Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
4A_231/2022  
 
 
Urteil vom 26. August 2022  
 
I. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Kiss, May Canellas, 
Gerichtsschreiber Stähle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Hardy Landolt, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Obergericht des Kantons Glarus, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
unentgeltliche Rechtspflege, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Glarus vom 22. April 2022 (OG.2021.00080). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ (Beschwerdeführer) reichte am 18. März 2021 beim Kantonsgericht Glarus ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege vor Eintritt der Rechtshängigkeit ein. 
Er führte darin und in weiteren Schreiben vom Mai und Juni 2021 aus, am 2. Dezember 2015 einen Verkehrsunfall erlitten zu haben. Als Folge dieses Unfalls bestünden dauerhafte gesundheitliche Beeinträchtigungen, welche die Erwerbsfähigkeit einschränkten beziehungsweise das wirtschaftliche Fortkommen erschwerten. Er (A.________) fordere in diesem Zusammenhang Schadenersatz und wolleeine Teilklage über Fr. 100'000.-- gegen die B.________ AG als Motorfahrzeughaftpflichtversichererin erheben. Hierfür beantrage er die unentgeltliche Rechtspflege, unter Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsbeistands. 
Mit Verfügung vom 20. Juli 2021 wies der Präsident des Kantonsgerichts dieses Gesuch ab. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Glarus mit Urteil vom 22. April 2022 ab. Es gelangte zum Ergebnis, dass die Gewinnaussichten der in Aussicht gestellten Teilklage beträchtlich geringer seien als die Verlustgefahren, weshalb kein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege bestehe. 
 
B.  
A.________ verlangt mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben. Es sei die beantragte unentgeltliche Rechtspflege für eine Teilklage im Umfang von Fr. 100'000.--, "mindestens" Fr. 30'000.--, gegen die B.________ AG im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall vom 2. Dezember 2015 für die beiden vorinstanzlichen Verfahren zu bewilligen. Eventualiter sei die Angelegenheit an das Obergericht zurückzuweisen. Ausserdem ersucht er auch für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege und -verbeiständung. 
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Im angefochtenen Urteil entschied das Obergericht über ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege, das vor Eintritt der Rechtshängigkeit des Hauptverfahrens gestellt wurde. Dabei handelt es sich um einen Vor- und Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG (Urteil 4A_492/2020 vom 19. Januar 2021 E. 1.2 mit Hinweisen).  
Nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ist die Beschwerde gegen selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide zulässig, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können. Mit dem angefochtenen Urteil wies die Vorinstanz die Beschwerde gegen eine erstinstanzliche Verfügung ab, in welcher die unentgeltliche Rechtspflege verweigert wurde. Derartige Entscheide bewirken in der Regel einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (Urteil 4A_492/2020 vom 19. Januar 2021 E. 1.2 mit Hinweisen; BGE 133 IV 335 E. 4; 129 I 129 E. 1.1). 
 
1.2. Nach dem Grundsatz der Einheit des Verfahrens sind Vor- und Zwischenentscheide mit dem in der Hauptsache zulässigen Rechtsmittel anzufechten (BGE 137 III 261 E. 1.4; 133 III 645 E. 2.2). In der Hauptsache - der in Aussicht gestellten (Teil-) Klage - geht es um eine Zivilrechtsstreitigkeit mit einem Streitwert von über Fr. 30'000.-- und ist demnach die Beschwerde in Zivilsachen gegeben (siehe Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG).  
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerde ist hinreichend zu begründen, ansonsten darauf nicht eingetreten werden kann (BGE 140 III 115 E. 2; 134 II 244 E. 2.1). In der Beschwerdeschrift ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG). Unerlässlich ist dabei, dass auf die Begründung des angefochtenen Entscheids eingegangen und im Einzelnen aufgezeigt wird, worin eine vom Bundesgericht überprüfbare Rechtsverletzung liegt. Die beschwerdeführende Partei soll in der Beschwerde an das Bundesgericht nicht bloss die Rechtsstandpunkte, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, erneut bekräftigen, sondern mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz ansetzen (BGE 140 III 115 E. 2, 86 E. 2).  
 
2.2. Die Beschwerde genügt diesen Anforderungen über weite Strecken nicht, so insbesondere, soweit der Beschwerdeführer in frei gehaltenen Ausführungen und unter Hinweis auf diverse ärztliche Berichte sowie versicherungsmedizinische Korrespondenz seine Sicht der Dinge schildert. Darauf ist von vornherein nicht einzutreten.  
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, dass ihm die unentgeltliche Rechtspflege hätte bewilligt werden müssen.  
 
3.2. Unabhängig davon, ob das Gesuch vor oder nach Eintritt der Rechtshängigkeit gestellt wird (Art. 119 Abs. 1 ZPO), besteht nur dann Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn die (intendierten) Rechtsbegehren in der Sache nicht aussichtslos erscheinen (Art. 29 Abs. 3 BV; Art. 117 lit. b ZPO).  
 
3.3. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind Begehren als aussichtslos anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde (BGE 142 III 138 E. 5.1 mit Hinweisen).  
Da sich die Äusserungen "zur Sache" und zu den "Beweismitteln" bei einem vorprozessual eingereichten Gesuch nicht aus der Rechtsschrift ergeben, hat sich die gesuchstellende Person dazu in ihrem Gesuch zu äussern, damit das Gericht die Erfolgsaussichten der in Aussicht gestellten Klage im Summarverfahren über die unentgeltliche Rechtspflege beurteilen kann. Die gesuchstellende Person hat dabei die tatsächlichen Voraussetzungen, auf die sie ihren Anspruch stützen möchte, glaubhaft darzustellen und unter Bezeichnung der Beweismittel soweit möglich und zumutbar zu belegen (Urteile 4A_492/2020 vom 19. Januar 2021 E. 3.2.3; 4A_270/2017, 4A_272/2017 und 4A_274/2017 [im Folgenden: 4A_270/2017] vom 1. September 2017 E. 4.2). 
 
3.4. Bei der Überprüfung der vorinstanzlichen Beurteilung der Erfolgsaussichten ist es nicht Aufgabe des Bundesgerichts, dem Sachgericht vorgreifend zu prüfen, ob das von der beschwerdeführenden Partei im kantonalen Verfahren gestellte Begehren zu schützen sei oder nicht. Die prognostische Beurteilung der Erfolgsaussichten eröffnet dem mit der Sache befassten Gericht einen Beurteilungsspielraum, in den das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung eingreift. Erforderlich ist, dass das Sachgericht von anerkannten Rechtsgrundsätzen abgewichen ist, dass es Umstände berücksichtigt hat, die für die Prognose im Einzelfall keine Rolle spielen dürfen, oder umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat, die hätten beachtet werden müssen (Urteile 4A_638/2021 vom 20. Mai 2022 E. 3.1.1; 4A_111/2021 vom 26. Februar 2021 E. 3.1; 4A_104/2019 vom 22. Mai 2019 E. 4).  
Dies gilt im besonderen Masse bei Gesuchen um unentgeltliche Rechtspflege, die vor der Rechtshängigkeit der Hauptsache eingereicht werden und bei denen das kantonale Gericht die Erfolgsaussichten der künftigen Klage mangels einer (ausformulierten) Klageschrift einzig aufgrund der Angaben in dem von der gesuchstellenden Person eingereichten Gesuch beurteilt. In eine solche Beurteilung greift das Bundesgericht nur mit grosser Vorsicht ein, denn es geht nicht an, der gesuchstellenden Person vor Anhängigmachung einer Klage eine höchstrichterliche Abschätzung ihrer Prozesschancen zu liefern (Urteile 4A_492/2020 vom 19. Januar 2021 E. 4.6; 4A_270/2017 vom 1. September 2017 E. 4.4). 
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz hielt mit Blick auf Äusserungen des behandelnden Arztes und ein den gleichen Sachverhalt betreffendes Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts (8C_393/2018 vom 28. August 2018) im Wesentlichen fest, es erscheine unwahrscheinlich, dass die behaupteten dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers durch den Verkehrsunfall vom 2. Dezember 2015 verursacht worden seien. Die (Haupt-) Beschwerden stünden vielmehr im Zusammenhang mit einer überwiegend nicht unfallbedingten Coxarthrose. Das Obergericht verneinte folglich nach "summarischer Durchsicht der Akten" und gestützt auf eine "vorläufige Einschätzung" den (natürlichen) Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Schaden, den der Beschwerdeführer mit der angestrebten Teilklage geltend machen will. Entsprechend kam es zum Schluss, dass die Gewinnaussichten der ins Auge gefassten Teilklage "beträchtlich geringer" seien als die Verlustgefahren. Die beabsichtigten Rechtsbegehren in der Sache erschienen mithin - so das Obergericht - als aussichtslos.  
 
4.2. Die in der Beschwerde formulierte Kritik ist nicht geeignet, die vorinstanzliche Einschätzung umzustossen:  
Der Beschwerdeführer übergeht den Massstab, den das Bundesgericht anlegt, wenn die sachgerichtliche Abschätzung der Erfolgsaussichten nach Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 117 lit. b ZPO angefochten ist (Erwägung 3.4). Er beruft sich im Wesentlichen auf das erwähnte sozialversicherungsrechtliche Urteil des Bundesgerichts, das er indes anders interpretiert und aus dem er andere Schlüsse zieht, als dies das Obergericht tat. Die vorinstanzliche Feststellung, der behandelnde Arzt habe bescheinigt, dass bei ihm "eine Coxarthrose bestehe und die diesbezüglichen Beschwerden nicht auf das Unfallereignis zurückgeführt werden" könnten, stellt er dagegen nicht in Frage. Die Ausführungen des Beschwerdeführers laufen im Kern auf das Argument hinaus, dass es "gerade der Zweck der angestrebten Teilklage [sei], die umstrittene Kausalitätsproblematik zu klären". Dies mag zutreffen, ändert aber nichts daran, dass die unentgeltliche Rechtspflege auch für eine Teilklage nur zu gewähren ist, wenn diese Aussicht auf Erfolg hat. Dass die Vorinstanz bei dieser Beurteilung von anerkannten Rechtsgrundsätzen abgewichen wäre, bedeutungslosen Aspekten Gewicht beigemessen hätte oder umgekehrt über zwingend zu beachtende Gesichtspunkte hinweggegangen wäre, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die Prozessaussichten aufgrund einer "vorläufigen und summarischen Prüfung" beurteilt hat (vgl. BGE 142 III 138 E. 5.1). 
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das Obergericht die Aussichtslosigkeit der (Schadenersatz-) Begehren in der Hauptsache - wie erwähnt - gestützt auf den (wohl) fehlenden natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den gesundheitlichen Beeinträchtigungen begründete. Ob ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht, ist eine Tatfrage (BGE 143 III 242 E. 3.7; 132 III 715 E. 2.2 mit weiteren Hinweisen). Entsprechende vorinstanzliche Feststellungen sind der bundesgerichtlichen Prüfung daher grundsätzlich ohnehin entzogen (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 mit Hinweisen). Willkür macht der Beschwerdeführer nicht geltend. 
 
4.3. Die Rüge des Beschwerdeführers, es sei ihm "in Verletzung des verfassungsmässigen und gesetzlichen Anspruchs die unentgeltliche Rechtspflege und -verbeiständung verweigert worden", verfängt nicht.  
 
4.4. Die Beschwerde schliesst mit der Behauptung, angesichts der Sozialhilfebedürftigkeit des Beschwerdeführers liege es "im öffentlichen Interesse", die Motorfahrzeughaftpflichtversichererin zu verurteilen, "den durch das Unfallereignis verursachten aufgelaufenen und zukünftigen Schaden zu entschädigen, um inskünftig gegebenenfalls Sozialhilfeleistungen ausschliessen zu können". Dieses Vorbringen geht an der Sache vorbei.  
 
4.5. Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, wie es sich mit der weiteren Erwägung des Obergerichts verhält, wonach die B.________ AG im Rahmen eines Vergleichsangebots bereit gewesen sei, dem Beschwerdeführer insgesamt einen Betrag von Fr. 81'462.-- nebst Anwaltskosten zu bezahlen, und eine Partei, welche über die nötigen Mittel verfüge, sich bei vernünftiger Überlegung auch aus diesem Grund nicht zu einem Prozess über Fr. 100'00.-- entschlossen, sondern dieser Vergleichsofferte zugestimmt hätte.  
 
5.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
Dem Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren kann nicht entsprochen werden, da die Beschwerde aussichtslos ist (siehe Art. 64 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer wird kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons Glarus schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 26. August 2022 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Hohl 
 
Der Gerichtsschreiber: Stähle