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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_217/2024, 1C_218/2024  
 
 
Urteil vom 25. Oktober 2024  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Haag, 
nebenamtlicher Bundesrichter Fellmann, 
Gerichtsschreiber Mattle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________ ag, 
2. Einwohnergemeinde Lutzenberg, 
Gitzbüchel 192, 9426 Lutzenberg, 
Beschwerdeführerinnen, 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Titus Marty, 
 
gegen  
 
1C_217/2024 
B.________, 
Beschwerdegegnerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Reto Diggelmann, 
 
Baubewilligungskommission Lutzenberg, Gitzbüchel 192, 9426 Lutzenberg, 
Departement Bau und Volkswirtschaft des Kantons Appenzell Ausserrhoden, Kasernenstrasse 17A, 9102 Herisau, 
 
und 
 
1C_218/2024 
C.________, 
Beschwerdegegnerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Benno Mattarel, 
 
Baubewilligungskommission Lutzenberg, Gitzbüchel 192, 9426 Lutzenberg, 
Departement Bau und Volkswirtschaft des Kantons Appenzell Ausserrhoden, Kasernenstrasse 17A, 9102 Herisau. 
 
Gegenstand 
Baubewilligung, 
 
Beschwerden gegen die Urteile des Obergerichts des Kantons Appenzell Ausserrhoden, 4. Abteilung, vom 22. Februar 2024 (O4V 22 31/33). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Einwohnergemeinde Lutzenberg ist Eigentümerin der Parzelle Nr. 687, Gemeinde Lutzenberg. Die Parzelle liegt gemäss dem kommunalen Zonenplan Nutzung am südlichen Bauzonenrand des Weilers Wienacht in der Kernzone K. Die Parzelle Nr. 687 und der grösste Teil des Weilers werden ausserdem von einer kommunalen Ortsbildschutzzone überlagert. Bis zum Jahr 2016 befand sich auf dem südlichen Teil der Parzelle an prominenter Lage das ehemalige Kurhaus "Alpenblick".  
Anlässlich einer Urnenabstimmung am 18. Oktober 2015 entschied die Stimmbevölkerung der Gemeinde Lutzenberg, den "Alpenblick" abzubrechen und diesen durch ein neues Mehrfamilienhaus oder durch Einfamilienhäuser zu ersetzen. Die Abbruchbewilligung der Baubewilligungskommission (BBK) Lutzenberg vom 28. Januar 2016 wurde mit der Auflage versehen, vor einer Neuüberbauung, Parzellierung oder anderer Bautätigkeit auf dem Grundstück Nr. 687 einen Gestaltungsplan über das gesamte Grundstück zu erstellen und vom Gemeinderat genehmigen zu lassen. 
Anstelle eines Gestaltungsplans genehmigte der Gemeinderat Lutzenberg am 4. Februar 2019 auf Antrag der Arbeitsgruppe "Bauplanung Gemeinde Lutzenberg ab 2017" ein von dieser Arbeitsgruppe ausgearbeitetes Richtprojekt und erklärte dieses für verbindlich. Laut dem Protokollauszug vom 28. März 2019 beschloss die BBK Lutzenberg, die Anmerkung "Pflicht zur Erstellung eines Gestaltungsplans auf dem Grundstück Nr. 687" zu Gunsten des Richtprojekts beim Grundbuchamt zur Aufhebung anzumelden. Der Gemeinderat Lutzenberg traf am 6. April 2020 einen inhaltlich übereinstimmenden Beschluss. 
 
1.2. Die A.________AG reichte bei der Gemeindebaubehörde mit Eingabe vom 30. April 2021 ein Baugesuch für die Erstellung von drei Einfamilienhäusern auf der Parzelle Nr. 687 ein, das auf dem Richtprojekt vom 4. Februar 2019 beruht. Die BBK Lutzenberg bewilligte das Bauvorhaben mit Entscheid vom 30. September 2021. Gleichzeitig wies sie je eine Einsprache von B.________ und von C.________ gegen das Baugesuch ab.  
Gegen diesen Entscheid gelangten B.________ und C.________ je mit Rekurs an das Departement Bau und Volkswirtschaft des Kantons Appenzell Ausserrhoden. Dabei beantragten sie unter anderem, die Baubewilligung zu verweigern. Das Departement Bau und Volkswirtschaft wies die Rekurse am 21. November 2022 ab. 
Gegen die Rekursentscheide erhoben B.________ und C.________ je eine Beschwerde beim Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden, wobei sie je die Verweigerung der Baubewilligung verlangten. Das Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden hiess die Beschwerden von B.________ und von C.________ am 22. Februar 2024 mit zwei separaten Urteilen gut, hob den Rekursentscheid des Departements Bau und Volkswirtschaft vom 21. November 2022 auf und wies das Baugesuch betreffend Neubau von drei Einfamilienhäusern auf der Parzelle Nr. 687, GB Lutzenberg, ab. 
 
1.3. Mit zwei Beschwerden gelangen die A.________AG (Beschwerdeführerin 1) und die Einwohnergemeinde Lutzenberg (Beschwerdeführerin 2) am 15. April 2024 gemeinsam an das Bundesgericht (Verfahren 1C_217/2024 und 1C_218/2024). Sie beantragen in beiden Verfahren die Aufhebung des jeweils angefochtenen Urteils vom 22. Februar 2024 sowie die Rückweisung der Streitsache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz.  
Die Baubewilligungskommission Lutzenberg verzichtet auf eine Stellungnahme zu den Beschwerden, schliesst sich jedoch inhaltlich den Ausführungen der Beschwerdeführenden an. B.________ beantragt im Verfahren 1C_217/2024 die Abweisung der Beschwerde, soweit auf sie einzutreten ist. C.________ beantragt im Verfahren 1C_218/2024 ebenfalls die Abweisung der Beschwerde, soweit auf sie einzutreten ist. Das Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden stellt den Antrag, auf die Beschwerden nicht einzutreten, eventualiter sie abzuweisen. Das Departement Bau und Volkswirtschaft des Kantons Appenzell Ausserrhoden lässt sich nicht vernehmen. 
Zu den Vernehmlassungen von B.________, C.________ und der Vorinstanz reichen die Beschwerdeführenden am 26. August 2024 Stellungnahmen ein. 
 
2.  
Die Beschwerdeführenden beantragen, die beiden Beschwerdeverfahren 1C_217/2024 und 1C_218/2024 seien zu vereinigen. Die beiden Beschwerden richten sich gegen zwei inhaltlich weitgehend identische Urteile des Obergerichts über das gleiche Baugesuch. Die Beschwerden werfen die gleichen Rechtsfragen auf. Es rechtfertigt sich, die beiden Verfahren zu vereinigen. 
 
3.  
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die Zulässigkeit der Beschwerden von Amtes wegen und mit freier Kognition (vgl. Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 146 II 276 E. 1). 
 
3.1. Die fristgerecht eingereichten Beschwerden richten sich je gegen einen verfahrensabschliessenden, kantonal letztinstanzlichen Entscheid eines oberen kantonalen Gerichts in einer Angelegenheit des öffentlichen Baurechts. Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (vgl. Art. 82 lit. a, Art. 83, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 90, Art. 100 Abs. 1 BGG sowie Art. 34 Abs. 1 RPG [SR 700]).  
 
3.2. Näher zu prüfen ist, ob die Beschwerden den gesetzlichen Begründungsanforderungen entsprechen.  
 
3.2.1. Gemäss Art. 42 Abs. 1 und Abs. 2 BGG sind Rechtsschriften an das Bundesgericht zu begründen. Dabei ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Beruht ein angefochtener Entscheid auf mehreren, selbständigen Begründungen, die je für sich den Ausgang des Rechtsstreits besiegeln, hat die beschwerdeführende Person für jede dieser Begründungen darzulegen, inwieweit eine Rechtsverletzung vorliegt. Andernfalls liegt keine genügende Begründung vor und kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden (vgl. BGE 149 III 318 E. 3.1.3; 133 IV 119 E. 6).  
 
3.2.2. Erhöhte Anforderungen an die Begründung einer Beschwerde greifen, wenn die Verletzung von Grundrechten sowie von kantonalem oder interkantonalem Recht im Raum steht. Das Bundesgericht prüft eine Verletzung derartiger Normen nur insofern, als eine entsprechende Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet wird (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG). In der Beschwerde ist klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (vgl. BGE 139 I 229 E. 2.2). Stützt sich ein angefochtener Entscheid auf kantonales Recht, so setzt das Eintreten auf die Beschwerde bzw. die einzelnen Beschwerdeanträge voraus, dass eine den erhöhten Anforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG genügende Rüge vorgebracht wird (vgl. BGE 143 II 283 E. 1.2.2).  
 
3.3. Die Vorinstanz erwog, dass mit dem vom Gemeinderat Lutzenberg verbindlich erklärten Richtprojekt die Auflage nicht erfüllt sei, einen Gestaltungsplan zu erlassen. Die Gestaltungsplanpflicht sei weiter auch nicht rechtswirksam aufgehoben worden: Einerseits habe Werner Schluchter als Gemeinderat, Präsident der Baubewilligungskommission Lutzenberg und Mitglied der "Arbeitsgruppe Bauplanung" in unterschiedlichen Funktionen an Entscheidungen zur Ermöglichung des Bauprojekts mitgewirkt. Er habe zudem das Richtprojekt erarbeitet und sei Projektverfasser des strittigen Bauvorhabens. Die Umstände erweckten den Anschein, dass Werner Schluchter ein persönliches Interesse an einer Aufhebung der Gestaltungsplanpflicht gehabt haben könnte, womit er als persönlich befangen im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. e des Gesetzes des Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 9. September 2002 über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG/AR; bGS 143.1) erscheine und in den Ausstand hätte treten müssen. Andererseits seien keine Gründe im Sinne von Art. 26 VRPG/AR dargetan oder ersichtlich, die einen Widerruf der Gestaltungsplanauflage rechtfertigen würden. Mangels rechtskräftigem Sondernutzungsplan bzw. mangels gültiger Aufhebung der Sondernutzungsplanpflicht sei das Bauvorhaben nicht bewilligungsfähig (vgl. angefochtene Urteile, je E. 3.4 f.).  
Weiter prüfte die Vorinstanz "aus prozessökonomischen Gründen", ob die Auflage der Sondernutzungsplanpflicht auch materiell gerechtfertigt ist. Dabei kam sie gestützt auf das Gesetz des Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 12. Mai 2003 über die Raumplanung und das Baurecht (BauG/AR; bGS 721.1), die Bauverordnung des Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 2. Dezember 2003 (BauV/AR; bGS 721.11) sowie das Baureglement der Gemeinde Lutzenberg (BauR) zum Ergebnis, dass es auch aus Gründen des materiellen Rechts einer Sondernutzungsplanung mit Sonderbauvorschriften bedürfe. Es sei davon auszugehen, dass sich der Abbruch und Ersatzbau des "Alpenblicks" erheblich auf das Orts- und Landschaftsbild auswirkt, womit sich eine Sondernutzungsplanpflicht insbesondere aus Art. 96 Abs. 2 BauG/AR ergebe. Eine Sondernutzungsplanpflicht bestehe zudem auch aufgrund von Art. 17 Abs. 3 BauR (vgl. angefochtene Urteile, je E. 4.1). 
 
3.3.1. In ihren Beschwerden machen die Beschwerdeführenden geltend, Rechtsgrundlage zum umstrittenen Bauvorhaben würden die mit einem Ortsbildschutzgebiet überlagerte Nutzungszone sowie die dafür geltenden Bauvorschriften bilden. Ein gemäss Art. 37 und Art. 39 BauG/AR erlassener Sondernutzungsplan bestehe nicht. Dafür existiere ein vom Gemeinderat für verbindlich erklärtes Richtprojekt.  
Mit ihren Ausführungen richten sich die Beschwerdeführenden in erster Linie gegen die Begründung in E. 3 der angefochtenen Urteile. Auf die alternative Begründung in E. 4 der angefochtenen Urteile, wonach sich für das fragliche Grundstück eine Sondernutzungsplanpflicht sowohl aus Art. 96 Abs. 2 BauG/AR als auch aus Art. 17 Abs. 3 BauR ergebe, gehen die Beschwerdeführenden nur beiläufig ein. Bei den genannten Bestimmungen handelt es sich um kantonales Recht. Weder kann das Bundesgericht ihre Anwendung durch die Vorinstanz als solche überprüfen, noch verstösst sie offensichtlich gegen (bundesrechtliche) Bestimmungen, die das Bundesgericht von Amtes wegen anzuwenden hat (vgl. Art. 106 Abs. 1 BGG, vgl. BGE 144 V 388 E. 2; 140 III 115 E. 2; je mit Hinweisen). Entsprechend hätten die Beschwerdeführenden nach Massgabe von Art. 106 Abs. 2 BGG klar und detailliert aufzeigen müssen, inwieweit die vorinstanzliche Rechtsanwendung in E. 4 der angefochtenen Urteile gegen übergeordnetes Recht, insbesondere das Willkürverbot (vgl. Art. 9 BV) oder andere verfassungsmässige Rechte verstösst. Diesen Erfordernissen genügen die Beschwerden im Hinblick auf die E. 4 der angefochtenen Urteile nicht. 
 
3.3.2. Entgegen der von den Beschwerdeführenden in den Stellungnahmen vom 26. August 2024 geäusserten Auffassung handelt es sich bei der E. 4 der angefochtenen Urteile sodann um Alternativbegründungen, die die angefochtenen Entscheide selbständig tragen: Die Ausführungen der Vorinstanz machen deutlich, dass die Baubewilligung aus den in der E. 4 aufgeführten Gründen selbst dann hätte aufgehoben werden müssen, wenn die Überlegungen der Vorinstanz in E. 3 unzutreffend wären. Mithin wären die Beschwerdeführenden verpflichtet gewesen, in ihren Beschwerden auch gegen die in E. 4 der angefochtenen Entscheide enthaltenen Urteilsgründe eine Begründung vorzubringen, die den Anforderungen von Art. 42 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG genügt. Dies ist offensichtlich nicht der Fall (vgl. E. 3.3.1 hiervor).  
 
4.  
Auf die Beschwerden ist daher im vereinfachten Verfahren im Sinne von Art. 109 Abs. 2 BGG mit summarischer Begründung nicht einzutreten. Bei diesem Verfahrensausgang sind der Beschwerdeführerin 1 die Gerichtskosten aufzuerlegen (vgl. Art. 66 Abs. 1 BGG), nicht hingegen der Beschwerdeführerin 2, die in ihrem amtlichen Wirkungskreis betroffen ist (vgl. Art. 66 Abs. 4 BGG). Die Beschwerdegegnerinnen haben Anspruch auf eine Parteientschädigung zulasten der solidarisch haftenden Beschwerdeführenden (vgl. Art. 68 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 i.V.m. Art. 66 Abs. 5 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Verfahren 1C_217/2024 und 1C_218/2024 werden vereinigt. 
 
2.  
Auf die Beschwerden wird nicht eingetreten. 
 
3.  
Der Beschwerdeführerin 1 werden die Gerichtskosten in der Höhe von Fr. 3'000.- auferlegt. 
 
4.  
Die Beschwerdeführenden haben unter solidarischer Haftung die Beschwerdegegnerin im Verfahren 1C_217/2024 und die Beschwerdegegnerin im Verfahren 1C_218/2024 für das bundesgerichtliche Verfahren mit je Fr. 2'000.- zu entschädigen. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden, 4. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 25. Oktober 2024 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Mattle