Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6A.49/2003 /pai
Urteil vom 25. November 2003
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen,
Gerichtsschreiber Borner.
Parteien
H.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Beat Hodler, Elfenstrasse 19, Postfach, 3000 Bern 16,
gegen
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer, Postfach 1226, 8021 Zürich.
Gegenstand
Entzug des Führerausweises,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 7. Mai 2003.
Sachverhalt:
A.
H.________ lenkte am 21. Oktober 2001 einen Personenwagen auf der Überholspur der Autobahn A1 in Brunegg Richtung Zürich. Dabei geriet das Fahrzeug ins Schleudern und kollidierte mit der Mittelleitplanke.
Das Bezirksamt Lenzburg büsste H.________ am 21. November 2001 in Anwendung von Art. 90 Ziff. 1 SVG wegen Nichtbeherrschens des Fahrzeugs infolge Nichtanpassens der Geschwindigkeit an die besonderen Strassenverhältnisse (Regen, Nässe, Aquaplaning) mit Fr. 300.-. Dieser Strafbefehl erwuchs in Rechtskraft.
B.
Das Strassenverkehrsamt der Direktion für Soziales und Sicherheit des Kantons Zürich (DSS) entzog H.________ am 10. Januar 2002 den Führerausweis für die Dauer eines Monats.
Einen Rekurs der Betroffenen gegen diese Verfügung wies der Regierungsrat des Kantons Zürich am 13. November 2002 ab.
Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich am 7. Mai 2003 ab, soweit es darauf eintrat.
C.
H.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts wie auch die Verfügung der DSS seien aufzuheben, und das Strassenverkehrsamt sei anzuweisen, anstelle eines Führerausweisentzugs eine Verwarnung auszusprechen.
Das Verwaltungsgericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei (act. 6).
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach Art. 24 Abs. 2 SVG können letztinstanzliche kantonale Entscheide über Führerausweisentzüge mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht angefochten werden.
Mit diesem Rechtsmittel kann die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich der Überschreitung oder des Missbrauchs des Ermessens, gerügt sowie eine unrichtige und unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts geltend gemacht werden ( Art. 104 lit. a und b OG ). Nicht überprüfen kann das Bundesgericht grundsätzlich die Angemessenheit des angefochtenen Entscheides (Art. 104 lit. c OG). Gemäss Art. 105 Abs. 2 OG ist das Bundesgericht an die Feststellung des Sachverhalts gebunden, wenn eine richterliche Behörde als Vorinstanz den Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt hat.
Ist die Sachverhaltsüberprüfung durch das Bundesgericht in diesem Sinne eingeschränkt, sind nur solche neuen Beweismittel zugelassen, welche die Vorinstanz von Amtes wegen hätte erheben müssen und deren Nichterhebung eine Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften darstellt (Karlen, in: Geiser/Münch, Prozessieren vor Bundesgericht, N 3.67 f. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).
Im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann auch die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden, da zum Bundesrecht im Sinne von Art. 104 OG auch die Bundesverfassung gehört (BGE 122 IV 8 E. 2a). Für diesen Fall übernimmt die Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Funktion der staatsrechtlichen Beschwerde. Nach welcher Bestimmung sich in diesem Fall die Anforderungen an die Beschwerdebegründung richten, wird in der Praxis unterschiedlich beantwortet. Nach BGE 123 II 359 E. 6 b/bb gelten für die Begründung der Verfassungsrügen die Anforderungen von Art. 108 Abs. 2 und 3 OG ; gemäss BGE 122 IV 8 E. 2a ist die Bestimmung von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG anwendbar (ebenso nicht publizierte E.1.2 von BGE 128 II 282, 6A.29/2002). Wie es sich damit im Einzelnen verhält, kann hier offen bleiben, da die Beschwerdebegründung jedenfalls auch den strengeren Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügt.
1.1 Die Beschwerdeführerin beantragt unter anderem, die Verfügung der DSS sei aufzuheben. Anfechtungsgegenstand der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist ausschliesslich der letztinstanzliche kantonale Entscheid. Da der Verfügung der DSS diese Eigenschaft abgeht, ist auf das Rechtsbegehren der Beschwerdeführerin nicht einzutreten.
1.2 Die Beschwerdeführerin hat als neues Beweismittel einen Bericht der MeteoSchweiz vom 27. Juni 2003 eingereicht. Dieses Beweismittel soll belegen, dass sich die Strassenverhältnisse am Unfallort offensichtlich innert kürzester Zeit wesentlich und für die Beschwerdeführerin nicht voraussehbar verändert hätten.
Wie bereits erwähnt (E. 1 Abs. 3), ist im vorliegenden Verfahren das Einreichen neuer Beweismittel nur zulässig, wenn die Vorinstanz diese von Amtes wegen hätte erheben müssen und deren Nichterhebung eine Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften darstellt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, wie sich aus den nachstehenden Erwägungen (E. 2) ergibt. Der von der Beschwerdeführerin eingereichte Bericht der MeteoSchweiz vom 27. Juni 2003 hat daher im bundesgerichtlichen Verfahren ausser Betracht zu bleiben.
2.
Die Beschwerdeführerin wendet sich in erster Linie gegen die Ermittlung des Sachverhalts im kantonalen Verfahren. Die Erwägungen zur Bindewirkung des Strafbescheides im Verwaltungsverfahren seien widersprüchlich. Die Hinweise der Beschwerdeführerin auf die besonderen Witterungsverhältnisse seien unbeachtet geblieben, und auf den Antrag, es sei bei der MeteoSchweiz ein Gutachten über die Witterungsverhältnisse einzuholen, sei die Vorinstanz überhaupt nicht eingetreten.
2.1 Bei der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse zieht die Vorinstanz die Aussagen der Beschwerdeführerin gegenüber der Polizei unmittelbar im Anschluss an das Unfallereignis zu Rate, die Angaben der Polizisten zu den Witterungsbedingungen, die Einwendungen der Beschwerdeführerin im kantonalen Administrativverfahren sowie den Bericht der Staatskanzlei betreffend die Signalisation und den Strassenzustand des fraglichen Streckenabschnitts.
Die Vorinstanz hat ihren Entscheid somit nicht nur auf die (knappen) tatsächlichen Feststellungen (Schleuderunfall bei Regen, Nässe, Aquaplaning) des Strafrichters abgestützt, sondern sich mit dem Polizeirapport und weiteren Abklärungen der Administrativbehörden sowie den Einwänden der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt. Unter diesen Umständen war die Vorinstanz weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht an das Strafurteil gebunden, weil sie Tatsachen feststellte und ihrem Entscheid zugrunde legte, die dem Strafrichter unbekannt waren, bzw. weil sie den Sachverhalt genauer abgeklärt hat als der Strafrichter (BGE 109 Ib 158 E. 3c/aa/bb).
Die allgemeinen Ausführungen der Vorinstanz zur Frage der Bindung der Verwaltungsbehörden an das Urteil des Strafrichters entsprechen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und sind nicht zu beanstanden. Zumindest missverständlich ist hingegen die vorinstanzliche Annahme, der Schluss auf eine schwere Gefährdung des Verkehrs im Sinne von Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG sei unzulässig, weil der Strafrichter die Beschwerdeführerin nicht wegen grober Verkehrsregelverletzung schuldig gesprochen hat. Eine solche Schlussfolgerung würde voraussetzen, dass die Verwaltungsbehörde an das Strafurteil gebunden ist, was vorliegend gerade nicht zutrifft (siehe vorstehenden Absatz). In der Folge relativiert die Vorinstanz aber ihre Annahme, indem sie eine rechtliche Bindung an das Strafurteil zunächst offen lässt und anschliessend eine solche zu Recht verneint. Damit hat es sein Bewenden, zumal die Beschwerdeführerin nicht einmal durch die missverständliche Formulierung beschwert ist.
2.2 Im Zusammenhang mit den Wetterverhältnissen gibt die Vorinstanz zunächst die Aussagen der Beschwerdeführerin wieder, die sie unmittelbar im Anschluss an den Unfall gegenüber der Polizei machte. Danach fuhr sie mit einer Geschwindigkeit von max. 130 km/h auf dem Überholstreifen bei leichtem Regen Richtung Zürich, als sie plötzlich in eine Wasserlache geriet, worauf ihr Wagen drehte und in die Leitplanke schleuderte. Die Polizei ergänzte die Darstellung der Beschwerdeführerin mit einem Hinweis auf "Regen" und "nassen" Strassenzustand. Im kantonalen Verfahren machte die Beschwerdeführerin geltend, es dürfe nicht von mehr als leichtem Regen und entsprechendem Strassenzustand ausgegangen werden. Das Verkehrsaufkommen sei mässig gewesen. Zur weiteren Abklärung des Sachverhalts stützt sich die Vorinstanz auf den Bericht der Staatskanzlei vom 1. Juni 2002. Danach ist der Fahrbahnzustand von Lenzburg bis Brunegg wiederholt mit dem Signal 1.06 (unebene Fahrbahn; Art. 6 SSV) und der Zusatztafel "Belagsschäden" signalisiert. Selbst die Beschwerdeführerin bezeichnete den schlechten Zustand der Fahrbahnen im Kanton Aargau als gerichtsnotorisch. Der Bericht weist zudem ab Einfahrt Lenzburg auf die Sanierungsbedürftigkeit des Strassenbelags "insbesondere" auf der Normalspur hin. Auf der Überholspur wurden am Unfallort keine deutlichen Dellen oder Schlaglöcher festgestellt.
Gestützt auf diese Aktenstellen kommt die Vorinstanz zum Schluss, dass es im Zeitpunkt des Selbstunfalls zumindest leicht regnete, weshalb sich die Einholung eines meteorologischen Gutachtens erübrige. Die Beschwerdeführerin sei nach ihren eigenen Angaben in eine Wasserlache geraten, worauf sie die Kontrolle über das Fahrzeug verloren habe. Die Wasserlache müsse auf heftigen Regen unmittelbar vor dem fraglichen Ereignis zurückgeführt werden, und es frage sich, ob der Beschwerdeführerin ein lokales Unwetter, zumal bei Tageslicht, wirklich habe entgehen können. Von einem überraschenden Hindernis könne bei einer Wasserlache unter solchen Umständen nicht die Rede sein; vielmehr sei eine solche Gefahrenquelle voraussehbar.
Aus dieser Begründung geht einerseits hervor, dass sich die Vorinstanz mit den Einwänden der Beschwerdeführerin auseinandersetzte, auch wenn sie deren Auffassung nicht teilt. Insbesondere aus den Tatsachen, dass es im Unfallzeitpunkt zumindest leicht regnete, die Fahrbahn nass war und Belagsschäden aufwies, die bei Regen unweigerlich zur Bildung von Wasserlachen führen können, und angesichts der mehrfachen Signalisation der Belagsschäden, durfte die Vorinstanz schliessen, dass das Auftreten von Wasserlachen auf der fraglichen Strecke für die Beschwerdeführerin voraussehbar war. Inwiefern dieser Schluss offensichtlich unrichtig sein sollte, vermag die Beschwerdeführerin nicht aufzuzeigen. Aus der Begründung der Vorinstanz geht anderseits hervor, dass von einem meteorologischen Gutachten keine weitere Aufklärung des Sachverhalts erwartet werden konnte. Selbst wenn ein solches Gutachten zum Schluss gelangte, es habe im Unfallzeitpunkt nicht geregnet, stünden dieser Folgerung die vor Ort wahrgenommenen diametralen Aussagen der Beschwerdeführerin und der Polizei gegenüber. Unter diesen Umständen durfte die Vorinstanz in antizipierter Beweiswürdigung annehmen, ein meteorologisches Gutachten würde das Beweisergebnis nicht ändern, und den Beweisantrag der Beschwerdeführerin ablehnen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor.
3.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, ihr könne höchstens ein leichtes Verschulden vorgeworfen werden. Sie habe den Unfall weder durch übersetzte Geschwindigkeit noch einen unvorsichtigen Fahrspurwechsel oder ein abruptes Bremsmanöver ausgelöst. Sie habe lediglich beim Auftreten des Aquaplanings fahrtechnisch nicht richtig reagiert.
Mit dieser Argumentation lenkt die Beschwerdeführerin von den wesentlichen Umständen ab. Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, musste die Beschwerdeführerin angesichts der konkreten Gegebenheiten (zumindest leichter Regen, nasse Fahrbahn, wiederholte Signalisation: unebene Fahrbahn "Belagsschäden") damit rechnen, dass sich auf der Strasse Wasserlachen bildeten. Entsprechend hätte sie ihre Geschwindigkeit an die Strassen- und Witterungsverhältnisse anpassen müssen. Wenn die Vorinstanz unter diesen Bedingungen das Ausfahren der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen bei günstigen Verhältnissen (Art. 4a Abs. 1 lit. d VRV) als nicht mehr leichtes Verschulden beurteilt, verletzt sie kein Bundesrecht.
Die Beschwerdeführerin macht unter Hinweis auf BGE 126 II 202 geltend, dem guten automobilistischen Leumund komme bei der Anerkennung eines leichten Falls besonderes Gewicht zu. In jenem Entscheid wurde lediglich die Frage aufgeworfen, ob de lege ferenda die Möglichkeit eingeführt werden sollte, auch bei einem mittelschweren Verschulden einen leichten Fall annehmen zu können, wenn der automobilistische Leumund gut ist. Diese Frage wurde in der Zwischenzeit vom Gesetzgeber negativ beantwortet (BGE 128 II 282). Zum Vergleich mit BGE 127 II 302 hat sich die Vorinstanz bereits geäussert. Darauf kann verwiesen werden. Auch der Vergleich mit BGE 125 II 561 hinkt, weil den dort beurteilten Lastwagenchauffeur im Gegensatz zur Beschwerdeführerin lediglich ein leichtes Verschulden traf.
4.
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet, soweit darauf einzutreten ist.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG).
Mit dem Entscheid in der Sache ist das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich sowie dem Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 25. November 2003
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: