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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1C_236/2011 
 
Urteil vom 25. Oktober 2011 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Aemisegger, Merkli, 
Gerichtsschreiber Mattle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Gemeinde Kirchlindach, vertreten durch den Gemeinderat, Lindachstrasse 17, 3038 Kirchlindach, 
Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland, 
Poststrasse 25, 3071 Ostermundigen. 
 
Gegenstand 
Ortsplanung; Gemeindeversammlung vom 29. März 2010; Nichteintreten, 
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 12. April 2011 
des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, Einzelrichterin. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Mit der Revision der Ortsplanung der Gemeinde Kirchlindach sollte unter anderem eine bestehende Zone für öffentliche Nutzung in eine Wohn- und Gewerbezone umgewandelt werden. Gegen diese beabsichtigte Umzonung erhob X.________ als Grundeigentümer einer an diese Zone angrenzenden Liegenschaft am 5. Februar 2010 Einsprache. 
 
B. 
An der Gemeindeversammlung der Gemeinde Kirchlindach vom 29. März 2010 zur Revision der Ortsplanung stimmten die Stimmberechtigten der Umwandlung der bestehenden Zone für öffentliche Nutzung in eine Wohn- und Gewerbezone mit 245 zu 157 Stimmen zu. In der Schlussabstimmung wurde die Revision der Ortsplanung mit 284 zu 25 Stimmen angenommen. 
 
C. 
In der Folge gelangte unter anderem X.________ an das Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland mit dem Antrag, der Beschluss der Gemeindeversammlung betreffend Umzonung der Zone für öffentliche Nutzung in eine Wohn- und Gewerbezone sei aufzuheben. Mit Entscheid vom 13. Oktober 2010 trat das Regierungsstatthalteramt auf die Beschwerde nicht ein. Eine von X.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Urteil vom 12. April 2011 ab. 
 
D. 
Mit Beschwerde vom 26. Mai 2011 gelangt X.________ ans Bundesgericht. Er beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 12. April 2011 sei aufzuheben. Die Sache sei neu zu beurteilen, soweit das Verwaltungsgericht auf die materiellen Rügen eingegangen sei. Soweit auf seine Rügen nicht eingegangen worden sei, sei deren materielle Beurteilung anzuordnen. 
 
E. 
Die Vorinstanz und die Gemeinde Kirchlindach beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland verzichtet auf eine Vernehmlassung. Mit Stellungnahme vom 5. September 2011 hält der Beschwerdeführer sinngemäss an der Beschwerde fest. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit von Amtes wegen (Art. 29 Abs. 1 BGG). 
 
1.1 Der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 12. April 2011 betrifft eine kommunale Abstimmungssache. Während das Verwaltungsgericht die vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen, die die Durchführung der Gemeindeversammlung vom 29. März 2010 betrafen, materiell geprüft und eine Verletzung seiner politischen Rechte im Ergebnis verneint hat, hat es hinsichtlich der gerügten Mängel der Botschaft des Gemeinderats für die Gemeindeversammlung festgestellt, dass das Regierungsstatthalteramt auf die in diesem Punkt verspätete Beschwerde zu Recht nicht eingetreten sei. 
Angefochten ist somit ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen sowie Volkswahlen und -abstimmungen, der grundsätzlich Gegenstand einer Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten bilden kann (vgl. Art. 82 lit. c, Art. 88 Abs. 1 lit. a sowie Abs. 2 und Art. 90 BGG). 
 
1.2 In Stimmrechtssachen steht das Beschwerderecht jeder Person zu, die in der betreffenden Angelegenheit stimmberechtigt ist (Art. 89 Abs. 3 BGG). Art. 89 Abs. 3 BGG umschreibt die Legitimation zur Beschwerde wegen Verletzung politischer Rechte ans Bundesgericht in spezifischer Weise und erschöpfend. Nicht zur Beschwerde in Stimmrechtssachen ans Bundesgericht berechtigt sind Personen, die zwar durch den Abstimmungsgegenstand besonders berührt werden, jedoch im Gemeinwesen, das die Abstimmung durchführt, nicht stimmberechtigt sind (BGE 134 I 172 E. 1.3.3 mit Hinweisen). 
Der Beschwerdeführer ist in der Gemeinde Kirchlindach nicht stimmberechtigt. Folglich ist er zur Beschwerde, die Vorinstanz habe eine Verletzung seiner politischen Rechte zu Unrecht verneint, nicht legitimiert, weshalb auf seine Beschwerde insoweit nicht einzutreten ist. Über die Rechtmässigkeit der Zonenplanänderung an sich entscheiden die zuständigen Behörden im dafür vorgesehenen Einsprache- und Genehmigungsverfahren, dem vorliegend nicht vorzugreifen ist. 
 
1.3 Immerhin kann der Beschwerdeführer, dem im kantonalen Verfahren Parteistellung zukam, vor Bundesgericht Verfahrensverletzungen geltend machen, deren Missachtung einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt. So kann er etwa geltend machen, auf ein Rechtsmittel sei zu Unrecht nicht eingetreten worden, er sei nicht angehört worden, habe keine Gelegenheit erhalten, Beweisanträge zu stellen, oder er habe nicht Akteneinsicht nehmen können. Unzulässig sind dagegen Rügen, die im Ergebnis auf eine materielle Überprüfung des Entscheids abzielen, wie etwa der Vorwurf, die Begründung des angefochtenen Entscheids sei unvollständig oder zu wenig differenziert ausgefallen oder setze sich nicht mit sämtlichen von der Partei vorgetragenen Argumenten auseinander bzw. würdige die Parteivorbringen unzureichend (BGE 137 I 128 E. 3.1 S. 130 f.; 135 II 430 E. 3.2 S. 436 f.; 133 I 185 E. 6.2 S. 198 f.). 
Die Vorinstanz hat hinsichtlich der Geschehnisse an der Gemeindeversammlung selber gestützt auf Art. 65b lit. a i.V.m. Art. 65 des kantonalen Gesetzes vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG; BSG 155.21) zwar ein Beschwerderecht des Beschwerdeführers anerkannt, im Ergebnis eine Verletzung seiner politischen Rechte indessen verneint. Der Beschwerdeführer rügt vor Bundesgericht, die Vorinstanz sei auf gewisse von ihm vorgebrachte Punkte nicht eingegangen, namentlich auf seinen Einwand, dass die Stimmberechtigten an der Versammlung zu bestimmten Abstimmungsgegenständen unzureichend informiert worden seien. Diese Rüge zielt letztlich auf eine materielle Überprüfung des vorinstanzlichen Entscheids ab, weshalb sie vor Bundesgericht nicht zulässig ist. 
Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, soweit er im Beschwerdeverfahren Mängel der Botschaft des Gemeinderats für die Gemeindeversammlung vom 29. März 2010 gerügt habe, habe die Vorinstanz den Nichteintretensentscheid des Regierungsstatthalteramts zu Unrecht bestätigt. Damit wirft er der Vorinstanz eine Verletzung von Verfahrensrechten vor, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt (vgl. Art. 29 Abs. 1 und 2 BV). In diesem Umfang ist auf die Beschwerde einzutreten, wobei der Beschwerdeführer vor Bundesgericht nur die Rückweisung der Sache zur materiellen Beurteilung beantragen kann. 
 
2. 
Zur Beschwerde in kommunalen Wahl- und Abstimmungssachen ist im Kanton Bern befugt, wer in der Gemeinde stimmberechtigt ist (Art. 65b lit. b VRPG). Darüber hinaus ist aber zur Beschwerde in Wahl- und Abstimmungssachen auch befugt, wer durch den angefochtenen Akt besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an seiner Aufhebung oder Änderung hat (Art. 65b lit. a i.V.m. Art. 65 Abs. 1 VRPG). In Abstimmungssachen ist die Beschwerde innert 30 Tagen nach der Abstimmung zu erheben. Für die Anfechtung von Vorbereitungshandlungen beträgt die Frist zehn Tage (Art. 67a Abs. 2 VRPG). Werden Handlungen im Zusammenhang mit der Vorbereitung einer Wahl oder einer Abstimmung gerügt und endet die zehntägige Beschwerdefrist nicht erst nach dem Wahl- oder Abstimmungstermin, so ist gegen die Vorbereitungshandlung Beschwerde zu führen. Die Beschwerdefrist beginnt am Tag nach der Eröffnung oder Veröffentlichung des angefochtenen Akts zu laufen (Art. 67a Abs. 3 VRPG). 
 
3. 
Im vorinstanzlichen Verfahren rügte der Beschwerdeführer, ihm sei die Botschaft für die Gemeindeversammlung nicht zugestellt worden und er habe von dieser erst am Abend vor der Versammlung Kenntnis erhalten. Sinngemäss rügte er damit, er habe die Mängel der Botschaft gar nicht innert zehn Tagen seit Erscheinen der Botschaft geltend machen können. Die Vorinstanz kam im angefochtenen Entscheid zum Schluss, es sei für den Beschwerdeführer ohne besonderen Aufwand möglich und zumutbar gewesen, sich rechtzeitig vor der Gemeindeversammlung die erläuternde Botschaft zu beschaffen, zumal diese von der Gemeinde im Internet aufgeschaltet worden sei und der Beschwerdeführer sich auch direkt bei der Gemeinde hätte informieren und eine Zusendung der Botschaft verlangen können. Demzufolge habe das Regierungsstatthalteramt kein Recht verletzt, wenn es angenommen habe, dass die zehntägige Beschwerdefrist gegen Mängel der Botschaft noch vor der Gemeindeversammlung vom 29. März 2010 geendet habe, weshalb die Beschwerde in diesem Punkt verspätet eingereicht worden sei. 
Der Beschwerdeführer bestreitet vor Bundesgericht nicht mehr, dass es für ihn möglich und zumutbar gewesen wäre, sich die Botschaft rechtzeitig zu beschaffen. Auch widerspricht er nicht der Auffassung der Vorinstanz, wonach er Mängel der Botschaft gemäss den kantonalrechtlichen Bestimmungen (vgl. E. 2 hiervor) grundsätzlich spätestens innert zehn Tagen ab dem 10. März 2010 und damit noch vor der Gemeindeversammlung vom 29. März 2010 hätte rügen müssen. Mangels einer entsprechenden Rüge des Beschwerdeführers ist auf die überzeugenden Ausführungen der Vorinstanz nicht zurückzukommen (vgl. Art. 106 Abs. 2 i.V.m. Art. 42 Abs. 2 BGG). 
 
4. 
Der Beschwerdeführer bringt indessen vor, auf der letzten Seite der Botschaft stehe, dass allfällige Beschwerden gegen die Versammlungsbeschlüsse innert 30 Tagen seit der Gemeindeversammlung beim Regierungsstatthalteramt einzureichen seien. Für den unbefangenen Leser bedeute dies, dass sämtliche Beschwerden im Zusammenhang mit der Abstimmung innerhalb der angegebenen 30-tägigen Frist einzureichen seien, denn es fehle ein Hinweis darauf, dass sogenannte Vorbereitungshandlungen, inklusive der Botschaft selber, vorgängig innerhalb einer zehntägigen Frist beanstandet werden müssten. Die Rechtsmittelbelehrung in der Botschaft sei somit unvollständig und verleite dazu, sich nicht weiter um Informationen zu bemühen. Die Kenntnis, dass es einen Unterschied gebe zwischen sogenannten Vorbereitungshandlungen für eine Abstimmungssache und der Durchführung der Abstimmung selbst, könne beim einfachen Stimmbürger nicht vorausgesetzt werden. Es sei ihm in Unkenntnis der zehntägigen Frist nicht möglich gewesen, fristgerecht wegen der festgestellten Mängel bei der Vorbereitung der Abstimmung Beschwerde zu erheben. Aus diesem Grund widerspreche es dem Grundsatz von Treu und Glauben, seine Vorbringen, mit denen er die Botschaft des Gemeinderats für die Gemeindeversammlung als mangelhaft gerügt hatte, als verspätet eingereicht zu betrachten. Sinngemäss macht der Beschwerdeführer geltend, die Vorinstanz habe eine formelle Rechtsverweigerung begangen bzw. seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem sie den Nichteintretensentscheid des Regierungsstatthalteramts hinsichtlich der Rügen gegen die Botschaft geschützt habe. 
Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 9 BV) ergibt sich, dass einer Partei aus einer falschen Rechtsmittelbelehrung grundsätzlich kein Nachteil erwachsen darf. Dies gilt allerdings unter dem Vorbehalt, dass sich nur derjenige auf eine falsche Rechtsmittelbelehrung berufen kann, der deren Unrichtigkeit nicht gekannt hat oder bei gebührender Aufmerksamkeit nicht hätte erkennen können (BGE 135 III 374 E. 1.2.2 S. 376 f.; 134 I 199 E. 1.3.1 S. 202 f.; je mit Hinweisen). 
Gemäss eigener Aussage hat der Beschwerdeführer von der Botschaft bzw. von deren Inhalt erst am Abend vor der Gemeindeversammlung vom 29. März 2010 Kenntnis erhalten (vgl. E. 3 hiervor). Damit steht fest, dass der Beschwerdeführer keine Kenntnis von der in der Botschaft enthaltenen Rechtsmittelbelehrung für allfällige Beschwerden gegen die Versammlungsbeschlüsse hatte, weshalb ihm aus der angeblich falschen Rechtsmittelbelehrung von vornherein kein Nachteil erwachsen konnte. Seine Rüge, es widerspreche dem Grundsatz von Treu und Glauben, seine Vorbringen, mit denen er die Botschaft als mangelhaft gerügt hatte, als verspätet eingereicht zu betrachten, erweist sich als unbegründet. Die Vorinstanz hat weder eine formelle Rechtsverweigerung begangen noch den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt, indem sie den Nichteintretensentscheid des Regierungsstatthalteramts hinsichtlich der verspäteten Vorbringen gegen die Botschaft geschützt hat. 
 
5. 
Die Beschwerde ist nach dem Gesagten abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (vgl. Art. 66 Abs. 1 BGG). Weder dem unterliegenden Beschwerdeführer noch der in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegenden Gemeinde Kirchlindach ist eine Parteientschädigung zuzusprechen (vgl. Art. 68 Abs. 2 und 3 BGG sowie BGE 134 II 117 E. 7 S. 118 f.) 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Gemeinde Kirchlindach, dem Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, Einzelrichterin, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 25. Oktober 2011 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Fonjallaz 
 
Der Gerichtsschreiber: Mattle