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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
H 65/02 
 
Urteil vom 25. Oktober 2002 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiberin Riedi Hunold 
 
Parteien 
X.________ AG, handelnd durch Y.________, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Ausgleichskasse Panvica, Effingerstrasse 14, 3001 Bern, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern 
 
(Entscheid vom 10. Januar 2002) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Gestützt auf die Arbeitgeberkontrolle vom 10. November 2000 bei der X.________ verfügte die Ausgleichskasse Panvica (nachfolgend: Ausgleichskasse) Nachzahlungen von Beiträgen (an AHV, IV, EO, die Arbeitslosenversicherung, die berufliche Vorsorge, die Ausgleichskasse für kantonale Familienzulagen und den kantonalen Fonds für Berufsbildung) sowie die entsprechenden Zinsen und Verwaltungskosten in der Höhe von Fr. 28'122.80 (Verfügung vom 22. November 2000). Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern trat auf die hiegegen eingereichte Beschwerde nicht ein und überwies die Akten an die Ausgleichskasse zur Beurteilung des gestellten Erlassgesuches. Mit Verfügung vom 2. April 2001 lehnte die Ausgleichskasse das Begehren um Erlass der Nachzahlungen ab. 
B. 
Die X.________ erhob erneut Beschwerde, welche das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 10. Januar 2002 abwies. 
C. 
Die X.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren um Erlass der geschuldeten Beiträge. 
 
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur soweit eingetreten werden, als der Erlass von Sozialversicherungsbeiträgen kraft Bundesrechts sowie der entsprechenden Zinsen streitig ist. Im vorliegenden Verfahren ist demnach nicht zu prüfen, wie es sich bezüglich des Erlasses von Beiträgen an die Ausgleichskasse für kantonale Familienzulagen und den Fonds für Berufsbildung (BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis) verhält. 
2. 
2.1 Nach ständiger Rechtsprechung prüft das Eidgenössische Versicherungsgericht von Amtes wegen die formellen Gültigkeitserfordernisse des Verfahrens, insbesondere auch die Frage, ob die Vorinstanz zu Recht auf eine Beschwerde oder Klage eingetreten ist. Dies gilt auch für die Sachurteilsvoraussetzung einer anfechtbaren Verfügung. Hat die Vorinstanz übersehen, dass es an einer Prozessvoraussetzung fehlte, und hat sie materiell entschieden, ist dies im Rechtsmittelverfahren von Amtes wegen zu berücksichtigen mit der Folge, dass der angefochtene Entscheid aufzuheben ist, verbunden mit der Feststellung, dass auf das Rechtsmittel mangels Prozessvoraussetzung nicht eingetreten werden kann (BGE 125 V 405 Erw. 4a mit Hinweisen). 
2.2 Im Gegensatz zu den übrigen Trägern der Sozialversicherung, wie etwa den Ausgleichskassen, kommt den Pensionskassen keine hoheitliche Gewalt zu, weshalb sie keine Befugnis haben, über Rechte oder Pflichten der Versicherten und anderen Vorsorgebeteiligten, wie z.B. den Arbeitgebern, Verfügungen zu erlassen, die formell rechtskräftig werden könnten (BGE 115 V 229; vgl. auch Brühwiler, Obligatorische berufliche Vorsorge, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Basel 1998, Rz 55). Die Rechtsbeziehung zwischen Vorsorgeeinrichtung und Arbeitgeber richtet sich nebst den gesetzlichen Normen (z.B. Art. 39 Abs. 2, Art. 41 Abs. 1 und Art. 66 BVG) vor allem nach dem Anschlussvertrag und den reglementarischen Bestimmungen. Für Streitigkeiten zwischen Vorsorgeeinrichtung und Arbeitgeber ist das vom Kanton als zuständig bezeichnete Gericht am Sitz der Vorsorgeeinrichtung bzw. des Arbeitgebers zuständig (Art. 73 Abs. 1 und 3 BVG). 
2.3 Die Verfügung vom 22. November 2000 beinhaltet auch die Nachzahlung von Beiträgen an die berufliche Vorsorge; demzufolge bezieht sich die Verfügung vom 2. April 2001 auch auf den Erlass von Beiträgen an die berufliche Vorsorge. Diese Beiträge wurden jedoch unzulässigerweise verfügt, da der Pensionskasse Panvica keine Befugnis zum Erlass von Verfügungen zukommt. Soweit die Verfügungen vom 22. November 2000 und 2. April 2001 sich auf Beiträge an die berufliche Vorsorge beziehen, sind sie zu Unrecht erlassen worden (vgl. SZS 1998 S. 315; SVR 1995 BVG Nr. 40 S. 118 Erw. 2b, je mit Hinweisen) und mit einem derart schweren Mangel behaftet, dass ihre Nichtigkeit von Amtes wegen festzustellen und zu berücksichtigen ist (vgl. BGE 127 II 47 Erw. 3g; SVR 2002 KV Nr. 38 S. 138 Erw. 4c, je mit Hinweisen). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Pensionskasse Panvica die Ausgleichskasse Panvica mit der verwaltungsmässigen Durchführung beauftragt hat (Art. 1 in Verbindung mit Art. 43 des Reglementes); denn die Pensionskasse kann nicht mehr Rechte übertragen, als ihr selbst zustehen, und die Befugnis der Ausgleichskasse zum Erlass von Verfügungen bezieht sich nur auf die von Gesetzes wegen übertragenen Aufgaben (vgl. etwa Art. 63 AHVG). Nach dem Gesagten ist die Vorinstanz somit teilweise zu Unrecht auf die Beschwerde eingetreten, sodass der kantonale Entscheid, soweit er Beiträge an die berufliche Vorsorge betrifft, von Amtes wegen aufzuheben ist. Der Pensionskasse Panvica bleibt es unbenommen, auf dem korrekten Rechtsweg die entsprechenden Beiträge an die berufliche Vorsorge gegenüber der Beschwerdeführerin geltend zu machen. 
3. 
3.1 Die Beschwerdeführerin rügt, die der Nachzahlungsverfügung zugrunde liegende Lohnsumme entspreche nicht dem tatsächlichen Lohneinkommen und verweist hiezu auf das individuelle Konto des Verwaltungsratspräsidenten und angeblich einzigen Arbeitnehmers. Zudem habe der damalige Buchhalter 1991 fälschlicherweise die Liegenschaft des Vaters des Verwaltungsratspräsidenten "kontiert", weshalb zu viel Beiträge hätten bezahlt werden müssen. Es sei ihr auch unmöglich, die Ausstände zu begleichen. 
3.2 Soweit die Beschwerdeführerin die Nachzahlung als solche beanstandet, ist die entsprechende Verfügung vom 22. November 2000, welche sich im Übrigen nur auf Lohnzahlungen und -gutschriften der Jahre 1995 bis 1999 bezieht, in Rechtskraft erwachsen und kann deshalb weder von der Vorinstanz noch vom Eidgenössischen Versicherungsgericht mehr überprüft werden. 
4. 
Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
5. 
5.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Erlass von Nachzahlungen, insbesondere die Voraussetzungen des guten Glaubens und der grossen Härte (Art. 14 Abs. 4 lit. d AHVG in Verbindung mit Art. 40 Abs. 1 AHVV; BGE 113 V 248, 100 V 151; ZAK 1961 S. 169, je mit Hinweisen), zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. 
5.2 Gemäss Eintrag im Handelsregister ist Y.________ seit Gründung Präsident und seit August 2000 einziger Verwaltungsrat der Gesellschaft. Sein Wissen und Handeln ist somit als Wissen der Aktiengesellschaft zu werten. Da die Beschwerdeführerin bereits auf Grund der letzten Arbeitgeberkontrolle vom 27. Juni 1996 beträchtliche Nachzahlungen zu leisten hatte, musste dem für sie handelnden Y.________ bewusst sein, dass die Aktiengesellschaft auf allen Lohnzahlungen und -gutschriften Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten hat. Nachdem sein Wissen und Handeln auch der Aktiengesellschaft anzurechnen ist, kann sie bezüglich der erneuten Nachzahlung nicht mehr als gutgläubig bezeichnet werden. Somit ist die erste Voraussetzung für den Erlass im Bereich der AHV, IV, EO sowie der Arbeitslosenversicherung, der gute Glaube, zu verneinen, und es kann offen blieben, ob die Bezahlung der Ausstände eine grosse Härte für die Aktiengesellschaft darstellt. Der vorinstanzliche Entscheid verletzt diesbezüglich kein Bundesrecht. 
6. 
Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen, sondern um eine Beitragsstreitigkeit geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Die unterliegende Beschwerdeführerin hat somit die Gerichtskosten zu tragen. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 10. Januar 2002 wird insofern aufgehoben, als er sich auf Beiträge an die berufliche Vorsorge bezieht, und es wird festgestellt, dass die Verfügungen vom 22. November 2000 und 2. April 2001 nichtig sind, soweit sie Beiträge an die berufliche Vorsorge beinhalten. 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Pensionskasse Panvica und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
 
Luzern, 25. Oktober 2002 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Die Präsidentin der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: