPO). Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, dürfen nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich (Art. 141 Abs. 2 StPO). Beweise, bei deren Erhebung Ordnungsvorschriften verletzt worden sind, sind verwertbar (Art. 141 Abs. 3 StPO). Ermöglicht ein Beweis, der nach Art. 141 Abs. 2 StPO nicht verwertet werden darf, die Erhebung eines weiteren Beweises, so ist dieser nicht verwertbar, wenn er ohne die vorhergehende Beweiserhebung nicht möglich gewesen wäre (Art. 141 Abs. 4 StPO).  
Soweit der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit Art. 141 StPO auf Art. 180 Abs. 1 StPO und Art. 320 Ziff. 2 sowie Art. 321 Ziff. 2 StGB verweist, steht wiederum nicht ohne Weiteres fest, ob das genannte Protokoll im Strafverfahren aus den von ihm angeführten Gründen unverwertbar ist. Auch in diesem Zusammenhang ist nicht ersichtlich, inwiefern der Beschwerdeführer ein besonders gewichtiges rechtlich geschütztes Interesse an der unverzüglichen Feststellung der Unverwertbarkeit des Protokolls haben sollte. 
 
2.5. Falls es zur Anklage kommen wird, wird der Beschwerdeführer die Frage der Verwertbarkeit des Protokolls der von der PUK durchgeführten Einvernahme dem Sachgericht unterbreiten können. Alleine weil er sich während des Untersuchungsverfahrens auf Nichtverwertbarkeitsgründe beruft, droht ihm kein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG.  
 
3.  
Nach dem Ausgeführten ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (vgl. Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht anzuordnen (vgl. Art. 68 Abs. 1-3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen und dem Kantonsgericht Schaffhausen, Zwangsmassnahmengericht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 25. April 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Müller 
 
Der Gerichtsschreiber: Mattle