Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
5A_519/2022
Urteil vom 25. Juli 2022
II. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Herrmann, Präsident,
Bundesrichter Schöbi, Bovey,
Gerichtsschreiber Möckli.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Julian Burkhalter,
Beschwerdeführerin,
gegen
Familiengericht Lenzburg,
Beschwerdegegner,
B.________.
Gegenstand
Vaterschaftsaberkennung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz, vom 27. Mai 2022 (XBE.2022.14).
Sachverhalt:
A.
A.________ und B.________ (beide geb. 1999) heirateten 2018 in den USA. A.________ hat die Töchter C.________ (geb. 2019) und D.________ (geb. 2021), als deren Vater aufgrund der bestehenden Ehe jeweils B.________ im Zivilstandsregister eingetragen ist.
B.
Mit Eingabe vom 4. Oktober 2021 an das Familiengericht Lenzburg hielt die Mutter fest, dass ihr Ehemann nicht der biologische Vater, sie selbst aber zur Kindesaberkennung nicht aktivlegitimiert sei und deshalb bitte, dass die notwendigen Schritte in die Wege geleitet würden.
Mit Entscheid vom 12. November 2021 hielt das Familiengericht fest, von der Errichtung einer behördlichen Massnahme werde abgesehen, sofern auf die Meldung vom 4. Oktober 2021 einzutreten sei; ferner auferlegte es der Mutter Gerichtskosten von Fr. 400.--.
Mit Entscheid vom 27. Mai 2022 hob das Obergericht des Kantons Aargau den erstinstanzlichen Kostenspruch auf, wies aber die Beschwerde im Übrigen ab. Es gewährte der Mutter die unentgeltliche Rechtspflege und auferlegte ihr unter deren Vorbehalt die Hälfte der oberinstanzlichen Gerichtskosten von Fr. 400.--.
C.
Mit Beschwerde vom 4. Juli 2022 verlangt die Mutter zusammengefasst die Rückweisung der Sache an das Familiengericht zwecks Errichtung einer Beistandschaft für C.________ und die Übernahme sämtlicher Kosten durch den Kanton. Ferner wird auch für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Rechspflege ersucht.
Erwägungen:
1.
Das Familiengericht hat erwogen, die anwaltlich vertretene Mutter belasse ihr Vorbringen bei der einfachen Behauptung, wonach ihr Ehemann nicht der biologische Vater sei. Indes begründe allein die Tatsache, dass der rechtliche Vater allenfalls nicht der biologische sei, keine Kindeswohlgefährdung und falle demnach nicht in der Interventionsbereich der Kindesschutzbehörde. Dem Kind selbst verbleibe für eine Klage im Bedarfsfall genügend Zeit, so dass auch das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung gewahrt sei.
Das Obergericht befand demgegenüber, dass die Kindesschutzbehörde sehr wohl bestimmen müsse, ob die Erhebung einer Anfechtungsklage im Kindeswohl liege. Sie müsse zunächst untersuchen, ob es Indizien gebe, die ernsthaft an der biologischen Vaterschaft des Ehemannes zweifeln liessen. Soweit dies zutreffe, müsse sie in der Folge eine Abwägung der Kindesinteressen vornehmen, indem sie die Situation mit und ohne Anfechtung der Vaterschaft vergleiche. Im vorliegenden Fall sei der angefochtene Entscheid im Ergebnis dennoch zu schützen, da aus den Angaben der Mutter geschlossen werden müsse, dass nach der Aufhebung des bestehenden rechtlichen Vaterschaftsverhältnisses kein neues zum unbekannten biologischen Vater hergestellt werden könnte, bringe sie doch vor, dass C.________ aus einer Vergewaltigung an der Fasnacht von U.________ hervorgegangen sei. Selbst wenn sich der biologische Vater wider Erwarten ausfindig machen liesse, wäre aufgrund der zur Zeugung führenden Vergewaltigung höchst fraglich, ob das Kind ein positives Verhältnis zu diesem aufbauen könnte. Es liege demnach im Kindeswohl, dass C.________ ihren jetzigen rechtlichen Vater (und damit auch potentielle Unterhaltsansprüche und Erbanwartschaften) behalte, anstatt ohne einen rechtlichen Vater dazustehen.
2.
Die Beschwerde hat eine Begründung zu enthalten, in welcher in gedrängter Form dargelegt wird, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG), was eine sachbezogene Auseinandersetzung mit dessen Erwägungen erfordert (BGE 140 III 115 E. 2; 142 III 364 E. 2.4). Diesen Anforderungen kommt die Beschwerdeführerin nur teilweise nach.
2.1. Soweit dem Familiengericht das Unterlassen von Abklärungen vorgeworfen wird, wendet sich die Beschwerdeführerin nicht gegen den oberinstanzlichen Entscheid, welcher allein das Anfechtungsobjekt bildet (vgl. Art. 75 Abs. 1 BGG) und in welchem dieser Vorwurf an die Adresse der Erstinstanz ebenfalls formuliert wurde. Entsprechend gehen auch die betreffenden Gehörsrügen an der Sache vorbei.
Gleiches gilt aber auch für das Vorbringen, es sei logisch nicht möglich, Abklärungen zu fordern und gleichzeitig deren Notwendigkeit zu verneinen: Das Obergericht hat im Unterschied zum Familiengericht nicht die Behauptung in Zweifel gezogen, wonach der Ehemann der biologische Vater sei, sondern ausgehend von den Tatsachenvorbringen darauf geschlossen, dass der biologische Vater mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht ausfindig gemacht werden könnte, und davon ausgehend direkt die rechtliche Wertung zwischen der bestehenden Situation und derjenigen als Ein-Eltern-Kind vorgenommen.
Schliesslich verfängt in diesem Kontext das Argument nicht, es bedeute eine Verletzung von Art. 8 BV, wenn D.________, was aber gegenwärtig nur auf Spekulation beruhe, Anspruch auf vertiefte Abklärungen betreffend Vaterschaft hätte, nicht aber C.________: Abgesehen davon, dass Grundrechte und insbesondere Art. 8 BV keine unmittelbare Drittwirkung zwischen Privatpersonen entfalten (BGE 137 III 59 E. 4.1) und diese Norm auch nicht abstrakt angerufen werden kann, sondern sich die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang konkret mit den einschlägigen zivilrechtlichen Normen auseinandersetzen müsste (vgl. BGE 107 Ia 277 E. 3a S. 280 f.; 143 I 217 E. 5.2 S. 219; Urteile 5P.40/2003 vom 27. Mai 2003 E. 4; 5D_8/2016 vom 3. Juni 2016 E. 3; 5A_362/2016 vom 20. Februar 2017 E. 6.3; 5A_252/2017 vom 21. Juni 2017 E. 5; 5A_98/2016 vom 25. Juni 2018 E. 3.3; 5A_384/2018 vom 21. September 2018 E. 3, nicht publ. in BGE 144 III 381; 5A_118/2022 vom 15. März 2022 E. 4), besteht in Bezug auf die beiden Kinder nicht die gleiche Ausgangslage; das Obergericht hat angesichts der Vorbringen der Mutter, C.________ sei aufgrund einer Vergewaltigung an der Fasnacht von U.________ gezeugt worden, wobei sie keine näheren Angaben zum mutmasslichen Erzeuger machen konnte, befunden, dass Abklärungen in Bezug auf die wahre Vaterschaft aussichtslos wären.
2.2. In Bezug auf die Abwägung bringt die Beschwerdeführerin einzig vor, die Beziehung zum Ehemann werde nicht mehr gelebt und die Familie habe sich aufgelöst, weshalb nicht von Stabilität gesprochen werden könne, sondern vielmehr die Familie als Institution abgewertet werde, wenn das Kindesverhältnis fortbestehen würde; auch seien die Unterhaltspflicht und das Bürgerrecht unklar.
Die letztgenannten Argumente gehen vollends an der Sache vorbei, ist doch die gesetzliche Folge einer Trennung oder Scheidung die Zuteilung des Kindes (Art. 176 Abs. 3 bzw. Art. 133 Abs. 1 ZGB) und nicht die Aufhebung des Kindesverhältnisses zum Vater; die Unterhaltspflicht sowie das Bürgerrecht des Kindes ergeben sich ebenfalls aus dem Gesetz (Art. 276 bzw. 271 ZGB), so dass nicht ersichtlich ist, inwiefern diesbezüglich Unklarheiten bestehen sollen.
Was die Abwägung als solche anbelangt, findet keine eigentliche Auseinandersetzung mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheides statt. Es geht darum, ob dem Kind besser gedient ist, wenn es mit zwei rechtlichen Elternteilen oder wenn es als Ein-Eltern-Kind aufwächst. Das Obergericht hat die Frage mit Verweis auf die potentiellen Unterhaltsansprüche und Erbanwartschaften zutreffend beantwortet, wobei ergänzt werden kann, dass es auch in sozial-psychischer Hinsicht dem Kindeswohl nicht zuträglich ist, wenn C.________ als Ein-Eltern-Kind aufwachsen müsste. In diesem Kontext ist ferner an die Situation zu denken, dass der Mutter etwas zustossen und das Kind plötzlich gänzlich ohne rechtliche Eltern dastehen könnte.
3.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit auf sie einzutreten ist. Wie die vorstehenden Erwägungen im Übrigen zeigen, konnte der Beschwerde von Anfang an kein Erfolg beschieden sein, weshalb es an den materiellen Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege fehlt (Art. 64 Abs. 1 BGG) und das entsprechende Gesuch abzuweisen ist. Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Partein und dem Obergericht des Kantons Aargau, Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz, mitgeteilt.
Lausanne, 25. Juli 2022
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Herrmann
Der Gerichtsschreiber: Möckli