Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
1C_445/2024
Urteil vom 26. November 2024
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
Bundesrichter Chaix, Haag,
Gerichtsschreiberin Dambeck.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Strassenverkehrsamt des Kantons Zug, Hinterbergstrasse 41, 6312 Steinhausen.
Gegenstand
Belassen des Führerausweises unter Auflagen,
Beschwerde gegen die Verfügung des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug, Verwaltungsrechtliche Kammer, vom
3. Juli 2024 (V 2024 57).
Sachverhalt:
A.
Das Strassenverkehrsamt des Kantons Zug wurde durch die Zustellung des Rapports der Kantonspolizei Glarus betreffend eine Geschwindigkeitsüberschreitung durch A.________ und das entsprechende Urteil des Bundesgerichts 7B_220/2022 vom 23. Februar 2024 auf Hinweise aufmerksam, dass dieser an einer Fatigue-Erkrankung und kognitiven Einschränkungen leide. Es forderte A.________ mehrmals auf, ein hausärztliches Zeugnis einzureichen, das Auskunft gebe zur Art seiner Erkrankung (Diagnose), zur Behandlung (allfällige Medikation) sowie, soweit aus hausärztlicher Sicht möglich, zur Fahreignung.
Am 28. Mai 2024 verfügte das Strassenverkehrsamt auf Antrag von A.________ hin, dass ihm der Führerausweis unter der Auflage belassen werde, dass er bis spätestens zum 17. Juni 2024 ein solches Arztzeugnis einreiche.
B.
A.________ reichte gegen diese Verfügung Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zug ein und beantragte deren Aufhebung. Zudem stellte er unter anderem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, dem das Verwaltungsgericht mit Zwischenentscheid vom 11. Juni 2024 nachkam.
Am 1. Juli 2024 verfügte das Strassenverkehrsamt den vorsorglichen Entzug des Führerausweises von A.________ für unbestimmte Zeit, nachdem dieser das geforderte Arztzeugnis nicht eingereicht hatte. Dagegen erhob A.________ Beschwerde beim Verwaltungsgericht.
Das Verwaltungsgericht verfügte am 3. Juli 2024, das Verfahren betreffend das Belassen des Führerausweises unter Auflagen werde infolge Gegenstandslosigkeit als erledigt vom Geschäftsverzeichnis des Verwaltungsgerichts abgeschrieben.
C.
Gegen diese Verfügung gelangt A.________ mit Beschwerde vom 14. Juli 2024 an das Bundesgericht und beantragt die Feststellung, dass die Voraussetzungen für den vorsorglichen Führerausweisentzug durch das Strassenverkehrsamt nicht erfüllt seien und die entsprechende Verfügung nichtig sei. Eventualiter sei der verwaltungsgerichtliche Entscheid aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, das Verfahren korrekt durchzuführen. In prozessualer Hinsicht ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung nach Massgabe seiner kognitiven Behinderung. Am 9. September 2024 stellt der Beschwerdeführer zudem ein Gesuch um Erlass (superprovisorischer) vorsorglicher Massnahmen.
Mit Verfügung vom 11. September 2024 gab der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts dem mit Beschwerde gestellten Gesuch des Beschwerdeführers insofern statt, als bis zum Entscheid im vorliegenden Verfahren keine neuen, diesen belastende Vollziehungsvorkehrungen im Zusammenhang mit dessen Führerausweis erfolgen dürften. Das Gesuch um Erlass (superprovisorischer) vorsorglicher Massnahmen vom 9. September 2024 wurde abgewiesen.
Die Vorinstanz beantragt im Rahmen ihrer Vernehmlassung, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Auch das Strassenverkehrsamt stellt Antrag auf Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hält im Rahmen seiner Stellungnahme an seiner Beschwerde fest.
Erwägungen:
1.
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid betreffend das Belassen des Führerausweises unter Auflagen. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht offen (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 sowie Art. 90 BGG ); ein Ausnahmegrund im Sinne von Art. 83 ff. BGG liegt nicht vor. Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und ist als von der Verfügung direkt Betroffener gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerdeführung berechtigt. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.
1.2. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet die Frage, ob die Vorinstanz das Verfahren betreffend das Belassen des Führerausweises unter Auflagen zu Recht infolge Gegenstandslosigkeit als erledigt abgeschrieben hat. Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus rügt, dass das Strassenverkehrsamt nicht in den Besitz des bundesgerichtlichen Urteils 7B_220/2022 vom 23. Februar 2024 hätte gelangen dürfen, dass ihm ein Mitwirkungsverweigerungsrecht zukomme und soweit er die Aufhebung des vorsorglichen Führerausweises verlangt, geht dies über den Streitgegenstand hinaus und ist daher insofern auf die Beschwerde nicht einzutreten. Dies gilt auch hinsichtlich der in diesem Zusammenhang geltend gemachten unrichtigen Feststellung des Sachverhalts im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG.
2.
2.1. Die Vorinstanz erwog, mit dem vorsorglichen Führerausweisentzug entfalle der Gegenstand des vorliegenden Verfahrens betreffend das Belassen des Führerausweises unter Auflagen. Dieses Verfahren werde gegenstandslos und könne als erledigt vom Geschäftsverzeichnis des Verwaltungsgerichts abgeschrieben werden.
2.2. Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen die Abschreibung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens betreffend das Belassen des Führerausweises unter Auflagen. Er vertritt die Auffassung, der vorsorgliche Entzug seines Führerausweises mit Verfügung des Strassenverkehrsamts vom 1. Juli 2024 sei nichtig.
3.
Einzugehen ist zunächst auf die geltend gemachte Nichtigkeit der Verfügung des Strassenverkehrsamts vom 1. Juli 2024 betreffend den vorsorglichen Führerausweisentzug.
3.1. Fehlerhafte Entscheide sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung in der Regel nur anfechtbar. Als nichtig erweisen sie sich erst dann, wenn der ihnen anhaftende Mangel besonders schwer wiegt, wenn er sich als offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar erweist und die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird. Als Nichtigkeitsgründe kommen vorab die funktionelle und sachliche Unzuständigkeit der entscheidenden Behörde sowie krasse Verfahrensfehler in Betracht. Inhaltliche Mängel einer Entscheidung führen nur ausnahmsweise zur Nichtigkeit (BGE 147 III 226 E. 3.1.2; 145 III 436 E. 4; 139 II 243 E. 11.2; 137 I 273 E. 3.1; 133 II 366 E. 3.2; je mit Hinweisen).
3.2. Dass diese Voraussetzungen bei dem durch das Strassenverkehrsamt angeordneten vorsorglichen Führerausweisentzug erfüllt sind, macht der Beschwerdeführer nicht geltend und ist auch nicht erkennbar. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Strassenverkehrsamt in funktioneller oder sachlicher Hinsicht nicht zuständig war. Die Verfügung erging zwar während des hängigen Rechtsmittelverfahrens betreffend das Belassen des Führerausweises unter Auflagen, wobei das Verwaltungsgericht der entsprechenden Beschwerde die aufschiebende Wirkung gewährt hat. Jedoch ist darin vorliegend kein krasser Verfahrensfehler zu erblicken, aufgrund dessen die Nichtigkeit anzunehmen wäre (vgl. BGE 115 Ia 321 E. 3c; Urteil 4P.99/1997 vom 25. Juni 1997 E. 3b/bb mit Hinweisen). Das Strassenverkehrsamt führt in seiner Vernehmlassung an das Bundesgericht aus, dass die Ausgangslage für den verfügten vorsorglichen Führerausweisentzug nicht mehr dieselbe gewesen sei wie bei der Auflagenverfügung; der vorsorgliche Führerausweisentzug sei erfolgt, nachdem sich die Zweifel an der Fahreignung des Beschwerdeführers derart erhärtet hätten, dass ein Belassen des Führerausweises "keineswegs mehr vertretbar" gewesen sei. Mithin traten aus Sicht des Strassenverkehrsamts neue Umstände hinzu, die dieses zur Anordnung des vorsorglichen Führerausweisentzugs veranlassten, was eine res iudicata im Übrigen ausschliesst. Zudem erscheint es vor diesem Hintergrund auch aus Gründen der Verkehrssicherheit ausgeschlossen, Nichtigkeit anzunehmen mit der Folge, dass dem Beschwerdeführer der Ausweis wieder ausgehändigt werden müsste, bevor feststeht, dass die negative Beurteilung seiner Fahreignung im Rechtsmittelverfahren keinen Bestand hat (vgl. BGE 138 II 501 E. 3.2.3). Es wird Gegenstand des vom Beschwerdeführer angehobenen Rechtsmittelverfahrens sein, ob das Strassenverkehrsamt den Führerausweis zu Recht vorsorglich entzogen hat.
3.3. Demnach ist der Antrag des Beschwerdeführers, es sei die Nichtigkeit der Verfügung des Strassenverkehrsamts vom 1. Juli 2024 betreffend den vorsorglichen Führerausweisentzug festzustellen, abzuweisen.
4.
Fraglich ist weiter, ob die Vorinstanz das Verfahren betreffend das Belassen des Führerausweises unter Auflagen zu Recht infolge Gegenstandslosigkeit abgeschrieben hat.
4.1. Ein Rechtsstreit kann gegenstandslos werden (z.B. Abbrennen des Hauses, für das eine Umbaubewilligung streitig ist) oder das rechtliche Interesse an seiner Beurteilung dahinfallen. Ausschlaggebend für die Abschreibung wegen Gegenstandslosigkeit ist immer, dass im Verlauf des Verfahrens eine Sachlage eintritt, angesichts derer ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse an der Entscheidung der Streitsache nicht mehr anerkannt werden kann (Urteile 7B_216/2024 vom 22. Juli 2024 E. 3.2.1; 1B_187/2015 vom 6. Oktober 2015 E. 2.2; 4A_364/2014 vom 18. September 2014 E. 1.1; je mit Hinweisen; FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl. 1983, S. 326).
4.2. Das Strassenverkehrsamt verfügte am 28. Mai 2024, dem Beschwerdeführer werde der Führerausweis unter der Auflage belassen, dass er bis spätestens zum 17. Juni 2024 ein hausärztliches Zeugnis einreiche, das Auskunft gebe zur Art der Erkrankung (Diagnose), zur Behandlung (allfällige Medikation) sowie zur Fahreignung, soweit aus hausärztlicher Sicht möglich. Das weitere Vorgehen werde aufgrund dieses Berichts bestimmt (z.B. Akten-/Zeugnisbegutachtung oder persönliche Untersuchung bei einer Arztperson der Stufe 4). Zudem wurde der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass bei einem Verstoss gegen die Auflagen der vorsorgliche Entzug des Führerausweises vorgesehen sei. Mit der vorliegend angefochtenen Verfügung hat die Vorinstanz das dagegen angehobene Beschwerdeverfahren abgeschrieben, nachdem das Strassenverkehrsamt am 1. Juli 2024 den vorsorglichen Führerausweisentzug angeordnet hatte. Auch gegen diesen hat der Beschwerdeführer Beschwerde an das Verwaltungsgericht erhoben, wobei das entsprechende Verfahren gemäss Vernehmlassung der Vorinstanz und des Strassenverkehrsamts beim Verwaltungsgericht hängig ist.
4.3. Der vorsorgliche Führerausweisentzug ist demnach noch nicht rechtskräftig. Das Verfahren betreffend das Belassen des Führerausweises unter Auflagen hat sich damit (noch) nicht definitiv erübrigt, stützen sich die beiden Verfügungen gemäss Ausführungen des Strassenverkehrsamts doch auf unterschiedliche Sachlagen. Würde der vorsorglich angeordnete Führerausweisentzug im Hauptverfahren aufgehoben, würde das erste Verfahren (Belassen des Führerausweises unter Auflagen) wieder aufleben. Dies liegt im Interesse der Verkehrssicherheit. Andernfalls wäre der Beschwerdeführer bis zur Anordnung weiterer Massnahmen durch das Strassenverkehrsamt berechtigt, ohne Auflagen am Strassenverkehr teilzunehmen. Würde das erste Verfahren bei Dahinfallen der zweiten Verfügung (vorsorglicher Entzug des Führerausweises) wieder aufleben, kann auch nicht gesagt werden, es bestehe kein Interesse mehr an einem Entscheid über diese Frage. Folglich kann auch ein Interesse am Fortbestand des Beschwerdeverfahrens gegen die Verfügung vom 28. Mai 2024 nicht verneint werden. Die Vorinstanz hat dieses zu Unrecht als gegenstandslos erachtet und abgeschrieben.
5.
Nach diesen Erwägungen ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen und die Verfügung des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 3. Juli 2024 aufzuheben. Die Vorinstanz wird das Verfahren betreffend das Belassen des Führerausweises unter Auflagen (mit dem bei ihr hängigen Verfahren betreffend den vorsorglichen Führerausweisentzug vereinigen und) weiterführen oder bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Entscheids betreffend den vorsorglichen Führerausweisentzug sistieren müssen. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers braucht bei diesem Ergebnis nicht eingegangen zu werden.
Bei diesem Verfahrensausgang ist der Beschwerdeführer im Umfang seines Unterliegens kostenpflichtig; auf eine Kostenerhebung kann vorliegend jedoch ausnahmsweise verzichtet werden (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird damit gegenstandslos. Dem Kanton werden keine Gerichtskosten auferlegt (Art. 66 Abs. 4 BGG). Dem nicht anwaltlich vertretenen, teilweise obsiegenden Beschwerdeführer ist praxisgemäss keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und die Verfügung des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 3. Juli 2024 (Belassen des Führerausweises unter Auflagen) aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
2.
Für das bundesgerichtliche Verfahren werden keine Kosten erhoben und wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrsamt des Kantons Zug und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Verwaltungsrechtliche Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 26. November 2024
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Kneubühler
Die Gerichtsschreiberin: Dambeck