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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_357/2024  
 
 
Urteil vom 25. Juli 2024  
 
I. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, als präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichter von Felten, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Tanja Schneeberger, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Bahnhofstrasse 29, 8200 Schaffhausen, 
2. B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Günter Scheible, Deutschland, 
Beschwerdegegnerinnen. 
 
Gegenstand 
Qualifizierte Freiheitsberaubung; Willkür, rechtliches Gehör etc., 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 1. Dezember 2023 (Nr. 50/2023/11 und 50/2023/15). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Obergericht des Kantons Schaffhausen sprach den Beschwerdeführer mit Urteil vom 1. Dezember 2023 zweitinstanzlich der qualifizierten Freiheitsberaubung schuldig. Das Verfahren wegen mehrfacher Sachbeschädigung stellte es ein. Es verurteilte den Beschwerdeführer (unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 91 Tagen) zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 3 Jahren, wobei es den aufgeschobenen Teil der Strafe auf 2 Jahre bei einer Probezeit von 3 Jahren festsetzte, und verwies ihn für 8 Jahre des Landes. Zudem befand es über die Neben-, Kosten- und Entschädigungsfolgen. 
Der Beschwerdeführer gelangt mit Eingabe vom 1. Mai 2024 (Poststempel: 3. Mai 2024) an das Bundesgericht. Er verlangt, das Urteil sei vollumfänglich aufzuheben und er sei von den Vorwürfen der qualifizierten Freiheitsberaubung und der mehrfachen Sachbeschädigung freizusprechen. Eventualiter sei auf die Landesverweisung zu verzichten und die Freiheits- in eine Geldstrafe umzuwandeln. Die Verfahrenskosten seien dem Staat aufzuerlegen und er sei für die Untersuchungshaft mit Fr. 18'000.-- zu entschädigen. 
Am 8. Mai 2024 (und damit nach Ablauf der Beschwerdefrist) zeigt Rechtsanwältin Tanja Schneeberger mit Briefpost an, dass sie die Interessen des Beschwerdeführers vertrete. 
 
2.  
Sofern der Beschwerdeführer zur Begründung seiner Beschwerde auf das Plädoyer seiner früheren amtlichen Verteidigerin im kantonalen Verfahren verweist, ist darauf nicht einzutreten. Die Begründung muss in der Beschwerde selbst enthalten sein (Art. 42 Abs. 1 BGG) und Verweise auf Ausführungen in anderen Rechtsschriften oder auf die Akten sind unbeachtlich (BGE 144 V 173 E. 3.2.2; 143 IV 122 E. 3.3; je mit Hinweisen). 
 
3.  
Anfechtungsobjekt im bundesgerichtlichen Verfahren ist ausschliesslich der letztinstanzliche kantonale Entscheid, d.h. das Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 1. Dezember 2023 (Art. 80 Abs. 1 BGG). Nicht zu hören ist der Beschwerdeführer demzufolge mit Anträgen, die ausserhalb des durch das angefochtene Urteil begrenzten Streitgegenstands liegen. Dies ist der Fall, soweit der Beschwerdeführer verlangt, er sei "vom Vorwurf der mehrfachen Sachbeschädigung" freizusprechen. Er übersieht, dass insofern kein Schuldspruch ergangen ist, er also nicht verurteilt, sondern das Strafverfahren wegen mehrfacher Sachbeschädigung erstinstanzlich eingestellt worden und diese Einstellung unangefochten in Rechtskraft erwachsen ist. Folglich fehlt es insoweit im bundesgerichtlichen Verfahren an einem zulässigen Anfechtungsobjekt (und im Übrigen auch an einer Beschwer). Ebenfalls nicht zu hören ist der Beschwerdeführer, soweit er vor Bundesgericht die unverzügliche Herausgabe seiner Geburtsurkunde und Taufurkunde im Original mit Übersetzung verlangt. Dass diese Dokumente überhaupt je beschlagnahmt wurden, ergibt sich weder aus dem angefochtenen Urteil noch aus der Beschwerde an das Bundesgericht; ebenso wenig, dass der Beschwerdeführer dieses Vorbringen bereits vor Vorinstanz erhoben und er für diesen Fall geltend gemacht hätte, die Vorinstanz habe dieses zu Unrecht nicht beurteilt. Auf die Beschwerde ist insoweit nicht einzutreten. 
 
4.  
 
4.1. Der Beschwerdeführer beanstandet, die Vorinstanz habe den Gehörsanspruch, das Fairnessgebot und die Unschuldsvermutung verletzt, indem sie die von ihm offerierten Entlastungszeugen nicht geladen und nicht angehört habe (Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK). Ihre antizipierte Beweiswürdigung sei unzulässig.  
 
4.2. Über Tatsachen, die unerheblich, offenkundig, den Strafbehörden bekannt oder bereits rechtsgenügend erwiesen sind, wird nicht Beweis geführt (Art. 139 Abs. 2 StPO). Nach konstanter Rechtsprechung können Beweisanträge in willkürfrei antizipierter Beweiswürdigung abgewiesen werden, wenn die Behörde aufgrund der bereits abgenommenen Beweise ihre Überzeugung gebildet hat und annehmen kann, diese werde durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert. Dabei muss die Strafbehörde das vorläufige Beweisergebnis hypothetisch um die Fakten des Beweisantrags ergänzen und würdigen (BGE 143 III 297 E. 9.3.2; 141 I 60 E. 3.3). Die Rüge unzulässiger antizipierter Beweiswürdigung prüft das Bundesgericht nur unter dem Aspekt der Willkür (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 147 IV 534 E. 2.5.1; 146 IIII 73 E. 5.2.2). Diese Rechtsprechung gilt in gleichem Masse hinsichtlich Beweisanträgen auf Ladung von Entlastungszeugen unter dem Gesichtspunkt von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK (BGE 129 I 151 E. 3.1; Urteile 6B_211/2020 vom 19. Mai 2020 E. 2.3; 6B_542/2016 vom 5. Mai 2017 E. 3.3; je mit Hinweisen).  
 
4.3. Die Vorinstanz beachtet die massgebenden Gesichtspunkte bei der antizipierten Beweiswürdigung. Aus ihren diesbezüglichen Erwägungen ergibt sich nachvollziehbar, dass und weshalb sie den Beweisantrag des Beschwerdeführers, weitere Zeugen bzw. Auskunftspersonen einzuvernehmen, als nicht entscheiderheblich beurteilt. Darauf kann verwiesen werden (109 Abs. 3 BGG; vgl. angefochtenes Urteil S. 6 mit Verweis auf die kantonalen Akten, act. 306 ff.). Der Beschwerdeführer vermag mit seiner Kritik keine willkürliche antizipierte Beweiswürdigung aufzuzuzeigen. Er verkennt, dass die Nichtabnahme von Beweisanträgen für sich allein nicht bereits eine Gehörsverletzung darstellt. Was mit den Beweisabnahmen, d.h. mit der Befragung der von ihm offerierten Zeugen bzw. Auskunftspersonen, in sachrelevanter Hinsicht hätte gewonnen werden können, bleibt gestützt auf sein Vorbringen unerfindlich. Eine Verfassungs- oder Bundesrechtsverletzung ist nicht ersichtlich.  
 
5.  
 
5.1. Der Beschwerdeführer bemängelt die Sachverhaltsfeststellung als unvollständig, willkürlich und gegen die Unschuldsvermutung verstossend. Die Vorinstanz verurteile ihn auf der Grundlage der widersprüchlichen Aussagen und Unterstellungen der Privatklägerin.  
 
5.2. Die Sachverhaltsfeststellung kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig bzw. willkürlich ist oder auf einer Rechtsverletzung beruht (vgl. Art. 97 BGG; BGE 147 IV 73 E. 4.1). Dem Grundsatz "in dubio pro reo" kommt als Beweiswürdigungsregel keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 148 IV 409 E. 2.2; 146 IV 88 E. 1.3.1). Willkür liegt nur vor, wenn die vorinstanzliche Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist, d.h. wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1; 143 IV 241 E. 2.3.1; je mit Hinweisen). Für die Willkürrüge gelten erhöhte Begründungsanforderungen (Art. 106 Abs. 2 BGG). Appellatorische Kritik (wie sie vor einer Instanz mit voller Kognition vorgebracht werden könnte) ist vor Bundesgericht unzulässig.  
 
5.3. Die Vorinstanz äussert sich ausführlich zum Beweisergebnis und gelangt auf der Grundlage einer eingehenden Aussagewürdigung zum Schluss, dass der Sachverhalt im Sinne der Anklage erstellt sei (vgl. angefochtenes Urteil S. 26 ff.). Was der Beschwerdeführer dagegen einwendet, vermag Willkür nicht zu begründen. Seine Kritik erschöpft sich im Wesentlichen darin, die Privatklägerin als Person zu diskreditieren, ihre Aussagen als unwahre Behauptungen abzuqualifizieren und ihr einen Rachefeldzug gegenüber ihm zu unterstellen. Er bestreitet, ein Regime der Angst, Unterdrückung und Kontrolle durch Drohungen und Gewalt geschaffen zu haben, ebenso, dass sich die Privatklägerin nicht mehr getraut haben soll, ohne seine Einwilligung die Wohnung zu verlassen. Ohne sich mit den Erwägungen der Vorinstanz substanziiert zu befassen, wendet er beispielsweise ein, die Privatklägerin hätte - wären ihre Behauptungen wahr - aufgrund seiner Schläge blaue Flecken im Gesicht und am Körper aufweisen müssen, die von Dritten (z.B. Polizei, Spielkasino- oder Krankenhauspersonal, Schwiegereltern) wahrgenommen worden wären. Oder er macht geltend, die Privatklägerin hätte verschiedentlich Gelegenheit gehabt, Hilfe einzuholen. Damit ergeht sich der Beschwerdeführer in Spekulationen, mit denen er nicht darzulegen vermag, dass die vorinstanzliche Würdigung willkürlich wäre. Er lässt ausser Acht, dass es hierfür nicht einmal genügen würde, dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erschiene. Erforderlich wäre, dass das angefochtene Urteil im Ergebnis schlechterdings unhaltbar ist, was der Beschwerdeführer mit seinen Mutmassungen und eigenen Darstellungen zu möglichen Sachverhaltsabläufen bzw. Sachverhaltsversionen nicht hinreichend aufzuzeigen vermag. Ohne dass sich das Bundesgericht zu allen Ausführungen des Beschwerdeführers ausdrücklich äussern müsste, erweist sich die Beschwerde auch in diesem Punkt als unbegründet, soweit sie den Begründungsanforderungen überhaupt genügt (Art. 42 Abs. 2 BGG und Art. 106 Abs. 2 BGG).  
 
6.  
Die Anträge auf Verzicht auf eine Landesverweisung, auf Umwandlung der Freiheits- in eine Geldstrafe und auf Entschädigung begründet der Beschwerdeführer nicht ansatzweise. Darauf ist nicht einzutreten. 
 
7.  
Die Beschwerde ist damit im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der Beschwerdeführer wird kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist infolge Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 BGG). Die Frage der Beigabe eines Rechtsanwalts für das bundesgerichtliche Verfahren stellt sich ohnehin nicht, weil die Antragstellung erst kurz vor Ablauf der gesetzlich nicht erstreckbaren Beschwerdefrist erfolgte und eine Beschwerdeergänzung durch einen noch zu bestimmenden Rechtsanwalt während der Beschwerdefrist von vornherein nicht mehr möglich gewesen wäre. Anhaltspunkte, dass die Voraussetzungen von Art. 41 Abs. 1 BGG vorliegen könnten, sind im Übrigen nicht ersichtlich. Der angespannten finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist mit reduzierten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
Im bundesgerichtlichen Verfahren wurde weder ein Schriftenwechsel angeordnet noch wurden Stellungnahmen eingeholt. Das für diese Fälle gestellte Akteneinsichtsgesuch (vgl. act. 9 und 10, anwaltliche Eingaben vom 8. und 21. Mai 2024) ist damit gegenstandslos. 
Der Beschwerdegegnerin ist keine Entschädigung zuzusprechen, da sie nicht zur Stellungnahme eingeladen wurde und im Verfahren vor Bundesgericht keine Auslagen hatte. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 25. Juli 2024 
 
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill