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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_9/2007 
 
Urteil vom 26. Februar 2008 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterinnen Widmer, Leuzinger, 
Gerichtsschreiber Flückiger. 
 
Parteien 
L.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas Willi, Sonnenplatz 1, 6020 Emmenbrücke, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 5. Januar 2007. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Verfügung vom 16. März 2005 lehnte es die IV-Stelle Luzern ab, L.________ eine Rente auszurichten. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 31. Oktober 2005 fest. 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern ab (Entscheid vom 5. Januar 2007). Im Verlauf des Rechtsmittelverfahrens liess der Versicherte Angaben und Belege zu seinem in den Jahren 1993 bis 2005 erzielten Erwerbseinkommen einreichen. 
C. 
L.________ lässt Beschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, es sei ihm ab Juni 1998, eventuell ab Januar 2002 mindestens eine Viertelsrente zuzusprechen; eventuell sei die Sache an die Vorinstanz oder an die IV-Stelle zur ergänzenden Abklärung und Neubeurteilung zurückzuweisen. 
 
Die IV-Stelle stellt den Antrag, es sei auf die Anträge des Beschwerdeführers nicht einzutreten, eventuell seien sie abzuweisen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
2. 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über das intertemporale Recht (BGE 130 V 445 ff. E. 1.2.2 S. 447; Urteil I 672/04 vom 13. Januar 2005, E. 1.2) sowie die Begriffe der Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG), der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) und der Invalidität (Art. 8 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG), welche inhaltlich mit der früheren Regelung übereinstimmen (BGE 130 V 343 ff.), zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Richtig sind auch die vorinstanzlichen Erwägungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG in der bis Ende 2003 und in der seit Anfang 2004 geltenden Fassung), zur Invaliditätsbemessung bei erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 16 ATSG, seit 1. Januar 2004 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 IVG) sowie zur Aufgabe des Arztes oder der Ärztin im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 256 E. 4 S. 261, 115 V 133 E. 2 S. 134, 114 V 310 E. 3c S. 314, 105 V 156 E. 1 S. 158). 
3. 
In tatsächlicher Hinsicht hat das kantonale Gericht insbesondere die folgenden Feststellungen getroffen: 
3.1 
3.1.1 Der Versicherte leidet seit 1990 an Rückenproblemen, welche damals operativ behandelt wurden (Diskushernienoperation). Den ursprünglichen Beruf als Koch konnte er wegen seiner Beschwerden nicht mehr ausüben, weshalb er fortan teilzeitlich als Discjockey (DJ) erwerbstätig war. Die IV-Stelle lehnte ein erstes Leistungsgesuch mit Verfügung vom 11. Juli 1991 ab. 
3.1.2 Am 18. Juli 1997 meldete sich der Versicherte erneut zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle stellte ihm mit Vorbescheid vom 2. Juli 1998 die Verweigerung jeglicher Leistungen in Aussicht, weil die bisherige Tätigkeit weiterhin zumutbar sei und zudem für leichtere, wechselbelastende Tätigkeiten volle Arbeitsfähigkeit bestehe. Nachdem - insofern ist die vorinstanzliche Tatsachenfeststellung zu ergänzen - im Juli 1999 trotzdem erste Abklärungen zu allfälligen Eingliederungsmöglichkeiten getroffen worden waren, schlug die IV-Stelle dem Versicherten am 5. April 2000 vor, unter gewissen Voraussetzungen eine Umschulung zum Fahrlehrer zu finanzieren. Der Beschwerdeführer hatte aber eine Verkehrsregelverletzung begangen und wollte die Umschulung bis zur Löschung des Eintrags im Strafregister aufschieben (Schreiben vom 21. September 2001). Ab November 2001 versuchte die IV-Stelle, einen PSB-Test (Prüftest für Schul- und Bildungsberatung) durchzuführen. Der Test fand am 19. März 2002 statt. Er fiel negativ aus, weshalb die IV-Stelle nicht mehr bereit war, eine Umschulung zum Fahrlehrer zu finanzieren. Sie anerkannte, dass der Leistungsanspruch für berufliche Massnahmen bestehen bleibe, doch habe sich der Beschwerdeführer zuerst mit konkreten Vorstellungen bei ihr zu melden. 
3.1.3 Mit Schreiben vom 18. Juni 2003 teilte der Beschwerdeführer der IV-Stelle mit, sein Gesundheitszustand habe sich während der letzten 24 Monate akut verschlechtert, so dass er nicht einmal mehr zu 100 % erwerbstätig sein könne. An eine Umschulung könne er gar nicht denken. In der Folge holte die IV-Stelle ein Gutachten des Spitals X.________, Rheumaklinik und Institut für Physikalische Medizin, vom 3. Dezember 2004 ein. 
3.2 In medizinischer Sicht gelangte das kantonale Gericht zum Ergebnis, der Beschwerdeführer sei in seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Discjockey zu 50 % arbeitsfähig, während bezogen auf eine leichte Tätigkeit eine Arbeitsfähigkeit von 70 % gegeben sei. Diese Feststellung ist tatsächlicher Natur (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 398). Sie lässt sich im Rahmen der Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 1 hiervor) nicht beanstanden, beruht sie doch auf einer einleuchtenden Interpretation des Gutachtens des Spitals X.________, Rheumaklinik und Institut für Physikalische Medizin, vom 3. Dezember 2004, welchem die Vorinstanz ohne Verletzung von Bundesrecht volle Beweiskraft beimessen durfte. 
4. 
Umstritten ist zunächst der für den Einkommensvergleich massgebende Zeitpunkt. Die IV-Stelle berechnete die beiden Vergleichseinkommen bezogen auf das Jahr 1998, während das kantonale Gericht zum Schluss kam, es sei auf das Jahr 2002 abzustellen. Das Bundesgericht prüft diese Frage, welche rechtlicher Natur ist, frei. 
4.1 Für den Einkommensvergleich sind die Verhältnisse im Zeitpunkt des Beginns des Rentenanspruchs massgebend, wobei Validen- und Invalideneinkommen auf zeitidentischer Grundlage zu erheben und allfällige rentenwirksame Änderungen der Vergleichseinkommen bis zum Verfügungserlass zu berücksichtigen sind (BGE 129 V 222). Entscheidend für die Festlegung des massgebenden Zeitpunkts ist somit, wann der Rentenanspruch (gegebenenfalls) entstehen konnte. 
4.2 Der Rentenanspruch entsteht nicht, solange Eingliederungsmassnahmen durchgeführt werden und die versicherte Person dafür ein Taggeld bezieht (Art. 22 Abs. 2 Satz 2 IVG; BGE 126 V 241 E. 5 S. 243 f. mit Hinweisen). Nach der Anmeldung vom 18. Juli 1997 fanden jedoch während längerer Zeit keine diesbezüglichen Aktivitäten der IV-Stelle statt. Vielmehr stellte sie dem Versicherten mit Schreiben vom 2. Juli 1998 (Vorbescheid) die Verweigerung jeglicher Leistungen in Aussicht. Ein erster Abklärungsbericht im Hinblick auf allfällige Eingliederungsmöglichkeiten wurde schliesslich im Juli 1999, zwei Jahre nach der Anmeldung, verfasst. In dieser Konstellation standen Taggelder - einschliesslich allfälliger Wartetaggelder (vgl. zu diesem Zusammenhang BGE 121 V 190 E. 4d S. 193 f.) - nicht zur Diskussion. Damit konnte der Rentenanspruch grundsätzlich im Juni 1998, ein Jahr nach dem Beginn der geltend gemachten erneuten Arbeitsunfähigkeit wegen eines Unfalls beim Inline-Skating, entstehen. Die IV-Stelle hat daher zu Recht auf diesen Zeitpunkt hin einen Einkommensvergleich durchgeführt. 
5. 
Zu prüfen bleiben die massgebenden Vergleichseinkommen. 
5.1 
5.1.1 Das Valideneinkommen entspricht gemäss der Legaldefinition von Art. 16 ATSG (inhaltlich übereinstimmend mit dem bis Ende 2002 gültig gewesenen Art. 28 Abs. 2 IVG) demjenigen Erwerbseinkommen, das die versicherte Person erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre. Das kantonale Gericht hat hierzu festgehalten, der Beschwerdeführer habe sich - nach der gesundheitlich bedingten Aufgabe seiner Tätigkeit als Koch - durch die Arbeit als Discjockey selbst eingegliedert. Wenn er sein Pensum auf rund 50 % beschränkt habe, sei dies nicht auf die gesundheitlichen Einschränkungen zurückzuführen, sondern beruhe auf Marktgründen. Diese Feststellung ist tatsächlicher Natur (vgl. BGE 132 V 393 E. 4.2 S. 401 unten). Sie hat nicht als offensichtlich unrichtig zu gelten, zumal sie durch die Vorbringen in der vorinstanzlichen Beschwerdeschrift gestützt wird, und ist deshalb für das Bundesgericht verbindlich. Damit hat die Vorinstanz sinngemäss festgestellt, dass der Beschwerdeführer auch ohne Behinderung nicht mehr als Koch, sondern mit dem tatsächlich absolvierten Pensum von - gemessen an einer "normalen" Vollzeitbeschäftigung - rund 50 % als Discjockey tätig gewesen wäre. Diese Aussage, welche sich auch aus den Ausführungen des kantonalen Gerichts in E. 5c ableiten lässt, stimmt im Grundsatz, wenn auch nicht vollumfänglich bezüglich des Pensums, mit der Darstellung des Versicherten überein und lässt sich jedenfalls nicht als offensichtlich unrichtig bezeichnen. 
5.1.2 Weil das kantonale Gericht den Einkommensvergleich auf das Jahr 2002 bezog, hatte es keinen Anlass, das Valideneinkommen für das Jahr 1998 zu bestimmen. Die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen sind diesbezüglich zu ergänzen. Der Beschwerdeführer lässt in der Beschwerdeschrift darauf hinweisen, dass sich seine jährlichen Einkommen aus der Tätigkeit als Discjockey vor dem 1997 erlittenen Unfall auf Fr. 74'207.- im Jahr 1993, Fr. 68'321.- im Jahr 1994, Fr. 53'159.- im Jahr 1995 und Fr. 30'834.- im Jahr 1996 beliefen. Diese Werte werden durch die der Vorinstanz eingereichten Unterlagen bestätigt. Angesichts der erheblichen Schwankungen ist rechtsprechungsgemäss (AHI 1999 S. 240 E. 3b mit Hinweisen, I 377/98; SVR 2008 IV Nr. 4 S. 9 E. 2.2 S. 10, I 732/06) auf einen Zeitraum von mehreren Jahren abzustellen. Der hypothetische Verdienst im Gesundheitsfall für das Jahr 1998 ist daher ausgehend vom Durchschnitt der genannten Beträge festzusetzen, welcher sich auf Fr. 56'630.- beläuft. Wird diese Summe noch der allgemeinen Lohnentwicklung von 1994 (im Sinne eines "mittleren Verfalls") bis 1998 angepasst (Bundesamt für Statistik, Lohnentwicklung 1999, S. 29, T1.1.93 [Männer], persönliche Dienstleistungen: Index 1994 102.2, Index 1998 105.1), resultiert ein Valideneinkommen von Fr. 58'237.-. 
5.2 
5.2.1 Für die Bestimmung des trotz Gesundheitsschädigung zumutbarerweise noch realisierbaren Einkommens (Invalideneinkommen) ist primär von der beruflichen-erwerblichen Situation auszugehen, in welcher der Versicherte konkret steht. Übt er nach Eintritt der Invalidität eine Erwerbstätigkeit aus, bei der - kumulativ - besonders stabile Arbeitsverhältnisse gegeben sind und anzunehmen ist, dass er die ihm verbleibende Arbeitsfähigkeit in zumutbarer Weise voll ausschöpft, sowie das Einkommen aus der Arbeitsleistung als angemessen und nicht als Soziallohn erscheint, gilt grundsätzlich der von ihm tatsächlich erzielte Verdienst als Invalidenlohn (BGE 126 V 75 E. 3b/aa S. 76 mit Hinweisen; diese Grundsätze haben unter dem ATSG weiterhin Gültigkeit [BGE 130 V 34 E. 3.4 S. 348 ff.]). 
5.2.2 Der Beschwerdeführer arbeitete im Jahr 1998 weiterhin als Discjockey und behielt diese Tätigkeit auch in den Folgejahren bei. Dabei erzielte er, wie das kantonale Gericht in Übereinstimmung mit den ihm eingereichten Belegen festhält, folgende Einkommen: Fr. 56'275.- im Jahr 1998; Fr. 44'126.- im Jahr 1999; Fr. 51'847.- im Jahr 2000; Fr. 53'326.- im Jahr 2001; Fr. 49'893.- im Jahr 2002. Aus dieser Einkommensentwicklung und dem umschriebenen Zumutbarkeitsprofil (E. 3.2 hiervor) wird deutlich, dass die Voraussetzungen, um den tatsächlichen Verdienst als Basis für das Invalideneinkommen heranzuziehen, erfüllt sind. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Beschwerdeführer über das zumutbare Mass hinaus belastet hätte, um die erwähnten Einkünfte zu erzielen. Das Abstellen auf das Einkommen des Jahres 1998 von Fr. 56'275.- führt verglichen mit dem Valideneinkommen von Fr. 58'237.- zu einem Invaliditätsgrad von lediglich 3 %. Wird stattdessen, im Sinne der Gewährleistung einer repräsentativeren Vergleichsbasis, der Durchschnitt der obenstehenden Einkommen der Jahre 1998 bis 2002 herangezogen, resultiert ein Invalideneinkommen von Fr. 51'093.- respektive, nach "Abdiskontierung" entsprechend der Lohnentwicklung bis zum "mittleren Verfall" im Jahr 2000 auf das massgebende Jahr 1998 entsprechend der allgemeinen Lohnentwicklung (Bundesamt für Statistik, Lohnentwicklung 2001 S. 32 T1.1.93 [Männer], persönliche Dienstleistungen: Index 2000 105.6, Index 1998 105.1), ein solches von Fr. 50'851.-. Aus diesem Wert resultiert, dem Valideneinkommen von Fr. 58'237.- gegenübergestellt, ein Invaliditätsgrad von 13 %. Hinweise auf eine anspruchsrelevante Veränderung der Verhältnisse während der Zeit bis zum Einspracheentscheid vom 31. Oktober 2005 bestehen nicht. IV-Stelle und Vorinstanz haben somit zu Recht einen Rentenanspruch verneint. 
6. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG). Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer als der unterliegenden Partei aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
Luzern, 26. Februar 2008 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Ursprung Flückiger