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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_1056/2024  
 
 
Urteil vom 25. November 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Hurni, Kölz, 
Gerichtsschreiberin Kern. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Bruno Habegger, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
vorzeitiger Strafvollzug; Hafturlaub, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts des Kantons Bern, 2. Strafkammer, Präsident i.V., vom 5. September 2024 (SK 24 173 IHJ). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Urteil vom 1. Dezember 2023 sprach das Regionalgericht Bern-Mittelland A.________ des gewerbsmässigen Menschenhandels, der mehrfachen Förderung der Prostitution, der Vergewaltigung sowie weiterer Delikte schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren, zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu Fr. 10.-- und zu einer Landesverweisung von 14 Jahren. Derzeit ist das Berufungsverfahren vor der 2. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern hängig. Der Beschuldigte befindet sich seit dem 3. Dezember 2020 in Untersuchungs- respektive Sicherheitshaft. Mit Beschluss vom 15. Februar 2024 bewilligte die Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Bern auf Beschwerde von A.________ den vorzeitigen Strafvollzug im Sinne von Art. 236 StPO
 
B.  
Mit Schreiben an das Amt für Justizvollzug des Kantons Bern, Bewährungs- und Vollzugsdienste, vom 30. Juli 2024 stellte A.________ ein Gesuch um Gewährung von Sachurlaub zwecks Erneuerung der Ausweisdokumente. Er begründete das Gesuch damit, seine Ausweisdokumente seien abgelaufen. Er plane zu heiraten, und aus diesem Grund benötige er gültige Ausweisdokumente. Um diese zu erhalten, müsse er sich auf die bulgarische Botschaft begeben. Mit Verfügung vom 5. September 2024 wies das Obergericht, 2. Strafkammer, der das Gesuch als Verfahrensleitung zuständigkeitshalber überwiesen worden war, dieses ab. 
 
C.  
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 1. Oktober 2024, die Verfügung des Obergerichts sei aufzuheben und sein Antrag auf begleiteten Sachurlaub sei gutzuheissen. Eventualiter sei die Angelegenheit zur erneuten Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausserdem ersucht er um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren. 
Es wurden die kantonalen Verfahrensakten, aber keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Gegen den angefochtenen letztinstanzlichen Entscheid in einer strafrechtlichen Angelegenheit ist die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht nach Art. 78, Art. 80 und Art. 90-94 BGG zulässig. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
2.  
Mit Beschwerde in Strafsachen können Rechtsverletzungen nach Art. 95 und 96 BGG gerügt werden. 
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 148 V 366 E. 3.3; 148 IV 409 E. 2.2; 147 IV 73 E. 4.1.2; je mit Hinweisen). Die Willkürrüge muss nach Art. 106 Abs. 2 BGG anhand des angefochtenen Entscheids präzise vorgebracht und substanziiert begründet werden, andernfalls darauf nicht eingetreten wird (BGE 148 IV 39 E. 2.3.5 mit Hinweisen). 
 
3.  
Der Beschwerdeführer rügt, die Verweigerung des Hafturlaubs beruhe auf einer offensichtlich unrichtigen Feststellung des Sachverhalts und einer unrichtigen und willkürlichen Anwendung von Bundes- und Verfassungsrecht (Art. 12 EMRK, Art. 54 [recte: 14] BV, Art. 74 und Art. 84 Abs. 6 StGB). 
 
3.1. Die Vorinstanz begründet ihren Entscheid mit der vom Beschwerdeführer ausgehenden Fluchtgefahr. Sie erwägt im Einzelnen, das Regionalgericht habe mit Beschluss vom 1. Dezember 2023 die Sicherheitshaft des Beschwerdeführers angeordnet. Zur Begründung der Fluchtgefahr habe es ausgeführt, der Beschwerdeführer habe enge familiäre und soziale Bindungen zu seinem Heimatland. Die Ausgangslage sei bekannt und es könne auf die Ausführungen in den bisher ergangenen Entscheiden hingewiesen werden. Der Beschwerdeführer habe sich bis zu seiner Verhaftung grundsätzlich jedes Jahr in Bulgarien aufgehalten. Mit Blick auf die nunmehr ausgesprochene hohe Freiheitsstrafe sei der Anreiz, sich durch Flucht oder Untertauchen dem Vollzug der restlichen Freiheitsstrafe und auch der angeordneten langjährigen Landesverweisung zu entziehen, evident. Die für die Beurteilung der Fluchtgefahr relevanten Umstände hätten sich nicht geändert. Es stünden keine geeigneten Ersatzmassnahmen zur Verfügung.  
Diese Ausführungen - so wiederum die Vorinstanz - behielten nach wie vor ihre Gültigkeit. Daran ändere nichts, dass die Beschwerdekammer die Verfügung des Regionalgerichts vom 13. Dezember 2023 betreffend Abweisung des vorzeitigen Strafantritts aufgehoben und den Antrag auf Bewilligung des vorzeitigen Strafantritts gutgeheissen habe. Die Fluchtgefahr sei nicht Thema des Beschlusses gewesen, sondern "nur" die Kollusionsgefahr. Auf die Fluchtgefahr sei sodann vom Regionalgericht mit Schreiben vom 22. Februar 2024 an die Bewährungs- und Vollzugsdienste explizit hingewiesen worden und es sei auf ein geschlossenes Vollzugsregime festgelegt worden. Zu den Ausführungen des Regionalgerichts betreffend enge familiäre und soziale Bindungen zu seinem Heimatland komme nun noch hinzu, dass der Beschwerdeführer gemäss Schreiben seines Verteidigers vom 23. August 2024 offenbar eine bulgarische Staatsangehörige heiraten wolle, welche in den nächsten Monaten in die Schweiz reisen wolle, um den Beschwerdeführer zu besuchen. Sie lebe somit offensichtlich nicht in der Schweiz. Die hohe Fluchtgefahr werde somit noch zusätzlich untermauert. Ebenso sei darauf hinzuweisen, dass dem Beschwerdeführer durch die selbständige Berufung und Anschlussberufung der Generalstaatsanwaltschaft grundsätzlich eine noch längere Freiheitsstrafe und längere Landesverweisung drohe. Dies sei zu berücksichtigen, selbst wenn festzuhalten bleibe, dass der Beschwerdeführer mit einer Ausnahme sämtliche Schuldsprüche und folglich auch die ausgesprochene Sanktion angefochten habe. Die Fluchtgefahr - so der Schluss der Vorinstanz - bestehe somit weiterhin und könnte bei einem Besuch der bulgarischen Botschaft auch nicht hinreichend reduziert werden. 
Zudem merkt die Vorinstanz an, die Bewährungs- und Vollzugsdienste führten in ihrem Schreiben vom 13. August 2024in fine aus, mangels konkreter Angaben im Urlaubsgesuch, z.B. wann die Hochzeit geplant sei und wen der Beschwerdeführer heiraten wolle, sei fraglich, ob die Voraussetzungen für die Gewährung eines Sachurlaubes erfüllt seien. Dem Schreiben der Verteidigung des Beschwerdeführers vom 23. August 2024 sei zwar zu entnehmen, dass er B.________ heiraten wolle und dem Schreiben sei eine Kopie ihres Passes beigelegt. Dies alleine ändere aber nichts an der Einschätzung der Bewährungs- und Vollzugsdienste. Es sei immerhin darauf hinzuweisen, dass den Akten nichts von einer B.________ zu entnehmen sei. Der Beschwerdeführer sei im Zeitpunkt der Verhaftung noch mit der Straf- und Zivilklägerin 1 verheiratet gewesen, anlässlich der vorinstanzlichen Einvernahme habe er bei der Frage nach seinen Zukunftsplänen nichts von B.________ gesagt und beispielhaft sei auch erwähnt, dass der Beschwerdeführer am 21. Dezember 2023 beim Regionalgericht einen Antrag um Bewilligung von Telefongesprächen mit sechs Personen gestellt habe, wobei keine davon B.________ gewesen sei. 
 
3.2. Was der Beschwerdeführer gegen diese Beurteilung vorbringt, vermag weder Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung noch eine bundesrechtswidrige Anwendung der Voraussetzungen für die Gewährung des Hafturlaubs belegen. Dass die Vorinstanz in tatsächlicher Hinsicht von einer hohen Fluchtgefahr ausgeht, ist angesichts der festgestellten Umstände nicht willkürlich, sondern im Gegenteil nachvollziehbar und überzeugend. Daran ändert unter Berücksichtigung der drohenden Freiheitsstrafe und Landesverweisung nichts, dass sich der Beschwerdeführer bereits seit bald vier Jahren in strafprozessualer Haft befindet.  
Willkürfrei ist sodann auch die Feststellung, dass der bestehenden Fluchtgefahr bei einem Besuch in der bulgarischen Botschaft nicht wirksam begegnet werden könnte: Der hier massgebende Art. 84 Abs. 6 StGB (siehe Art. 236 Abs. 4 StPO; Urteil 1B_142/2023, 1B_162/2023 vom 19. April 2023 E. 3.4 mit Hinweis) sieht vor, dass der gefangenen Person zur Pflege der Beziehungen zur Aussenwelt, zur Vorbereitung ihrer Entlassung oder aus besonderen Gründen in angemessenem Umfang Urlaub zu gewähren ist, soweit ihr Verhalten im Strafvollzug dem nicht entgegensteht und keine Gefahr besteht, dass sie flieht oder weitere Straftaten begeht. Im vorliegenden Fall ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz gestützt auf diese Bestimmung entscheidet, dem Beschwerdeführer könne angesichts der Fluchtgefahr kein Hafturlaub gewährt werden (vgl. Urteil 1B_106/2023 vom 16. März 2023 E. 5.1 mit Hinweisen). Die damit einhergehende Grundrechtseinschränkung ist unter den gegebenen Umständen sowohl gesetzes- als auch verfassungskonform (siehe Art. 36 BV). Die vom Beschwerdeführer gerügten Rechtsverletzungen liegen nicht vor. 
 
4.  
Die Beschwerde ist unbegründet und abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Seiner finanziellen Lage ist bei der Bemessung der Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Bern, 2. Strafkammer, Präsident i.V., und den Bewährungs- und Vollzugsdiensten schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 25. November 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kern