Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
9C_303/2019
Urteil vom 27. August 2019
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Glanzmann, Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.
Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
vertreten durch Procap Schweiz,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 13. März 2019 (IV 2016/260).
Sachverhalt:
A.
Die 1979 geborene A.________ meldete sich im April 2013 wegen Depressionen, Konzentrationsmangel und einer Angststörung zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an. Nach Abklärung der medizinischen und der erwerblichen Verhältnisse teilte die IV-Stelle des Kantons St. Gallen A.________ am 25. September 2013 mit, aufgrund ihres Gesundheitszustandes seien zurzeit keine beruflichen Massnahmen angezeigt. Die IV-Stelle veranlasste eine Haushaltabklärung (vgl. Bericht vom 24. März 2014). Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens sprach sie der Versicherten gestützt auf einen ermittelten Invaliditätsgrad von 40 % mit Wirkung ab 1. Oktober 2013 eine Viertelsrente zu (Verfügung vom 10. Juni 2016).
B.
Die von der Versicherten dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen gut, hob die angefochtene Verfügung auf und sprach A.________ mit Wirkung ab 1. Oktober 2013 eine halbe Rente zu. Die Sache wurde zur Festsetzung und Ausrichtung der Rentenleistung an die Verwaltung zurückgewiesen (Entscheid vom 13. März 2019).
C.
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheides und Bestätigung ihrer Verfügung. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie das Pensum abkläre, in welchem die Versicherte ohne Eintritt der Invalidität arbeiten würde. Des Weitern ersucht die Verwaltung um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde.
A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen und ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung, Verbeiständung) stellen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde ans Bundesgericht zu prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG ). Hingegen hat unter der Herrschaft des BGG eine freie Überprüfung des vorinstanzlichen Entscheides in tatsächlicher Hinsicht zu unterbleiben. Ebenso entfällt eine Prüfung der Ermessensbetätigung nach den Grundsätzen zur Angemessenheitskontrolle.
1.2. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz der Versicherten zu Recht mit Wirkung ab 1. Oktober 2013 eine halbe Rente zugesprochen hat.
3.
Es steht fest und ist unbestritten, dass die Versicherte eine ihrem Leiden optimal angepasste Tätigkeit zu 50 % ausüben könnte. Umstritten sind allein die den beiden Vergleichseinkommen (im Rahmen eines Einkommensvergleichs [Art. 28a Abs. 1 IVG] bzw. allenfalls im Rahmen der gemischten Methode, wie sie im Zeitpunkt der Rentenfestsetzung Gültigkeit hatte [Art. 28a Abs. 3 IVG]) zugrunde zu legenden Werte.
4.
4.1. In ihrer Verfügung vom 10. Juni 2016 ermittelte die IV-Stelle den Invaliditätsgrad der Versicherten anhand der gemischten Methode, davon ausgehend, die Versicherte wäre im Gesundheitsfall zu 90 % erwerbstätig (und in diesem Bereich um 50 % eingeschränkt) und zu 10 % im Haushalt beschäftigt (diesbezüglich ohne Einschränkung). Demgegenüber stellte sich die IV-Stelle im kantonalen Verfahren auf den Standpunkt, die Versicherte sei als Teilerwerbstätige ohne Aufgabenbereich zu qualifizieren und ihre Invalidität mithin anhand der Einkommensvergleichsmethode zu bemessen. Die Vorinstanz erwog, es könne offen gelassen werden, ob die Versicherte über einen Haushaltbereich verfüge, weil das Valideneinkommen ohnehin auf ein 100 %-Pensum hochzurechnen sei.
4.2. Wie die IV-Stelle in ihrer Beschwerde zutreffend vorbringt, ist die vorinstanzliche Betrachtungsweise, wonach das Valideneinkommen so oder anders auf ein Vollpensum aufzurechnen sei, bundesrechtswidrig, weil sie der hier noch anwendbaren bisherigen Berechnungsweise der gemischten Methode (vgl. E. 2, vgl. auch Urteil 9C_883/2018 vom 13. Juni 2019 E. 3.3) sowie der Rechtsprechung gemäss BGE 142 V 290 widerspricht. Die Frage, ob die Versicherte als Teilerwerbstätige mit Haushaltbereich (entsprechend der von der IV-Stelle im Verwaltungsverfahren vertretenen Auffassung) oder ohne Haushaltbereich (gemäss dem von der Verwaltung seit dem vorinstanzlichen Prozess vertretenen Standpunkt) zu betrachten ist, braucht indessen nicht entschieden zu werden, weil die Versicherte - wie unbestritten ist - im häuslichen Bereich nicht eingeschränkt wäre, so dass sich ihr Invaliditätsgrad in jedem Fall alleine aus der erwerblichen Einbusse ergibt.
4.3. Als reine Mutmassung kritisiert die IV-Stelle sodann die vorinstanzliche Feststellung, wonach es der Versicherten nach dem 10. Schuljahr "offenkundig bereits beeinträchtigt durch die psychische Problematik" nicht gelungen sei, einen Lehrberuf zu finden oder eine weitere schulische Ausbildung zu machen. In den Akten gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass gesundheitliche Gründe für die Schwierigkeiten, mit welchen sich die Versicherte in Ausbildung und Beruf konfrontiert sah, ausschlaggebend waren. Vielmehr findet sich in den Unterlagen in diesem Zusammenhang einzig der Hinweis, die Versicherte habe "laut eigenen Angaben keine entsprechenden Stellen finden" können; eine Bezugnahme auf ihren Gesundheitszustand fehlt. Im Übrigen sind gesundheitliche Probleme (anfänglich noch ohne Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit) erst für die Zeit ab November 2009 dokumentiert (Bericht des Dr. med. B.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH), eine (längerdauernde) Arbeitsunfähigkeit sodann erst ab 8. Dezember 2011 (Bericht des Zentrums C.________ vom 10. Mai 2013), mithin lange nach dem 10. Schuljahr, welches spätestens im Sommer 1999 endete. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung ist entsprechend zu korrigieren.
4.4. Nicht gefolgt werden kann der IV-Stelle demgegenüber insoweit, als sie im letztinstanzlichen Verfahren geltend macht, für den Gesundheitsfall sei angesichts der von der Versicherten in der besten Phase ihres Erwerbslebens zwischen August 2005 und März 2008 erreichten bescheidenen Einkommen von einem deutlich geringeren Erwerbspensum als 90 % auszugehen. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, weshalb die Verwaltung erst jetzt zu dieser von ihrer Verfügung und ihren Äusserungen im vorinstanzlichen Verfahren abweichenden Auffassung gelangt bzw. dass erst der vorinstanzliche Entscheid Anlass zu diesem neuen Vorbringen geboten haben soll (Art. 99 Abs. 1 BGG). Es handelt sich damit um ein unzulässiges Novum, welches nicht berücksichtigt werden darf.
4.5. Damit bleibt es im Ergebnis bei dem von der IV-Stelle anhand der LSE ermittelten Valideneinkommen von Fr. 46'616.- für ein 90 %-Pensum (0.9 x Fr. 51'796.-).
5.
5.1. Was das Invalideneinkommen anbelangt, besteht Einigkeit darin, dass ebenfalls auf den statistischen Hilfsarbeiterinnenlohn von Fr. 51'796.- (100 %-Pensum) abzustellen ist, womit entsprechend der verbindlich feststehenden Arbeitsfähigkeit von 50 % in leidensangepassten Tätigkeiten ein Einkommen von Fr. 25'898.- resultiert. Streitig und zu prüfen ist, ob von diesem Lohn ein Abzug vorzunehmen ist.
5.2. Das Versicherungsgericht erachtete eine Reduktion des Invalideneinkommens um 10 % für gerechtfertigt mit der Begründung, die Versicherte könne gesundheitsbedingt lediglich noch an "Einzelarbeitsplätzen" mit "freier Zeiteinteilung, ohne Zeitdruck" eingesetzt werden und sei in ihrer "Gruppenfähigkeit" im beruflichen Kontext deutlich eingeschränkt. Wer heutzutage keinen zeitlichen und leistungsmässigen Druck aushalten könne, müsse nach der Rechtsprechung (es wurde auf das Urteil 9C_796/2013 vom 28. Januar 2014 E. 3.4 verwiesen) mit einer tieferen Entlöhnung rechnen. Demgegenüber hält die IV-Stelle einen Abzug nicht für angebracht, weil nach der Gerichtspraxis (sie stützte sich ihrerseits auf die Urteile 9C_266/2017 vom 29. Mai 2018 E. 3.4.2 und 8C_146/2017 vom 7. Juli 2017 E. 5.2.2) in der Regel eine psychisch bedingte verstärkte Rücksichtnahme seitens Vorgesetzter und Arbeitskollegen nicht als eigenständiger Abzugsgrund anerkannt werden könne, ebenso wenig wie das Risiko von vermehrten gesundheitlichen Absenzen, ein grösserer Betreuungsaufwand oder weniger Flexibilität betreffend die Leistung von Überstunden.
5.3. Die (vom Bundesgericht frei überprüfbare) Rechtsfrage, ob ein leidensbedingter Abzug vorzunehmen ist (BGE 137 V 71 E. 5.1 S. 72; 132 V 393 E. 3.3 S. 399), kann offen gelassen werden. Denn selbst wenn sie mit der Vorinstanz zu Gunsten der Versicherten bejaht und ein Abzug von 10 %, mithin ein Invalideneinkommen von Fr. 23'308.- angenommen würde, resultierte mit 45 % ein Invaliditätsgrad, welcher lediglich Anspruch auf die von der IV-Stelle zugesprochene Viertelsrente verleiht (0.9 x [{Fr. 46'616.- - Fr. 23'308.-} x 100] : Fr. 46'616.-). Dies gilt unabhängig davon, ob man einen Aufgabenbereich annimmt oder nicht, weil die Versicherte ausschliesslich im - in beiden Fällen mit 90 % zu veranschlagenden - erwerblichen Bereich eingeschränkt ist (vgl. dazu E. 4.2 hiervor).
6.
Der angefochtene Entscheid, gemäss welchem die Versicherte Anspruch auf eine halbe Invalidenrente anstelle der von der IV-Stelle zugesprochenen Viertelsrente hat, ist als bundesrechtswidrig aufzuheben.
7.
Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.
8.
Ausgangsgemäss wird die Beschwerdegegnerin grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Ihrem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung, Verbeiständung) kann entsprochen werden ( Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG ), da die Bedürftigkeit der Versicherten anhand der Akten ausgewiesen ist. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG hingewiesen, wonach sie der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn sie später dazu in der Lage ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 13. März 2019 wird aufgehoben und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons St. Gallen vom 10. Juni 2016 bestätigt.
2.
Der Beschwerdegegnerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Rechtsanwalt Martin Boltshauser wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.
4.
Dem Rechtsvertreter der Beschwerdegegnerin wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'400.- ausgerichtet.
5.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen.
6.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 27. August 2019
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Pfiffner
Die Gerichtsschreiberin: Keel Baumann