Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess {T 7}
I 879/05
Urteil vom 27. September 2006
III. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiberin Heine
Parteien
B.________, 1970, Beschwerdeführer, vertreten durch Herrn lic. iur. Max S. Merkli, Praxis für Sozialversicherungsrecht, Schaffhauserstrasse 345, 8050 Zürich,
gegen
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
(Entscheid vom 18. Oktober 2005)
Sachverhalt:
A.
Der 1970 geborene B.________ war vom 1. Januar 1994 bis Ende Oktober 2000 als Chauffeur in der Firma M.________ angestellt. Am 8. Mai 2001 meldete er sich wegen einer entzündlichen Wirbelerkrankung zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich klärte die medizinischen sowie die beruflich-erwerblichen Verhältnisse ab. Sie holte zu diesem Zwecke insbesondere den Bericht der beruflichen Abklärungsstelle Stiftung X.________ (BEFAS), vom 24. Juli 2002, Berichte der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Universitätsspitals Y.________ vom 9. Juli 2002, 7. Mai, 31. Januar und vom 23. Januar 2001 sowie eine Auskunft der Arbeitgeberin vom 8. Juni 2000 ein. Gestützt darauf ermittelte die Verwaltung einen Invaliditätsgrad von 30 % und verneinte den Anspruch auf eine Invalidenrente (Verfügung vom 25. Juli 2003). Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 5. Mai 2004 fest.
B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab, nachdem der Versicherte unter anderem ein Gutachten des PD Dr. med. S.________, Neurologie FMH, Institut für Interdisziplinäre Medizinische Begutachtung, vom 14. Mai (mitsamt Zusatzangaben vom 11. August) 2005 eingereicht hatte (Entscheid vom 18. Oktober 2005).
C.
Unter Beilegung von Berichten des Dr. med. S.________ vom 30. November 2005 und der Frau med. pract. W.________, Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. phil. I.________, Klinischer Psychologe und Supervisor, Medizinisches Zentrum Z.________, vom 19. Juli 2004 lässt B.________ Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, es sei ihm in Aufhebung von Einsprache- und vorinstanzlichen Entscheid ab Juli 2002 eine ganze und ab Januar 2004 eine Dreiviertelsrente zuzusprechen; ferner sei die IV-Stelle zu verpflichten, die Kosten für das neurologische Gutachten des Dr. med. S.________ (vom 14. Mai/11. August 2005) zu übernehmen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Nach Art. 132 Abs. 1 OG in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG (in Kraft seit 1. Juli 2006) kann das Eidgenössische Versicherungsgericht in Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen in Abweichung von den Art. 104 und 105 OG auch die Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung beurteilen und ist an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts nicht gebunden. Gemäss Art. 132 Abs. 2 OG gelten diese Abweichungen nicht, wenn der angefochtene Entscheid Leistungen der Invalidenversicherung betrifft. Nach Ziff. II lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 ist indessen auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängigen Beschwerden bisheriges Recht anwendbar. Da die hier zu beurteilende Beschwerde am 1. Juli 2006 beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängig war, richtet sich dessen Kognition noch nach der bis Ende Juni 2006 gültigen Fassung von Art. 132 OG, welche dem neuen Abs. 1 entspricht.
2.
Das kantonale Gericht hat zutreffend dargelegt: die Bestimmungen und Grundsätze über die Begriffe der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG; ab 1. Januar 2003 Art. 8 Abs. 1 ATSG), der Arbeitsunfähigkeit (Art. 4 Abs. 1 IVG; ab 1. Januar 2003 Art. 6 ATSG) und der Erwerbsunfähigkeit (Art. 4 Abs. 1 IVG; ab 1. Januar 2003 Art. 7 ATSG; BGE 130 V 345 ff. Erw. 3.1 - 3.3), den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und Abs. 1bis IVG; seit 1. Januar 2004 Art. 28 Abs. 1 IVG in der Fassung vom 21. März 2003), die Invaliditätsbemessung bei Erwerbstätigen nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG; ab 1. Januar 2003 Art. 16 ATSG, BGE 130 V 345 ff. Erw. 3.1 - 3.3), die Ermittlung des hypothetischen Invalideneinkommens anhand von Tabellenlöhnen bei Versicherten, die nach Eintritt des Gesundheitsschadens keine Erwerbstätigkeit aufgenommen haben (BGE 126 V 76 Erw. 3b/bb), die zulässigen Abzüge von den herangezogenen Tabellenlöhnen (BGE 126 V 79 Erw. 5b), die Entstehung des Rentenanspruchs (Art. 29 Abs. 1 IVG) sowie die Bedeutung ärztlicher Auskünfte für die Belange der Invaliditätsbemessung (BGE 115 V 133 Erw. 2). Richtig sind des Weiteren die Erwägungen über den sozialversicherungsrechtlich massgebenden Regelbeweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 125 V 195 Erw. 2 mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.
3.
3.1 Laut Bericht des Universitätsspitals Y.________ vom 9. Juli 2002 leidet der Beschwerdeführer an neurogenen Thoraxschmerzen, einem partiellen senso-motorischen Querschnittssyndrom mit diskreter linksbetonter spastischer Paraparese, dissoziierter Sensibilitätsstörung unterhalb Niveau Th6/7 links und Miktionsstörung bei Status nach transverser Myelitis 10/00. Streitig ist, in welchem Ausmass der Beschwerdeführer dadurch in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist.
3.2 Das kantonale Gericht geht gestützt auf die Berichte des Universitätsspitals Y.________ von einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit im angestammten Beruf als Chauffeur aus; hinsichtlich einer körperlich leichten, eher sitzenden Tätigkeit erachtet es den Beschwerdeführer als zu 100 % arbeitsfähig. Ein psychisches Leiden mit Krankheitswert liegt nach Auffassung der Vorinstanz nicht vor.
Der Beschwerdeführer behauptet eine somatisch bedingte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit im Umfang von 50 %. Dabei stützt er sich im Wesentlichen auf das im kantonalen Beschwerdeverfahren eingereichte Gutachten des Dr. med. S.________ vom 14. Mai/11. August 2005. Weiter rügt er, dass die Berichte des Universitätsspitals Y.________ nicht schlüssig seien und ihnen deshalb kein Beweiswert zukomme. Ferner lässt er auch eine psychisch bedingte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit geltend machen.
3.3 Die Ärzte des Universitätsspitals Y.________ hatten im Bericht vom 7. Mai 2001 eine Arbeitsfähigkeit noch verneint, hingegen im Bericht vom 9. Juli 2002 zwar eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit in einem körperlich anstrengenden Beruf, ansonsten jedoch für eine angepasste Tätigkeit, eher sitzend, nunmehr eine 100%ige Arbeitsfähigkeit attestiert, während der Bericht vom 2. Mai 2002 eine Umschulung empfahl.
In Anbetracht dieser nicht näher begründeten medizinischen Angaben zur Arbeitsfähigkeit in den Verlaufsberichten der Klinik kann der Auffassung der Vorinstanz, es bestehe eine hinreichende Grundlage zur Bestimmung des Invalideneinkommens, nicht beigepflichtet werden. Die Annahme, dem Beschwerdeführer sei eine angepasste Tätigkeit gesundheitlich voll zumutbar, findet in den medizinischen Akten bisher keine genügende Stütze. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz sind die Berichte des Universitätsspitals Y.________, da es sich hierbei nicht um Administrativgutachten handelt, sondern lediglich um Verlaufsberichte der behandelnden Ärzte, nicht voll beweiskräftig (BGE 125 V 352 f. Erw. 3b/aa-ee; zur Verschiedenheit von Behandlungs- und Begutachtungsauftrag vgl. etwa Urteile P. vom 2. August 2006 [U 58/06] und G. vom 13. März 2006 [I 676/05]). Die durch das beigebrachte Parteigutachten substanziiert vertretene Auffassung einer 50%igen Arbeitsunfähigkeit auch in zumutbaren Verweisungstätigkeiten steht unwiderlegt im Raum. Andererseits kann auch auf das Privatgutachten nicht abschliessend abgestellt werden, namentlich nicht im Hinblick auf das, was PD Dr. med. S.________ zur Relevanz der Schmerzangaben für die Arbeitsunfähigkeit ausführt; er verkennt, dass Schmerz als solcher das funktionelle Leistungsvermögen und die psychischen Ressourcen als Voraussetzungen für die Ausübung einer angepassten Tätigkeit nicht aufhebt, wie die Rechtsprechung zu den Schmerzstörungen zeigt (BGE 132 V 65, 131 V 49, 130 V 352 und 396; vgl. Oliveri Michael, Grundsätze der ärztlichen Beurteilung der Zumutbarkeit und Arbeitsfähigkeit, in: Schweiz. med. Forum 2006 S. 420 ff., zitiert in Urteil D. vom 9. August 2006, I 391/06, Erw. 3.2.3 in fine). Es bleibt - in Anbetracht der erhobenen Befunde und durchgeführten Behandlung gemäss eingereichtem Bericht vom 19. Juli 2004 - die psychische Komponente des Beschwerdebildes zu beachten, welche im Abklärungsverfahren ebenfalls nicht genügend untersucht worden ist.
Deshalb sind ergänzende medizinische Abklärungen nötig. Die Beschwerdegegnerin wird eine Expertise neurologischer und psychiatrischer Fachrichtung anordnen. Die Gutachter werden den Gesundheitszustand zu beurteilen, zur Arbeitsunfähigkeit Stellung zu nehmen und sich dazu zu äussern haben, welche Erwerbstätigkeiten dem Beschwerdeführer unter Berücksichtigung aller seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen voll- oder teilzeitlich zumutbar sind.
4.
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens steht dem obsiegenden Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu (Art. 159 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).
Das kantonale Gericht wird über die Parteientschädigung im vorinstanzlichen Verfahren, entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses, neu zu befinden haben, dies auch unter Berücksichtigung des bei ihm eingereichten Privatgutachtens vom 14. Mai/ 11. August 2005.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 18. Oktober 2005 und der Einspracheentscheid vom 5. Mai 2004 aufgehoben werden und die Sache an die IV-Stelle des Kantons Zürich zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Rentenanspruch neu verfüge.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 1500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
Luzern, 27. September 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: