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[AZA 0] 
1P.637/2000/boh 
 
I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG 
********************************** 
 
26. Oktober 2000 
 
Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der 
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Nay, 
Bundesrichter Aeschlimann und Gerichtsschreiberin Leuthold. 
 
--------- 
 
In Sachen 
C.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Stephan A. Buchli, Limmatquai 72, Zürich, 
 
gegen 
Bezirksanwaltschaft Zürich, Büro D-16, Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich, 
 
betreffend 
persönliche Freiheit (Haftentlassung), 
hat sich ergeben: 
 
A.- Die Bezirksanwaltschaft Zürich führt gegen den aus Somalia stammenden C.________ eine Strafuntersuchung wegen Verdachts des Raubes und der sexuellen Nötigung, eventuell der versuchten Vergewaltigung. Dem Angeschuldigten wird zur Last gelegt, er habe am 14. August 2000, ca. um 1.20 Uhr, an der Drahtzugstrasse in Zürich die Passantin L.________ zur Duldung von sexuellen Handlungen (Betatschen der Brüste) genötigt, indem er sie in einen Würgegriff genommen habe. Als sich Frau L.________ zur Wehr gesetzt habe, soll er sie zu Boden geworfen und ihr die Handtasche weggenommen haben. 
C.________ wurde am 17. August 2000 festgenommen und mit Verfügung des Haftrichters des Bezirksgerichts Zürich vom 19. August 2000 in Untersuchungshaft versetzt. Am 23. September 2000 stellte er ein Gesuch um Haftentlassung. Der Haftrichter wies das Gesuch mit Verfügung vom 29. September 2000 ab. 
 
 
B.- Gegen diesen Entscheid liess C.________ am 9. Oktober 2000 durch seinen Anwalt staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht einreichen. Er beantragt, die angefochtene Verfügung des Haftrichters sei aufzuheben und er sei umgehend auf freien Fuss zu setzen. 
 
 
C.- Die Bezirksanwaltschaft Zürich und der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich verzichteten auf eine Vernehmlassung. 
 
D.- Mit Eingabe vom 21. Oktober 2000 stellte C.________ das Gesuch, es sei ihm für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung zu gewähren. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- a) Mit einer staatsrechtlichen Beschwerde, die sich gegen die Abweisung eines Haftentlassungsgesuchs richtet, kann in Abweichung vom Grundsatz der kassatorischen Natur der Beschwerde nicht nur die Aufhebung des angefochtenen Entscheids, sondern ausserdem die Entlassung aus der Haft verlangt werden (BGE 124 I 327 E. 4b/aa; 115 Ia 293 E. 1a, je mit Hinweisen). Die mit der vorliegenden Beschwerde gestellten Anträge sind daher zulässig. 
 
b) Die Begründung einer staatsrechtlichen Beschwerde muss in der Beschwerdeschrift selber enthalten sein (BGE 115 Ia 27 E. 4a mit Hinweisen). Der Hinweis auf Rechtsschriften, die der Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren eingereicht hatte, ist unzulässig. Auf die in diesen Rechtsschriften gemachten Ausführungen kann nicht eingetreten werden. 
 
2.- Der Beschwerdeführer beklagt sich über eine Verletzung des Willkürverbots und des Prinzips der Verhältnismässigkeit von Zwangsmassnahmen. Es kann davon ausgegangen werden, dass er sinngemäss geltend macht, die Abweisung seines Haftentlassungsgesuchs verletze das in Art. 10 Abs. 2 BV gewährleistete Recht auf persönliche Freiheit. 
 
a) Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit wegen Fortdauer der Haft oder Ablehnung eines Haftentlassungsgesuchs erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs die Auslegung und Anwendung des entsprechenden kantonalen Rechts frei. Soweit jedoch reine Sachverhaltsfeststellungen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht grundsätzlich nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz willkürlich sind (BGE 123 I 31 E. 3a, 268 E. 2d, je mit Hinweisen). Der Berufung auf das Willkürverbot nach Art. 9 BV kommt im vorliegenden Fall neben der Rüge der Verletzung der persönlichen Freiheit keine selbständige Bedeutung zu. 
 
b) Nach § 58 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich (StPO) ist die Anordnung oder Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft zulässig, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird und ausserdem Flucht-, Kollusions- oder Wiederholungsgefahr besteht. 
Der Haftrichter nahm an, im vorliegenden Fall seien der dringende Tatverdacht sowie Wiederholungs- und Fluchtgefahr gegeben. 
 
Der Beschwerdeführer bestreitet mit Recht nicht, dass ein dringender Tatverdacht bestehe. Hingegen wirft er der kantonalen Instanz vor, sie habe die Haftgründe der Wiederholungs- und der Fluchtgefahr zu Unrecht bejaht. 
 
c) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts braucht es für die Annahme der Fluchtgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeschuldigte, wenn er in Freiheit wäre, der Strafverfolgung und dem Vollzug der Strafe durch Flucht entziehen würde. Die Schwere der drohenden Strafe darf als ein Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden. 
Sie genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen. Vielmehr müssen die konkreten Umstände des betreffenden Falles, insbesondere die gesamten Verhältnisse des Angeschuldigten, in Betracht gezogen werden (BGE 125 I 60 E. 3a; 117 Ia 69 E. 4a, je mit Hinweisen). 
 
Der Beschwerdeführer wurde im Oktober 1999 wegen Raubes und Sachbeschädigung zu 12 Monaten Gefängnis, im November 1999 wegen versuchter Körperverletzung, Tätlichkeit und Sachbeschädigung zu 3 Monaten Gefängnis und im Mai 2000 wegen Nötigungsversuchs und Sachentziehung zu 2 Monaten Gefängnis verurteilt. Mit Bezug auf alle diese Strafen war ihm der bedingte Vollzug gewährt worden. In der hier in Frage stehenden Strafuntersuchung wird ihm Raub, sexuelle Nötigung und versuchte Vergewaltigung zur Last gelegt. Der Haftrichter ging im angefochtenen Entscheid mit Grund von der Überlegung aus, wenn im Falle einer erneuten Verurteilung alle bisherigen Strafen und die neue Strafe vollzogen würden, hätte dies einen längeren Freiheitsentzug zur Folge. Es lässt sich ohne Verletzung der Verfassung annehmen, schon von daher gesehen bestehe für den Beschwerdeführer ein erheblicher Anreiz zur Flucht. 
 
Was die persönlichen Verhältnisse angeht, so handelt es sich beim Beschwerdeführer um einen somalischen Staatsangehörigen, der sich seit Oktober 1994 als Asylbewerber in der Schweiz aufhält. Der Haftrichter führte im angefochtenen Entscheid aus, der Beschwerdeführer sei in der Schweiz kaum richtig integriert, auch wenn er den Asylantenstatus habe, seit ein paar Jahren in der Schweiz lebe und etwas Deutsch könne. Er hielt dafür, auch aus diesen Gründen bestünden gewichtige Indizien für eine Fluchtgefahr. In der staatsrechtlichen Beschwerde wird nichts vorgebracht, was geeignet wäre, diese Auffassung als sachlich nicht vertretbar erscheinen zu lassen. Werden die gesamten Verhältnisse des Beschwerdeführers in Betracht gezogen, so verletzte der Haftrichter das verfassungsmässige Recht auf persönliche Freiheit nicht, wenn er zum Schluss gelangte, es bestehe eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass sich der Beschwerdeführer im Falle einer Haftentlassung der Strafverfolgung und einem allfälligen Vollzug der Strafe durch Flucht entziehen würde. 
 
d) Da der besondere Haftgrund der Fluchtgefahr zu bejahen ist, muss nicht geprüft werden, ob zusätzlich auch noch der Haftgrund der Wiederholungsgefahr gegeben wäre. 
 
e) Der Beschwerdeführer beklagt sich über eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit, weil der Haftrichter nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, anstelle der Untersuchungshaft eine mildere Massnahme, z.B. 
die Erteilung einer Weisung im Sinne von § 72 Abs. 2 StPO anzuordnen. Die Rüge ist unbegründet. Der Haftrichter handelte nicht verfassungswidrig, wenn er aufgrund der oben geschilderten persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers annahm, dessen Anwesenheit im Strafprozess könne durch eine Ersatzanordnung nicht in hinreichender Weise sichergestellt werden. 
 
Nach dem Gesagten verletzte der Haftrichter das verfassungsmässige Recht auf persönliche Freiheit nicht, wenn er das Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers vom 23. September 2000 abwies. Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann. 
 
 
3.- Dem Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 152 Abs. 1 und 2 OG kann mit Rücksicht auf die gesamten Umstände des Falles entsprochen werden. 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
2.- Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt: 
 
a) Es werden keine Kosten erhoben; 
 
b) Rechtsanwalt Stephan A. Buchli, Zürich, wird als amtlicher Anwalt des Beschwerdeführers bezeichnet und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt. 
 
3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Bezirksanwaltschaft Zürich, Büro D-16, und dem Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich schriftlich mitgeteilt. 
 
______________ 
Lausanne, 26. Oktober 2000 
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: 
 
Die Gerichtsschreiberin: