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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_981/2012 
 
Urteil vom 27. März 2013 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Kernen, Präsident, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann, 
Gerichtsschreiber R. Widmer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
H.________, 
vertreten durch AXA-ARAG Rechtsschutz AG, Rechtsdienst, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Bern, Scheibenstrasse 70, 3014 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 24. Oktober 2012. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
H.________, geboren 1953, selbstständige Schneiderin, meldete sich im Januar 2010 erstmals aufgrund verschiedener Leiden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Am 17. Juni 2010 informierte sie die Invalidenversicherung darüber, dass sie seit Januar 2010 wieder zu 50% und seit Februar zu 100% arbeite. Nachdem die IV-Stelle Bern erwerbliche und medizinische Unterlagen eingeholt hatte, verfügte sie am 7. September 2010 die Ablehnung des Gesuchs. 
 
Mit Schreiben vom 28. Juli 2011 meldete sich H.________ erneut bei der IV-Stelle zum Leistungsbezug an. In der Folge holte die IV-Stelle abermals erwerbliche und medizinische Unterlagen ein und stellte nach Prüfung derselben die Abweisung des Rentengesuchs in Aussicht. Auf Einwand der Versicherten tätigte die IV-Stelle weitere Abklärungen, namentlich veranlasste sie eine Untersuchung durch den Regionalen Ärztlichen Dienst der Invalidenversicherung (RAD). H.________ reichte ihrerseits verschiedene Berichte ihres behandelnden Arztes, Dr. med. B.________, Facharzt für Orthopädie, Traumatologie und Sportmedizin FMH, ein. Mit Verfügung vom 10. Mai 2012 verneinte die IV-Stelle weiterhin einen Anspruch auf eine Invalidenrente. 
 
B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde der Versicherten wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 24. Oktober 2012 ab. 
 
C. 
H.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides die Rückweisung der Sache zur weiteren Abklärung an die IV-Stelle beantragen. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
In Bezug auf die Rechtsgrundlagen zum Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 2 IVG), zum Einkommensvergleich (Art. 28 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG), zur Rentenrevision (Art. 17 ATSG), zur Neuanmeldung (Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV in der bis 31. Dezember 2011 gültig gewesenen Fassung) sowie zur Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 256 E. 4 S. 261) wird auf die zutreffenden Ausführungen des kantonalen Gerichtes verwiesen. 
 
2. 
Die vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit der versicherten Person sind grundsätzlich Entscheidungen über eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.), die das Bundesgericht seiner Urteilsfindung zugrunde zu legen hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Berichtigen oder ergänzen kann es die Sachverhaltsfeststellung nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG) und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Die Frage, ob sich eine Arbeits(un)fähigkeit in einem bestimmten Zeitraum in einem revisionsrechtlich relevanten Sinne verändert hat, ist ebenso Tatfrage (Urteil 9C_617/2010 vom 10. Februar 2011 E. 3.1 mit Hinweis) wie die konkrete Beweiswürdigung. Dagegen sind die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG Rechtsfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.), die das Bundesgericht im Rahmen der den Parteien obliegenden Begründungs- bzw. Rügepflicht (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 und 1.4.2 S. 254) frei überprüfen kann (Art. 106 Abs. 1 BGG). 
 
3. 
3.1 Die Vorinstanz gelangte nach Prüfung der Unterlagen zum Schluss, die bisherige Tätigkeit sei in unverändertem Pensum zumutbar. Aufgrund der Erkrankung an der rechten Hand bestehe zwar eine Leistungseinschränkung von maximal 30%, im Rahmen einer angepassten Tätigkeit sei die Beschwerdeführerin aber unbegrenzt arbeits- und leistungsfähig. Das kantonale Gericht stützte seine Erkenntnis auf die RAD-Berichte vom 3. Februar sowie vom 22. Juni 2012 ab. 
 
Den Einwand der Versicherten, RAD-Arzt Dr. med. A.________ sei als Facharzt für Physikalische Medizin und Rehabilitation FMH zur Einschätzung ihrer Arbeitsunfähigkeit fachlich nicht kompetent, erachtete die Vorinstanz als nicht überzeugend. Die Berichte des RAD seien plausibel und böten keinen Grund, davon abzuweichen. Insbesondere sei die anderslautende Stellungnahme des Dr. med. B.________ nicht höher zu gewichten, da dieser ebenfalls kein Facharzt für Rheumatologie sei und als Orthopäde kaum besser über entzündliche Erkrankungen berichten könne als Dr. med. A.________. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung lehnte das kantonale Gericht den Antrag auf eine weiterführende Sachverhaltsfeststellung in antizipierter Beweiswürdigung ab. 
 
3.2 Die Beschwerdeführerin rügt im Wesentlichen eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes und des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG) durch die IV-Stelle und das kantonale Gericht sowie eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung (Art. 97 Abs. 1 BGG). 
 
4. 
4.1 Im Verzicht auf weitere Sachverhaltsabklärungen liegt dann keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, wenn die im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes von Amtes wegen vorzunehmenden Abklärungen den Versicherungsträger oder das Gericht bei umfassender, sorgfältiger, objektiver und inhaltsbezogener Beweiswürdigung (BGE 132 V 393 E. 4.1 S. 399 f.) zur Überzeugung führen, ein bestimmter Sachverhalt sei als überwiegend wahrscheinlich (BGE 126 V 353 E. 5b S. 360; 125 V 193 E. 2 S. 195, je mit Hinweisen) zu betrachten und es könnten weitere Beweismassnahmen an diesem feststehenden Ergebnis nichts mehr ändern (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236; 134 I 140 E. 5.3 S. 148; 124 V 90 E. 4b S. 94). Wie bei der konkreten Beweiswürdigung auch, handelt es sich bei einer antizipierten Beweiswürdigung um eine Tatfrage, die das Bundesgericht nur anders beantwortet, wenn der festgestellte Sachverhalt offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; SZS 2012 S. 454 E. 5.2.4, 8C_23/2012; Urteil I 9/07 vom 9. Februar 2007). Im Rahmen der Sachverhaltsfeststellung sind die Abklärungspflicht der IV-Stelle (Art. 43 Abs 1 und 2 ATSG) und die Beachtung der Beweiswürdigungsregeln durch das kantonale Versicherungsgericht (Art. 61 lit. c ATSG) bundesrechtlich bestimmt. Die Kontrolle solcher Verfahrenspflichten, deren Einhaltung in rechtsstaatlicher Hinsicht für die Feststellung des Sachverhalts unerlässlich ist, nimmt das Bundesgericht mit freier Kognition vor. 
 
4.2 Den Berichten und Gutachten versicherungsinterner Ärzte kommt Beweiswert zu, sofern sie als schlüssig erscheinen, nachvollziehbar begründet sowie in sich widerspruchsfrei sind und keine Indizien gegen ihre Zuverlässigkeit bestehen (BGE 125 V 351 E. 3b/ee S. 353 f.). Soll ein Versicherungsfall jedoch ohne Einholung eines externen Gutachtens entschieden werden, so sind an die Beweiswürdigung strenge Anforderungen zu stellen. Es würde einen Verstoss gegen die Waffengleichheit und somit eine Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK bedeuten, die Relevanz der Berichte der behandelnden Ärztinnen und Ärzte von zu hohen Anforderungen abhängig zu machen. Bestehen auch nur geringe Zweifel in Hinblick auf die Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit einer versicherungsinternen ärztlichen Feststellung, so sind ergänzende Abklärungen mittels unabhängiger Begutachtung vorzunehmen (BGE 135 V 465 E. 4.4 S. 470 mit Hinweis). 
 
5. 
5.1 Die vor Verfügungserlass (vom 10. Mai 2012) erstatteten Berichte des Dr. med. B.________ vom 23. November und 17. Dezember 2011 sowie vom 28. März 2012 attestieren der Versicherten durchwegs eine erhebliche Arbeitsunfähigkeit, dies im Wesentlichen zufolge Fingergelenks- und Handgelenksarthrosen sowie einer vor kurzem erlittenen Wirbelkörperfraktur bei ausgeprägter Osteoporose. Die abweichenden Einschätzungen des RAD-Mediziners Dr. med. A.________, der keine 30% übersteigende Behinderung bei der Arbeit zu erkennen vermag, und auf welche die Vorinstanz vollumfänglich abgestellt hat, erachtet Dr. med. B.________ als nicht nachvollziehbar. Die Versicherte macht sich den Standpunkt ihres behandelnden Arztes Dr. med. B.________ zu eigen. Sie wendet sich insbesondere mit dem Argument, Dr. med. A.________ verfüge nicht über das erforderliche Fachwissen, gegen das RAD-Gutachten. 
 
5.2 Dr. med. A.________ hat die Versicherte umfassend untersucht und sämtliche Ergebnisse der mittels bildgebender Verfahren erfolgten Untersuchungen berücksichtigt. Der Umstand allein, dass es sich bei RAD-Arzt Dr. med. A.________ nicht um einen Rheumatologen handelt, führt nicht dazu, dass dem gutachterlichen Bericht kein Beweiswert zuerkannt werden könnte, zumal der Mediziner des RAD Spezialist für Erkrankungen des Bewegungsapparates und dessen konservative Therapie ist, was sich mit dem Tätigkeitsfeld eines Rheumatologen - Diagnose und Therapie von chronischen Krankheiten, u.a. im hier fraglichen Stütz- und Bewegungsapparat - überschneidet. Der behandelnde Arzt Dr. med. B.________ ist als Orthopäde wohl ebenfalls in der Lage, Auffälligkeiten am Stütz- und Bewegungsapparat zu beurteilen. Seine abweichende Einschätzung ist jedoch mit Vorbehalt zu würdigen, zumal er vor allem chirurgisch tätig ist und es hier primär um ein entzündliches Geschehen geht. Die unterschiedliche Interpretation der Röntgenbilder ist daher nicht geeignet, hinreichende Zweifel am RAD-Gutachten aufkommen zu lassen, da diesem eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit der Einschätzung des Dr. med. B.________ entnommen werden kann. Hinsichtlich des Grades der Arbeitsunfähigkeit hat die Vorinstanz im Übrigen verbindlich festgehalten, dass sich die Stellungnahmen des Dr. med. B.________ vom 4. August 2011 und des RAD insofern decken, als der behandelnde Arzt allein für rein sitzende Tätigkeiten eine Einschränkung angenommen habe und Dr. A.________ von einem wechselbelastenden Erwerb ausgehe. Sodann ist zu beachten, dass die Therapiemöglichkeiten nicht ausgeschöpft wurden. So wies RAD-Arzt Dr. med. A.________ beispielsweise am 3. Februar 2012 darauf hin, dass die Versicherte sich seit 2008 keiner Physiotherapie mehr unterzogen habe und äusserte sich ferner zur mutmasslichen Wirksamkeit einer bislang offenbar unterbliebenen Behandlung der Beschwerden an den Fingern. 
Was sodann die in der Beschwerde behauptete Widersprüchlichkeit der Arbeitsunfähigkeitseinschätzung betrifft, lässt sich aus der Stellungnahme des RAD-Arztes Dr. med. A.________ nur der Schluss ziehen, dass feinmotorische Tätigkeiten und starke Belastungen der Hände und Finger zu einer gewissen Einschränkung führen, die im Schneiderberuf auf 20 - 30% zu veranschlagen ist, jedoch nicht zu einer vollen Arbeitsunfähigkeit führen, worin sich die von der Vorinstanz erwähnte Übereinstimmung mit der Auffassung des Dr. med. B.________ findet. 
Im Übrigen ist bei den Einschätzungen des Dr. med. B.________ zu beachten, dass es sich bei diesem um den behandelnden Arzt der Versicherten handelt. Berichte behandelnder Ärzte sind jedoch aufgrund der auftragsrechtlichen Vertrauensstellung zum Patienten mit Vorbehalt zu würdigen (BGE 125 V 351 E. 3b/cc S. 353). Dies gilt für den allgemein praktizierenden Hausarzt wie den behandelnden Spezialarzt (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 655/05 vom 20. März 2006 E. 5.4 mit Hinweisen). Auch wenn Dr. med. B.________ der Hausarzt der Beschwerdeführerin ist, bedeutet dies zwar nicht, dass seine Angaben ausser Acht zu lassen sind (Urteil 8C_216/2009 vom 28. Oktober 2009 E. 4.6). Indessen sind seinen vom RAD dezidiert abweichenden Beurteilungen des Gesundheitszustandes und Stellungnahmen zur Arbeitsunfähigkeit keine Erkenntnisse zu entnehmen, welche die Aussagen des RAD-Arztes Dr. med. A.________ zu erschüttern vermöchten. 
 
5.3 Nach dem Gesagten wurde der rechtserhebliche Sachverhalt im Verwaltungs- und im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren hinreichend festgestellt. Die versicherungsinternen ärztlichen Feststellungen sind zuverlässig und schlüssig. Die Einholung eines externen Fachgutachtens ist unter diesen Umständen nicht angezeigt. Die IV-Stelle und das Verwaltungsgericht haben die bundesrechtlich auferlegten Abklärungspflichten (Art. 43 Abs. 1 und 61 lit. c ATSG) nicht verletzt. Die Vorinstanz durfte in antizipierter Beweiswürdigung auf die Anordnung eines externen Gutachtens verzichten. Eine Rückweisung an das kantonale Gericht erübrigt sich. 
 
6. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die unterliegende Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 27. März 2013 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kernen 
 
Der Gerichtsschreiber: Widmer