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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_968/2008 
 
Urteil vom 27. März 2009 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Borella, Seiler, 
Gerichtsschreiber Traub. 
 
Parteien 
B.________, Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Ehrenzeller, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Appenzell Ausserrhoden, Kasernenstrasse 4, 9100 Herisau, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts von Appenzell Ausserrhoden 
vom 16. Januar 2008. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der 1973 geborene B.________ war zuletzt von Mai 2001 bis Ende November 2002 bei der Firma H.________ AG als Hilfsarbeiter Montage erwerbstätig. Am 1. Oktober 2002 hatte er sich unter Hinweis auf ein seit August 2001 bestehendes Rückenleiden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Am 1. März 2004 sprach die IV-Stelle Appenzell Ausserrhoden B.________ mit Wirkung ab März 2003 eine Viertelsrente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 40 Prozent zu. Am 3. August 2004 zog sie eine Verfügung vom 1. Juli 2003, mit welcher sie berufliche Eingliederungsmassnahmen abgelehnt hatte, in Wiedererwägung und bejahte den Anspruch auf Beratung und Unterstützung bei der Stellensuche. Mit Verfügung vom 4. August 2004 entzog ihm die Verwaltung den Rentenanspruch mit Wirkung ab Oktober 2004; der Invaliditätsgrad betrage tatsächlich bloss 27 Prozent. Auf den 19. August 2004 schloss sie zudem die Arbeitsvermittlung ab, weil die Versuche der Integration in den Arbeitsmarkt fehlgeschlagen seien (Verfügung vom 5. Oktober 2004). Die gegen die Verfügung vom 4. August 2004 erhobene Einsprache hiess die IV-Stelle teilweise gut, indem sie den Anspruch auf eine Viertelsrente bis Ende 2006 verlängerte und gestützt auf eine interdisziplinäre Expertise des ärztlichen Begutachtungsinstituts X.________ vom 2. Januar 2007 zugleich feststellte, mit Wirkung ab Januar 2007 sei - mangels Diagnosen mit Krankheitswert - kein Anspruch auf eine Invalidenrente mehr gegeben (Entscheid vom 4. April 2007). 
 
B. 
Das Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden wies die dagegen erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom 16. Januar 2008). 
 
C. 
B.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den Rechtsbegehren, es sei ihm, nach Aufhebung des angefochtenen und des Einspracheentscheids, mit Wirkung ab März 2003 mindestens eine halbe Invalidenrente zuzusprechen; eventuell sie die Sache an die Verwaltung zurückzuweisen. Mit nachträglichem Schreiben ersucht er um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege (Prozessführung und Verbeiständung). 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf Vernehmlassung. 
Erwägungen: 
 
1. 
Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens kann unter Vorbehalt der Rechtsverzögerung oder -verweigerung nur sein, was verfügt und innert Frist angefochten worden ist (Art. 56 ATSG). Die Verfügung vom 1. März 2004, mit welcher eine Viertelsrente ab März 2003 zugesprochen wurde, blieb unangefochten. Mit Verfügung vom 4. August 2004 wurde diese Rente aufgehoben. Nur gegen diesen aufhebenden Entscheid richtete sich die Einsprache vom 14. September 2004, welche in Bezug auf den Zeitpunkt der Rentenaufhebung teilweise gutgeheissen wurde, indem die Rente erst auf Ende 2006 aufgehoben wurde. Gegenstand des kantonalen Beschwerdeverfahrens konnte ebenfalls nur die Aufhebung der Rente sein; soweit der Beschwerdeführer mit der Beschwerde eine mindestens halbe Rente bereits ab 1. März 2003 beantragte, hätte die Vorinstanz darauf nicht eintreten dürfen. Auch auf das letztinstanzlich gestellte Begehren, es sei dem Beschwerdeführer ab 1. März 2003 mindestens eine halbe Rente zuzusprechen, kann insoweit nicht eingetreten werden. Zu prüfen ist einzig, ob die Aufhebung der Viertelsrente auf Anfang 2007 rechtmässig ist. 
 
2. 
Der Beschwerdeführer rügt zunächst, die Einstellung der Invalidenrente sei ohne vorgängige Anhörung erfolgt (Art. 29 Abs. 2 BV). 
 
2.1 Die mit vorinstanzlicher Beschwerde geltend gemachte Rüge der Gehörsverletzung war insofern offensichtlich unbegründet, als vorgebracht wurde, die Verfügung vom 4. August 2004, der Einspracheentscheid vom 4. April 2007 und die Verfügungen vom 7. Mai 2007 seien ohne Anhörung erfolgt. Im Vorfeld der Verfügung vom 4. August 2004 brauchte der Beschwerdeführer nicht angehört zu werden (Art. 42 Satz 2 ATSG). Im Hinblick auf den Einspracheentscheid äusserte sich der Versicherte in Form der Einspracheschrift vom 14. September 2004, welche durch Eingaben seiner Beiständin vom 6. Dezember 2005 und vom 27. Juli 2006 ergänzt wurde. Die Verfügungen vom 7. Mai 2007 dienten schliesslich einzig der Umsetzung des Einspracheentscheids und hatten somit keinen eigenständigen Charakter. 
 
2.2 Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, das rechtliche Gehör sei insofern verletzt worden, als dem Beschwerdeführer im Einspracheverfahren nicht alle Akten bekannt gewesen seien. Sie hat in diesem Zusammenhang erwogen, der Mangel werde im Beschwerdeverfahren geheilt, da der Rechtsvertreter die Akten hätte einverlangen können, zumal das Vorhandensein weiterer Dokumente aus dem Gutachten des ärztlichen Begutachtungsinstituts X.________ ersichtlich gewesen sei. Der Beschwerdeführer beanstandet diese letztere Folgerung zu Recht nicht. 
 
3. 
Strittig und zu prüfen ist, ob dem Beschwerdeführer auch ab Januar 2007 eine Rente der Invalidenversicherung zusteht. 
 
3.1 Der Beurteilung von Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) liegt der Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Diesen kann das Bundesgericht von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn er offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG; ohne Beschwerden gemäss Art. 97 Abs. 2 BGG und Art. 105 Abs. 3 BGG). Zu den Rechtsverletzungen im Sinne von Art. 95 lit. a BGG gehört auch die unvollständige Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen (Urteil 9C_40/2007 vom 31. Juli 2007 E. 1; Ulrich Meyer, in: Niggli/Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, 2008, Rz. 25, 36 und 59 zu Art. 105; Seiler/von Werdt/Güngerich, Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Bern 2007, Rz. 24 zu Art. 97) und die Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes als einer wesentlichen Verfahrensvorschrift (Meyer, a.a.O., Rz. 60 zu Art. 105; Urteil 8C_364/2007 vom 19. November 2007 E. 3.3). 
 
3.2 Dem Beschwerdeführer war mit Wirkung ab März 2003 eine Viertelsrente zugesprochen worden. Eine Aufhebung dieser Leistung ist nur unter den Voraussetzungen der materiellen Revision im Sinne von Art. 17 ATSG, der prozeduralen Revision (Art. 53 Abs. 1 ATSG) oder der Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 2 ATSG) zulässig. 
Das kantonale Gericht ist gestützt auf das interdisziplinäre (internistische, psychiatrische und rheumatologische) Gutachten des ärztlichen Begutachtungsinstituts X.________ davon ausgegangen, es bestehe keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit mehr. Diese Würdigung des gegenwärtigen Zustands ist nicht offensichtlich unrichtig (vgl. oben E. 3.1). Die Gutachter haben sich mit abweichenden Auffassungen behandelnder Ärzte auseinandergesetzt. Obgleich in der kantonalen Beschwerde mit Blick auf die strittige Aberkennung des Rentenanspruchs geltend gemacht worden war, eine leistungserhebliche Veränderung sei nicht dokumentiert, hat die Vorinstanz indessen nicht dargetan, ob und inwiefern die Voraussetzungen des Art. 17 ATSG gegeben sind. Insoweit ist der Sachverhalt unvollständig festgestellt und vom Bundesgericht daher frei zu ergänzen (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
3.3 
3.3.1 Bei der mit Verfügung vom 1. März 2004 erfolgten Zusprache einer Viertelsrente hatte sich die IV-Stelle für die medizinischen Belange auf das psychiatrische Gutachten des Dr. S.________ vom 13. März 2003 gestützt. Dieser Sachverständige stellte eine depressive Episode gegenwärtig leichten Grades begleitet von dissoziativen Störungen fest; die bisherige Attestierung einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit sei mit Blick auf die Notwendigkeit intensiver Behandlung und Erholung korrekt. Indessen sei der Versicherte ab sofort in der angestammten wie auch in "einer anderen dem Krankheitsbild angepassten Tätigkeit" zu 80 Prozent arbeitsfähig; die restliche Zeit sei noch während einiger Monate für Therapie und Regeneration zu nutzen. In erwerblicher Hinsicht hatte die Verwaltung einem hypothetischen Einkommen ohne Gesundheitsschaden (Valideneinkommen) von Fr. 63'981.- (entsprechend dem in der Firma H.________ AG erzielten Gehalt über Fr. 53'300.- zuzüglich eines Nebeneinkommens von Fr. 10'681.-) ein anrechenbares Invalideneinkommen von Fr. 38'376.- (entsprechend 80 Prozent des in der Firma H.________ AG erzielbaren Einkommens, mit einem zusätzlichen Abzug von 10 Prozent) gegenübergestellt; dergestalt ergab sich ein Invaliditätsgrad von 40 Prozent. 
3.3.2 Im Rahmen der Verfügung vom 4. August 2004, in welcher der Rentenanspruch mit Wirkung ab Oktober 2004 aberkannt wurde, nahm die IV-Stelle eine Arbeitsfähigkeit von unverändert 80 Prozent an. Bezüglich der erwerblichen Verwertbarkeit ging sie von einem ebenfalls unveränderten Valideneinkommen aus. Das Invalideneinkommen indessen wurde auf Fr. 46'589.- (je 80 Prozent des angestammten Haupt- und des Nebenerwerbseinkommens) festgesetzt. Der Invaliditätsgrad sank so auf 27 Prozent. Der Unterschied zu den anlässlich der Verfügung vom 1. März 2004 angenommenen Verhältnissen lag also einzig darin, dass nunmehr auch zur Bemessung des Invalideneinkommens ein Nebeneinkommen im Umfang von 80 Prozent berücksichtigt wurde. 
3.3.3 Dem Einspracheentscheid vom 4. April 2007 lagen die Ergebnisse des Gutachtens des ärztlichen Begutachtungsinstituts X.________ vom 2. Januar 2007 zugrunde, wonach jedenfalls seit dem Zeitpunkt der Untersuchung (vom 22. November 2006) keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit mehr gegeben sei; für die Zeit davor sei die Zumutbarkeit einer erwerblichen Leistung aufgrund der Lage der Akten nur schwer eruierbar. Dementsprechend terminierte die IV-Stelle die Aufhebung der Invalidenrente auf den 1. Januar 2007. 
 
3.4 Der Gutachter Dr. S.________ erhob im März 2003 bereits Befunde, die grundsätzlich nicht invalidisierend sind. Die bis dahin attestierte vollständige Arbeitsunfähigkeit hat der Sachverständige aber als korrekt erachtet; zwischenzeitlich sei eine Besserung des Gesundheitszustandes eingetreten. Die Einschränkung der Arbeitsfähigkeit auf 80 Prozent war nur für eine Übergangszeit vorgesehen; der Gutachter vertrat die Auffassung, der Versicherte benötige die restliche Zeit noch während einiger Monate für Behandlungen und Erholung. Da es - mit Blick auf die gebräuchliche verwaltungsinterne Vormerkung eines Revisionstermins - grundsätzlich nicht zulässig ist, zukünftige Dauerleistungen nur für eine begrenzte Zeitspanne zuzusprechen (BGE 125 V 410 E. 2c S. 412; SVR 2007 IV Nr. 40 S. 135 E. 5.4, I 489/05), ist die IV-Stelle bei der der Verfügung vom 1. März 2004 zugrunde liegenden Invaliditätsbemessung richtigerweise vorerst von der damals aktuell attestierten Arbeitsfähigkeit von 80 Prozent ausgegangen. 
 
3.5 Ende des Jahres 2006 kam das ärztliche Begutachtungsinstitut X.________ zum Schluss, es könne keine Diagnose mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit gestellt werden. Eine leichte depressive Episode, die Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen sowie ein chronisches unspezifisches thorakolumbovertebrales Schmerzsyndrom zeitigten keinen Einfluss auf das Leistungsvermögen. Diese Feststellung kann nicht anders interpretiert werden, als dass die Besserung des Gesundheitszustandes, welche der Gutachter Dr. S.________ anfangs 2003 binnen einiger Monate erwartet hatte, inzwischen tatsächlich eingetreten war. Der Rückkommensgrund der materiellen Rentenrevision (Art. 17 ATSG) ist somit erfüllt. Nach Art. 88a Abs. 1 IVV ist bei einer Verbesserung der Erwerbsfähigkeit die anspruchsbeeinflussende Änderung für die Herabsetzung oder Aufhebung der Leistung von dem Zeitpunkt an zu berücksichtigen, in dem angenommen werden kann, dass sie voraussichtlich längere Zeit dauern wird; sie ist in jedem Fall zu berücksichtigen, nachdem sie ohne wesentliche Unterbrechung drei Monate angedauert hat und voraussichtlich weiterhin andauern wird. Mit der durch Einspracheentscheid vom 4. April 2007 vorgesehenen Weiterführung der Invalidenrente bis Ende 2006 hat die Beschwerdegegnerin im Zweifel zu Gunsten des Versicherten entschieden, weil die Aktenlage für die Zeit vor der Untersuchung im ärztlichen Begutachtungsinstitut X.________ nicht genügend aussagekräftig war. 
 
3.6 Die Vorinstanz hat die Einstellung der Rentenleistung auf Anfang 2007 mithin im Ergebnis zu Recht geschützt. Da die Arbeitsfähigkeit nicht eingeschränkt ist, erweist sich die weitere vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage, ob auf Seiten des Invalideneinkommens ein Nebeneinkommen berücksichtigt werden dürfe, als nicht erheblich; so oder anders besteht keine Invalidität. 
 
4. 
Die unentgeltliche Verbeiständung (Art. 64 Abs. 2 BGG) kann gewährt werden, da die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind (BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371 E. 5b S. 372). Soweit sich das Gesuch um entgeltliche Rechtspflege auch auf die Prozessführung erstreckt, ist es zufolge vorangegangener Bezahlung des Kostenvorschusses gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Rechtsanwalt Daniel Ehrenzeller wird als unentgeltlicher Anwalt des Beschwerdeführers bestellt und es wird ihm für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht Appenzell Ausserrhoden, der Ausgleichskasse Promea und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 27. März 2009 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Meyer Traub