Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_97/2022  
 
 
Urteil vom 26. April 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Abrecht, 
Gerichtsschreiberin Berger Götz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Unia Arbeitslosenkasse, Weltpoststrasse 20, 3015 Bern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 9. Dezember 2021 (AL.2021.00122). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der 1967 geborene A.________ bezog in der Rahmenfrist für den Leistungsbezug vom 2. April 2018 bis 1. Oktober 2020 Arbeitslosenentschädigung von der Unia Arbeitslosenkasse. Am 2. Oktober 2020 eröffnete die Kasse eine Folgerahmenfrist für den Leistungsbezug. In den Monaten August bis Dezember 2020 übte A.________ eine Zwischenverdiensttätigkeit als B.________-Fahrer aus. Mit Verfügung vom 25. Januar 2021 stellte die Kasse fest, für diese Kontrollperioden bestehe Anspruch auf total 16,8 Taggelder in der Höhe von gesamthaft Fr. 3'248.30 brutto. Nachdem A.________ dagegen Einsprache erhoben hatte, teilte die Kasse ihm am 1. März 2021 mit, dass das Einkommen aus seiner Zwischenverdiensttätigkeit für B.________ nicht korrekt berechnet worden sei. Es sei fälschlicherweise von einer selbstständigen Erwerbstätigkeit ausgegangen worden, weshalb nebst der Servicegebühr jeweils noch ein 20%iger Pauschalabzug vorgenommen worden sei. Aufgrund verschiedenster Entscheide von Sozialversicherungen und Gerichten gelte B.________ als Arbeitgeber. Durch die unrechtmässige Berücksichtigung des 20%igen Pauschalabzugs für selbstständig Erwerbstätige sei ein zu tiefer Zwischenverdienst angerechnet worden, weshalb nach Korrektur der Abrechnungen für die Monate August 2020 (für diesen Monat sei bisher kein Zwischenverdienst angerechnet worden) und Oktober bis Dezember 2020 eine Rückforderung entstehe. Sollte A.________ die Einsprache zurückziehen wollen, könne er dies innert der angesetzten Frist bis 12. März 2021 schriftlich tun. Dieser liess sich in der Folge nicht vernehmen, woraufhin die Kasse die Einsprache abwies, die Verfügung vom 25. Januar 2021 aufhob und festhielt, die Abrechnungen der Monate August bis Dezember 2020 seien durch den Standort U.________ neu zu prüfen (Einspracheentscheid vom 17. März 2021. 
 
B.  
In teilweiser Gutheissung der dagegen geführten Beschwerde hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Einspracheentscheid auf und stellte fest, in den Monaten August bis Dezember 2020 bestehe Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung bei einem anrechenbaren Zwischenverdienst von Fr. 992.10, Fr. 1'616.25, Fr. 2'473.50, Fr. 2'137.40 und Fr. 2'904.10 (Urteil vom 9. Dezember 2021). 
 
C.  
Die Unia Arbeitslosenkasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, das kantonalgerichtliche Urteil sei aufzuheben und in Bestätigung des Einspracheentscheids sei festzustellen, dass A.________ in den Monaten August bis Dezember 2020 Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung bei einem anrechenbaren Zwischenverdienst von Fr. 1'709.84, Fr. 2'788.93, Fr. 4'159.40, Fr. 3'052.77 resp. Fr. 4'911.14 habe; eventualiter sei in Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, dass Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung bei einem anrechenbaren Zwischenverdienst von Fr. 1'367.87, Fr. 2'231.14, Fr. 3'327.52, Fr. 3'162.22 resp. Fr. 3'928.91 bestehe; subeventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
A.________ hat sich nicht zur Beschwerde vernehmen lassen. Das kantonale Gericht und das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) haben auf eine Stellungnahme verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, sofern allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 147 I 73 E. 2.1; 145 V 304 E. 1.1). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 148 V 209 E. 2.2). 
 
2.  
 
2.1. Das Bundesgericht prüft die formellen Gültigkeitserfordernisse des Verfahrens, insbesondere auch die Frage, ob die Vorinstanz zu Recht auf die Beschwerde eingetreten ist, von Amtes wegen. Hat die Vorinstanz übersehen, dass es an einer Prozessvoraussetzung fehlte und hat sie materiell entschieden, ist dies im Rechtsmittelverfahren von Amtes wegen zu berücksichtigen mit der Folge, dass der angefochtene Entscheid aufgehoben wird (BGE 136 V 7 E. 2; 135 V 124 E. 3.1).  
 
2.2. Das kantonale Gericht stellte fest, die Beschwerdeführerin habe im Einspracheentscheid definitiv über die Frage entschieden, wie das anrechenbare Einkommen aus Zwischenverdienst für die vom Beschwerdegegner geleisteten B.________-Fahrdienste zu berechnen sei. Dem Standort U.________, an den sie die Sache sinngemäss zurückgewiesen habe, verbleibe nur noch die rechnerische Umsetzung. Es handle sich daher beim Einspracheentscheid um einen "Quasi-Endentscheid", weshalb auf die Beschwerde einzutreten sei. Soweit die Beschwerdeführerin einen teilweise kassatorischen Einspracheentscheid erlassen habe, erweise sich dies allerdings als unzulässig. Ob der Einspracheentscheid deshalb bereits aus formellen Gründen aufzuheben sei, könne indessen offen bleiben, da er auch materiell rechtswirdrig sei.  
 
2.3.  
 
2.3.1. Es ist der Vorinstanz zuzustimmen, dass es nicht zulässig ist, einen kassatorischen Einspracheentscheid zu erlassen, der sich darauf beschränkt, die vorausgegangene Verfügung wegen weiteren Abklärungsbedarfs aufzuheben. Die neuen Erhebungen sind vielmehr in die Beurteilungsgrundlagen eines reformatorischen instanzabschliessenden Einspracheentscheids einzubeziehen (BGE 131 V 407). Auch der Erlass eines teilweise kassatorischen, teilweise reformatorischen Einspracheentscheids ist nicht zulässig (SVR 2007 IV Nr. 32, I 285/06, E. 3.3).  
 
2.3.2. Damit steht aber auch im vorliegenden Fall fest, dass die Beschwerdeführerin die Sache mit dem Einspracheentscheid nicht, auch nicht teilweise, zur Überprüfung und Neuberechnung der Arbeitslosenentschädigung an den Standort U.________ hätte zurückweisen dürfen. Vielmehr hätte sie die Neuberechnung in einem instanzabschliessenden Entscheid selber vornehmen müssen. Das kantonale Gericht hätte daher seinerseits kein materielles Urteil fällen dürfen. Bereits aus diesem Grund muss das Bundesgericht sowohl das kantonalgerichtliche Urteil als auch den Einspracheentscheid aufheben. Die Sache geht an die Verwaltung zurück, damit sie die Abrechnungen der Monate August bis Dezember 2020 selber überprüfe und hernach einen neuen Einspracheentscheid erlasse.  
 
3.  
 
3.1. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine inhaltliche Befassung mit dem angefochtenen Urteil und der im Wesentlichen allein an der subjektiven Sichtweise von B.________ anknüpfenden vorinstanzlichen Beurteilung des Erwerbsstatus von deren Fahrern. Zuhanden der Parteien und der Vorinstanz sei in diesem Zusammenhang immerhin auf das unlängst ergangene - zur Publikation vorgesehene - Urteil 9C_70/2022 vom 16. Februar 2023 E. 6.2 betreffend B.________ verwiesen.  
 
3.2. Die Sache geht demnach aus formellen Gründen an die Beschwerdeführerin zurück, um die Arbeitslosenentschädigung im massgebenden Zeitraum neu zu berechnen und einen instanzabschliessenden Einspracheentscheid zu fällen.  
 
4.  
Hinsichtlich der Prozesskosten gilt die Rückweisung der Sache zum Erlass eines instanzabschliessenden Einspracheentscheids praxisgemäss als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 BGG, unabhängig davon, ob sie beantragt und ob das entsprechende Begehren im Haupt- oder im Eventualantrag gestellt wird (BGE 141 V 281 E. 11.1). Der Beschwerdegegner hat daher die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Die Beschwerdeführerin hat als mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute Institution keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 9. Dezember 2021 und der Einspracheentscheid der Unia Arbeitslosenkasse vom 17. März 2021 werden aufgehoben und die Sache wird an die Arbeitslosenkasse zurückgewiesen, damit sie einen instanzabschliessenden Einspracheentscheid erlasse. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und dem Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 26. April 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz