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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.879/2005 /ggs 
 
Urteil vom 26. Januar 2006 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Nay, Aeschlimann, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch 
Advokat Erik Wassmer, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Bahnhofplatz 3A, 4410 Liestal, 
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, Bahnhofplatz 16, 4410 Liestal. 
 
Gegenstand 
Haftverlängerung, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Präsidialverfügung des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, vom 30. November 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft verurteilte X.________ am 3. November 2005 wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz unter Anrechnung von 69 Tagen erstandener Untersuchungshaft zu 4 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Landesverweisung unbedingt. Im Anschluss an die Hauptverhandlung wurde X.________ mit bis zum 1. Dezember 2005 befristetem Haftbefehl wegen Fluchtgefahr in Sicherheitshaft genommen. X.________ hat gegen seine Verurteilung appelliert. 
 
Mit Eingabe vom 21. November 2005 ans Kantonsgericht Basel-Landschaft beantragte die Staatsanwaltschaft, die Sicherheitshaft gegen X.________ bis zur zweitinstanzlichen Hauptverhandlung bzw. um maximal sechs Monate zu verlängern. X.________ beantragte, er sei unter Anordnung von Ersatzmassnahmen aus der Haft zu entlassen. 
 
Mit Verfügung vom 30. November 2005 verlängerte der Präsident der Abteilung Zivil- und Strafrecht des Kantonsgerichts u.a. die Sicherheitshaft gegen X.________ am 30. November 2005 bis zur zweitinstanzlichen Hauptverhandlung, längstens jedoch um 6 Monate bis zum 1. Juni 2006 (Dispositiv-Ziff. 2). 
B. 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 28. Dezember 2005 wegen Verletzung von Art. 10 Abs. 2, Art. 31 Abs. 1, Art. 36 Abs. 3, Art. 29 Abs. 2 und Art. 8 BV beantragt X.________, Dispositiv-Ziff. 2 dieser Verfügung aufzuheben und ihn unverzüglich aus der Sicherheitshaft zu entlassen. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf Vernehmlassung. Das Kantonsgericht beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. 
 
In seiner Replik hält X.________ an der Beschwerde fest. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Die angefochtene Präsidialverfügung ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist (Art. 86 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung verfassungsmässiger Rechte, wozu er befugt ist (Art. 88 OG). Da diese und die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde, unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b,) einzutreten. Soweit im Folgenden auf Ausführungen in der Beschwerdeschrift nicht eingegangen wird, genügen sie den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung einer staatsrechtlichen Beschwerde nicht, was etwa für die Berufung auf Art. 8 BV zutrifft. 
1.2 Mit einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Aufrechterhaltung von Untersuchungs- oder Sicherheitshaft kann, ausser der Aufhebung des angefochtenen Entscheids, auch die sofortige Entlassung aus der Haft verlangt werden (BGE 115 Ia 293 E. 1a). Der entsprechende Antrag des Beschwerdeführers ist daher zulässig. 
1.3 Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit gegen die Aufrechterhaltung von Haft erhoben werden, prüft das Bundesgericht die Auslegung und die Anwendung des kantonalen Rechts grundsätzlich frei (BGE 117 Ia 72 E. 1; 114 Ia 281 E. 3). 
2. 
2.1 Der Beschwerdeführer wirft dem Präsidenten der Abteilung Zivil- und Strafrecht des Kantonsgerichts vor, seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt zu haben, indem er sich im angefochtenen Entscheid für eine Haftverlängerung entschieden habe, ohne nachvollziehbar zu begründen, weshalb er anders entscheide als die Ermittlungsbehörden vor dem erstinstanzlichen Urteil, welche ihn aus der Untersuchungshaft entlassen hätten. 
2.2 Aus dem aus Art. 29 Abs. 2 BV abgeleiteten Anspruch auf rechtliches Gehör ergibt sich für den Richter die Pflicht, seinen Entscheid zu begründen. Er muss wenigstens kurz die wesentlichen Überlegungen darlegen, von denen er sich dabei hat leiten lassen, sodass der Betroffene den Entscheid in voller Kenntnis der Sache anfechten kann. Dabei muss sich der Richter nicht mit allen tatsächlichen Behauptungen und rechtlichen Einwänden auseinandersetzen. Er kann sich vielmehr auf die für seinen Entscheid erheblichen Gesichtspunkte beschränken (BGE 126 I 97 E. 2b; 123 I 31 E. 2c; 122 IV 8 E. 2c; 121 I 54 E. 2c je mit Hinweisen). 
2.3 Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, dem angefochtenen Entscheid fehle eine Begründung, sondern behauptet vielmehr, diese sei nicht nachvollziehbar. Ob eine Urteilsbegründung fehlerhaft ist oder nicht, ist indessen eine Frage der materiellen Beurteilung, nicht des rechtlichen Gehörs. Legt ein Richter, was vorliegend ohne weiteres der Fall ist, in der Urteilsbegründung die für den Entscheid erheblichen Überlegungen dar, so hat er damit seiner verfassungsmässigen Begründungspflicht Genüge getan, gleichgültig darum, ob diese haltbar sind oder nicht. Die Gehörsverweigerungsrüge ist offensichtlich unbegründet. 
3. 
Unbestritten und durch die erstinstanzliche Verurteilung ausgewiesen ist, dass der Beschwerdeführer der ihm vorgeworfenen Verbrechen dringend verdächtig ist. Strittig ist nur, ob Fluchtgefahr bestehe und ob diese nicht durch weniger einschneidende Massnahmen als die Verhängung von Sicherheitshaft gebannt werden könnte. 
3.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts genügt die Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe für sich allein nicht für die Annahme von Fluchtgefahr. Eine solche darf nicht schon angenommen werden, wenn die Möglichkeit der Flucht in abstrakter Weise besteht. Vielmehr müssen konkrete Gründe dargetan werden, die eine Flucht nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe kann immer nur neben anderen, eine Flucht begünstigenden Tatsachen herangezogen werden (BGE 125 I 60 E. 2a; 117 Ia 69 E. 4a; 108 Ia 64 E. 3; 107 Ia 3 E. 6). 
3.2 Der Präsident der Abteilung Zivil- und Strafrecht des Kantonsgerichts hat im angefochtenen Entscheid erwogen, der Beschwerdeführer sei in der Schweiz schlecht integriert. Er sei zwar 1992 im Alter von 17 Jahren in die Schweiz gekommen, wo er bei seinem Vater gelebt habe. Die Mutter sei in der Türkei geblieben und nach den Angaben der Verteidigung am 23. Juli 2005 in die Schweiz gekommen. Er behaupte zwar, verschiedene enge Verwandte hielten sich in der Schweiz auf; aus den zum Beleg in Kopie eingereichten Ausländerausweisen gehe indessen nicht hervor, in welchem Verwandtschaftsverhältnis diese Personen zum Beschwerdeführer stünden und ob er überhaupt engeren Kontakt mit diesen pflege. Der Vater habe eine bis Mai 2008 befristete Niederlassungsbewilligung, sei jedoch offensichtlich eng mit seinem Heimatland verbunden und halte sich immer wieder während Monaten dort auf. Die Mutter, der Bruder und auch die Ehefrau des Beschwerdeführers seien erst vor kurzem in die Schweiz gekommen und damit stärker mit dem Heimatland als der Schweiz verbunden. Der Beschwerdeführer habe in der Schweiz zwar immer wieder gearbeitet, wobei es sich mit Ausnahme einer über zweijährigen Anstellung immer um kurze Arbeitsverhältnisse respektive temporäre Einsätze gehandelt habe. Seit dem September 2002 sei er arbeitslos, und seine Angabe, wonach er im Kanton Jura eine 75%-Stelle in Aussicht habe, sei nicht belegt. Er sei damit weder privat noch beruflich mit der Schweiz verbunden. Dazu komme, dass er hier Schulden habe. Damit lägen ausreichende konkrete Gründe für die Annahme von Fluchtgefahr vor. Diese könne durch mildere Massnahmen als Sicherheitshaft - etwa Schriftensperre oder Hinterlegung einer Kaution - nicht gebannt werden. Daran ändere nichts, dass er nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft nicht geflohen sei; mit seiner erstinstanzlichen Verurteilung zu einer vierjährigen Zuchthausstrafe habe sich die Situation erheblich verändert. 
3.3 Der Beschwerdeführer konnte nach seinen eigenen Angaben zur Person wegen seiner mangelnden Sprachkenntnisse keine Berufslehre machen; ein Arbeitgeber habe ihm eine Lehrstelle in Aussicht gestellt für den Fall, dass sich seine Deutschkenntnisse verbessern würden, was aber nicht geklappt habe. Der deutschen Sprache ist der Beschwerdeführer nach über 10-jähriger Anwesenheit in der Schweiz immer noch nicht mächtig, er musste mit Hilfe einer Dolmetscherin auf türkisch einvernommen werden. Es ist nicht ersichtlich, dass er sich je bemüht hätte, Deutsch zu lernen, um eine Lehre absolvieren zu können oder wenigstens eine feste Anstellung als ungelernter Arbeiter zu finden. Es lässt sich daher nicht im Ernst behaupten, er sei beruflich in der Schweiz fest etabliert oder versuche wenigstens ernsthaft, sich in die schweizerische Arbeitswelt zu integrieren. Hinweise dafür, dass er in der Schweiz privat nähere Beziehungen ausserhalb seiner türkischen Verwandtschaft pflegt, sind nicht ersichtlich. 
 
Der angefochtene Entscheid geht daher zu Recht davon aus, dass der Beschwerdeführer sowohl beruflich als auch privat schlecht integriert ist. Unter diesen Umständen besteht die konkrete Gefahr, dass er in Freiheit versucht sein könnte, sich der drohenden langjährigen Freiheitsstrafe durch eine Flucht in die Türkei zu entziehen, in der er aufgewachsen ist und zu der er immer noch enge Bindungen hat; so hat er z.B. kürzlich eine in der Türkei aufgewachsene und dort lebende Türkin geheiratet. Dies umso mehr, als er, sollte er mit seiner Berufung keinen Erfolg haben, ohnehin nicht damit rechnen kann, weiterhin in der Schweiz verbleiben zu können. Dass ihm erst mit der erstinstanzlichen Verurteilung der Ernst seiner Lage bewusst wurde, während er vorher auf einen Freispruch oder eine viel tiefere Strafe hoffen konnte und deshalb keinen Anlass zur Flucht sah, erscheint nahe liegend. Im angefochtenen Entscheid wurde daher zutreffend angenommen, es bestehe Fluchtgefahr. Ebenso wenig ist die Auffassung des Präsidenten der Abteilung Zivil- und Strafrecht verfassungsrechtlich zu beanstanden, dass diese nur durch Sicherheitshaft und nicht durch andere, weniger weit gehende Ersatzmassnahmen wie etwa eine Schriftensperre oder eine Kaution wirksam gebannt werden kann. Es wäre für den Beschwerdeführer offensichtlich nicht schwierig, die Schweiz etwa ohne Papiere zu verlassen, wovon ihn auch eine Kaution nicht zuverlässig abhalten könnte. Nicht ersichtlich ist, inwiefern ihn der in seiner Replik nochmals hervorgehobene Umstand von einer Flucht abhalten könnte, dass ein Teil seiner engsten Verwandtschaft offenbar seit längerem in der Schweiz lebt. Die Fortsetzung der Sicherheitshaft hält damit vor der Verfassung stand. 
4. 
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer an sich kostenpflichtig (Art. 156 OG). Er hat indessen ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches gutzuheissen ist, da die Mittellosigkeit des Beschwerdeführers ausgewiesen scheint und die Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war (Art. 152 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen: 
2.1 Es werden keine Kosten erhoben. 
2.2 Advokat Erik Wassmer, wird für das bundesgerichtliche Verfahren als amtlicher Verteidiger eingesetzt und mit Fr. 1'500.-- aus der Bundesgerichtskasse entschädigt. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 26. Januar 2006 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: