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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_226/2022  
 
 
Urteil vom 27. Oktober 2022  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiber Hochuli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ronald Pedergnana, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, 
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 22. Februar 2022 (IV 2020/19). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________, geboren 1968, verfügt über zwei Lehrabschlüsse als Papeterieverkäuferin und Textildesignerin. Von 1999 bis 2002 arbeitete sie in einem Vollzeitpensum als Textildruck-Entwerferin für die Firma B.________ AG. Am 18. Juni 2002 meldete sie sich erstmals bei der Invalidenversicherung wegen Beschwerden im Zusammenhang mit einer seit der Kindheit bestehenden Skoliose zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen (nachfolgend: IV-Stelle oder Beschwerdegegnerin) übernahm unter anderem neben verschiedenen Hilfsmitteln auch die Umschulung zur Ergotherapeutin. Nach Abschluss der Umschulung im März 2007 arbeitete A.________ ab 1. September 2007 mit einem 70 %-Pensum als Ergotherapeutin für die Psychiatrie C________. Vom 17. Juni bis 9. September 2015 blieb sie in der psychiatrischen Klinik D.________ zwecks Behandlung verschiedener psychischer Beschwerden hospitalisiert. Am 14. Juli 2015 reichte sie bei der Invalidenversicherung erneut ein Leistungsgesuch ein. Nach umfangreichen Abklärungen verneinte die IV-Stelle einen Rentenanspruch mangels Einschränkungen bei der Ausübung eines 70 %-Pensums als Ergotherapeutin und angesichts einer vollen Arbeitsfähigkeit in jeder leidensangepassten Tätigkeit (Verfügung vom 6. Dezember 2019). 
 
B.  
Die hiegegen erhobene Beschwerde der A.________ wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen ab (Entscheid vom 22. Februar 2022). 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ unter Aufhebung des angefochtenen Gerichtsentscheids die Zusprechung einer ganzen Invalidenrente ab November 2015 beantragen. Eventualiter sei die Sache zur Einholung eines polydisziplinären Gerichtsgutachtens an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Unaufgefordert reicht die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht die Beschwerdeergänzung vom 27. Juni 2022 und den Verlaufsbericht der behandelnden Psychiaterin Dr. med. E.________ vom 21. Mai 2022 ein. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist. Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erscheint. Diese Grundsätze gelten auch in Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung; in diese greift das Bundesgericht auf Beschwerde hin nur bei Willkür (dazu BGE 146 IV 88 E. 1.3.1) ein, insbesondere wenn die Vorinstanz offensichtlich unhaltbare Schlüsse zieht, erhebliche Beweise übersieht oder solche grundlos ausser Acht lässt. Solche Mängel sind in der Beschwerde aufgrund des strengen Rügeprinzips (Art. 106 Abs. 2 BGG) klar und detailliert aufzuzeigen. Auf ungenügend begründete Rügen oder bloss allgemein gehaltene appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid geht das Bundesgericht nicht ein (vgl. BGE 144 V 50 E. 4.2 mit Hinweisen; Urteil 8C_144/2022 vom 1. August 2022 E. 1.2).  
 
1.3. Die vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit sind tatsächlicher Natur (BGE 132 V 393 E. 3.2), weshalb sie das Bundesgericht seiner Urteilsfindung zugrunde zu legen hat. Gleiches gilt für die konkrete Beweiswürdigung. Dagegen betrifft die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfragen (BGE 146 V 240 E. 8.2 mit Hinweisen).  
 
1.4. Der unaufgefordert mit Beschwerdeergänzung vom 27. Juni 2022 eingereichte Verlaufsbericht der seit 2015 behandelnden Psychiaterin Dr. med. E.________ datiert vom 21. Mai 2022 und somit nach dem angefochtenen Entscheid vom 22. Februar 2022. Er bleibt folglich als echtes Novum unbeachtlich (vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 143 V 19 E. 1.2; Urteil 8C_397/2022 vom 5. September 2022 E. 5.4 mit Hinweis).  
 
2.  
Strittig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die von der IV-Stelle am 6. Dezember 2019 verfügte Verneinung eines Rentenanspruchs bestätigte. Dabei dreht sich der Streit einzig um die Frage, ob das Leistungsvermögen der Beschwerdeführerin aus psychischen Gründen - abweichend von der Sachverhaltsfeststellung gemäss angefochtenem Entscheid - weitergehend eingeschränkt ist. 
 
3.  
Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535). Die dem hier angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfügung erging vor dem 1. Januar 2022. Nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1, 129 V 354 E. 1 mit Hinweisen) sind daher die Bestimmungen des IVG und diejenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung anwendbar (BGE 148 V 174 E. 4.1). 
 
4.  
 
4.1. Das kantonale Gericht gelangte nach einlässlicher Würdigung der umfangreichen Aktenlage zum Schluss, dass das Verwaltungsverfahren zur rentenausschliessenden Eingliederung der Beschwerdeführerin mit deren Umschulung zur Ergotherapeutin gemäss unangefochten in Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 9. Juli 2007 erfolgreich abgeschlossen wurde. Sie habe hernach - entgegen ihren Angaben - aus invaliditätsfremden Gründen kein Vollzeitpensum, sondern nur ein 70 %-Pensum als Ergotherapeutin aufgenommen. Diese seit 1. September 2007 ausgeübte Teilerwerbstätigkeit sei als massgebende Validenkarriere zu betrachten, weshalb das Valideneinkommen dem statistischen Zentralwert der Ergotherapeutenlöhne im Zeitpunkt des frühestmöglichen Rentenbeginns am 1. Januar 2016 entspreche. Insbesondere mit Blick auf das polydisziplinäre Gutachten des Medizinischen Zentrums F.________ vom 4. Juli 2017, die auf Testergebnissen basierende Expertise des Fachpsychologen für Neuropsychologie lic. phil. G.________ vom 6. Januar 2019, das Gutachten der Psychiaterin und Psychotherapeutin med. pract. H.________ vom 30. April 2019 und die Berichte des Psychiaters I.________ vom Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) der Invalidenversicherung hielt die Vorinstanz fest, die Beschwerdeführerin sei als Ergotherapeutin zu 70 % und in einer leidensangepassten Tätigkeit zu 100 % arbeitsfähig. Gestützt auf einen Prozentvergleich sowie unter Berücksichtigung eines leidensbedingten Abzuges von 5 % ermittelte das kantonale Gericht einen Invaliditätsgrad von (gerundet) 34 %, weshalb es im Ergebnis die von der IV-Stelle am 6. Dezember 2019 verfügte Verneinung eines Rentenanspruchs bestätigte.  
 
4.2.  
 
4.2.1. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung der Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV) rügt, sieht sie mit Blick auf den angefochtenen Entscheid keinen Ergänzungsbedarf rechtlicher Art (vgl. Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG; vgl. auch BGE 141 IV 244 E. 1.2.1 und Urteil 6B_280/2021 vom E. 3.3.1 f., je mit Hinweisen). Sie beanstandet einzig, das kantonale Gericht habe sich nicht mit dem Bericht der Dr. med. E.________ vom 30. September 2019 auseinandergesetzt. Davon kann entgegen der Beschwerdeführerin keine Rede sein. Die Vorinstanz begründete überzeugend, weshalb sie nicht den Einschätzungen der behandelnden Psychiaterin Dr. med. E.________, sondern der ausführlichen Stellungnahme des RAD-Psychiaters I.________ vom 27. (richtig: 28.) November 2019 folgte.  
 
4.2.2. Was die konkrete Beweiswürdigung und die Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts anbetrifft, legt die Beschwerdeführerin nicht dar und ist nicht ersichtlich, inwiefern der angefochtene Entscheid das Willkürverbot verletzt (vgl. E. 1.2 f.). Bei Sachverhaltsrügen genügt es nach dem qualifizierten Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG) nicht, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu erläutern (BGE 137 II 353 E. 5.1; Urteil 8C_770/2021 vom 6. September 2022 E. 2.2). Wie der RAD-Psychiater in seiner Beurteilung vom 28. November 2019 ausführte, stellte Dr. med. E.________ die von der psychiatrischen Gutachterin med. pract. H.________ erhobenen Befunde nicht in Frage, sondern gelangte in ihrem Schreiben vom 30. September 2019 lediglich zu einer anderen Beurteilung desselben medizinischen Sachverhalts aus dem Blickwinkel einer psychoanalytisch-psychodynamisch orientierten Therapeutin. Bei der Beweiswürdigung war der Erfahrungstatsache Rechnung zu tragen, dass behandelnde Ärzte im Hinblick auf ihre auftragsrechtliche Vertrauensstellung in Zweifelsfällen mitunter eher zugunsten ihrer Patienten aussagen. Dies gilt grundsätzlich nicht nur für Hausärzte (vgl. BGE 135 V 465 E. 4.5; 125 V 351 E. 3a/cc), sondern auch für spezialärztlich behandelnde Medizinalpersonen (Urteil 8C_736/2021 vom 22. März 2022 E. 5.2 mit Hinweisen). Indem die Beschwerdeführerin den vorinstanzlichen Feststellungen unter Berufung auf die Ausführungen der Dr. med. E.________ ihre eigene Sicht der Dinge gegenüberstellt, zeigt sie nicht in einer dem strengen Rügeprinzip genügenden Weise auf, inwiefern der angefochtene Entscheid das Willkürverbot verletzen soll. Im Übrigen beschränken sich die gegen die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung erhobenen Einwände im Wesentlichen auf appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid, worauf nicht weiter einzugehen ist (vgl. E. 1.2 hiervor).  
 
4.2.3. Nach dem Gesagten ist in tatsächlicher Hinsicht von den Feststellungen des kantonalen Gerichts zur Arbeitsfähigkeit auszugehen. Da die Beschwerdeführerin gegen die darauf beruhende Ermittlung eines rentenausschliessenden Invaliditätsgrades von (gerundet) 34 % keine Einwände erhebt, hat es beim angefochtenen Entscheid sein Bewenden.  
 
5.  
Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet, weshalb sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG ohne Durchführung eines Schriftenwechsels, mit summarischer Begründung und unter Hinweis auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid (Art. 109 Abs. 3 BGG) erledigt wird. 
 
6.  
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 27. Oktober 2022 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Hochuli