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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1C_8/2008 
 
Urteil vom 26. März 2008 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Aemisegger, Reeb, 
Gerichtsschreiberin Gerber. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Orange Communications SA, Hardturmstrasse 161, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin, 
Gemeinderat Emmen, Rüeggisingerstrasse 22, 
6021 Emmenbrücke. 
 
Gegenstand 
Bau- und Planungsrecht, 
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 20. November 2007 des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern, Verwaltungsrechtliche Abteilung. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Am 16. Mai 2007 erteilte der Gemeinderat Emmen der Orange Communications SA die Bewilligung für das Umrüsten bestehender Mobilfunkantennen auf die UMTS-Technologie sowie für das Erstellen einer Link-Verbindung und eines Technikraums an der Stauffacherstrasse 1 (Kat.-Nr. 2436, GB Emmen). Die gegen das Bauvorhaben gerichtete Einsprache von X.________ wies der Gemeinderat ab. 
 
B. 
Dagegen führte X.________ Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern. Dieses wies die Beschwerde am 20. November 2007 ab, soweit darauf einzutreten sei. Auf das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege trat es nicht ein. 
 
C. 
Gegen den verwaltungsgerichtlichen Entscheid hat X.________ am 7. Januar 2008 Beschwerde an das Bundesgericht erhoben. Er beantragt, der Betrieb der bestehenden Mobilfunkanlage sei unverzüglich einzustellen und die Baubewilligung für das neue Projekt sei nicht zu erteilen. Er ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
 
D. 
Die Orange Communications SA, das Verwaltungsgericht und die Gemeinde Emmen beantragen die Abweisung der Beschwerde. Es wurde keine Vernehmlassung des Bundesamts für Umwelt (BAFU) eingeholt. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Der angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts unterliegt der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 82 ff. BGG. Der Beschwerdeführer wohnt in der näheren Umgebung der geplanten Anlage und ist im vorinstanzlichen Verfahren unterlegen; er ist somit zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). 
 
Das Bundesgericht wendet das Bundesrecht grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht prüft es jedoch nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und genügend begründet worden ist (Art. 106 Abs. 1 i.V.m. Art. 42 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht untersucht deshalb nicht von sich aus, ob der angefochtene kantonale Entscheid verfassungsmässig ist, sondern prüft nur rechtsgenügend vorgebrachte, klar erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen; auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (BGE 133 II 396 E. 3.1 S. 399 f. mit Hinweisen). 
 
1.1 Nicht einzutreten ist deshalb auf die Rüge der Verweigerung des Akteneinsichtsrechts, weil der Beschwerdeführer in diesem Punkt lediglich seine schon in der Einsprache vorgebrachte Kritik wiederholt, ohne sich mit der Begründung des Verwaltungsgerichts auseinanderzusetzen. 
 
1.2 Ungenügend ist die Beschwerdebegründung auch, soweit die Rüge der fehlenden Vollmacht der Grundeigentümerin wiederholt und die Begründung des Verwaltungsgerichts, der Vertreter der Manor AG habe das Baugesuch als Vertreter der Holdinggesellschaft unterzeichnet, die dem Gesuch zumindest nachträglich stillschweigend zugestimmt habe, als "billiger Trick" abgetan wird. 
 
1.3 Im Folgenden ist daher nur insoweit auf die Beschwerde einzutreten, als diese Fragen des Bundesumweltrechts betrifft. 
 
2. 
Die Basisstation, die nach ihrer Änderung UMTS- und GSM-Mobilfunkantennen im Frequenzband 2100 und 1800 MHz aufweist, muss so erstellt und betrieben werden, dass sie den in Anhang 1 der Verordnung vom 23. Dezember 1999 über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV; SR 814.710) festgelegten vorsorglichen Anlagegrenzwert an allen Orten mit empfindlicher Nutzung einhält (Art. 4 NISV i.V.m. Ziff. 63 f. Anh. 1 NISV). Dieser beträgt 6 V/m (Ziff. 64 lit. b Anh. 1 NISV). Zudem müssen die Immissionsgrenzwerte nach Anhang 2 überall eingehalten sein, wo sich Menschen aufhalten können (Art. 13 Abs. 1 NISV). 
 
2.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, auf dem Grundstück Nr. 2508 GB Emmen seien nach Einreichung des Baugesuchs drei Gebäude erstellt worden, die im Standortdatenblatt nicht berücksichtigt worden seien; aus diesem Grund sei das Baugesuch unvollständig. 
 
Die Dienststelle Umwelt und Energie des Kantons Luzern (uwe) hat die zwischenzeitlich erstellten Wohnbauten auf dem Grundstück Nr. 2508 bezüglich der dort massgeblichen OMEN überprüft und festgestellt, dass die Anlagegrenzwerte überall eingehalten werden; diese Berechnungen wurden vom Verwaltungsgericht bestätigt und werden auch vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Unter diesen Umständen durfte auf eine nachträgliche Ergänzung des Standortdatenblatts verzichtet werden. Dies gilt jedenfalls, wenn - wie im vorliegenden Fall - die neu entstandenen OMEN nicht zu den drei Orten mit empfindlicher Nutzung gehören, an denen die Strahlung am stärksten ist, und die gemäss Art. 11 Abs. 2 lit. b NISV im Standortdatenblatt enthalten sein müssen. 
 
2.2 Der Beschwerdeführer ist weiter der Auffassung, die im Standortdatenblatt als Kontroll- und Unterhaltsräumlichkeiten bezeichneten OMEN 1B1, 1B2 und 1B3 seien in Wirklichkeit Balkone, auf denen sich Bewohner des 7. Stocks regelmässig aufhielten. 
 
Eine falsche Bezeichnung ist jedoch unschädlich, wenn sie keinen Einfluss auf die Strahlungsprognose hat. Dies ist hier der Fall, nachdem die fraglichen Orte als OMEN behandelt wurden und der Anlagegrenzwert überall (wenn auch z.T. knapp) eingehalten wird. 
 
Im Übrigen ergibt sich aus dem Schnitt B-B 1:100 im Standortdatenblatt, dass die OMEN 1B1-3 nicht auf den Balkonen, sondern an der Aussenwand des Gebäudes, hinter den Balkonen situiert sind. Dies ist nicht zu beanstanden, nachdem Balkone nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung keine Räume in Gebäuden sind, in denen sich Personen regelmässig während längerer Zeit aufhalten, und deshalb keine Orte mit empfindlicher Nutzung gemäss Art. 3 Abs. 3 lit. a NISV darstellen (vgl. BGE 128 II 378 E. 6 S. 382 ff., bestätigt im Entscheid 1A.201/2002 vom 19. Mai 2003 E. 3, publ. in URP 2003 S. 701). Auf den Balkonen muss deshalb nur der Immissionsgrenzwert eingehalten werden. 
 
2.3 Gleiches gilt für das Flachdach, auf dem die Antennen stehen. Auch wenn die Dachfläche von den Bewohnern zum Wäschetrocknen benutzt werden sollte, wie der Beschwerdeführer geltend macht, handelt es sich nicht um einen Ort mit empfindlicher Nutzung, sondern lediglich um einen Ort für den kurzfristigen Aufenthalt (OKA), an dem die Immissionsgrenzwerte eingehalten werden müssen. 
Das Verwaltungsgericht hat dazu festgehalten, im unmittelbaren Nahbereich der geplanten Antennen seien Absperrungen vorgesehen; an allen anderen Stellen seien die Immissionsgrenzwerte deutlich eingehalten. Dies ergibt sich auch aus dem Standortdatenblatt. Insofern bedarf es keiner weiteren Absperrungen. 
 
2.4 Schliesslich vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, die Messung der UMTS-Strahlung sei zu ungenau, weshalb in Sinne der Vorsorge ein Sicherheitsfaktor von 15% einzurechnen sei. Er beruft sich hierfür auf einen Entscheid des Regierungsrates des Kantons Aargau vom 21. Februar 2007. Dieser hatte entschieden, die im Standortdatenblatt prognostizierten Werte seien um 15% zu erhöhen, um der methodenbedingten Messunsicherheit Rechnung zu tragen; diese müsse den Mobilfunkbetreibern angelastet werden. 
 
Das Bundesgericht hat im Entscheid 1C_132/2007 vom 30. Januar 2008 (E. 4) zu dieser Frage Stellung genommen. Es entschied, die Messunsicherheit sei nur relevant, wo Messungen vorgenommen werden, dürfe also nicht bereits bei der rechnerischen Strahlungsprognose berücksichtigt werden (E. 4.5). Es liess offen, ob die Messunsicherheit bei der Abnahmemessung zu Lasten der Mobilfunkbetreiber berücksichtigt werden dürfe, soweit es um die Einhaltung des Immissionsgrenzwertes gehe. Im Vorsorgebereich, d.h. für die Anlagegrenzwerte, sei jedenfalls auf den gemessenen Wert abzustellen, d.h. die Messunsicherheit dürfe weder dazugerechnet noch abgezogen werden (E. 4.6). Auf die Begründung dieses Entscheides wird verwiesen. 
 
2.5 Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, Emmen sei bereits mit Mobilfunkanlagen überversorgt, kann auf die Erwägungen des Verwaltungsgerichts (E. 6c S. 8 f.) verwiesen werden. Das Bundesgericht hat bereits mehrfach entschieden, dass im ordentlichen Baubewilligungsverfahren - im Gegensatz zum Ausnahmebewilligungsverfahren gemäss Art. 24 RPG - grundsätzlich kein Raum für eine umfassende Interessenabwägung und für eine Bedürfnisprüfung besteht (vgl. Entscheide 1A.54/2006 vom 10. Oktober 2006 E. 6.3; 1A.140/2003 vom 18. März 2004 E. 3.1, publ. in ZBl 2006 S. 197). 
 
3. 
Schliesslich ist der Beschwerdeführer der Auffassung, die bestehende Mobilfunkanlage sei nicht rechtsgültig bewilligt worden, weil das ursprüngliche Baugesuch als Standort die Koordinaten des Einkaufszentrums "Emmen Center" angegeben habe; dort sei auch das Baugespann aufgestellt worden. Aufgrund der vielen Einsprachen sei die Mobilfunkantenne ohne neues Baugesuch auf das Haus Stauffacherstrasse 1 verlegt worden, ohne dass eine Neuausschreibung erfolgt sei. Damit sei die Anlage widerrechtlich; auf einer widerrechtlich erstellten Baute dürften keine Umbauten zugelassen werden. 
 
3.1 Die Gemeinde Emmen hat im kantonalen Verfahren erklärt, dass die Koordinaten nur den ungefähren Standort des Gebäudes angeben und für die Beurteilung des Baugesuchs nicht relevant seien; massgebend sei vielmehr der Grundbuchplan des Baugesuchs; hierauf sei von Anfang an der Standort der Antennenanlage an der Stauffacherstrasse 1 ersichtlich gewesen. Die ursprüngliche Baubewilligung vom 20. Dezember 2000 sei daher nicht zu beanstanden (vgl. Schreiben des Departements Bau und Umwelt, Hochbau, der Gemeinde Emmen vom 31. Oktober 2006); auch sonst stimme die bestehende Anlage mit der Baubewilligung überein. 
 
3.2 Das Verwaltungsgericht liess die Frage offen, weil nur die neuen Anlageteile Gegenstand des Verfahrens bildeten. Sollten einige der bestehenden Anlageteile tatsächlich ohne Baubewilligung erstellt worden sein, so müsste in einem separaten Verfahren geprüft werden, ob die nachträgliche Baubewilligung erteilt werden könne. Die Bewilligungsfähigkeit der hier zur Diskussion stehenden Anlageteile werde durch eine allfällige Mangelhaftigkeit der damaligen Baubewilligung nicht tangiert. 
 
3.3 Allerdings hatte der Beschwerdeführer schon in seiner Einsprache verlangt, der Betrieb der heute bestehenden Mobilfunkanlage sei sofort einzustellen, weil diese nicht auf einer rechtsgültigen Baubewilligung beruhe. Auf diesen Antrag trat die Gemeinde in ihrem Einspracheentscheid nicht ein, hilfsweise führte sie aus, der Antrag sei unbegründet, weil keine Differenzen zwischen dem bewilligten Projekt und der erstellten Anlage festgestellt werden könnten. 
 
Es liesse sich die Auffassung vertreten, dass der Beschwerdeführer damit einen Antrag auf Überprüfung der Rechtmässigkeit der bestehenden Anlage gestellt hat, über den die Gemeinde und, auf Beschwerde hin, das Verwaltungsgericht hätte entscheiden müssen. 
 
3.4 Die Frage kann jedoch offen gelassen werden, weil nicht ersichtlich ist, welches schutzwürdige Interesse der Beschwerdeführer noch an der Überprüfung der ursprünglichen Baubewilligung hat, nachdem das Verwaltungsgericht die Baubewilligung für die geänderte Anlage bestätigt hat. Die neue, geänderte Anlage entspricht den bau- und umweltrechtlichen Anforderungen und wurde in einem korrekten Verfahren, nach ordnungsgemässer Publikation des Baugesuchs, bewilligt. Die zuvor bestehenden Sendeantennen werden vollständig durch neue GSM- und UMTS-fähige Mobilfunkantennen ersetzt. Die von der bisherigen Anlage verbleibenden Bestandteile (Richtfunkantennen, Technik- und Elektrounterverteilungskästen sowie Kabelkanäle) wurden vom Beschwerdeführer nie beanstandet; es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern diese sich nachteilig auf ihn auswirken könnten. 
 
4. 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
Der Beschwerdeführer beantragt die unentgeltliche Rechtspflege. Nachdem im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung der Entscheid 1C_132/2007 vom 30. Januar 2008 zur Frage der Berücksichtigung der Messunsicherheit noch nicht ergangen war, kann die Beschwerde zumindest in diesem Punkt nicht als von vornherein aussichtslos betrachtet werden. Da der Beschwerdeführer bedürftig ist, ist ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren (Art. 64 Abs. 1 BGG). Demnach sind keine Kosten zu erheben. 
 
Da die Beschwerdegegnerin durch ein Mitglied ihres Rechtsdienstes vertreten ist, hat sie praxisgemäss keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt. 
 
3. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4. 
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Gemeinderat Emmen und dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, sowie dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 26. März 2008 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Féraud Gerber