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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_633/2023  
 
 
Urteil vom 27. Februar 2024  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Haag, Müller, 
Gerichtsschreiberin Hänni. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, vertreten durch 
Rechtsanwalt Dr. Hannes Zehnder, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Gemeinderat Neuheim, Dorfplatz 5, 6345 Neuheim, vertreten durch Rechtsanwalt Olivier Vuillaume, 
Regierungsrat des Kantons Zug, 
Regierungsgebäude, Seestrasse 2, 6301 Zug. 
 
Gegenstand 
Strassenplan Birkenstrasse, Neuheim, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug, Verwaltungsrechtliche Kammer, vom 20. Oktober 2023 (V 2022 83). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ verfügt über ein Baurecht an der Liegenschaft Windenboden 4 in Neuheim auf dem Grundstück (GS) 544. Es liegt in der Wohnzone 2 und grenzt südwestlich an das GS 6; bei diesem handelt es sich um die Birkenstrasse, welche heute eine Sackgasse ist. Sie endet in einem Wendehammer auf der Höhe der Liegenschaft von A.________. 
Nordwestlich davon wurde kürzlich eine neue Überbauung erstellt. Um diese herum führt die Säntisstrasse (GS 870). Die Distanz zwischen dieser und dem Ende der Birkenstrasse beträgt etwa 9 Meter. Im Mai 2020 leitete der Gemeinderat Neuheim ein Strassenplanverfahren für die Birkenstrasse ein, um diese auszubauen und bis zur Säntisstrasse zu verlängern. Damit soll ein Ringstrassen-System zur besseren strassenmässigen Erschliessung des Unterdorf-Quartiers geschaffen werden. 
 
B.  
Im Januar/Februar 2021 lag der Strassenplan öffentlich auf. Am 23. März 2021 wies der Gemeinderat Neuheim eine Einsprache A.________s gegen den Strassenplan ab; dieser hatte beantragt, es sei bloss eine Fussgängerverbindung zu erstellen, die von Feuerwehr- und Rettungsfahrzeugen benützt werden könne. Eine Beschwerde A.________s an den Regierungsrat des Kantons Zug blieb erfolglos, und am 20. Oktober 2023 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zug dessen Beschwerde gegen den regierungsrätlichen Entscheid ebenfalls ab. 
 
C.  
Mit Eingabe vom 23. November 2023 führt A.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts. Er beantragt im Wesentlichen den Verzicht auf den Erlass des Strassenplans, eventuell die Rückweisung der Sache an des Verwaltungsgericht. 
Die Baudirektion des Kantons Zug beantragt namens des Regierungsrats die Abweisung der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht und die Gemeinde Neuheim betragen deren Abweisung, soweit darauf eingetreten werden könne. Der Beschwerdeführer hat repliziert. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Beim angefochtenen Entscheid über einen Gemeindestrassenplan handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d, Art. 90 BGG). Es liegt keine Ausnahme im Sinn von Art. 83 BGG vor.  
Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen. Er ist als Inhaber eines beschränkten dinglichen Rechts an einem Grundstück, das an den Perimeter des Strassenplans grenzt, besonders betroffen und somit zur Beschwerde befugt (Art. 89 Abs. 1 BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben keinen Anlass zu Bemerkungen. Auf die Beschwerde ist einzutreten. 
 
1.2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Bundesrecht grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Die Verletzung von Grundrechten, einschliesslich die willkürliche Anwendung von kantonalem und kommunalem Recht, prüft es dagegen nur insoweit, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und genügend begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Dabei gelten qualifizierte Begründungsanforderungen (BGE 149 I 248 E. 3.1; 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254 mit Hinweisen).  
 
1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat, sofern dieser nicht offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 und Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel können nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).  
 
2.  
Der Beschwerdeführer ist in formeller Hinsicht der Auffassung, die Vorinstanz habe zu Unrecht auf die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung verzichtet (dazu nachfolgend E. 3). In materieller Hinsicht macht er geltend, der Strassenplan verletze wegen fehlender Koordination mit dem Zonenplan Art. 2 Abs. 1 RPG und der Planungsbericht nach Art. 47 RPV sei ungenügend (dazu E. 4). Sodann rügt er, die Planung verstosse gegen das Vorsorgeprinzip (E. 5). 
 
3.  
Das Verwaltungsgericht hat festgehalten, der Beschwerdeführer beantrage die Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Augenschein. Den Antrag auf mündliche Verhandlung begründe er nicht. Nach kantonalem Recht bestehe kein Anspruch auf Durchführung eines Augenscheins, und Art. 6 Ziff. 1 EMRK sei vorliegend nicht anwendbar. 
Diese Einschätzung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Strassenplan greift nicht direkt ins Eigentum des Beschwerdeführers ein. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist im Bau- und Planungsrecht allerdings ebenfalls dann vom Vorliegen von "zivilrechtlichen Ansprüchen" im Sinne von Art. 6 EMRK auszugehen, wenn seitens der Nachbarschaft die Verletzung von Normen geltend gemacht wird, die auch ihrem Schutz dienen. Nicht anwendbar ist diese Bestimmung dagegen, wo keine Verletzung der relevanten Normen - hier der Belastungsgrenzwerte gemäss der Lärmschutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV; SR 814.41) - gerügt wird, sondern diese unstreitig eingehalten sind und bloss in allgemeiner Weise die Verletzung des umweltrechtlichen Vorsorgeprinzips geltend gemacht wird (BGE 127 II 306 E. 5; vgl. Urteil 1C_289/2007 vom 27. Dezember 2007 E. 2.1). 
Diese Konstellation liegt hier vor: Der Beschwerdeführer beruft sich auf das Vorsorgeprinzip nach Art. 11 Abs. 2 USG, das nach seinen Worten "dem Schutz der Anstösser vor Beeinträchtigungen durch Lärm und Abgase[n]" diene. Die vorinstanzliche Feststellung, wonach ein Expertenbericht die Einhaltung der massgeblichen Grenzwerte selbst unter ungünstigsten Annahmen bestätigt habe, stellt er nicht in Abrede. Eine Verletzung der Belastungsgrenzwerte nach der LSV steht somit nicht zur Diskussion. Das Verwaltungsgericht war folglich nicht verpflichtet, gestützt auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Auf eine andere gesetzliche Grundlage beruft sich der Beschwerdeführer nicht. Die Rüge erweist sich als unbegründet. 
 
4.  
 
4.1. In der Sache macht der Beschwerdeführer geltend, im Zonenplan sei jener Teil der Birkenstrasse, der gemäss Strassenplan als Verbindungsstück zur Ringstrasse dienen solle, nicht als Verkehrsfläche ausgeschieden. Strassenplan und Zonenplan seien somit nicht koordiniert, was gegen die Planungspflicht nach Art. 2 Abs. 1 RPG verstosse.  
Mit dem Erlass eines Strassenplans wird das von ihm erfasste Gebiet einer besonderen Zweckbestimmung zugewiesen. Es handelt sind somit um einen (projektbezogenen) Sondernutzungsplan, der die planerische Grundordnung präzisiert (BGE 117 Ib 35 E. 2; Urteil 1C_477/2021 vom 3. November 2022 E. 4.3.2). Wie das Verwaltungsgericht im angefochtenen Entscheid (E. 4) ausführt, ist im Kanton Zug der Gemeinderat für den Erlass von Strassenplänen zuständig. Dabei ist eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen. Das Verfahren richtet sich nach demselben Verfahren wie zum Erlass von kantonalen Zonen- und Sondernutzungsplänen, wobei kommunale Strassenpläne vom Regierungsrat genehmigt werden müssen (vgl. Art. 26 RPG). 
Wie das Bundesgericht immer wieder festgehalten hat, widersprechen wesentliche Abweichungen eines Sondernutzungsplans von der Grundordnung der Planungspflicht und dem planerischen Stufenbau nach Art. 2 Abs. 1 RPG (BGE 149 II 79 E. 3.3 mit Hinweisen). Der hier zu beurteilende Strassenplan beruht allerdings auf dem Teilrichtplan Verkehr der Gemeinde aus dem Jahr 2005, der das Ringstrassen-System vorsieht. Zudem wird keine für die Gemeinde wesentliche Veränderung des Verkehrsflusses erwartet; die gegenteiligen Behauptungen des Beschwerdeführers bleiben unsubstanziiert. Von einem unkoordinierten Erlass eines Sondernutzungsplans, den das Bundesgericht im soeben zitierten Urteil als unzulässig bezeichnet hat, ist somit nicht auszugehen. Zudem umfasst der Strassenplan lediglich ein relativ kurzes Strassenstück. Insgesamt zeitigt er keine erheblichen Auswirkungen auf die Grundordnung. Ein Verstoss gegen die Planungspflicht im Sinne von Art. 2 RPG ist nicht ersichtlich. 
 
4.2. Der Beschwerdeführer erachtet sodann den Planungsbericht nach Art. 47 der Raumplanungsverordnung vom 28. Juni 2000 (RPV; SR 700.1) als ungenügend. Gemäss Abs. 1 dieser Bestimmung erstattet die Behörde, die einen Nutzungsplan erlässt, der kantonalen Genehmigungsbehörde Bericht darüber, wie dieser den raumplanungsrechtlichen Vorgaben und den Anforderungen des übrigen Bundesrechts Rechnung trägt. Abs. 2 enthält sodann eine hier nicht relevante Bestimmung zur Mobilisierung von Nutzungsreserven in den bestehenden Bauzonen. Der Planungsbericht soll sich auf das Wesentliche beschränken und der Bedeutung und dem Umfang der jeweiligen Nutzungsplanung angepasst sein (AEMISEGGER/KISSLING in: Aemisegger/  
Moor/Ruch/Tschannen, Praxiskommentar RPG: Nutzungsplanung, Vorbem. zur Nutzungsplanung N. 48). 
Im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass der strittige Strassenplan Birkenstrasse nur einen sehr kleinen Teil des Gemeindegebiets betrifft. Er schafft die planerische Grundlage für den Ausbau der Birkenstrasse und deren Verlängerung um ca. 9 Meter, um sie mit der Säntisstrasse zu verbinden und damit einen Teil des geplanten Ringstrassen-Systems schaffen zu können. Der Planungsbericht der Gemeinde Neuheim vom 14. April 2021 stellt das Projekt dar und bettet es in die bisherige Entwicklung des Quartiers ein. Im zweiten Teil des Planungsberichts werden die bau- und planungsrechtlichen Rahmenbedingungen und die getroffene Interessenabwägung geschildert. Die dortigen Ausführungen sind zwar relativ knapp gehalten, sind aber angesichts der beschränkten räumlichen Auswirkungen des Projekts genügend, zumal die Kritik des Beschwerdeführers am Planungsbericht insgesamt pauschal bleibt. Entgegen seinen Vorbringen trifft es nicht zu, dass der Bericht nicht aufzeige, inwiefern das Ringstrassen-System als Gesamtanlage die Ziele und Grundsätze der Raumplanung berücksichtige. Zu dieser Frage finden sich im Bericht Ausführungen, und es wird auf das Erschliessungskonzept der Gemeinde verwiesen. Wenn diese Ausführungen den Beschwerdeführer nicht überzeugen, bedeutet dies nicht, die Anforderungen von Art. 47 RPV seien vorliegend nicht eingehalten. 
 
5.  
Der Beschwerdeführer ist schliesslich der Auffassung, durch die Genehmigung des interessierenden Strassenplans werde das Vorsorgeprinzip nach Art. 11 Abs. 2 USG verletzt. Die bestehenden Siedlungen seien verkehrsmässig genügend erschlossen, auch für die Rettungsdienste. Neue Einzonungen seien gemäss den Feststellungen des Regierungsrats ausgeschlossen, weshalb kein Bedarf nach einem Ausbau der Birkenstrasse bestehe. 
Gemäss Art. 1 Abs. 2 USG sind Einwirkungen, die schädlich oder lästig werden könnten, im Sinne der Vorsorge frühzeitig zu begrenzen. Namentlich sind Emissionen unabhängig von der bestehenden Umweltbelastung so weit zu begrenzen, als dies technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich tragbar ist (Art. 11 Abs. 2 USG). Beim Vorsorgeprinzip handelt es sich um einen der tragenden Grundsätze des Umweltrechts, der auch im Bereich der (Strassen-) Planung Anwendung findet (vgl. BGE 136 II 281 E. 2; Urteil 1C_390/2013 vom 16. Juli 2014 E. 7). 
Der Beschwerdeführer weist an sich zu Recht darauf hin, dass das Quartier strassenmässig genügend erschlossen ist und der Regierungsrat in seinem Beschwerdeentscheid vom 20. September 2022 festgehalten hat, im interessierenden Gebiet seien keine weiteren Einzonungen möglich. Angesichts dessen kann sich die Frage der Vereinbarkeit eines weiteren Strassenbaus mit dem Vorsorgeprinzip in der Tat stellen. Allerdings begründet das Verwaltungsgericht den Ausbau des Birkenwegs (inkl. dessen Verlängerung), für den der strittige Strassenplan die Grundlage darstellt, nicht mit der Erschliessung weiteren Baugebiets. Es weist vielmehr darauf hin, durch den Ausbau des Birkenwegs werde eine zweite Rettungsachse geschaffen und insofern die Verkehrssicherheit verbessert; zudem werde dadurch der Engpass im Dorfkern entlastet. Der Beschwerdeführer erachtet diese Argumentation zwar als konstruiert und befürchtet eine Verkehrsverlagerung. Eine solche kann in der Tat nicht ausgeschlossen werden. Allerdings rechnet der Planungsbericht nur mit einem geringen Verkehrsaufkommen, und vor allem würde das neue Strassenstück soweit ersichtlich keinen zusätzlichen Verkehr generieren. Das Quartier würde von einzelnen Verkehrsteilnehmenden allenfalls über den Birkenweg statt über die Säntisstrasse befahren; die eine Strasse würde entlastet, die andere entsprechend belastet. Die Gemeinde verfügt bei ihrer Planungstätigkeit von Gesetzes wegen über einen Ermessensspielraum (Art. 2 Abs. 2 RPG). Diesen haben die Gerichte zu respektieren, zumal eine blosse Verkehrsverlagerung mit Blick auf das Vorsorgeprinzip unproblematisch erscheint. Auch diese Rüge des Beschwerdeführers erweist sich somit als unbegründet. 
 
6.  
Die Beschwerde ist aus den genannten Gründen abzuweisen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind nicht zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1 - 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Gemeinderat Neuheim, dem Regierungsrat des Kantons Zug und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Verwaltungsrechtliche Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 27. Februar 2024 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Hänni