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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_497/2010 
 
Urteil vom 25. Oktober 2010 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys, 
Gerichtsschreiber Borner. 
 
Verfahrensbeteiligte 
H.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Urs Ebnöther, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Täuschung der Behörde (Art. 118 Abs. 1 AuG), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts 
des Kantons Schaffhausen vom 30. April 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
H.________ stellte im Mai 2008 - als er mit seinen Eltern in einer 4½-Zimmer-Wohnung logierte - beim Ausländeramt des Kantons Schaffhausen ein Gesuch um Familiennachzug für seine Ehefrau. Das Merkblatt "Familiennachzug" verlangt eine bedarfsgerechte Wohnung für die ganze Familie und als Beilage den entsprechenden Mietvertrag. Daraufhin reichte H.________ einen solchen für eine 3-Zimmer-Wohnung ein, gültig ab dem 1. Juni 2008. In der Folge wurde das Gesuch bewilligt. Im August reiste seine Frau in die Schweiz ein und bewohnte mit ihm die 3-Zimmer-Wohnung. Ende August kündigte er die Wohnung, und seit dem 1. Januar 2009 leben er und seine Frau zusammen mit seinen Eltern in deren 4½-Zimmer-Wohnung, die er zuvor auf seinen Namen umschreiben liess. 
 
B. 
Das Untersuchungsrichteramt des Kantons Schaffhausen verurteilte H.________ am 18. März 2009 wegen Widerhandlung gegen das Ausländergesetz (AuG) zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 100.-- und zu einer Busse von Fr. 500.--. Auf Einsprache des Verurteilten stellte das Untersuchungsrichteramt das Verfahren mangels Nachweises für ein strafbares Verhalten ein. 
 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen verweigerte am 12. Juni 2009 die Genehmigung der Einstellung und erhob gegen H.________ Anklage wegen Täuschung der Behörde. 
 
C. 
Das Kantonsgericht Schaffhausen sprach den Angeklagten am 7. Oktober 2009 von Schuld und Strafe frei. 
 
Auf Berufung der Staatsanwaltschaft verurteilte das Obergericht des Kantons Schaffhausen am 30. April 2010 H.________ wegen Täuschung der Behörde zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 100.-- und zu einer Busse von Fr. 500.--. 
 
D. 
H.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben, und er sei von Schuld und Strafe freizusprechen. 
 
Die Vorinstanz hat auf eine Vernehmlassung verzichtet (act. 7). Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen (act. 12). 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Art. 118 Abs. 1 AuG bedroht mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, wer die mit dem Vollzug dieses Gesetzes betrauten Behörden durch falsche Angaben oder Verschweigen wesentlicher Tatsachen täuscht und dadurch die Erteilung einer Bewilligung für sich oder andere erschleicht oder bewirkt, dass der Entzug einer Bewilligung unterbleibt. 
 
1.1 Wie das Kantonsgericht zutreffend ausführt, muss sich die falsche bzw. ausbleibende Instruktion der Behörde gemäss klarem Wortlaut des Gesetzes auf eine wesentliche Tatsache beziehen. Der objektive Tatbestand der Strafnorm ist also nicht erfüllt, wenn die Falsch- oder Nichtangabe einen tatsächlichen Umstand betrifft, der ohne Relevanz für den Entscheid ist bzw. sein muss. Die Täuschung muss mithin dergestalt sein, dass ohne sie der entsprechende Entscheid - zu Recht - nicht oder nicht in dieser Form ergangen wäre. Ist die falsche oder unterbliebene Auskunft dagegen nicht geeignet, die Behörde in ihrer Entscheidfindung zu beeinflussen bzw. darf sie sich davon nicht beeinflussen lassen, fehlt es am objektiven Erfordernis der Wesentlichkeit der (Nicht-)Angabe. Ob die Behörde diese de facto (zu Unrecht) für entscheidrelevant erachtet, spielt dagegen keine Rolle (Urteil des Kantonsgerichts, S. 3). 
 
Diese Lösung wurde bereits in der Botschaft vertreten und findet sich auch in der Literatur. So hatte die Botschaft vorausgesetzt, dass die beteiligten Personen mit ihrem Verhalten die Bewilligungsbehörden täuschten, "da diese in Kenntnis der wahren Gegebenheiten keine Bewilligung erteilen würden", und zählt ausschliesslich derartige Beispiele auf: Eingehung und Förderung von Scheinehen, falsche Angaben über die Verwandtschaftsverhältnisse, Abgabe unrichtiger Zivilstandsurkunden sowie falsche Angaben über die für den Bewilligungsentscheid massgeblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen (BBl 2002 3833 f.). In der Literatur wird ein Motivationszusammenhang zwischen dem täuschenden Verhalten und dem Handeln der Behörden gefordert, wonach sich diese in Kenntnis der wahren Tatsachen anders verhalten hätten. Zudem müsse für eine Bestrafung eine klare Aussage der Behörden vorliegen, dass die Bewilligung in Kenntnis der richtigen Sachlage nicht erteilt worden wäre (Vetterli/D'Addario Di Paolo, Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer, Stämpflis Handkommentar, Bern 2010, N. 4 und 8 zu Art. 118 AuG). 
 
1.2 Ebenfalls zutreffend hat das Kantonsgericht vorfrageweise geprüft, was unter einer tauglichen, angemessenen oder bedarfsgerechten Wohnung zu verstehen ist (Urteil des Kantonsgerichts, S.3 ff): 
"Ehegatten von Personen mit Niederlassungsbewilligung haben in der Schweiz Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, wenn sie mit ihren niedergelassenen Ehepartnern zusammenwohnen; weitere Anspruchsvoraussetzungen statuiert das Gesetz nicht (Art. 43 Abs. 1 AuG). Das Bundesrecht erwähnt somit einzig das Erfordernis des Zusammenlebens. Es ist den Kantonen (bzw. den kantonalen Ausländerbehörden) sodann grundsätzlich untersagt, weitergehende (erschwerende) Bedingungen für die Erteilung einer Nachzugsbewilligung zu stellen. Massgeblich ist letztlich der auch in Art. 8 EMRK statuierte Anspruch auf ein familiäres Zusammenleben, welcher nicht unnötig erschwert werden darf (vgl. zum Ganzen BGE 119 lb 81 ff.). Immerhin erscheint es gerechtfertigt - und entspricht der geltenden Praxis -, wenn auch in den Fällen des Familiennachzugs von Personen mit Niederlassungsbewilligung verlangt wird, dass die Gesamtfamilie nach dem Zuzug in einer tauglichen Wohnung lebt (vgl. dazu BGE 119 lb 81 ff.; Botschaft zum AuG vom 8. März 2002, S. 3784 und 3792, welche ebenfalls auf den vorgenannten BGE verweist; Alberto Achermann, Die "angemessene Wohnung" als Voraussetzung für den Familiennachzug, Hrsg. Eidgenössische Ausländerkommission, 2004, S. 18 f. und 27 f.). Die Kantone sind aber nicht befugt, ein (noch) strengeres Anforderungsprofil als Voraussetzung für die Erteilung einer Familiennachzugsbewilligung zu erstellen. 
 
Im Übrigen sind die Voraussetzungen beim Familiennachzug bei Niedergelassenen weniger streng als bei Personen mit Aufenthaltsbewilligungen. Der Wortlaut von Art. 43 AuG setzt nämlich nur ein Zusammenwohnen voraus, wohingegen Art. 44 AuG weitere Bedingungen nennt und dabei auch die Wohnverhältnisse nach einem allfälligen Nachzug thematisiert. Indessen ist nur von einer bedarfsgerechten Wohnung die Rede (lit. b). Selbst von Personen mit lediglich einer Aufenthaltsbewilligung darf mithin nicht mehr verlangt werden, weshalb dies bei Niedergelassenen erst recht nicht statthaft ist (vgl. hiezu Alberto Achermann, a.a.O., S. 18 f.). 
In diesem Sinne hat das Kantonale Ausländeramt Schaffhausen aber seine Kompetenz überschritten, indem es vom Angeklagten eine eigenständige Wohnung für ihn und seine Ehefrau verlangte, zumal die Behörde unter diesem - nicht gesetzesterminologischen - Begriff offenbar eine ausschliesslich von den Eheleuten und allfälligen Kindern bewohnte Wohnung versteht. (...) 
Eine Wohnung kann (...) auch (...) als "tauglich" bezeichnet werden, wenn sie von einem Ehepaar zusammen mit den Eltern des einen Ehepartners bewohnt wird. Dies zumindest dann, wenn die Wohnung über genügend Wohnfläche und eine hinreichende Anzahl Räume verfügt, mithin also nicht überbelegt ist, was bei einer 4½-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von rund 120 m² klarerweise nicht der Fall ist. Immerhin haben der Angeklagte und seine Ehefrau zumindest derzeit keine Kinder, sodass eine ordnungsgemässe Unterbringung sämtlicher Familienmitglieder in besagter Wohnung gewährleistet ist. Hieran vermögen die Ausführungen des Ausländeramtes in der Stellungnahme vom 23. April 2009 nichts zu ändern. Es steht der Behörde nicht zu, den Betroffenen detailliertere Auflagen zu ihrer Wohnsituation zu machen und dergestalt in ihre persönliche Freiheit einzugreifen. Es ist mithin das gute Recht des Angeklagten und seiner Ehefrau, zusammen mit den Eltern des Angeklagten in einer Wohngemeinschaft zu leben. Die Behörde muss sich damit begnügen, dass der Angeklagte und seine Ehefrau in einer tauglichen Wohnung leben, wobei dieser Begriff nicht strapaziert werden darf und keine komfortablen Platzverhältnisse gegeben sein müssen. Zumindest in gewissen Kreisen ausländischer Provenienz dürfte es sodann üblich bzw. normal sein, in einem "familiären Verband" zu leben und auch so zu wohnen (und zwar auch bei in der Schweiz domizilierten Ausländern). 
 
Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass nach der weit verbreiteten Praxis der Kantone - beim Familiennachzug bei Personen mit Aufenthaltsbewilligung - die Wohnungsgrösse bzw. die Zimmeranzahl das wichtigste Kriterium zur Beurteilung der Angemessenheit darstellt und dass eine Wohnung in der Regel dann als angemessen bzw. bedarfsgerecht gilt, wenn die Anzahl Personen, die sie bewohnt, die Anzahl Zimmer um höchstens 1 überschreitet (vgl. Alberto Achermann, a.a.O., S. 29 f.; Weisungen des BFM zum Ausländerrecht Ziff. 6.1.5.; Handbuch des Ausländerrechts, Hrsg. Centre Patronal, Ziff. 13.3.1. [wobei sich die Ausführungen auf die Bestimmungen bezüglich Angehöriger der EU- und EFTA-Staaten beziehen]). 
 
Ebenfalls erscheint erwähnenswert, dass verschiedene Kantone - selbst bei Personen mit (nur) einer Aufenthaltsbewilligung - das Zusammenwohnen eines verheirateten Paares mit den Eltern nach dem Familiennachzug für statthaft erachten (vgl. dazu Alberto Achermann, a.a.O., S. 31, welcher die verbietende Praxis mit Blick auf das Freizügigkeitsabkommen mit der EU als fragwürdig taxiert)". 
 
1.3 Der Beschwerdeführer hat dem Ausländeramt zwar bewusst verschwiegen, dass er die gemietete 3-Zimmer-Wohnung gar nicht behalten wollte. Durch diese Täuschung hat er das Ausländeramt veranlasst, ihm den Nachzug seiner Ehefrau zu bewilligen (angefochtener Entscheid S. 8). Entgegen der Ansicht der Vorinstanz reicht die Täuschung allein jedoch nicht aus, um den objektiven Tatbestand des Art. 118 AuG zu bejahen. Dazu müsste kausal hinzukommen, dass die Behörde auch in Kenntnis des wahren Sachverhalts den Nachzug nicht bewilligt hätte. Wie dargelegt (E. 1.2), müssen die Wohnverhältnisse in der 4½-Zimmer-Wohnung als bedarfsgerecht bezeichnet werden. Folglich hätte die Behörde den Nachzug auch ohne die falschen Angaben bewilligt. 
 
Das Merkblatt "Familiennachzug" des Kantons Schaffhausen (kant. Akten, act. 44) verlangt von Personen, die Familienangehörige nachziehen wollen, dass sie über eine bedarfsgerechte Wohnung verfügen (Ziff. 2.1). An Unterlagen/Dokumenten sind u.a. "Original und Kopie des Mietvertrages der Wohnung" einzureichen (Ziff. 3). Da nicht nur eine eigenständige Wohnung bedarfsgerecht sein kann (E. 1.2), würde ein entsprechender Hinweis sowohl einigen Gesuchstellern als auch den Behörden unnötigen Aufwand ersparen. 
 
Schliesslich geht der vorinstanzliche Vergleich mit dem formellen Baurecht fehl: Mit der Baubewilligung erhält der Bauherr die Berechtigung, seine Baute nach exakten Massen und Abständen zu errichten, die äusserlich sichtbar und für die Raumordnung mitbestimmend ist. Beim Familiennachzug darf der Staat eine bedarfsgerechte Wohnung verlangen, damit die Familienmitglieder angemessen untergebracht sind. Die konkrete Ausgestaltung der Wohnsituation jedoch unterliegt dem Schutzbereich der persönlichen Freiheit. 
 
2. 
Nach dem Gesagten fehlt es am objektiven Tatbestandsmerkmal der Wesentlichkeit der täuschenden Tatsachen. Deshalb ist die Beschwerde gutzuheissen und der Beschwerdeführer von Schuld und Strafe freizusprechen. Der Kanton Schaffhausen hat den Beschwerdeführer angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG). Zur Festlegung der kantonalen Verfahrenskosten ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 68 Abs. 5 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 30. April 2010 aufgehoben und der Beschwerdeführer von Schuld und Strafe freigesprochen; im Übrigen wird die Sache zur Neufestlegung der kantonalen Verfahrenskosten an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3. 
Der Kanton Schaffhausen hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 25. Oktober 2010 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Favre Borner