Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
12T_1/2022
Entscheid vom 26. September 2022
Verwaltungskommission
Besetzung
Bundesrichterin Niquille, Präsidentin,
Bundesrichter Donzallaz, Chaix,
Generalsekretär Lüscher.
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Max Imfeld,
Anzeiger,
gegen
1. Eidgenössisches Gericht B.________, Verwaltungskommission,
2. Eidgenössisches Gericht B.________,
Generalsekretärin,
3. Richterin C.________,
Angezeigte.
Gegenstand
Aufsichtsanzeige gemäss Art. 9 Abs. 1 AufRBGer.
Sachverhalt:
A.
Mit Eingabe vom 17. Mai 2022 reichte Rechtsanwalt Max Imfeld für seinen Klienten A.________ (nachfolgend: Anzeiger) beim Bundesgericht eine Aufsichtsanzeige ein. Er beantragt, es sei gestützt auf Art. 9 Abs. 1 und Art. 7 des Aufsichtsreglements des Bundesgerichts (SR 173.110.132, AufRBGer) eine Untersuchung zu eröffnen gegen die damaligen und die heutigen Mitglieder der Verwaltungskommission des Eidgenössischen Gerichts B.________. Ebenfalls sei eine Untersuchung gegen die Generalsekretärin des Eidgenössischen Gerichts B.________ zu eröffnen, alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge.
Am 18. August 2022 ergänzte er seine Anzeige vom 17. Mai 2022 und beantragt zusätzlich, es sei auch gegen die damalige Präsidentin der Abteilung D.________, Richterin C.________ (nachfolgend: die damalige Abteilungspräsidentin) eine Untersuchung zu eröffnen.
B. Das Eidgenössische Gericht B.________ wurde nicht zu einer Stellungnahme eingeladen.
Erwägungen:
1.
1.1. Der Anzeiger begründet seine Anzeige vom 17. Mai 2022 im Wesentlichen wie folgt: Aus dem im Anschluss der Anzeige des Eidgenössischen Gerichts B.________ vom 28. Juli 2020 gegen ihn beim Bundesgericht eingeleiteten Verfahren sei bekannt geworden, dass über ihn eine umfangreiche "Fiche" bzw. "Dokumentensammlung" angelegt worden sei. Diese habe der Abteilungspräsidentin als Grundlage für einen Bericht gedient, den sie am 4. August 2020 der Verwaltungskommission des Eidgenössischen Gerichts B.________ übergeben habe. Dieser "Urbericht", aus welchem die Abteilungspräsidentin an einer Aufsichtssitzung mit der Verwaltungskommission des Bundesgerichts (nachfolgend: VK-BGer) zitiert habe, sei im Anschluss an diese Sitzung von der Verwaltungskommission des Eidgenössischen Gerichts B.________ an die Verfasserin zur Kürzung zurückgegeben worden. Seither werde er von dieser unter Verschluss gehalten. Ihm sei lediglich zur gekürzten Version vom 15. September 2020 (nachfolgend: gekürzter Bericht) das rechtliche Gehör gewährt worden. Er rügt eine Verletzung der Fürsorgepflicht und des rechtlichen Gehörs durch "nicht nachvollziehbare Rückweisung und unrechtmässiges Vorenthalten des Urberichts". Die Verwaltungskommission des Eidgenössischen Gerichts B.________ - so der Anzeiger weiter - habe selber anerkannt, dass ein Teil der im gekürzten Bericht enthaltenen Vorwürfe das Eidgenössische Gericht B.________ allgemein betreffen und daher in die Verantwortung der Verwaltungskommission (und nicht lediglich des Abteilungspräsidiums) fallen würden. Trotzdem habe es die Verwaltungskommission des Eidgenössischen Gerichts B.________ unterlassen, die zu diesem Teil des Berichts gehörenden Beilagen selber zu sichten und sie ihm mit Blick auf seine Anhörung durch die Verwaltungskommission des Eidgenössischen Gerichts B.________ im Oktober 2020 vorzulegen. Damit sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden. Die Verwaltungskommission des Eidgenössischen Gerichts B.________ habe schliesslich die Beilagen erst Ende März 2021 der neuen Abteilungspräsidentin ausgehändigt, welche ihm dann am 29. April 2021 Einsicht in die Akten gegeben habe. Mit dieser auf vorgeschobenen Gründen beruhenden Verzögerung der Akteneinsicht und weiterer Aufklärungshandlungen habe die Verwaltungskommission des Eidgenössischen Gerichts B.________ die Fürsorgepflicht ihm gegenüber verletzt. Die Eingabe der Verwaltungskommission des Eidgenössischen Gerichts B.________ an das Bundesgericht vom 2. Februar 2022 ("Mitteilung aufsichtsrechtlich relevanter Vorgänge am Eidgenössischen Gericht B.________") habe sodann wahrheitswidrige Behauptungen betreffend seinen Willen zur Akteneinsicht enthalten.
1.2. Die Ergänzung seiner Aufsichtsanzeige vom 18. August 2022 stützt der Anzeiger auf die mittlerweile am 10. Juni 2022 erfolgte Herausgabe des eingangs erwähnten "Urberichts". Die Verwaltungskommission des Eidgenössischen Gerichts B.________ begründete die Herausgabe damit, dass die vom Datenschutzbeauftragten des Eidgenössischen Gerichts B.________ seinerzeit durchgeführte Interessenabwägung ergeben habe, es genüge, wenn dem Anzeiger im Rahmen des erteilten Gutachten-Auftrags betreffend des von ihm erhobenen Mobbingvorwurfs das rechtliche Gehör gewährt werde und er in der Folge auch Gelegenheit haben werde, sich zu diesem Gutachten zu äussern. Zwischenzeitlich habe der Gutachter jedoch mitgeteilt, dass es ihm nicht möglich erscheine, die zahlreichen Inhalte des "Urberichts" im Rahmen des Gutachten-Auftrags bzw. der dort vorzunehmenden Anhörung zu vermitteln, weshalb der "Urbericht" nun trotzdem zur Wahrung des rechtlichen Gehörs herausgegeben werde.
Abgesehen von mehrfachen, wenig strukturierten Wiederholungen seiner bereits in der Eingabe vom 17. Mai 2022 erhobenen Vorwürfe (rechtswidrige Vorenthaltung über lange Zeit, rechtswidrige Rückgabe zur Kürzung etc.) beanstandet der Anzeiger eine unzulässige Delegation der Gehörsgewährung an den Mobbing-Beauftragten und namentlich das Verschleppen der nötigen Untersuchungshandlungen - sei es jene durch die neue Abteilungspräsidentin, den externen Gutachter oder den gerichtsinternen Datenschutzbeauftragten. Zudem sei der Auftrag an die neue Abteilungspräsidentin unzulässig eingeschränkt worden, indem diese die durch die Vorgängerinnen erhobenen Vorwürfe nur noch "auf deren Aktualität hin zu überprüfen" gehabt habe. Die Verwaltungskommission des Eidgenössischen Gerichts B.________ verzögere auch weiterhin jede "disziplinarischen Ermittlungen" gegen die damalige Abteilungspräsidentin, obwohl mit dem seit dem 28. Februar 2022 vorliegenden Bericht der neuen Abteilungspräsidentin sowie dem bereits am 27. September 2021 abgeschlossenen Einschätzungsberichts des internen Datenschutzbeauftragten " handfeste Gründe für die Einleitung einer Untersuchung" vorgelegen hätten. Schliesslich rügt der Anzeiger den Urbericht auch inhaltlich, namentlich die "jahrelangen Vorhaltungen zweier Abteilungspräsidentinnen" - gemeint die damalige und deren Vorgängerin - bezüglich seiner Ankunftszeiten am Gericht, obwohl die Richterverordnung keine fixen Präsenz- und Arbeitszeiten vorsehe. Trotzdem sei dies von ihm verlangt worden, weshalb dieses Vorgehen der Abteilungspräsidentinnen auf die "Straftatbestände der Nötigung und Amtsanmassung" zu überprüfen wäre. Die mehrmonatige Observation seiner Ankunftszeiten ohne explizite gesetzliche Grundlage sei auch ein problematischer Eingriff in seine Privatsphäre. Dass seine Präsenzzeiten zu Problemen (etwa in Zusammenarbeit mit den Gerichtsschreibern) geführt hätten, sei - wie auch andere Vorhaltungen - eine Falschbehauptung und wäre in strafrechtlicher Hinsicht auf die Tatbestände der üblen Nachrede und der Verleumdung zu überprüfen.
2.
2.1. Die Aufsicht des Bundesgerichts über die erstinstanzlichen Gerichte ist eine Organaufsicht und bezweckt die gesetzmässige, zweckmässige und haushälterische Aufgabenerfüllung der beaufsichtigten Gerichte (Art. 2 Abs. 3 AufRBGer). Der Aufsicht untersteht insbesondere auch die Gerichtsleitung (Art. 2 Abs. 1 AufRBGer). Mittel der Aufsicht sind namentlich Untersuchungen (Art. 3 lit. d AufRBGer) und die Erledigung von Aufsichtseingaben (Art. 3 lit. f AufRBGer). Mit der Aufsichtsanzeige kann dem Bundesgericht somit zwar Kritik an der Geschäftsführung vorgetragen werden, eine solche begründet aber für den Anzeiger keine Parteirechte (Art. 9 Abs. 2 AufRBGer; vgl. auch Art. 71 Abs. 2 VwVG).
Raum für aufsichtsrechtliche Feststellungen oder gar weitergehende Massnahmen besteht nach feststehender Praxis nur unter der Voraussetzung struktureller Mängel organisatorischer oder administrativer Natur (BGE 144 II 56 E. 2; 144 II 486 E. 3.1; Entscheid 12T_3/2019 E. 2). Auch wenn die Praxis zur Aufsicht hauptsächlich Fälle betrifft, in denen ein Anzeiger in seinem am Eidgenössischen Gericht B.________ hängigen oder entschiedenen Verfahren Mängel geltend macht und Kritik am entsprechenden Spruchkörper übt, trifft Gleiches auch zu, wenn die Kritik die Gerichtsleitung und damit eine Verwaltungsmassnahme betrifft. Gegenstand der Aufsicht ist nicht das Überprüfen einer einzelnen Verwaltungsmassnahme. Vielmehr ergibt sich der Inhalt der Aufsicht des Bundesgerichts stets aus der damit verbundenen Zielsetzung, der Sicherstellung einer funktionsfähigen, unabhängigen Justiz (vgl. auch Heinrich Koller, in: Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 94 zu Art. 1 BGG). Die Aufsichts
anzeige ist keine Aufsichtsbeschwerde; sie dient nicht dem Individualrechtschutz (Stefan Vogel, in: Christoph Auer/Markus Müller/Benjamin Schindler [Hrsg.], Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, Kommentar, N. 6 zu Art. 71 VwVG; Oliver Zibung, in: Bernhard Waldmann/Philippe Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar Verwaltungsverfahrensgesetz [VwVG], 2. Aufl. 2016, N. 18 zu Art. 71 VwVG). Ob der Geschäftsgang generell den Anforderungen entspricht, ist zwar anhand der beanstandeten konkreten Fälle zu beleuchten. Diese müssen aber klare Anhaltspunkte enthalten, dass es sich nicht um einen Einzelfall, sondern um ein allgemeines Problem handelt. Auch besteht kein Anlass zum Einschreiten, wenn das beaufsichtigte Gericht die nötigen organisatorischen oder administrativen Massnahmen getroffen hat (Paul Tschümperlin, Calame/Hess-Blumer/Stieger [Hrsg.], Patentgerichtsgesetz [PatGG], Kommentar, 2013, N. 53 zu Art. 3 BPatGG).
2.2. Damit das Bundesgericht der Anzeige Folge geben würde, müsste der Anzeiger konkrete Hinweise vorbringen, welche auf ein solches generelles Dysfunktionieren der Verwaltungskommission des Eidgenössischen Gerichts B.________ schliessen liessen. Dieser macht nun aber keinen einzigen Sachverhalt geltend, der nicht lediglich seine individuelle Situation betrifft. Sämtliche Vorwürfe zielen auf das Verhalten der Verwaltungskommission des Eidgenössischen Gerichts B.________ ihm gegenüber. Aufgrund der regelmässigen Aufsichtssitzungen der VK-BGer mit der Verwaltungskommission des Eidgenössischen Gerichts B.________ konnte kein etwaiges generelles Verhalten, wie das vom Anzeiger gerügt, festgestellt werden. Es muss nicht darauf eingegangen werden, ob das vom Anzeiger ihm gegenüber gerügte Verhalten im Sinn der Voraussetzungen klares materielles Recht oder Verfahrensrecht verletzt, denn es ist nicht ersichtlich und der Anzeiger legt nicht ansatzweise dar, dass - selbst wenn dies zutreffen würde - von einer Wiederholungsgefahr auszugehen wäre. Wie er selber ausführt - und kritisiert - wechselte die damalige Abteilungspräsidentin in eine andere Abteilung, wo sie als Abteilungsmitglied tätig ist. Der VK-BGer ist sodann aus ihrer Aufsichtstätigkeit bekannt, dass das Eidgenössische Gericht B.________ die Empfehlung des internen Datenschutzbeauftragten in dessen Bericht vom 27. September 2021 unterstützt, wonach für das Bearbeiten von Daten über Richterinnen und Richter klarere Grundlagen - allenfalls auch eine gesetzliche Regelung - geschaffen werden sollten. Im Übrigen ist mit dem Datenschutzbeauftragten aber im Grundsatz festzuhalten, dass zur Gewährleistung eines funktionierenden Gerichtsbetriebs und insbesondere zur Wahrnehmung einer Führungsrolle die Bearbeitung gewisser Daten über Richterinnen und Richter möglich sein muss.
Wenn der Anzeiger schliesslich "disziplinarische Ermittlungen" gegen die damalige Abteilungspräsidentin verlangt, verkennt er, dass keine gesetzliche Regelung besteht, wonach das Aufsichtsorgan oder die Leitung des Eidgenössischen Gerichts B.________ gegenüber einer Richterin disziplinarisch vorgehen kann.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Der Aufsichtsanzeige wird keine Folge gegeben.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Dieser Entscheid wird dem Eidgenössischen Gericht B.________, Verwaltungskommission, dem Eidgenössischen Gericht B.________, Generalsekretärin, und Richterin C.________ schriftlich mitgeteilt. Dem Anzeiger wird eine Orientierungskopie zugestellt.
Lausanne, 26. September 2022
Im Namen der Verwaltungskommission
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Niquille
Der Generalsekretär: Lüscher