Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
5A_69/2024
Urteil vom 25. Oktober 2024
II. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Herrmann, Präsident,
Bundesrichter von Werdt, Hartmann,
Gerichtsschreiberin Lang.
Verfahrensbeteiligte
A.A.________ und B.A.________,
Beschwerdeführer,
gegen
C.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Blum,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Grenzscheidungsklage,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, 1. Zivilkammer, vom 22. Dezember 2023 (ZK 23 62).
Sachverhalt:
A.
A.a. A.A.________ und B.A.________ sind Eigentümer der Parzellen U.________-Gbbl. Nr. xxx und Nr. yyy; C.________ ist Eigentümer der Parzelle U.________-Gbbl. Nr. zzz. Die Parzellen befinden sich im unvermessenen Gebiet der Gemeinde U.________, wobei die Parzellen xxx und zzz - im Gegensatz zur Parzelle yyy - im Plan des Grundstückdaten-Informationssystems des Kantons Bern (GRUDIS) erfasst sind. Unbestritten ist, dass sich die Parzelle yyy - die aus der Abtrennung und dem Verkauf eines Teils der Fläche der Parzelle zzz im Jahr 1932 an den Eigentümer der Parzelle xxx hervorging - zwischen den Parzellen xxx und zzz befindet.
A.b. Zwischen den Parteien strittig ist jedoch die Lage der Grenze zwischen den Parzellen yyy und zzz. Der Streit entzündete sich im Jahr 2010, als A.A.________ und B.A.________ behaupteten, die Parzelle yyy befinde sich innerhalb der Fläche, die im GRUDIS-Plan der Parzelle zzz zugewiesen ist. Im Jahr 2016 spitzte sich der Streit weiter zu, als A.A.________ und B.A.________ den zwischen den Parzellen yyy und zzz bestehenden Grenzzaun niederlegten und ihr Vieh darüber trieben. Später errichteten sie einen eigenen Zaun und trennten damit eine Fläche von rund 5 ha von der Parzelle zzz ab. Der (ursprüngliche) Grenzzaun wurde schliesslich als orange Linie in den GRUDIS-Plan aufgenommen.
A.c. Am 23. September 2019 erhob C.________ beim Regionalgericht Oberland Klage gegen A.A.________ und B.A.________. Er beantragte zusammengefasst, den Beklagten zu verbieten, sein Eigentum zu stören, wobei der Grenzzaun die einzuhaltende gemeinsame Grenze bilde (Rechtsbegehren Ziff. 1; Eigentumsfreiheitsklage). Eventuell sei der Grenzverlauf im umstrittenen Bereich gerichtlich festzulegen (Rechtsbegehren Ziff. 2; Grenzscheidungsklage). Der Entscheid sei dem Grundbuchamt zur Ergänzung der Erwerbstitel mitzuteilen (Rechtsbegehren Ziff. 3).
A.d. Das Regionalgericht fällte seinen Entscheid am 30. Dezember 2022. Es wies Rechtsbegehren Ziff. 1 (Eigentumsfreiheitsklage) ab (Dispositiv-Ziff. 1) und legte entsprechend Rechtsbegehren Ziff. 2 (Grenzscheidungsklage) die umstrittene Grenze fest, und zwar entlang des als orange gestrichelte Linie im GRUDIS-Plan aufgenommenen bestehenden Grenzzauns (Dispositiv-Ziff. 2). Zur Vollstreckung wies es den Nachführungsgeometer an, die zur Grundbuchanmeldung notwendigen Unterlagen zu erstellen und das Grundbuchamt, die Grenze zwischen den Parzellen yyy und zzz gemäss Dispositiv zu erfassen (Dispositiv-Ziff. 3 und 4).
B.
Die von A.A.________ und B.A.________ gegen diesen Entscheid erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 22. Dezember 2023 ab.
C.
Gegen diesen Entscheid richten sich A.A.________ und B.A.________ (die Beschwerdeführer) mit ihrer Beschwerde in Zivilsachen vom 1. Februar 2024. Sie beantragen die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Abweisung der Klage. Eventualiter sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Angelegenheit mit verbindlichen Weisungen an die Vorinstanz zurückzuweisen; alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen für das bundesgerichtliche und die kantonalen Verfahren.
Mit Eingabe vom 1. Juli 2024 teilte der die Beschwerdeführer bisher vertretende Rechtsanwalt dem Bundesgericht die Aufgabe des Mandats mit. Die Beschwerdeführer wandten sich daraufhin mehrfach persönlich an das Bundesgericht, so mit Schreiben vom 10. Juli 2024, 30. August 2024 und 6. September 2024. Sinngemäss ersuchten sie das Bundesgericht, den Beschwerdegegner anzuweisen, die Alp zu verlassen und betonten, dass ihnen zurückzugeben sei, was ihnen gehöre.
Das Bundesgericht hat die kantonalen Akten, hingegen keine Vernehmlassungen eingeholt.
Erwägungen:
1.
1.1. Der angefochtene Entscheid betrifft eine Grenzstreitigkeit und damit eine Zivilsache (Art. 72 Abs. 1 BGG) in einer vermögensrechtlichen Angelegenheit (Urteil 5A_769/2011 vom 2. März 2012 E. 1), deren Streitwert gemäss den vorinstanzlichen Angaben Fr. 40'000.-- beträgt und damit den gesetzlichen Mindestbetrag von Fr. 30'000.-- überschreitet (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG). Er ist kantonal letzt- und oberinstanzlich (Art. 75 BGG), lautet zum Nachteil der Beschwerdeführer (Art. 76 Abs. 1 BGG) und schliesst das kantonale Verfahren ab (Art. 90 BGG). Die - innert Frist (Art. 100 Abs. 1 i.V.m. Art. 46 Abs. 1 lit. c BGG) - erhobene Beschwerde in Zivilsachen erweist sich damit als das zutreffende Rechtsmittel.
1.2. Nach Ablauf der Beschwerdefrist und damit verspätet eingegangen sind die Schreiben der Beschwerdeführer vom 10. Juli 2024, 30. August 2024 und 6. September 2024. Auf sie ist daher - wie auch auf die damit eingereichten Beilagen - nicht einzugehen. Sofern die Beschwerdeführer das Bundesgericht in diesen Schreiben sinngemäss um den Erlass vorsorglicher Massnahmen (Art. 104 BGG) ersuchen, ist ihr Gesuch mit dem vorliegenden Endentscheid in der Sache gegenstandslos geworden.
2.
2.1. Mit der Beschwerde in Zivilsachen können Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG geltend gemacht werden. Das Bundesgericht wendet das Recht in diesem Bereich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG) und prüft mit freier Kognition, ob der angefochtene Entscheid Recht verletzt. Es befasst sich aber grundsätzlich nur mit formell ausreichend begründeten Einwänden. In der Beschwerde ist deshalb in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG), was eine Auseinandersetzung mit dessen Begründung erfordert (BGE 143 II 283 E. 1.2.2; 140 III 86 E. 2). Erhöhte Anforderungen gelten, wenn verfassungsmässige Rechte als verletzt gerügt werden. Das Bundesgericht prüft deren Verletzung nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; Rügeprinzip). Es prüft nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen (BGE 142 III 364 E. 2.4).
2.2. Was den Sachverhalt angeht, legt das Bundesgericht seinem Urteil die vorinstanzlichen Feststellungen zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Diesbezüglich kann die rechtsuchende Partei nur vorbringen, die vorinstanzlichen Feststellungen seien offensichtlich unrichtig, das heisst willkürlich (Art. 9 BV; BGE 147 I 73 E. 2.2 mit Hinweis), oder würden auf einer anderen Bundesrechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG (z.B. Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV oder Art. 8 ZGB) beruhen. In der Beschwerde ist überdies darzutun, inwiefern die Behebung der gerügten Mängel für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 137 III 226 E. 4.2; 135 I 19 E. 2.2.2). Für die Rüge der offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsfeststellung gilt ebenfalls das strenge Rügeprinzip nach Art. 106 Abs. 2 BGG (BGE 144 V 50 E. 4.1).
3.
Vor Bundesgericht strittig ist nur noch - wie im Berufungsverfahren - die Grenzscheidungsklage.
3.1. Die Beschwerdeführer fordern die Abweisung dieser Klage. Sie begründen dies zusammengefasst damit, dass die Parzelle yyy vollständig hätte ausgewiesen werden müssen. Wenn die komplette Grenze eines Grundstücks unbekannt sei, müssten im Rahmen der Grenzfeststellung nach Art. 669 ZGB sämtliche Grenzen festgestellt werden. Es reiche nicht aus, wenn lediglich ein Teil der Grenze festgestellt werde. Da der Beschwerdegegner im Rahmen seiner Klage die vollständige Grenze nicht dargelegt habe, sei die Klage abzuweisen. Eventualiter sei es an der Vorinstanz bzw. der Erstinstanz gewesen, die Grundstücksgrenze der Parzelle yyy vollständig zu erfassen. Die in den Dispositiv-Ziffern 3 und 4 des erstinstanzlichen Entscheids angeordneten Massnahmen könnten grundbuchtechnisch gar nicht umgesetzt werden, denn damit der Nachführungsgeometer die für die Eintragung notwendigen Unterlagen erstellen könne und zudem das Grundbuchamt die Eintragung der fraglichen Parzellengrenze vornehmen könne, müsse die noch nicht im Grundbuchplan enthaltene Parzelle yyy vollständig erfasst werden. Eine einzelne Grenze eines nicht eingetragenen Grundstücks könne nicht eingetragen werden. Die Vorinstanz habe sich mit den diesbezüglich in der Berufung vorgebrachten Rügen nicht auseinandergesetzt, weshalb der angefochtene Entscheid die Anforderungen an die Begründung nicht erfülle. Ausserdem habe sie Art. 669 und Art. 950 ZGB sowie Art. 20 und Art. 21 GBV unrichtig angewendet.
3.2. Die Rügen der Beschwerdeführer erweisen sich als unbegründet:
3.2.1. Zunächst ist der Vorinstanz keine Verletzung der Begründungspflicht (Art. 29 BV; siehe zu den sich daraus ergebenden Anforderungen BGE 146 II 335 E. 5.1) vorzuwerfen, denn sie hat sich sehr wohl mit den von den Beschwerdeführern vorgebrachten Rügen auseinandergesetzt. So erwog sie, entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer sei es für die Vornahme der Grenzscheidung durch das Gericht nicht erforderlich, dass die Parzelle yyy vollständig ausgeschieden und vermessen werde, so dass diese neu im Grundbuch aufgenommen werden könne. Gegenstand der Grenzscheidungsklage bilde nicht die räumliche Ausdehnung eines dinglichen Rechts, sondern die Lage der Grenze selbst, also der Linie, welche die Rechte der Parteien voneinander abgrenze. Dass die Beschwerdeführer diese Rechtsauffassung als falsch erachten, hat nichts mit der Begründungspflicht zu tun.
3.2.2. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer erfordert die Gutheissung einer Grenzscheidungsklage sodann auch für den Fall, dass die Grundstücke noch nicht amtlich vermessen wurden bzw. die genaue Ausdehnung eines Grundstücks unbekannt ist, keine vollständige Erfassung des Grundstücks:
3.2.2.1. Gemäss Art. 669 ZGB ist jeder Grundeigentümer verpflichtet, auf das Begehren seines Nachbarn zur Feststellung einer ungewissen Grenze mitzuwirken, sei es bei Berichtigung der Grundbuchpläne oder bei Anbringung von Grenzzeichen. Diese Pflicht besteht unbesehen davon, ob die Grundstücke vermessen sind oder nicht (vgl. REY/STREBEL, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. II, 7. Aufl. 2023, N. 7 f. zu Art. 669 ZGB; MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, 1964, N. 16 zu Art. 669 ZGB).
3.2.2.2. Verweigert der Nachbar nicht nur die Mitwirkung in diesem Sinn, sondern bestreitet er überdies den vom Eigentümer behaupteten Grenzverlauf, steht diesem ein Grenzscheidungsanspruch zu, also der Anspruch auf Bestimmung der (ungewissen und umstrittenen) Grenzlinie durch richterliches Urteil (TSCHÜMPERLIN, Grenze und Grenzstreitigkeiten im Sachenrecht, 1984, S. 175). Dieser Anspruch wird mit der sogenannten Grenzscheidungsklage verwirklicht (Urteile 5A_726/2020 vom 25. Februar 2021 E. 3.1.3.1; 5A_769/2011 vom 2. März 2012 E. 3.1; REY/STREBEL, a.a.O., N. 11 zu Art. 669 ZGB).
3.2.2.3. Davon zu unterscheiden ist die aus Art. 641 ZGB abgeleitete Eigentumsfeststellungsklage: Während bei dieser die räumliche Ausdehnung des Eigentums nachgewiesen werden muss, woraus sich dann als Reflexwirkung die Lage der Grenze ergibt, erlaubt es die Grenzscheidungsklage, die Lage einer ungewissen Grenze durch richterliches Urteil festsetzen zu lassen (Urteil 5A_390/2017 vom 23. Mai 2018 E. 2.3.2). Bei der Grenzscheidungsklage geht es mit anderen Worten nur um die Lage bzw. Festlegung der Grenze als Linie zwischen zwei Grundstücken (MEIER-HAYOZ, a.a.O., N. 19 zu Art. 669 ZGB; TSCHÜMPERLIN, a.a.O., S. 177).
3.2.2.4. Da die Grenzscheidungsklage immer nur die Festlegung der Grenze zweier Grundstücke als Linie und nicht die räumliche Ausdehnung dieser Grundstücke zum Gegenstand hat (oben E. 3.2.2.3), trifft die Auffassung der Beschwerdeführer, wonach die Parzelle yyy, deren genaue Ausdehnung unklar ist, vollständig hätte ausgewiesen werden müssen, nicht zu. Zwischen den Verfahrensparteien einzig umstritten war die Grenze zwischen ihren beiden Parzellen, nämlich der Parzelle yyy der Beschwerdeführer und der Parzelle zzz des Beschwerdegegners. Genau diese Grenze wurde von den kantonalen Instanzen festgelegt und genau dafür steht die Grenzscheidungsklage zur Verfügung; für eine Festlegung der "übrigen" Grenzen bestand kein Raum.
3.2.3. Das Urteil über die Grenzscheidungsklage ist ein Gestaltungsurteil, das die Grenze direkt materiell begründet (TSCHÜMPERLIN, a.a.O., S. 186). Es ist also weder die Abgrenzung auf dem Gelände noch das Einzeichnen der Grenzen im Grundbuch Voraussetzung für den Eigentumserwerb (MEIER-HAYOZ, a.a.O., N. 27 zu Art. 669 ZGB). Aus diesem Grund zielen die Ausführungen der Beschwerdeführer, wonach die von der Erstinstanz getroffenen Vollzugsanordnungen technisch nicht umsetzbar seien, ins Leere. Selbst wenn dem so wäre, was vorliegend offenbleiben kann, hätte dies nämlich nicht die Abweisung der Klage oder die Pflicht der Vorinstanzen, die Parzelle yyy vollständig auszuweisen, zur Folge.
3.3. Der Vorinstanz ist folglich keine Bundesrechtsverletzung vorzuwerfen. Dass sie ihr Ermessen in Bezug auf die Festlegung der Grenze falsch ausgeübt hätte (zit. Urteil 5A_769/2011 E. 3.1), machen die Beschwerdeführer nicht geltend. Nachdem die kantonale Kostenregelung nicht eigenständig, sondern nur für den Fall des Obsiegens angefochten wird, erübrigen sich Weiterungen hierzu.
4.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens werden die Beschwerdeführer kosten- (Art. 66 Abs. 1 BGG), nicht jedoch entschädigungspflichtig ( Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG ), denn dem Beschwerdegegner ist kein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden. Die Beschwerdeführer haben die ihnen auferlegten Kosten zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen (Art. 66 Abs. 5 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Zivilkammer, mitgeteilt.
Lausanne, 25. Oktober 2024
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Herrmann
Die Gerichtsschreiberin: Lang