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[AZA 7] 
U 452/00 Vr 
 
III. Kammer 
 
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber Ackermann 
 
Urteil vom 26. April 2002 
 
in Sachen 
 
E.________, 1935, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dominik Frey, Weite Gasse 34, 5400 Baden, 
 
gegen 
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin, 
 
und 
 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau 
 
A.- E.________, geboren 1935, arbeitete seit 1964 als Taxichauffeur für die A.________ AG und war bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen Unfälle versichert. Am 10. November 1966 wurde er beim Überqueren der Strasse von einem Auto angefahren, was eine Commotio cerebri, eine Tibiakopffraktur links und eine hohe Fibulafraktur zur Folge hatte. Mit Rentenbescheid vom 29. Januar 1968 sprach die SUVA E.________ mit Wirkung ab dem 8. Juni 1967 eine Invalidenrente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 10 % zu. 
Am 23. Juli 1993 stolperte E.________ - mittlerweile für die Firma B.________ AG als Chauffeur tätig - beim Tragen einer Werkzeugkiste, wobei er das linke Knie an der Kiste anschlug und sich Zahnschäden zuzog. Kurz darauf, am 13. August 1993, sprang E.________ von der Ladebrücke seines Lastwagens; in der Folge war sein Knie dermassen blockiert, dass er nicht mehr gehen konnte und sich gleichentags in ärztliche Behandlung begeben musste. Der Hausarzt Dr. med. L.________, Arzt für Allgemeine Medizin FMH, stellte einen ausgeprägten Erguss im Kniegelenk sowie eine laterale Gonarthrose fest und diagnostizierte einen Verdacht auf Meniskusläsion, differenzialdiagnostisch eine durch Distorsion aktivierte vorbestehende Arthrose. Am 2. September 1993 erfolgte im Spital X.________ ein arthroskopisches Débridement, eine laterale Teilmeniskektomie und eine Gelenksmausentfernung. Trotz Beschwerden nahm E.________ am 4. Oktober 1993 die Arbeit zu 100 % wieder auf. Nachdem er am 13. Dezember 1993 einen Rückfall erlitten hatte, fand am 28. Januar 1994 erneut eine Operation des linken Knies statt (suprakondyläre Femur-Varisationsosteotomie). Trotz einer Arbeitsfähigkeit von nur 50 % arbeitete E.________ ab dem 15. Juni 1994 wieder ganztägig; mit Verfügung vom 5. Januar 1995 sprach ihm die SUVA eine Integritätsentschädigung aufgrund einer Integritätseinbusse von 7 % zu. 
Ab dem 16. Februar 1995 war E.________ wiederum vollständig arbeitsunfähig; am 23. März 1995 unterzog er sich einer erneuten Operation (Metallentfernung). Auf den 31. Mai 1995 sprach seine Arbeitgeberin die Kündigung aus. Die SUVA holte zahlreiche Arztberichte ein und veranlasste einen Aufenthalt in der Klinik Y.________. Am 5. Dezember 1997 liess sich E.________ schliesslich eine Knieendoprothese implantieren. Mit Verfügung vom 22. Juni 1998 erhöhte die SUVA die seit 1967 laufende Invalidenrente von 10 % auf 33 1/3 %, da E.________ eine sitzende Beschäftigung ganztags zumutbar sei, was mit Einspracheentscheid vom 6. Januar 1999 bestätigt wurde. 
Mit Verfügung vom 4. April 1997 sprach die IV-Stelle des Kantons Aargau E.________ mit Wirkung ab dem 1. Februar 1996 eine ganze Rente der Invalidenversicherung zu. 
 
B.- Die gegen den Einspracheentscheid der SUVA vom 6. Januar 1999 erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 20. September 2000 ab. 
 
C.- Unter Beilage eines Berichtes des Dr. med. L.________ vom 19. Oktober 2000 lässt E.________ Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und des Einspracheentscheides sei ihm eine "ganze" Rente der Unfallversicherung zuzusprechen; eventualiter sei ein unabhängiges medizinisches Gutachten einzuholen; subeventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz oder die SUVA zurückzuweisen. Ferner lässt E.________ die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung beantragen. 
 
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Die Vorinstanz hat die Regeln über den Anspruch auf eine Invalidenrente und die Ermittlung des Invaliditätsgrades (Art. 18 UVG), die Aufgabe des Arztes bei dessen Festsetzung (BGE 125 V 261 Erw. 4 mit Hinweisen) sowie den Begriff des ausgeglichenen Arbeitsmarktes (Art. 18 Abs. 2 Satz 2 UVG; vgl. AHI 1998 S. 291 Erw. 3b mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
2.- Zunächst stellt sich die Frage, ob die seit Juni 1967 laufende Invalidenrente überhaupt einer Revision zugänglich ist, da eine nach KUVG erbrachte Invalidenrente gemäss Art. 80 Abs. 2 KUVG spätestens nach neun Jahren seit der Zusprechung der Rente oder - nach der Rechtsprechung - bei Vorliegen von Spätfolgen und Rückfällen (wobei jedoch der vor dem Unfall erzielte Verdienst massgeblich ist; vgl. BGE 118 V 295 f. Erw. 2a und b) revidiert werden kann. 
Im Falle des Beschwerdeführers sind seit Beginn des Rentenlaufes mehr als neun Jahre vergangen und es liegt weder ein Rückfall noch eine Spätfolge vor. Der Beschwerdeführer hat jedoch im Sommer 1993 einen neuen Unfall erlitten, indem er am 23. Juli 1993 während der Arbeit gestürzt ist und sein Knie angeschlagen hat (zudem hat er hiezu am 13. August 1993 beim Sprung vom Lastwagen einen Rückfall erlitten); dieses Ereignis erfüllt ohne Zweifel den Unfallbegriff (Art. 9 Abs. 1 UVV) und kann - bei gegebenen weiteren Voraussetzungen - zu einer Invalidenrente der Unfallversicherung berechtigen. 
Damit hätte der Beschwerdeführer allenfalls Anrecht auf zwei Renten (wobei für die Bemessung der zweiten Rente die Teilursache des ersten Unfalles aus dem Jahr 1966 durch Kürzung gemäss Art. 36 Abs. 2 UVG ausgeschieden werden müsste). Nach Art. 24 Abs. 4 UVV in der bis zum 31. Dezember 1997 gültig gewesenen Fassung (vgl. AS 1998 S. 162 Ziff. IV) ist nun aber, wenn ein weiterer Unfall eines Rentenbezügers zu einer höheren Invalidität führt, für die neue Rente der Lohn massgebend, den der Versicherte vor dem letzten Unfall bezogen hätte, wenn früher kein versicherter Unfall eingetreten wäre (ausser der vor dem ersten Unfall erzielte Lohn sei höher gewesen). Mit Verordnungsnovelle vom 15. Dezember 1997 (AS 1998 S. 151 ff.) ist Art. 24 Abs. 4 UVV dahin präzisiert worden (RKUV 1998 S. 91 unten), dass es sich um eine Rente aus beiden Unfällen handelt. Wären zwei Versicherer beteiligt, müsste derjenige des späteren Unfalles nach Art. 100 Abs. 3 Satz 1 UVV sämtliche Leistungen ausrichten, während er vom Versicherer des früheren Unfalles den Barwert von dessen Rente vergütet erhielte (Art. 100 Abs. 3 Satz 2 UVV). 
Da hier nur ein Versicherer beteiligt und für die neue Rente aus beiden Unfällen nur ein versicherter Verdienst massgebend ist, muss nur eine Rente gesprochen werden, weshalb das Revisionsverbot des Art. 80 Abs. 2 KUVG gar nicht zum Tragen kommt. Die SUVA wird daher - falls die Voraussetzungen vorliegen und unter Berücksichtigung der folgenden Erwägungen - eine Rente für die Unfälle der Jahre 1967 und 1993 gestützt auf einen versicherten Verdienst gemäss Art. 24 Abs. 4 UVV (und nicht wie geschehen gestützt auf den versicherten Verdienst des Jahres 1967) zu verfügen haben. 
 
3.- Für die Bemessung dieser Rente ist zwischen den Parteien die Höhe des Invaliditätsgrades und dabei insbesondere - als dessen Teilelement - das Mass der Arbeitsfähigkeit streitig. 
 
a) Die Vorinstanz erachtet den Versicherten in einer leidensangepassten sitzenden Tätigkeit als ganztägig arbeitsfähig, während dieser davon ausgeht, dass er wegen seiner Schmerzen vollinvalid sei, was jedoch wegen der ungenügenden Sachverhaltsabklärung bis jetzt nicht festgestellt worden sei. 
 
b) Im Lichte der Grundsätze zur Beweiswürdigung gemäss der Rechtsprechung (BGE 122 V 160 Erw. 1c) fällt auf, dass der SUVA-Kreisarzt Dr. med. W.________ die vom Hausarzt des Beschwerdeführers im vor- und letztinstanzlichen Verfahren (und damit rechtzeitig; vgl. RKUV 1997 Nr. U 281 S. 282 f. Erw. 1b für Eingaben des Versicherungsträgers) berichtete Überwärmung des linken Knies in seinen Berichten nicht erwähnt hat. Es bleibt unklar, ob der SUVA-Kreisarzt diese Überwärmung nicht feststellte oder sie als irrelevant betrachtete. Da diesem Befund massgebende Bedeutung für die geklagten Beschwerden zukommen kann (möglicherweise handelt es sich dabei um ein Symptom des in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erwähnten periartikulären Syndroms), stellt die Feststellung des Hausarztes betreffend Überwärmung des Knies ein konkretes Indiz dar, das gegen die Zuverlässigkeit des Berichtes des Anstaltsarztes Dr. med. W.________ spricht (BGE 125 V 354 Erw. 3b/ee). Die SUVA hat deshalb ein externes Gutachten einzuholen und anschliessend neu zu verfügen, mit Blick auf die Ausführungen des Dr. med. L.________ im Bericht vom 19. Oktober 2000 unter Umständen auch gestützt auf Art. 6 Abs. 3 UVG
 
c) In Anbetracht des unvollständig abgeklärten Sachverhalts braucht über die Problematik der geklagten Dauerschmerzen und der vorbestehenden coxa vara ebenso wenig entschieden werden wie über die Frage nach einem behinderungsbedingten Abzug (BGE 126 V 78 Erw. 5) vom statistisch ermittelten Einkommen nach Eintritt des Gesundheitsschadens (Invalideneinkommen). 
 
4.- a) Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine Gerichtskosten zu erheben. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten ist daher gegenstandslos. 
 
b) Infolge Obsiegens hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG). Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ist deshalb ebenfalls gegenstandslos. 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I.In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde 
werden der Entscheid des Versicherungsgerichts des 
Kantons Aargau vom 20. September 2000 und der Einspracheentscheid 
der SUVA vom 6. Januar 1999 aufgehoben, 
und es wird die Sache an die SUVA zurückgewiesen, 
damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne 
der Erwägungen, neu verfüge. 
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
III.Die SUVA hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren 
vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine 
Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich 
Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
 
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht 
des Kantons Aargau, der IV-Stelle des Kantons 
Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 26. April 2002 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der III. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: