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[AZA 7] 
I 546/01 Vr 
 
II. Kammer 
 
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter 
Frésard; Gerichtsschreiber Schmutz 
 
Urteil vom 27. Februar 2002 
 
in Sachen 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
D.________, 1981, Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecher Christoph A. Egli, Berneckerstrasse 26, 9435 Heerbrugg, 
 
und 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen 
 
A.- Mit Verfügung vom 1. Oktober 1999 bestätigte die IV-Stelle des Kantons St. Gallen dem IV-Rentenbezüger B.________, er habe ab dem gleichen Datum weiterhin Anspruch auf je eine Kinderrente für die Tochter S.________ und den Sohn M.________; den bisherigen Anspruch auf eine Kinderrente für den am 7. September 1981 geborenen Sohn D.________ führte sie hingegen nicht mehr auf. 
B.- Die von D.________ hiegegen eingereichte Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 31. August 2001 gut. Es legte fest, dem Vater B.________ sei die Kinderrente für den Sohn D.________ über den 1. Oktober 1999 hinaus auszurichten, weil dieser für die Dauer des Besuchs des vom Kantonalen Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit angebotenen Einsatzprogramms "Motivationssemester Passage" in Ausbildung gestanden habe. 
 
C.- Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid vom 31. August 2001 sei aufzuheben und die Verfügung vom 1. Oktober 1999 zu bestätigen. 
D.________ lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf deren Gutheissung schliesst. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- a) Gemäss Art. 35 Abs. 1 IVG haben Männer und Frauen, denen eine Invalidenrente zusteht, für jedes Kind, das im Falle ihres Todes eine Waisenrente der AHV beanspruchen könnte, Anspruch auf eine Kinderrente. Nach Art. 25 Abs. 5 AHVG besteht der Rentenanspruch für Kinder, die noch in Ausbildung begriffen sind, über das vollendete 18. Altersjahr hinaus bis zum Abschluss der Ausbildung, längstens aber bis zum vollendeten 25. Altersjahr. 
 
b) Nach der Rechtsprechung umfasst der Begriff der Ausbildung im Sinne der früheren Art. 25 Abs. 2 und Art. 26 Abs. 2 AHVG (in Kraft bis 31. Dezember 1996) nicht nur die Ausbildung im Hinblick auf einen bestimmten Berufsabschluss (Berufsausbildung im engeren Sinne), sondern auch die Vorbereitung auf eine Tätigkeit ohne Berufsabschluss und die Ausbildung, die vorerst nicht auf einen bestimmten Beruf gerichtet ist, sei es, dass sie die allgemeine Grundlage für eine Mehrzahl von Berufen bildet, sei es, dass es sich um eine Allgemeinausbildung handelt, wie z.B. die Eidgenössische Maturität (BGE 108 V 56 Erw. 1c, RKUV 1986 U 2 S. 253 Erw. 4 mit Hinweisen). Unter beruflicher Ausbildung ist jede Tätigkeit zu verstehen, welche die systematische Vorbereitung auf eine künftige Erwerbstätigkeit zum Ziele hat (BGE 108 V 54 Erw. 1a und die dort erwähnten Entscheide). 
 
Mit dem Inkrafttreten der 10. AHV-Revision am 1. Januar 1997 ist der zweite Satz der früheren Art. 25 Abs. 2 und Art. 26 Abs. 2 AHVG neu in Art. 25 Abs. 5 AHVG übernommen worden. In seiner Botschaft vom 5. März 1990 (BBl 1990 II 89) hat der Bundesrat ausgeführt, dass es der Gerichts- und Verwaltungspraxis überlassen ist zu definieren, was unter dem Begriff der Ausbildung zu verstehen ist. Das Eidgenössische Versicherungsgericht sieht keinen Anlass, von den Grundsätzen abzuweichen, welche es früher zum Begriff der beruflichen Ausbildung aufgestellt hat; diese sind trotz der inzwischen erfolgten Anpassungen des AHVG nach wie vor uneingeschränkt anwendbar (Urteil G. vom 5. November 2001, I 176/01). 
 
2.- Vorliegend ist streitig, ob das durch die Schule Y.________ als AVIG-Massnahme angebotene "Motivationssemester Passage", welches der Beschwerdegegner ab dem 
8. Oktober 1999 besucht hat, als Ausbildung im Sinne der zitierten Rechtsprechung (und der Ziff. 3257 ff. der Wegleitung über die Renten [RWL] des Bundesamtes für Sozialversicherung) anzuerkennen ist. 
 
3.- a) Dem Prospekt für das betreffende Motivationssemester ist zu entnehmen, dass das Programm für stellensuchende Schulabgänger/innen und junge Menschen mit abgebrochener Lehre geschaffen wurde. Es bietet Beschäftigung und Lernmöglichkeiten und dient der Entwicklung von Berufs- und Ausbildungsperspektiven, der Vorbereitung auf die Berufswelt, der dauerhaften Eingliederung in den Arbeitsmarkt und der positiven Identifikation mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. 
 
b) Das Programm entspricht damit in Inhalt, Ausgestaltung und Zielsetzung einem "Motivationssemester", wie es in Teil H des ab dem 1. Januar 2000 gültigen Kreisschreibens des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco) über die arbeitsmarktlichen Massnahmen (AMM) unter dem Titel "Motivationssemester (Programme zur vorübergehenden Beschäftigung von Schulabgängern)" umschrieben worden ist. Dort wird im Abschnitt "Ziel der Massnahme" präzisiert, dass sich die Massnahme aus einem Beschäftigungs- und einem Ausbildungsteil zusammensetzt und den jugendlichen Arbeitslosen die Wahl eines Bildungsweges ermöglichen und sie in den Arbeitsmarkt eingliedern soll. Die drei Phasen des Programmes sollen sich mit den drei Fragen "Wer bin ich?", "Was will ich?", "Was kann ich?" ausdrücken lassen. Es umfasst einen "Beschäftigungsteil", in welchem die Teilnehmenden der Massnahme parallel zur individuellen Betreuung als Unternehmung funktionieren, welche Arbeiten ausführt, die täglich von der Programmbegleitung verteilt werden. Diese organisiert für jede/n Jugendliche/n täglich 8 Stunden Arbeit. Was den Ausbildungsteil des Programmes anbelangt, werden die Teilnehmenden in erster Linie in die Verhältnisse der Arbeitswelt eingeführt (Arbeitsdisziplin, Arbeitszeit, Gegenleistung entsprechend einem Lohn, Vorschriften, etc.). 
 
c) Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht im erwähnten Urteil G. vom 5. November 2001 erwogen hat, ist unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze festzustellen, dass die an einem Motivationssemester Teilnehmenden keine Ausbildung im Hinblick auf einen bestimmten Berufsabschluss durchlaufen und sich auch nicht auf eine Tätigkeit ohne Berufsabschluss vorbereiten; sie kommen weder in den Genuss einer Ausbildung, die eine allgemeine Grundlage für eine Mehrzahl von Berufen bildet, noch handelt es sich um eine Allgemeinausbildung. 
Ausserdem ist diese Massnahme nicht darauf gerichtet, die Teilnehmenden systematisch auf eine künftige Erwerbstätigkeit vorzubereiten. 
Wie das Bundesamt für Sozialversicherung in seiner Vernehmlassung zu Recht darauf hinweist, sollen mit den Motivationssemestern Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit Bedrohte ermutigt werden, sich beruflich (wieder) einzugliedern. 
Mit dieser arbeitsmarktlichen Massnahme wird beabsichtigt, die Suche nach einem beruflichen Werdegang zu erleichtern und eine bessere soziale Integration sicherzustellen. 
Der Beschäftigungsaspekt überwiegt eindeutig gegenüber dem Ausbildungsaspekt, sodass diese Massnahme nicht unter den durch die hiervor dargelegte Rechtsprechung definierten Begriff der Ausbildung fällt. 
 
d) Damit ist erstellt, dass der Beschwerdegegner mit der Teilnahme an dem Motivationssemester der Schule Y.________ keine Ausbildung im Sinne von Art. 25 Abs. 5 AHVG absolvierte. Der Anspruch des Vaters B.________ auf die Gewährung einer Kinderrente der Invalidenversicherung fiel damit nach dem 18. Geburtstag des Sohnes D.________ dahin, weshalb der vorinstanzliche Entscheid sich als bundesrechtswidrig erweist und aufzuheben ist. 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I.In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird 
der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons 
St. Gallen vom 31. August 2001 aufgehoben. 
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, der Ausgleichskasse Schweizerischer Baumeisterverband und dem Bundesamt 
 
 
für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 27. Februar 2002 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der II. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: