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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_113/2015 {T 0/2}  
   
   
 
 
 
Urteil vom 26. Mai 2015  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin, 
Bundesrichter Maillard, 
Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiber Grunder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Kantonale IV-Stelle Wallis, 
Bahnhofstrasse 15, 1950 Sitten, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Lorenz Fivian, 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung 
(Invalidenrente; Invalideneinkommen), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des 
Kantonsgerichts Wallis vom 8. Januar 2015. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die 1961 geborene A.________ meldete sich am 18. November 2011 wegen einer rheumatoiden Arthritis zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Die Kantonale IV-Stelle Wallis klärte den Sachverhalt in beruflicher und medizinischer Hinsicht ab. Laut Abklärungsbericht Haushalt und Teilerwerbstätige vom 15. Mai 2012 wäre die Versicherte im Gesundheitsfall zu 80 % erwerbstätig gewesen. Die mit der medizinischen Begutachtung beauftragten Dres. med. B.________, FMH Innere Medizin und Rheumaerkrankungen (Expertise vom 9. Juli 2013) und C.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH (Expertise vom 4. Juli 2013), kamen gestützt auf eine interdisziplinäre Beurteilung vom 9. Juli 2013 zum Schluss, dass die Versicherte vor allem wegen der psychiatrischen Befunde (Persönlichkeitsstörung [ICD-10: F60.8], Dysthymie [ICD-10: F34.1], Belastungen durch Pflege der kranken Mutter und Partnerschwierigkeiten [ICD-10: Z63]) dauernd im Umfang von ungefähr 30 % in einer erwerblichen Tätigkeit eingeschränkt sei. Zu den von der Versicherten erhobenen Einwänden holte die Verwaltung zusätzliche Auskünfte des Dr. med. B.________ vom 28. Oktober 2013 ein. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren lehnte sie mit Verfügung vom 11. Dezember 2013 einen Anspruch auf Invalidenrente ab, weil der nach der gemischten Methode (Aufgabenbereich 20 %; Erwerbsbereich 80 %) ermittelte Invaliditätsgrad unter der Erheblichkeitsschwelle von 40 % liege. 
 
B.   
Die hiegegen eingereichte Beschwerde hiess das Kantonsgericht Wallis mit Entscheid vom 8. Januar 2015 im Sinne der Erwägungen gut und stellte fest, A.________ habe ab Mai 2012 Anspruch auf eine Viertelrente der Invalidenversicherung. 
 
C.   
Mit Beschwerde beantragt die IV-Stelle, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die Verfügung vom 11. Dezember 2013 zu bestätigen. 
A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97   Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an         (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).  
 
1.3. Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erschiene (BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9). Diese Grundsätze gelten auch bei der konkreten Beweiswürdigung, bei welcher dem kantonalen Versicherungsgericht ein erheblicher Ermessensspielraum zusteht. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn es diesen missbraucht, insbesondere offensichtlich unhaltbare Schlüsse gezogen, erhebliche Beweise übersehen oder solche willkürlich ausser Acht gelassen hat (BGE 132 III 209 E. 2.1 S. 211; zum Begriff der Willkür BGE 137 I 1 E. 2.4 S. 5; Urteil 9C_1019/2012 vom 23. August 2013 E. 1.2.3). Inwiefern das kantonale Gericht sein Ermessen missbraucht haben soll, ist in der Beschwerde klar und detailliert aufzuzeigen (BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261; SVR 2013 BVG Nr. 40 S. 174 E. 1.2 [9C_592/2012]; Urteil 8C_76/2014 vom 30. April 2014 E. 1.2).  
 
2.  
 
2.1.  
 
2.1.1. Das kantonale Gericht hat in Bestätigung der Verfügung vom   11. Dezember 2013 erkannt, dass das Erwerbseinkommen, das die Versicherte durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte (vgl. Art. 16 ATSG), anhand der standardisierten Bruttolöhne der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik (LSE 2010, Tabelle TA1, Total, Frauen, Anforderungsniveau 4) bezogen auf eine Arbeitsfähigkeit von 70 % zu bestimmen sei. Die IV-Stelle habe zwar einen Tabellenlohnabzug gemäss BGE 126 V 75 von 15 % gestützt auf die persönlichen Umstände (Lebensalter, Nationalität, Teilpensum und Dienstjahre) gewährt. Damit habe sie aber den Umstand ausser Acht gelassen, dass wegen der seropositiven rheumatoiden Arthritis entzündliche Schübe mit zeitlich limitierten Arbeitsunfähigkeiten zu erwarten seien und die Versicherte zudem aufgrund der von Dr. med. C.________ diagnostizierten Persönlichkeitsstörung nicht in der Lage sei, ständig in Kontakt mit fremden Menschen zu stehen oder Forderungen des Arbeitgebers durchzusetzen. Wegen dieser Einschränkungen werde die Versicherte zusätzliche Schwierigkeiten haben, ihre Restarbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verwerten, weshalb gesamthaft betrachtet ein Abzug von 20 % vom Tabellenlohn als angemessen zu bezeichnen sei.  
 
2.1.2. Die IV-Stelle bringt vor, das kantonale Gericht habe sich auf keine tatsächlichen Gegebenheiten gestützt, die seine Ermessensausübung als naheliegender erscheinen liessen. Die sich aus der Persönlichkeitsstörung ergebenden Beeinträchtigungen seien mit der psychiatrischen Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit (30 %) vollumfänglich abgedeckt worden. Darauf habe sie in der Verfügung vom 11. Dezember 2013 mit dem Hinweis "eingeschränkte Anforderungen an die Stressresistenz, keine Gruppenarbeit" Bezug genommen. Sodann verkenne das kantonale Gericht hinsichtlich der allfällig zu erwartenden entzündlichen Beschwerdeschübe, dass die rheumatoide Arthritis bislang sehr milde verlaufen und ausweislich der Akten lediglich eine einzelne Phase einer diskreten humoralen Aktivität dokumentiert sei. Mit der blossen Möglichkeit künftiger, zeitlich limitierter Schübe liessen sich keine Auswirkungen auf die durchschnittliche wirtschaftliche Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit begründen. Ohnehin gehe aus der Verfügung vom 11. Dezember 2013 hervor, dass die Verwaltung mit dem gewährten Tabellenlohnabzug von 15 % gemäss BGE 126 V 75 sämtlichen gesundheitlichen Einschränkungen Rechnung getragen habe. Insgesamt betrachtet habe die Vorinstanz den sich aus der Verfügung vom 11. Dezember 2013 ergebenden Sachverhalt offensichtlich unrichtig interpretiert und gestützt darauf das ihr gemäss BGE 126 V 75 zustehende Ermessen überschritten.  
 
2.1.3. Die Beschwerdegegnerin bringt vor, die rheumatoide Arthritis führe zu nicht vorhersehbaren Entzündungen und damit zu nicht oder nur schwer kalkulierbaren Arbeitsabsenzen, weshalb dieser Umstand in der ärztlich eingeschätzten Arbeitsfähigkeit nicht enthalten gewesen sein könne. Weiter sei nicht ersichtlich, inwiefern die von Dr. med. C.________ diagnostizierte Persönlichkeitsstörung sich in einer eingeschränkten Stressresistenz erschöpfe. Insgesamt habe das kantonale Gericht zutreffend dargelegt, weshalb Umstände vorgelegen haben, das Ermessen der IV-Stelle in Bezug auf die Einschätzung des Tabellenlohnabzuges gemäss BGE 126 V 75 gesamthaft zu überprüfen.  
 
3.  
 
3.1. Ob ein (behinderungsbedingt oder anderweitig begründeter) Abzug vom Tabellenlohn vorzunehmen ist, stellt eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage dar (BGE 137 V 71 E. 5.1 S. 72; in BGE 135 V 297 nicht publizierte E. 4 des Urteils 8C_652/2008 vom 8. Mai 2009). Die Frage nach der Höhe des (im konkreten Fall grundsätzlich angezeigten) Abzuges vom Tabellenlohn dagegen ist eine Ermessensfrage. Deren Beantwortung ist letztinstanzlicher Korrektur nur zugänglich, wo das kantonale Gericht das Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat, also bei Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder -unterschreitung (vgl. zu diesen Rechtsbegriffen BGE 137 V 71 E. 5.1 S 73 mit Hinweisen; BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399).  
 
3.2. Nach ständiger Rechtsprechung darf das (kantonale) Sozialversicherungsgericht sein Ermessen, wenn es um die Beurteilung des Tabellenlohnabzuges gemäss BGE 126 V 75 geht, nicht ohne triftigen Grund an die Stelle desjenigen der Verwaltung setzen; es muss sich auf Gegebenheiten abstützen können, welche seine abweichende Ermessensausübung als naheliegender erscheinen lassen (BGE 137 V 71 E. 5.2 S. 73; 126 V 75 E. 6 S. 81 mit Hinweis). Wurde bei der Festsetzung der Höhe des Tabellenlohnabzuges ein Merkmal oder ein bestimmter Aspekt eines Merkmals zu Unrecht nicht berücksichtigt, haben das kantonale Versicherungsgericht oder das Bundesgericht den Abzug gesamthaft neu zu schätzen; es ist nicht von dem von der IV-Stelle oder von der Vorinstanz vorgenommenen Abzug auszugehen und dieser zu erhöhen (SVR 2011 IV Nr. 31 S. 90, 9C_728/2009       E. 4.1.2 und 4.3). Daher kann unter Umständen auch dann, wenn die untere Instanz ein Merkmal übersehen hat, der von dieser geschätzte Abzug bestätigt werden (vgl. z.B. 9C_980/2010 vom 20. Juni 2011    E. 6.3).  
 
4.  
 
4.1. Laut psychiatrischer Teilexpertise des Dr. med. C.________ vom    4. Juli 2013 war die Versicherte im Wesentlichen wegen der chronifizierten neurotischen Persönlichkeitsstörung beeinträchtigt. Sie war nur reduziert stressbelastbar und hatte Mühe, Kontakte mit anderen Menschen aufzunehmen. In einer Arbeitsstelle, wo sie nicht in ständigem Kontakt mit fremden Leuten stehen oder Forderungen des Arbeitgebers (so unter anderem gegenüber Mitarbeitern) durchsetzen müsste, wie zum Beispiel als Alleinsekretärin oder wie aktuell als Betreuerin der pflegebedürftigen Mutter, war die Ausübung eines Pensums von 70 % ohne zusätzliche Leistungseinbusse zumutbar. Angesichts dieser psychiatrischen Auskünfte lag kein triftiger Grund vor, der es dem kantonalen Gericht erlaubt hat, den von der IV-Stelle gewährten Abzug vom Tabellenlohn gemäss BGE 126 V 75 gesamthaft zu überprüfen.  
 
4.2. Gemäss Teilexpertise des Dr. med. B.________ vom 9. Juli 2013 war die Arbeitsfähigkeit aus somatisch-rheumatologischer Sicht hinsichtlich der von der Versicherten bisher ausgeübten Tätigkeiten zu keinem Zeitpunkt anhaltend eingeschränkt gewesen. Dafür sprach unter anderem auch der Umstand, dass sie gegen Entgelt die kranke Mutter pflegte, eine Tätigkeit, die als körperlich belastend zu bezeichnen war. Die Vorinstanz hat übersehen, wie die IV-Stelle richtig geltend macht, dass Dr. med. B.________ aufgrund der Anamnese und der aktuellen Befunde ("sehr milder Verlauf einer rheumatoiden Arthritis", "tiefe Krankheitsaktivität annähernd mit einer Remission vereinbar") prognostisch lediglich mit der Möglichkeit rechnete, es könnten entzündliche Beschwerdeschübe auftreten, die eine zeitlich limitierte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von jeweils maximal 20 bis 30 % zu begründen vermöchten.  
 
 
4.3. In Anbetracht der medizinischen Auskünfte ist die Begründung der Vorinstanz für einen leidensbedingten Abzug von 5 % nachvollziehbar. Dabei liess sie jedoch unberücksichtigt, dass der bereits gewährte Abzug durch die Verwaltung von 15 % angesichts der Arbeits- und Lebenssituation der Versicherten als viel zu hoch zu qualifizieren war, war doch keiner der übrigen persönlichen und beruflichen Umstände (Alter, Dienstjahre, Nationalität und Beschäftigungsgrad) geeignet, negative Auswirkungen auf das Lohnniveau haben zu können. Indem das kantonale Gericht den von ihm korrekt begründeten Abzug einfach mit dem bereits gewährten Abzug der IV-Stelle addierte, hat es demnach Bundesrecht verletzt.  
 
5.   
Das Gesuch der IV-Stelle Wallis um Bewilligung der aufschiebenden Wirkung wird mit dem Entscheid in der Sache gegenstandslos. 
 
6.   
Die Beschwerdegegnerin hat gemäss Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG als unterliegende Partei die Gerichtskosten zu tragen. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
In Gutheissung der Beschwerde wird der Entscheid des Kantonsgerichts Wallis vom 8. Januar 2015 aufgehoben. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Wallis und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 26. Mai 2015 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Leuzinger 
 
Der Gerichtsschreiber: Grunder