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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_149/2009 
 
Urteil vom 26. März 2009 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Schneider, Mathys, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Kosten- und Entschädigungsfolge, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich, Einzelrichteramt für Zivil- und Strafsachen, vom 15. Januar 2009. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Am 22. Mai 2007 wurde gegen den Beschwerdeführer Strafanzeige wegen Schändung und sexueller Belästigung eingereicht. Beide Verfahren wurden in der Folge eingestellt. Die Kosten für das Verfahren wegen sexueller Belästigung wurden vom Stadtrichteramt Zürich am 13. November 2008 auf die Amtskasse genommen, diejenigen für das Verfahren wegen Schändung wurden dem Beschwerdeführer vom Bezirksgericht Zürich, Einzelrichteramt für Zivil- und Strafsachen, mit Verfügung vom 15. Januar 2009 auferlegt. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Willkürverbots und der Unschuldsvermutung. Er macht namentlich geltend, es fehle vorliegend an dem für eine Kostenüberwälzung erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen seinem Verhalten, welches weder normwidrig noch schuldhaft sei, und der Einleitung der Strafuntersuchung wegen Schändung. Es handle sich hier vielmehr um einen verdeckten Schuldspruch mit Strafcharakter. 
Das Bezirksgericht Zürich, Einzelrichteramt für Zivil- und Strafsachen, und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich haben auf eine Vernehmlassung zur Beschwerde verzichtet. 
 
2. 
Im angefochtenen Entscheid wird zum Kostendispositiv in Anwendung von § 42 Abs. 1 StPO/ZH erwogen, der Beschwerdeführer habe im A.________- Club, einem Tanzlokal in Zürich, den Oberschenkel einer ihm fremden Frau willentlich und wissentlich gestreichelt. Mit seinen Handlungen, insbesondere dem innenseitigen Streicheln des Oberschenkels, habe er die Persönlichkeitsrechte dieser Frau im Sinne von Art. 28 ZGB verletzt. Darin, dass ihn die Frau angelächelt haben soll, sei kein Einverständnis zu sehen, sich die Oberschenkel streicheln zu lassen. Sein normwidriges Verhalten sei auch ursächlich für die angehobene Strafuntersuchung, da der Verdacht auf Schändung aufgrund der geschilderten Umstände insbesondere des ihn beobachtenden Security-Angestellten nicht als völlig unhaltbar habe abgetan werden können. Insoweit sei die zuständige Behörde verpflichtet gewesen, aufgrund des normwidrigen Verhaltens des Beschwerdeführers eine entsprechende Strafuntersuchung wegen Schändung einzuleiten. Im Übrigen sei der Beschwerdeführer im Zeitpunkt seiner Handlungen urteilsfähig gewesen und habe den Unrechtsgehalt seines Verhaltens erkannt, zumal er selber eingeräumt habe, sich für die körperlichen Zudringlichkeiten zu schämen. Damit seien die Voraussetzungen der Kostenauflage an den Beschwerdeführer nach § 42 Abs. 1 StPO/ZH erfüllt. 
 
3. 
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK dürfen einem Angeschuldigten bei Einstellung des Verfahrens nur Kosten auferlegt werden, wenn er durch ein unter rechtlichen Gesichtspunkten vorwerfbares Verhalten die Einleitung des Strafverfahrens veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat. Bei der Kostenpflicht des aus dem Verfahren entlassenen Angeschuldigten handelt es sich nicht um eine Haftung für ein strafrechtliches Verschulden, sondern um eine zivilrechtlichen Grundsätzen angenäherte Haftung für ein fehlerhaftes Verhalten, durch das die Einleitung oder Erschwerung des Prozesses verursacht wurde. Gemäss Art. 41 Abs. 1 OR ist zum Ersatz verpflichtet, wer einem anderen widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit. Im Zivilrecht wird demnach eine Haftung ausgelöst, wenn jemandem durch ein widerrechtliches und - abgesehen von den Fällen der Kausalhaftung - schuldhaftes Verhalten ein Schaden zugefügt wird. Widerrechtlich im Sinne von Art. 41 Abs. 1 OR ist ein Verhalten, wenn es gegen Normen verstösst, die direkt oder indirekt Schädigungen untersagen bzw. ein Schädigungen vermeidendes Verhalten vorschreiben. Solche Verhaltensnormen ergeben sich aus der Gesamtheit der schweizerischen Rechtsordnung, unter anderem aus Privat-, Verwaltungs- und Strafrecht, gleichgültig, ob es sich um eidgenössisches oder kantonales, geschriebenes oder ungeschriebenes Recht handelt. Es ist mit der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK festgelegten Unschuldsvermutung vereinbar, einem nicht verurteilten Angeschuldigten die Kosten zu überbinden, wenn er in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen eine solche Verhaltensnorm klar verstossen und dadurch das Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat (BGE 119 Ia 332 E. 1b mit Hinweisen). Unzulässig ist es dagegen, die Kostenauflage damit zu begründen, der Angeschuldigte habe sich strafbar gemacht bzw. ihn treffe ein strafrechtliches Verschulden (BGE 116 Ia 162 E. 2e S. 175; 1P.372/2000 in ZBl 102/2001 S. 141 E. 3b). 
 
4. 
Mit der rechtskräftigen Einstellung des Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer wegen Schändung ist davon auszugehen, dass das ihm vorgeworfene Verhalten - das Streicheln des Oberschenkels einer ihm unbekannten Frau - strafrechtlich nicht relevant ist. Nach dem angefochtenen Entscheid hat der Beschwerdeführer nämlich nicht gewusst, dass die von ihm gestreichelte Frau während seiner Handlungen geschlafen haben soll. Seinen Ausführungen zufolge ist er vielmehr davon ausgegangen, dass diese ihn angelächelt hat und somit wach war, als er sich neben sie setzte, und seine Liebkosungen bzw. Zudringlichkeiten insoweit geschehen liess (vgl. kantonale Akten, Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 26. Juli 2006, act. 2; Befragungsprotokoll vom 26. Juni 2007, act. 1/5). Diese Sachverhaltsdarstellung des Beschwerdeführers, wonach er gemäss seinen Vorstellungen zumindest nicht gegen den Willen der von ihm gestreichelten Frau gehandelt hat, ist ihm zu keiner Zeit widerlegt worden. Vor diesem Hintergrund kann ihm aber nicht vorgeworfen werden, sittenwidrig gehandelt oder die Persönlichkeitsrechte der von ihm gestreichelten Frau im Sinne von Art. 28 ZGB widerrechtlich und schuldhaft verletzt zu haben. Insoweit kann der angefochtene Entscheid im Ergebnis nur so verstanden werden, dass der strafrechtliche Vorwurf gegen den Beschwerdeführer zumindest in gewisser Hinsicht doch für begründet gehalten wird, und man ihm deswegen wenigstens die Verfahrenskosten überbinden möchte. Die angefochtene Kostenauflage stellt eine verfassungs- und konventionsrechtlich verpönte Verdachtsstrafe dar und ist daher mit Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK nicht vereinbar. 
 
5. 
Die Beschwerde ist somit gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Da der Beschwerdeführer obsiegt, sind ihm für das bundesgerichtliche Verfahren keine Kosten aufzuerlegen. Er ist vor Bundesgericht nicht anwaltlich vertreten, und besondere persönliche Aufwendungen, die er gehabt haben könnte, macht er nicht geltend. Gemäss der Praxis des Bundesgerichts ist ihm deshalb keine Entschädigung zuzusprechen (BGE 133 III 439 E. 4; 115 Ia 12 E. 5). Bei diesem Ausgang wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutheissen und der angefochtene Entscheid des Bezirksgerichts Zürich, Einzelrichteramt für Zivil- und Strafsachen, vom 15. Januar 2009 aufgehoben. 
 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben und keine Parteientschädigungen zugesprochen. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bezirksgericht Zürich, Einzelrichteramt für Zivil- und Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 26. März 2009 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Favre Arquint Hill