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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
6B_1167/2015  
   
   
 
 
 
Urteil vom 25. August 2016  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi, 
Gerichtsschreiber M. Widmer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Annegret Lautenbach-Koch, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Strafzumessung (versuchte Erpressung und versuchte Nötigung); rechtliches Gehör, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 8. Oktober 2015. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Urteil vom 24. November 2014 sprach das Bezirksgericht Zürich X.________ der versuchten Erpressung sowie der versuchten Nötigung schuldig und verurteilte ihn unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 20 Tagen zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten, davon 10 Monate mit bedingtem Strafvollzug. Auf den Widerruf des mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Emmen vom 31. Juli 2013 bedingt ausgefällten Strafteils von 100 Tagessätzen zu Fr. 100.-- verzichtete es, verlängerte aber die Probezeit um 11 /2 Jahre. 
 
B.  
Am 8. Oktober 2015 stellte das Obergericht des Kantons Zürich infolge Teilrückzugs der Berufung von X.________ den Eintritt der Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils im Schuld- und Zivilpunkt fest. Es verurteilte ihn unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 20 Tagen zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten und einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu Fr. 50.--, teilweise als Zusatzstrafe zum Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Emmen vom 31. Juli 2013. Den Vollzug der Freiheitsstrafe schob es im Umfang von 8 Monaten, denjenigen der Geldstrafe im Umfang von 40 Tagessätzen auf und setzte die Probezeit auf jeweils 4 Jahre fest. Auf den Widerruf des bedingt ausgefällten Strafteils gemäss Strafbefehl vom 31. Juli 2013 verzichtete es, verlängerte aber die Probezeit um 11 /2 Jahre. 
 
C.  
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und die Sache sei im Sinne der Erwägungen an das Obergericht zurückzuweisen. Er sei unter Anrechnung der erstandenen Haft mit einer bedingten Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu Fr. 50.-- zu bestrafen. Für die amtliche Verteidigung vor Obergericht sei eine Entschädigung gemäss Honorarnote auszurichten. Die Untersuchungs- und Verfahrenskosten seien vollumfänglich auf die Staatskasse zu nehmen. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht X.________ um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
D.  
Die Oberstaatsanwaltschaft und das Obergericht des Kantons Zürich verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt primär eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs im Zusammenhang mit der Überprüfungsbefugnis der Vorinstanz (Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 3 Abs. 2 lit. c und Art. 404 StPO). Er macht geltend, die Vorinstanz habe ihre Kognition unzulässig beschränkt, indem sie aufgrund des Rückzugs der Berufung im Schuldpunkt angenommen habe, der erstinstanzlich festgestellte Sachverhalt sei auch mit Bezug auf den Strafpunkt verbindlich erstellt. Sie hätte gleichwohl eine eigene Sachverhaltsfeststellung vornehmen und sämtliche verschuldensrelevanten Tatumstände prüfen müssen, zumal der vom Beschwerdeführer anerkannte Sachverhalt in wesentlichen Punkten vom erstinstanzlich festgestellten abweiche. Dies betreffe namentlich Fragen zum zeitlichen Ablauf der Tat, zum eigentlichen Tathergang, zu den Hintergründen der Tatbegehung und zur Rolle des Privatklägers sowie seines Rechtsvertreters. Diese Umstände seien für die Strafzumessung bedeutsam. Die Vorinstanz habe dem Beschwerdeführer zudem keine Gelegenheit gegeben, sich zur Kognitionsbeschränkung zu äussern, was ebenfalls sein rechtliches Gehör verletze. Sie habe verkannt, dass sie zu seinen Gunsten auch nicht angefochtene Punkte hätte überprüfen können, um gesetzwidrige oder unbillige Entscheidungen zu verhindern.  
 
1.2. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer hätte auch den Schuldpunkt anfechten müssen, wenn er zwar die rechtliche Würdigung des angeklagten Sachverhalts, nicht aber die für die Strafzumessung massgebenden Teile desselben anerkenne. Da er dies unterlassen habe, könnten im Berufungsverfahren Sachverhaltsaspekte bei der Strafzumessung nur noch thematisiert werden, soweit die erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen unvollständig, unklar oder widersprüchlich seien. Dies sei jedoch nicht der Fall, weshalb das Berufungsgericht den von der ersten Instanz verbindlich festgestellten Sachverhalt der Strafzumessung zugrunde zu legen habe.  
 
1.3. Der Rechtsauffassung der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden. Indem sie den vom erstinstanzlichen Gericht festgestellten Sachverhalt auch für die Strafzumessung für verbindlich erklärt, verkennt sie, dass das Berufungsgericht eine Rechtsmittelbehörde mit umfassender Kognition in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht ist (vgl. Art. 398 Abs. 2 und 3 StPO; BGE 141 IV 244 E. 1.3.3 S. 248 mit Hinweisen; Urteil 6B_731/2015 vom 14. April 2016 E. 1.2.2).  
Im ebenfalls den Kanton Zürich betreffenden Entscheid 6B_297/2014 vom 24. November 2014 hat das Bundesgericht erwogen, dass das Gericht im Falle einer Beschränkung der Berufung auf die Strafzumessung seine Prüfung auf jene Punkte des Urteils ausdehnen darf, die in engem Zusammenhang mit der angefochtenen Strafhöhe stehen, und dass sich die Prüfungsbefugnis insbesondere auch auf straferhöhende oder strafmindernde Umstände bezieht. Das Bundesgericht stellte fest, dass die Berufungsinstanz ihre Kognition zu Unrecht beschränkt, wenn sie ihre Prüfung nicht auf die mit der Strafhöhe in engem Zusammenhang stehenden Punkte ausdehnt (a.a.O. E. 1.3 mit Hinweis). Nichts Anderes ergibt sich aus den von der Vorinstanz zitierten Urteilen 6B_567/2012 vom 18. Dezember 2012 und 6B_85/2013 vom 4. März 2013 (a.a.O. E. 2.2 resp. E. 2), deren Tragweite sie offensichtlich verkennt (vgl. auch Urteil 6B_548/2011 vom 14. Mai 2012 E. 3). 
Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Tatumstände sind durchaus geeignet, die Strafhöhe zu beeinflussen. Die Vorinstanz hätte sich deshalb damit auseinandersetzen müssen. Sie beschränkt ihre Überprüfungsbefugnis in unzulässiger Weise, wenn sie sich mit entscheidrelevanten Vorbringen nicht befasst (vgl. BGE 131 II 271 E. 11.7.1 S. 303 f.; Urteil 6B_72/2014 vom 27. November 2014 E. 3.4.2; je mit Hinweisen). Dadurch verweigert sie dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör. Er weist im Übrigen zu Recht darauf hin, dass es für ihn mit Kostenfolgen verbunden gewesen wäre, wenn er die Berufung auch im Schuldpunkt aufrecht erhalten, diesen dann aber anerkannt hätte. 
 
1.4. Die Beschwerde ist begründet. Auf die weiteren Anträge und Rügen des Beschwerdeführers ist nicht einzugehen. Nach dem Vorstehenden wird sich die Vorinstanz auch mit der von ihm gerügten Unverwertbarkeit einer Einvernahme des Privatklägers auseinanderzusetzen haben, sofern sich dies auf die Strafzumessung auswirkt. Im Übrigen erweist sich auch diese als ungenügend. Die Vorinstanz setzt sich mit mehreren expliziten Rügen des Beschwerdeführers nicht auseinander resp. äussert sich bei der Strafzumessung nicht dazu. Damit verletzt sie ihre Begründungspflicht. Dies ist nachzuholen.  
 
2.  
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Bei diesem Ausgang sind für das bundesgerichtliche Verfahren keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Entschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Diese ist praxisgemäss seiner Rechtsvertreterin auszurichten. Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 8. Oktober 2015 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Zürich hat der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers, Rechtsanwältin Annegret Lautenbach-Koch, für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, und A.________ schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 25. August 2016 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: M. Widmer