Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
4A_317/2024
Urteil vom 26. August 2024
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jametti, Präsidentin,
Bundesrichter Rüedi,
Bundesrichterin May Canellas,
Gerichtsschreiber Kistler.
Verfahrensbeteiligte
A.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Läuffer,
Beschwerdeführerin,
gegen
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Rudolf Studer,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Forderung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht, 1. Kammer, vom 16. April 2024 (ZOR.2024.3).
Sachverhalt:
A.
B.________ (Klägerin, Beschwerdegegnerin) war Aktionärin der C.________ AG, die durch Kombinationsfusion mit der D.________ AG in die A.________ AG (Beklagte, Beschwerdeführerin) überging und am 15. Juni 2022 im Handelsregister gelöscht wurde. Die Klägerin verlangt von der Beklagten eine angemessene Ausgleichszahlung gemäss Art. 105 des Bundesgesetzes vom 3. Oktober 2003 über Fusion, Spaltung, Umwandlung und Vermögensübertragung (Fusionsgesetz, FusG; SR 221.301).
B.
B.a. In ihrem Schlichtungsgesuch beim Friedensrichteramt Kreis II des Kantons Aargau beantragte die Klägerin, dass zu ihren Gunsten aufgrund der Fusion "eine angemessene Ausgleichszahlung" festzusetzen sei. Nach Erhalt der Vorladung zur Schlichtungsverhandlung stellte die Klägerin ein Gesuch um Dispensation vom persönlichen Erscheinen zur Schlichtungsverhandlung. Eine Generalvollmacht mit Vertretungsbefugnis des Sohnes E.________ zugunsten der Klägerin wurde beigelegt. Die Schlichtungsverhandlung fand am 22. September 2022 statt, zu welcher die Klägerin nicht persönlich erschien. Mangels Einigung wurde der Klägerin am gleichen Tag die Klagebewilligung erteilt.
B.b. Die Klägerin erhob beim Bezirksgericht Aarau Klage gegen die Beklagte und beantragte im Wesentlichen, die Beklagte sei zu verpflichten, ihr eine angemessene Ausgleichszahlung von mindestens zusätzlich Fr. 9'840.-- pro Anteilsschein und damit insgesamt von Fr. 246'000.-- zu bezahlen.
Mit Verfügung vom 30. Januar 2023 wurde das Verfahren auf Antrag der Beklagten auf die Frage der Gültigkeit der Klagebewilligung beschränkt. Mit Replik im beschränkten Verfahren beantragte die Klägerin, die Gültigkeit der Klagebewilligung sei festzustellen und auf die Klage sei einzutreten.
B.c. Mit Entscheid vom 26. Oktober 2023 stellte das Bezirksgericht die Gültigkeit der Klagebewilligung fest. Das Obergericht des Kantons Aargau wies die dagegen erhobene Berufung der Beklagten mit Urteil vom 16. April 2024 ab. Zur Begründung führte das Obergericht aus, die Klägerin sei im Zeitpunkt der Schlichtungsverhandlung bereits 81 Jahre alt gewesen, weshalb im Zeitpunkt der Schlichtungsverhandlung ein gesetzlicher Dispensationsgrund (" Alter ") gemäss Art. 204 Abs. 3 lit. b ZPO vorgelegen habe.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, den Entscheid des Obergerichts aufzuheben, die Ungültigkeit der Klagebewilligung festzustellen und auf die Klage nicht einzutreten. Eventualiter sei die Sache zu neuem Entscheid an das Obergericht des Kantons Aargau zurückzuweisen.
In der Sache wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.
Mit präsidialer Verfügung vom 18. Juni 2024 wurde der Beschwerde antragsgemäss aufschiebende Wirkung erteilt.
Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein Rechtsmittel zulässig ist (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 145 I 121 E. 1; 143 III 140 E. 1; 141 III 395 E. 2.1).
1.1. Der angefochtene Entscheid bejaht die Gültigkeit der Klagebewilligung und behandelt damit eine prozessuale Vorfrage. Er schliesst somit das Verfahren in Bezug auf die Klagebegehren weder ganz noch teilweise ab und qualifiziert sich daher als Vor- und Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG (BGE 135 III 212 E. 1.2).
1.2.
1.2.1. Gegen selbstständig eröffnete Zwischenentscheide, die weder die Zuständigkeit noch den Ausstand betreffen, ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG). Es obliegt der Beschwerdeführerin darzutun, dass die Voraussetzungen von Art. 93 BGG erfüllt sind, soweit deren Vorliegen nicht ohne weiteres in die Augen springt (BGE 134 III 426 E. 1.2; 133 III 629 E. 2.3.1 und E. 2.4.2.).
1.2.2. Die Beschwerdeführerin beruft sich auf Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG. Die erste Teilvoraussetzung von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG ist ohne weiteres erfüllt. Im Falle einer Gutheissung der Beschwerde wäre mangels Gültigkeit der Klagebewilligung in einem verfahrensabschliessenden Endentscheid auf die Klage nicht einzutreten. Die weitere Teilvoraussetzung, dass mit einem Endentscheid ein bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart werden könnte, ist ebenfalls erfüllt. Die Beschwerdeführerin legt überzeugend dar, dass bei einem Eintreten auf die Klage, das erstinstanzliche Verfahren die Bewertung der erloschenen Gesellschaft, an der die Beschwerdegegnerin beteiligt war, zum Gegenstand hätte. Aus Sicht der Beschwerdeführerin müsste dazu ein gerichtliches Gutachten eingeholt werden, was ein Beweisverfahren von mindestens einem Jahr und Kosten in der Höhe von Fr. 20'000.-- zur Folge hätte. Die Beschwerdeführerin legt damit hinreichend dar, inwiefern mit dem prozessualen Endentscheid ein bedeutender Aufwand an Zeit und Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart werden könnte. Damit ist auch die zweite Voraussetzung von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG als erfüllt zu betrachten.
1.3. Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg demjenigen der Hauptsache (BGE 134 V 138 E. 3; 133 III 645 E. 2.2). Es handelt sich um eine vermögensrechtliche Zivilstreitigkeit mit einem Streitwert von mehr als Fr. 30'000.--. Der für die Beschwerde in Zivilsachen massgebende Streitwert (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) ist damit ohne weiteres erreicht. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Demnach ist auf die Beschwerde in Zivilsachen unter dem Vorbehalt der hinreichenden Begründung einzutreten (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG ).
2.
2.1. Mit Beschwerde in Zivilsachen können Rechtsverletzungen nach Art. 95 und 96 BGG gerügt werden. Die Beschwerde ist hinreichend zu begründen, ansonsten darauf nicht eingetreten werden kann (BGE 140 III 115 E. 2; 134 II 244 E. 2.1). In der Beschwerdeschrift ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG). Unerlässlich ist, dass auf die Begründung des angefochtenen Entscheids eingegangen und im Einzelnen aufgezeigt wird, worin eine vom Bundesgericht überprüfbare Rechtsverletzung liegt. Die beschwerdeführende Partei soll in der Beschwerde an das Bundesgericht nicht bloss die Rechtsstandpunkte, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, erneut bekräftigen, sondern mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz ansetzen (BGE 140 III 115 E. 2, 86 E. 2).
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Dazu gehören sowohl die Feststellungen über den streitgegenständlichen Lebenssachverhalt als auch jene über den Ablauf des vor- und erstinstanzlichen Verfahrens, also die Feststellungen über den Prozesssachverhalt (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 mit Hinweisen). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2; 135 III 397 E. 1.5). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein können (Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). Die Partei, welche die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz anfechten will, muss klar und substanziiert aufzeigen, inwiefern diese Voraussetzungen erfüllt sein sollen (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 mit Hinweisen). Wenn sie den Sachverhalt ergänzen will, hat sie zudem mit präzisen Aktenhinweisen darzulegen, dass sie entsprechende rechtsrelevante Tatsachen und taugliche Beweismittel bereits bei den Vorinstanzen prozesskonform eingebracht hat (BGE 140 III 86 E. 2).
3.
Die Vorinstanz hielt im Wesentlichen fest, die Beschwerdeführerin habe in ihrem Dispensationsgesuch für das Schlichtungsverfahren ihr Alter als Grund angegeben. Die Beschwerdeführerin sei zwar erst anlässlich der Schlichtungsverhandlung über die Dispensation informiert worden. Es könne allerdings offenbleiben, ob diese Mitteilung verspätet erfolgt sei, da die Beschwerdeführerin ohnehin nur eine Verschiebung der Schlichtungsverhandlung hätte beantragen können, was sie aber nicht getan habe. Unerheblich sei auch, ob die Beschwerdegegnerin ihr Alter bereits im Schlichtungsverfahren habe nachweisen können. Entscheidend sei einzig, ob sie im erstinstanzlichen Verfahren nachweisen konnte, dass sie aufgrund ihres Alters gemäss Art. 204 Abs. 3 lit. b ZPO nicht persönlich an der Schlichtungsverhandlung habe erscheinen müssen. Es sei sodann davon auszugehen, dass gemäss Art. 204 Abs. 3 lit. b ZPO ein gewisses Alter per se als Dispensationsgrund gelte, weil damit die Vermutung einhergehe, dass die betroffene Person aufgrund gewisser Leiden oder Einschränkungen der Schlichtungsverhandlung nicht mehr so gut folgen könne. Jedenfalls liege das Alter der Beschwerdegegnerin mit 81 Jahren deutlich über der von Art. 204 Abs. 3 lit. b ZPO vorausgesetzten Altersgrenze.
4.
Die Beschwerdeführerin beanstandet das vorinstanzliche Urteil in verschiedener Hinsicht. Zusammengefasst macht sie geltend, die Vorinstanz sei aktenwidrig davon ausgegangen, die Beschwerdegegnerin sei wegen ihres Alters von der Schlichtungsverhandlung dispensiert worden. Die Beschwerdegegnerin sei nämlich aus "gesundheitlichen Gründen" und damit wegen Krankheit dispensiert worden. Die Vorinstanz gehe auch fehl in der Annahme, die Beschwerdegegnerin habe ihr Dispensationsgesuch erst im erstinstanzlichen Verfahren beweisen müssen. Tatsächlich entscheide der Friedensrichter über das Dispensationsgesuch, während das erstinstanzliche Bezirksgericht die Gültigkeit der Klagebewilligung prüfe. Es sei daher notwendig, dass die gesuchstellende Partei ihr Gesuch vor der Schlichtungsverhandlung stelle, belege und begründe, was die Beschwerdegegnerin gerade nicht getan habe. Schliesslich habe die Vorinstanz auch Art. 204 Abs. 3 lit. b ZPO verletzt, indem sie bei der Beschwerdegegnerin aufgrund ihres Alters von einem zulässigen Dispensationsgrund ausgegangen sei. Inwiefern sich die Rügen der Beschwerdeführerin als begründet erweisen, kann aus nachfolgenden Erwägungen offen bleiben (vgl. E. 5 hiernach).
5.
5.1. Alle am Zivilprozess beteiligten Personen haben nach Treu und Glauben zu handeln (Art. 52 ZPO; vgl. weiter Art. 5 Abs. 3 BV). Sie sind daher gehalten, verfahrensrechtliche Einwendungen so früh wie möglich vorzubringen, mithin bei erster Gelegenheit nach Kenntnisnahme des Mangels. Ansonsten können sie diese nicht mehr erheben (BGE 143 V 66 E. 4.3; 140 I 271 E. 8.4.3; 138 III 374 E. 4.3.2.). Aus diesem Grund muss die beklagte Partei, die am Schlichtungsverfahren teilnimmt, auf der persönlichen Teilnahme bzw. rechtskonformen Vertretung der klägerischen Partei insistieren (BGE 149 III 12 E. 3.2.1) und kann sich nicht mehr vor Gericht auf die Ungültigkeit der Klagebewilligung berufen (BGE 149 III 12; 146 III 265 E. 5.5.3). Demnach hätte im vorliegenden Fall zur erfolgreichen Geltendmachung der fehlenden Gültigkeit der Klagebewilligung die Beschwerdeführerin als Beklagte bereits im Schlichtungsverfahren ausdrücklich auf die persönliche Teilnahme der Beschwerdegegnerin bestehen müssen (vgl. BGE 140 III 70 E. 5).
5.2. Aus dem vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin keine Verschiebung der Schlichtungsverhandlung beantragte, die Schlichtungsverhandlung abgehalten wurde und der Friedensrichter der Beschwerdegegnerin mangels Einigung eine Klagebewilligung ausstellte. Daraus ergibt sich jedenfalls, dass sich die Beschwerdeführerin auf das Schlichtungsverfahren eingelassen hat. Die Beschwerdeführerin macht sodann nicht geltend und es lässt sich dem angefochtenen Entscheid nicht entnehmen, dass sie gegen das fehlende persönliche Erscheinen der Beschwerdegegnerin bereits vor der Schlichtungsbehörde opponiert hätte. Vielmehr ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Entscheid, dass die Beschwerdeführerin keine ausdrücklichen Einwendungen gegen die Dispensation erhoben hat. A ngesichts dieser Umstände ist es der Beschwerdeführerin im Lichte des Grundsatzes von Treu und Glauben verwehrt, sich erst vor der Erstinstanz auf die Pflicht zum persönlichen Erscheinen der Beschwerdegegnerin gemäss Art. 204 Abs. 1 ZPO zu berufen und damit die Ungültigkeit der Klagebewilligung geltend zu machen. Vielmehr hätte sie bereits vor der Schlichtungsbehörde auf die persönliche Anwesenheit der Beschwerdegegnerin bestehen müssen. Bei dieser Ausgangslage muss nicht weiter auf die von der Beschwerdeführerin erhobenen Rügen gegen die Gültigkeit der Klagebewilligung eingegangen werden.
6.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang ist die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet, da der Beschwerdegegnerin mangels Einholung einer Beschwerdeantwort kein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 26. August 2024
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Jametti
Der Gerichtsschreiber: Kistler