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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_665/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 27. Januar 2017  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Oberholzer, 
Bundesrichterin Jametti, 
Gerichtsschreiberin Pasquini. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Verspätete Berufungsanmeldung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 30. Mai 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte X.________ am 26. Februar 2016 wegen versuchter Drohung und Beschimpfung zu einer bedingten Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu Fr. 135.--. Da er das Gericht wegen eines anderen Termins vor der mündlichen Urteilseröffnung verliess, wurde ihm das Urteilsdispositiv vereinbarungsgemäss schriftlich zugestellt. X.________ holte die Postsendung innert der ihm avisierten Frist (bis zum 7. März 2016) nicht ab. Das Bezirksgericht sandte ihm am 18. April 2016 eine unbegründete Ausfertigung des Urteils zu. Mit Eingabe vom 19. April 2016, der Post übergeben am 22. April 2016, meldete X.________ Berufung an. 
 
B.  
X.________ wurde am 11. Mai 2016 Frist angesetzt, um zur Frage der verspäteten Berufungsanmeldung Stellung zu nehmen. Innert Frist wies er darauf hin, dass er keine Abholungseinladung erhalten habe; diese sei entweder verloren gegangen oder aber die Post habe einen Fehler gemacht. Mit Beschluss vom 30. Mai 2016 trat das Obergericht des Kantons Zürich nicht auf die Berufung ein. 
 
C.  
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt sinngemäss die Aufhebung des obergerichtlichen Entscheids. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Vorinstanz erwägt, dem Beschwerdeführer sei die postalische Zustellung des Urteilsdispositivs in Aussicht gestellt worden, bevor er den Gerichtssaal verlassen habe. Da die Berufungsanmeldung verspätet erschienen sei, sei ihm eine Frist zur Stellungnahme angesetzt worden. Bei der Prüfung der Frage, ob die Anmeldung der Berufung verspätet sei, sei sinngemäss zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Fristwiederherstellung gegeben wären. Sei die Abholungseinladung zwischen anderen Sendungen untergegangen und hernach vom Beschwerdeführer oder einem Mitbewohner weggeworfen worden, liege das Versäumnis im Verantwortungsbereich des Beschwerdeführers. Ihm könne somit keine Fristwiederherstellung gewährt werden. Es bleibe zu prüfen, ob seine Argumentation, er habe keine Abholungseinladung von der Post erhalten, eine Wiederherstellung rechtfertige. Die pauschale Behauptung des Beschwerdeführers, es sei ihm schon öfters Post nicht oder falsch zugestellt worden, vermöge die Vermutung der ordnungsgemässen Zustellung nicht zu widerlegen. Auch die vom Beschwerdeführer konkret angeführte Verwechslung mit einer anderen Person mit gleichem Nachnamen lasse einen Fehler der Post nicht als überwiegend wahrscheinlich erscheinen. Der Sendungsinformation der Post sei zu entnehmen, dass der Postbote versucht habe, das Urteilsdispositiv bei der Empfängeradresse des Beschwerdeführers zuzustellen. Sowohl der Strafbefehl als auch die Vorladung zur Verhandlung und das unbegründete Urteil hätten ihm an dieser Adresse zugestellt werden können. Dass es bei der Zustellung von normalen Sendungen zu Verwechslungen kommen könne, wenn Empfänger den gleichen Namen tragen und zudem noch im gleichen Kanton wohnen, möge sein. Dass dies bei einer eingeschriebenen Sendung geschehe, sei jedoch unwahrscheinlich. So würde es eine gravierende Pflichtverletzung darstellen, wenn der Postbote unter der Empfängeradresse des Beschwerdeführers in "Track&Trace" die Information "Zur Abholung gemeldet" registriert hätte, wenn er sich an einer anderen Adresse befunden hätte. Konkrete Anzeichen, die für eine derartige Pflichtwidrigkeit sprechen würden, habe der Beschwerdeführer nicht vorgebracht. Insgesamt habe dieser nicht glaubhaft gemacht, dass ihn an der Säumnis kein Verschulden treffe. Im Gegenteil spreche eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Abholungseinladung in seinem Verantwortlichkeitsbereich untergegangen sei. Ein Fehler der Post erscheine zumindest nicht als überwiegend wahrscheinlich. Damit sei die Berufung verspätet, weshalb nicht auf sie einzutreten sei (Beschluss E. 2 ff. S. 2 ff.).  
 
1.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Sorgfaltspflicht sei gegenseitig. Das Gericht habe dafür zu sorgen, dass ein Urteil richtig zugestellt werde. Es habe gewusst, dass er das Urteil nicht abgeholt habe, und es ohne weiteres nochmals zustellen können. Ihm werde mangelnde Sorgfalt vorgeworfen, weil er das Urteil nicht abgeholt habe. Ihm sei aber nicht bekannt gewesen, dass er eine eingeschriebene Sendung erhalten habe. Die Abholungseinladung sei möglicherweise nicht in seinem Briefkasten gelandet. Das sei zwar wenig wahrscheinlich, könne aber nicht ausgeschlossen werden. Er könne ja nicht beweisen, dass etwas nicht geschehen sei. Er habe kein Interesse daran, die Sendung nicht abzuholen, da er vom Urteil Kenntnis nehmen wolle, um sich gegebenenfalls gegen eine schlechte Begründung zur Wehr setzen zu können. Es gehe um eine Interessenabwägung: Sein Anspruch auf ein begründetes Urteil und auf Weiterzug an die höhere Instanz sei höher zu werten als ein Mangel bei der Zustellung, von dem er nichts gewusst habe und den er nicht habe beeinflussen können.  
 
1.3. Zunächst ist zu prüfen, ob für den Beschwerdeführer die Frist für die Berufungsanmeldung zu laufen begann. Die Frage nach der Wiederherstellung einer Frist zur Anmeldung der Berufung stellt sich nur, wenn der Beschwerdeführer die Frist versäumt hat (vgl. BGE 142 IV 201 E. 2.4).  
 
1.3.1. Gemäss Art. 82 Abs. 1 StPO verzichtet das erstinstanzliche Gericht auf eine schriftliche Begründung, wenn es das Urteil mündlich begründet (lit. a) und wenn es u.a. nicht eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren ausspricht (lit. b). Gemäss Abs. 2 derselben Bestimmung stellt das Gericht den Parteien nachträglich ein begründetes Urteil zu, wenn eine Partei dies innert 10 Tagen nach Zustellung des Dispositivs verlangt (lit. a) oder wenn eine Partei ein Rechtsmittel ergreift (lit. b). Die Berufung ist nach Art. 398 Abs. 1 StPO zulässig gegen Urteile erstinstanzlicher Gerichte, mit denen das Verfahren ganz oder teilweise abgeschlossen worden ist. Sie ist dem erstinstanzlichen Gericht innert 10 Tagen seit Eröffnung des Urteils schriftlich oder mündlich zu Protokoll anzumelden (Art. 399 Abs. 1 StPO).  
Nach Art. 384 lit. a StPO beginnt die Rechtsmittelfrist im Falle eines Urteils mit der Aushändigung oder Zustellung des schriftlichen Dispositivs. Eine eingeschriebene Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, gilt am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als abgeholt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste (Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO). Bei eingeschriebenen Postsendungen gilt eine widerlegbare Vermutung, dass der oder die Postangestellte den Avis ordnungsgemäss in den Briefkasten oder in das Postfach des Empfängers gelegt hat und das Zustellungsdatum korrekt registriert worden ist. Es findet in diesem Fall eine Umkehr der Beweislast in dem Sinne statt, als bei Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten des Empfängers ausfällt, der den Erhalt der Abholungseinladung bestreitet. Diese Vermutung kann durch den Gegenbeweis umgestossen werden. Sie gilt so lange, als der Empfänger nicht den Nachweis einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit von Fehlern bei der Zustellung erbringt. Da der Nichtzugang einer Abholungseinladung eine negative Tatsache ist, kann dafür naturgemäss kaum je der volle Beweis erbracht werden. Die immer bestehende Möglichkeit von Fehlern bei der Poststelle genügt nicht, um die Vermutung zu widerlegen. Vielmehr müssen konkrete Anzeichen für einen Fehler vorhanden sein (BGE 142 IV 201 E. 2.3; Urteile 6B_826/2016 vom 18. November 2016 E. 2 ff.; 6B_377/2016 vom 7. November 2016 E. 3.1; je mit Hinweisen). Der aus der Zugangsvermutung gezogene Schluss, der Gegenbeweis sei nicht erbracht, stellt Beweiswürdigung dar (BGE 142 IV 201 E. 2.3). 
 
1.3.2. Das Argument des Beschwerdeführers, wonach die Sorgfaltspflicht gegenseitig sei und die erste Instanz diese Pflicht verletzt habe, indem sie über die Nichtzustellung informiert gewesen sei und nichts unternommen habe, um ihm das Urteilsdispositiv (nochmals) zuzustellen, geht fehl: Die Zustellfiktion setzt voraus, dass die betreffende Person - wie vorliegend - mit der Zustellung rechnen muss. Der Beschwerdeführer hatte am erstinstanzlichen Verfahren als beschuldigte Partei teilgenommen. Da er der Verhandlung nicht bis zur Urteilsverkündung beigewohnt hatte, war vereinbart worden, dass ihm das Urteil zugestellt werden würde (Beschluss, E. 1 S. 2). Der Beschwerdeführer stellt denn auch nicht in Abrede, dass er mit der Zustellung des Urteilsdispositivs hatte rechnen müssen. Da er Kenntnis davon hatte, dass es ihm schriftlich zugestellt werden würde, war ihm auch zuzumuten, die nötigen Vorkehrungen zu treffen, um die Postsendung entgegen zu nehmen. Eine Pflicht des Gerichts, das Urteilsdispositiv nochmals zuzustellen, besteht in dieser Konstellation nicht. Im Weiteren beschränkt sich der Beschwerdeführer darauf festzuhalten, dass die Abholungseinladung allenfalls zwischen Werbeprospekten oder in eine Gratiszeitung gerutscht sei. Es könne ihm nicht zugemutet werden, in jeder Werbesendung nach einer kleinen Abholungseinladung zu suchen. Das könne auch vom sorgfältigsten Bürger nicht verlangt werden. Ferner bringt er vor, die Abholungseinladung sei möglicherweise nicht in seinem Briefkasten gelandet. Das sei wenig wahrscheinlich, könne aber auch nicht ausgeschlossen werden. Nach konstanter Rechtsprechung reicht jedoch die immer bestehende Möglichkeit von Fehlern bei der Poststelle nicht, um die Vermutung der korrekt erfolgten Zustellung zu widerlegen. Vielmehr müssen konkrete Anzeichen für einen Fehler vorhanden sein. Mit seinen Ausführungen vermag der Beschwerdeführer den Nachweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit von Fehlern bei der Zustellung nicht zu erbringen. Namentlich legt er damit nicht dar, inwiefern die Beweiswürdigung der Vorinstanz willkürlich sein soll (vgl. BGE 141 IV 249 E. 1.3.1 mit Hinweisen; zum Begriff der Willkür BGE 140 III 16 E. 2.1 mit Hinweisen). Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, indem sie die Zustellfiktion von Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO zur Anwendung bringt.  
 
1.4. Der Beschwerdeführer rügt sodann, es gehe um eine Interessenabwägung, indem seinem Anspruch auf ein begründetes Urteil und auf Weiterzug an die obere Instanz höher zu werten sei als ein Mangel in der Zustellung, von dem er nichts gewusst habe und den er nicht habe beeinflussen können.  
Allfällige Säumnisfolgen bei Fristen können unter Umständen mit der Wiederherstellung gemäss Art. 94 StPO behoben werden. Hat eine Partei eine Frist versäumt und würde ihr daraus ein erheblicher und unersetzlicher Rechtsverlust erwachsen, so kann sie die Wiederherstellung der Frist verlangen; dabei hat sie glaubhaft zu machen, dass sie an der Säumnis kein Verschulden trifft (Art. 94 Abs. 1 StPO). 
Dem Beschwerdeführer ist beizupflichten, dass die Zustellfiktion in der Tat zu einschneidendem Verlust von Rechtspositionen führen kann. Dem begegnet der Gesetzgeber in zweifacher Hinsicht: zum einen, indem sie nur anwendbar ist, wenn eine Person mit der Zustellung rechnen musste, und zum anderen mit der Möglichkeit der Wiederherstellung der Frist. Letztere setzt allerdings voraus, dass die säumige Partei kein Verschulden trifft. Die Vorinstanz hat den Beschwerdeführer zur Stellungnahme zur Fristversäumnis aufgefordert. Er hat sich darauf beschränkt darzulegen, dass die Abholungseinladung entweder in seinem Verantwortungsbereich untergegangen sei oder die Post einen Fehler gemacht habe, indem sie ihm diese nicht zugestellt habe. Der Schluss der Vorinstanz, der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft machen können, dass ihn an der Säumnis kein Verschulden treffe, verletzt kein Bundesrecht. 
 
2.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten des Verfahrens dem Beschwerdeführer aufzuerlegen. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 27. Januar 2017 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Pasquini