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[AZA 7] 
U 48/01 Vr 
 
III. Kammer 
 
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Kernen; Gerichtsschreiber Renggli 
 
Urteil vom 27. Juni 2002 
 
in Sachen 
 
S.________, 1950, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Walter Solenthaler, Obere Bahnhofstrasse 58, 8640 Rapperswil, 
 
gegen 
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 4, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin, 
 
und 
 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen 
 
A.- Die 1950 geborene S.________ arbeitete bis zur Kündigung auf Ende Februar 1997, welche in der wirtschaftlichen Situation der Arbeitgeberin begründet war, als kaufmännische Angestellte und Direktionssekretärin bei der Z.________ AG. Sie war bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert. Am 15. Februar 1997 erlitt sie als Lenkerin eines Personenwagens eine Auffahrkollision, bei der ein nachfolgendes Fahrzeug nach kurzer Vollbremsung (aus einer Geschwindigkeit von 50 bis 60 Stundenkilometern) auf ihren stillstehenden Wagen aufprallte und ihn in das davorstehende Fahrzeug schob. Weder die Insassen desselben noch der unfallverursachende Fahrer erlitten Verletzungen. Am 18. Februar 1997 suchte S.________ Dr. med. G.________, Arzt für Allgemeine Medizin FMH, auf, der einen Schleuderunfall der Halswirbelsäule (HWS) feststellte. Der Hausarzt von S.________, Dr. med. K.________, Spezialarzt für Innere Medizin FMH, bestätigte diese Diagnose in seinem Arztbericht vom 10. März 1997. Eine erste kreisärztliche Untersuchung fand am 4. April 1997 statt; Dr. med. F.________ hielt ein im Abklingen begriffenes Zervikalsyndrom bei wieder freier HWS-Beweglichkeit und Verdacht auf beidseitige Epikondylopathie fest. Er erachtete die Patientin als zu 50 % arbeitsfähig. Eine weitere Untersuchung durch den SUVA-Kreisarzt am 30. April 1997 bestätigte die bisher erhobenen Befunde. Die Arbeitsfähigkeit wurde wiederum auf 50 % festgesetzt; mit einer 100%igen Arbeitsfähigkeit sei anfangs Juni zu rechnen. Am 3. Juni 1997 berichtete Dr. med. K.________, die vorgesehene Arbeitsaufnahme habe sich wegen immer noch bestehender Genickschmerzen nicht realisieren lassen und regte eine Abklärung mittels eines funktionellen HWS-Computertomogramms an. Dr. med. F.________ attestierte am 18. Juni 1997 weiterhin einen Zustand nach HWS-Verletzung, bei Restbeschwerden im Sinne eines Zervikalsyndroms und günstigem klinischen Befund der HWS. Therapeutisch empfahl er aktive Rücken- und HWS-Gymnastik. Die Erstellung eines HWS-Computertomogramms erachtete er als nicht notwendig und eine stationäre Rehabilitation als durch die Befunde nicht gerechtfertigt. Er hielt an seiner früheren Beurteilung der Arbeitsfähigkeit fest, nicht zuletzt im Sinne einer gebotenen Rückkehr zu den gewöhnlichen Tätigkeiten zwecks Verhinderung einer Chronifizierung. 
Die SUVA richtete in Anerkennung ihrer Leistungspflicht zunächst Taggelder aus. Mit Verfügung vom 26. Juni 1997 setzte sie die Leistungen ab dem 5. Mai 1997 auf 50 % herab und stellte sie ab dem 2. Juni 1997 vollständig ein. 
Die dagegen erhobene Einsprache wies die SUVA mit Einspracheentscheid vom 22. Januar 1999 ab, dies nach Einsichtnahme in einen Untersuchungsbericht vom 30. Juli 1997 von Dr. med. H.________, Neurologie FMH, bei welchem sich S.________ in der Zwischenzeit auf eigene Kosten hatte untersuchen lassen, sowie nach weiteren ärztlichen Abklärungen (Arztberichte von Dr. med. K.________ vom 21. August 1997 und von Dr. med. H.________ vom 24. September 1997, Beurteilung durch Dr. med. P.________, Spezialarzt FMH für Chirurgie beim unfallmedizinischen Ärzteteam der SUVA, vom 14. Oktober 1997, Untersuchungsbericht der Dres. med. W.________ und I.________ von der neurologischen Poliklinik des Spitals X.________ vom 27. Mai 1998, Bericht über eine Untersuchung an der neuropsychologischen Abteilung derselben Klinik durch die Dres. med. A.________ und E.________ vom 5. August 1998). 
 
B.- Gegen den Einspracheentscheid liess S.________ beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen Beschwerde führen. Der Beschwerdeschrift beigelegt wurden neue Arztberichte (Berichte von Dr. med. C.________ von der Orthopädischen Klinik Y.________ vom 9. September und 6. Oktober 1998, von Dr. med. H.________ vom 7. April 1999 und von Dr. med. K.________ [undatiert, beim Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin eingegangen am 19. April 1999]). Mit Entscheid vom 27. Oktober 2000 wurde die Beschwerde abgewiesen. 
 
C.- S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, der Einspracheentscheid vom 22. Januar 1999 und der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 27. Oktober 2000 seien aufzuheben und es sei die SUVA zu verpflichten, für den Zeitraum vom 5. Mai 1997 bis 11. April 1999 Taggeldleistungen im Umfang von 100 % und ab dem 12. April 1999 bis auf weiteres im Umfang von 75 % auszurichten. Eventualiter wird die Rückweisung an die Vorinstanz zur Beweisergänzung und Neubeurteilung beantragt. 
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Nach ständiger Rechtsprechung beurteilt das Sozialversicherungsgericht die Gesetzmässigkeit der angefochtenen Verfügungen in der Regel nach dem Sachverhalt, der zur Zeit des Verfügungserlasses gegeben war (BGE 121 V 366 Erw. 1b mit Hinweisen). 
Im Verwaltungsverfahren nach UVG schliesst der Einspracheentscheid das Verwaltungsverfahren ab und tritt an die Stelle der ursprünglichen Verfügung. Für das Gericht sind daher die Verhältnisse, wie sie sich zum Zeitpunkt des Erlasses des Einspracheentscheides darstellen, massgebend (BGE 127 V 105 Erw. 5e in fine mit Hinweis; RKUV 2001 Nr. U 419 S. 101 Erw. 2 mit Hinweisen; Alexandra Rumo-Jungo, Rechtsprechung zum UVG, 2. Aufl., Zürich 1995, S. 344 und 377). 
 
2.- a) Die Vorinstanz hat die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden (BGE 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, 117 V 360 Erw. 4a mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
b) Die Leistungspflicht des Unfallversicherers setzt im Weiteren voraus, dass zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden ein adäquater Kausalzusammenhang besteht. Nach der Rechtsprechung hat ein Ereignis dann als adäquate Ursache eines Erfolges zu gelten, wenn es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet ist, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, der Eintritt dieses Erfolges also durch das Ereignis allgemein als begünstigt erscheint (BGE 125 V 461 Erw. 5a mit Hinweisen). 
 
c) Die Vorinstanz hat die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Adäquanzbeurteilung bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfällen (BGE 115 V 138 Erw. 6) und bei Schäden, die nach einem Schleudertrauma der HWS oder äquivalenten Verletzungen eintreten (BGE 117 V 366 Erw. 6a mit Hinweisen), sowie die Rechtsprechung zur Frage der Anwendbarkeit des einen oder anderen Kriterienkataloges (BGE 123 V 99 Erw. 2a mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Auch hierauf wird verwiesen. 
 
3.- Streitig und zu prüfen ist, ob die SUVA ihre Taggeldleistungen zu Recht ab dem 5. Mai 1997 um 50 % gekürzt und ab dem 2. Juni 1997 ganz eingestellt hat. 
 
a) Die in den Akten verschiedentlich, namentlich im Bericht von Dr. med. P.________ vom 14. Oktober 1997, zu Tage tretende Auffassung der SUVA, sie habe - ausserhalb des Bereichs schwerer Unfälle - nur für klar ausgewiesene organische Unfallfolgen Leistungen zu erbringen, trifft nicht zu. Eine Leistungspflicht des Unfallversicherers fällt auch dann in Betracht, wenn Beschwerden, wiewohl nicht durch eine zwingende Beweisführung auf organischer Ebene klar als natürlich-kausale Folgen des Unfallereignisses ausgewiesen, nach unfallmedizinischer Erfahrung als Unfallfolgen beurteilt werden (BGE 119 V 335). In der Tat ist im vorliegenden Fall nach sämtlichen verfügbaren medizinischen Unterlagen - einschliesslich jener des Kreisarztes der SUVA - keinerlei unfallfremde Einwirkung ersichtlich, welche für den zunächst günstigen, dann jedoch protrahierten Verlauf verantwortlich gemacht werden könnte. Insbesondere fehlt es an vorbestandenen Schädigungen, an einer psychogenen Prämorbidität und an nach dem Unfall hinzutretenden unfallfremden Körperschädigungen. Die Beschwerden der Versicherten sind - medizinisch gesehen - plausiblerweise als Folgen des Unfalls vom 15. Februar 1997 zu betrachten (BGE 123 V 102 Erw. 3b). Es kann in keiner Weise angenommen werden, dass die Beschwerdeführerin die ärztlich dokumentierten Beeinträchtigungen auch ohne den versicherten Unfall aufweisen würde. 
 
b) SUVA und Vorinstanz kann auch insoweit nicht beigepflichtet werden, als sie von einer frühzeitigen und erheblichen psychischen Überlagerung der somatischen Probleme ausgehen und dementsprechend - gemäss BGE 123 V 99 Erw. 2a - die Kriterien zur Adäquanzbeurteilung bei psychogenen Unfallfolgen, wie sie in BGE 115 V 133 entwickelt worden sind, anwenden. Die Beschwerdeführerin wird in den medizinischen Akten als unauffällige Persönlichkeit geschildert. Der Umstand, dass sie zu jener kleinen Gruppe von Unfallopfern gehört, deren Beeinträchtigungen im Anschluss an ein erlittenes Schleudertrauma der HWS nicht nach drei Monaten abklingen, weist keineswegs zwangsläufig auf eine psychische Überlagerung hin. Es fehlt denn auch in den Akten eine fachärztlich gestellte psychiatrische Diagnose. 
Auf Grund der bisherigen ärztlichen Beurteilungen ist eine deutliche Dominanz der psychischen Beeinträchtigungen gegenüber den somatischen nicht erstellt. Vorbehältlich der Ergebnisse weiterer Sachverhaltsabklärungen (siehe Erw. 3c) ist daher die Frage des adäquaten Kausalzusammenhangs nach den in BGE 117 V 359 entwickelten Kriterien zu beurteilen (BGE 123 V 99 Erw. 2a mit Hinweisen). 
 
c) Gemäss neuester Rechtsprechung (BGE 127 V 105 Erw. 5e) ist für die Leistungspflicht des Unfallversicherers ein adäquat kausaler Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden auch dort vorausgesetzt, wo es um vorübergehende Leistungen (Krankenpflege, Taggeld) geht. 
Mit der Vorinstanz und entgegen dem, was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemacht wird, ist festzustellen, dass es sich beim Ereignis vom 15. Februar 1997 um einen Unfall aus dem mittleren Schwerebereich handelt. Eine Einordnung in die Gruppe der schweren Unfälle lässt sich auf Grund der Rechtsprechung zu dieser Frage (dargestellt in RKUV 1999 Nr. U 330 S. 123 und 1995 Nr. U 215 S. 91) nicht rechtfertigen. Damit müssen zur Bejahung der Adäquanz der psychischen Unfallfolgen die Kriterien gemäss Erw. 2c erfüllt sein. Eine sachgerechte Prüfung dieser Kriterien ist jedoch nach der Aktenlage nicht möglich. Die Arztbeichte zeichnen ein widersprüchliches Bild, soweit sie beweiskräftig sind. Die Darlegungen des Dr. med. H.________ (Arztberichte vom 30. Juli 1997 und 7. April 1999) sind zu pauschal und entbehren einer näheren Begründung. Die Berichte der Dres. med. F.________ vom 4. April, 30. April und 18. Juni 1997 und P.________ vom 17. Mai 1999 lassen darauf schliessen, dass die Arbeitsfähigkeit wesentlich aus therapeutischen Gründen, zur Vermeidung einer Chronifizierung infolge Inaktivität, hoch veranschlagt wurde. Eine solchermassen motivierte Einschätzung der Arbeitsfähigkeit, die mehr einer Prognose denn einer aktuellen Stellungnahme entspricht, vermag nicht verlässlich Auskunft darüber zu geben, ob und inwieweit die fraglos noch bestehenden Einschränkungen und Beschwerden zu einer Arbeitsunfähigkeit führten. Die Verneinung der lang andauernden Arbeitsunfähigkeit auf Grund der Einstellung der Taggeldleistungen nach rund dreieinhalb Monaten (Klageantwort der SUVA im vorinstanzlichen Verfahren vom 25. Mai 1999, S. 3 f.) setzt voraus, dass diese Einstellung zu Recht erfolgte, was gerade streitig ist und nicht abschliessend beurteilt werden kann. Sodann lässt sich daraus, dass die Versicherte arbeitslos war, nichts für die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit ableiten. Insgesamt ist der Sachverhalt bis zum massgebenden Zeitpunkt des Einspracheentscheides am 22. Januar 1999 zu wenig abgeklärt. Die SUVA wird deshalb ergänzende Abklärungen zur Entwicklung von physischem und psychischem Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit bis zu jenem Zeitpunkt vornehmen, gestützt darauf die in Betracht fallenden Adäquanzkriterien beurteilen und hernach über die Leistungsberechtigung zu befinden haben. 
 
4.- Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend steht der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG). 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne 
teilweise gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts 
des Kantons St. Gallen vom 27. Oktober 
2000 und der Einspracheentscheid vom 22. Januar 
1999 aufgehoben werden und die Sache an die SUVA zurückgewiesen 
wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung 
im Sinne der Erwägungen, über die Leistungsberechtigung 
erneut befinde. 
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
III.Die SUVA hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren 
vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung 
von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) 
zu bezahlen. 
 
IV.Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen wird 
über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren 
entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen 
Prozesses zu befinden haben. 
 
V.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht 
des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für 
Sozialversicherung zugestellt. 
 
Luzern, 27. Juni 2002 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident Der Gerichtsder 
III. Kammer: schreiber: