Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
9C_564/2021
Urteil vom 27. Oktober 2022
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Parrino, Präsident,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
nebenamtlicher Bundesrichter Kradolfer,
Gerichtsschreiber Grünenfelder.
Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Raphael Zingg,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Invalidenversicherung (Prozessvoraussetzung),
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 14. September 2021 (5V 20 338).
Sachverhalt:
A.
A.a. Der 1976 geborene A.________, gelernter Industrielackierer, arbeitete zuletzt als Möbelauslieferer und -monteur. Im März 2016 meldete er sich unter Hinweis auf eine Intoleranz gegen chemische Duftstoffe ("allergischer Schock") sowie auf Morbus Bechterew bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Luzern führte medizinische und erwerbliche Abklärungen durch. Am 23. September 2016 verfügte sie die Abweisung des Leistungsbegehrens. Auf Beschwerde des A.________ hin wies das Kantonsgericht Luzern die Sache zu weiteren Abklärungen im Sinne der Erwägungen und anschliessender Neuverfügung an die Verwaltung zurück (Urteil vom 20. Oktober 2017).
A.b. Daraufhin veranlasste die IV-Stelle bei der PMEDA Polydisziplinäre Medizinische Abklärungen AG, Zürich, ein Gutachten vom 22. November 2019. Mit Verfügungen vom 23. Juli 2020 verneinte sie sowohl einen Rentenanspruch (Invaliditätsgrad: 9 %) als auch einen Anspruch auf berufliche Massnahmen.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht Luzern mit Urteil vom 14. September 2021 in dem Sinn teilweise gut, als es die Verfügung vom 23. Juli 2020 betreffend berufliche Massnahmen aufhob und die Sache an die IV-Stelle zurückwies, damit diese nach weiteren Abklärungen gemäss den Erwägungen neu verfüge. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab.
C.
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des angefochtenen Urteils sei ihre Verfügung vom 23. Juli 2020 (berufliche Massnahmen) zu bestätigen. Sodann sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen und die unentgeltliche Rechtspflege beantragen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 144 V 280 E. 1; 139 V 42 E. 1).
2.
Bei einem Rückweisungsentscheid handelt es sich um einen selbstständig eröffneten Vor- oder Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG, da die Rückweisung nicht einzig der Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten dient und das Verfahren dadurch noch nicht abgeschlossen wird (BGE 140 V 282 E. 4.2; 133 V 477 E. 4.2 mit Hinweisen). Die Zulässigkeit der Beschwerde setzt somit - alternativ - voraus, dass der Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Abs. 1 lit. a) oder dass die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Abs. 1 lit. b).
3.
3.1. Während vorliegend ein Eintreten auf die Beschwerde gestützt auf Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG zum Vornherein ausser Betracht fällt, stellt sich die Frage, ob - wie die Beschwerdeführerin geltend macht - die Voraussetzung des irreversiblen Nachteils gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG gegeben ist.
3.2. Rein tatsächliche Nachteile wie eine Verfahrensverlängerung oder -verteuerung bewirken in der Regel keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil (BGE 139 V 99 E. 2.4; 133 V 477 E. 5.2.2). Wird der Versicherungsträger durch den Rückweisungsentscheid jedoch gezwungen, eine seines Erachtens rechtswidrige Verfügung zu erlassen, so entsteht bei ihm ein irreversibler Nachteil. Dies liegt im Umstand begründet, dass er seinen eigenen Rechtsakt nicht mehr anfechten kann (BGE 133 V 477 E. 5.2.4). Soweit der Rückweisungsentscheid demnach materiellrechtliche Vorgaben beinhaltet, welche die untere Instanz im Rahmen ihres neuen Entscheids befolgen muss, ist diese befugt, beim Bundesgericht Beschwerde zu führen. Anders verhält es sich, wenn einzig zurückgewiesen wird, weil eine Frage ungenügend abgeklärt und deshalb näher zu überprüfen ist, ohne dass damit Anordnungen materiellrechtlicher Natur verbunden sind. In diesem Fall hat die Behörde, an die zurückgewiesen wird, keinen nicht wiedergutzumachenden Nachteil (statt vieler: BGE 140 V 282 E. 4.2 mit Hinweisen).
4.
4.1. Das kantonale Gericht hat die Sache in Dispositiv-Ziffer 1 des angefochtenen Urteils an die Beschwerdeführerin zurückgewiesen, damit sie nach weiteren Abklärungen gemäss den Erwägungen über den Anspruch auf berufliche Massnahmen (Umschulung; Art. 17 IVG) neu verfüge. Da somit das Dispositiv des Rückweisungsurteils ausdrücklich auf die Erwägungen verweist, werden diese zu dessen Bestandteil und haben, soweit sie - wie hier - zum Streitgegenstand gehören, an der formellen Rechtskraft teil (statt vieler: Urteile 8C_743/2018 vom 27. Mai 2019 E.1.2; 8C_728/2018 vom 12. Februar 2019 E. 1.2; 8C_608/2018 vom 11. Februar 2019 E. 1.2).
4.2. In den Erwägungen hat die Vorinstanz die Rückweisung im Ergebnis damit begründet, dass die Beschwerdeführerin den Anspruch des Beschwerdegegners auf eine Umschulung nicht bereits anhand eines zu tiefen Invaliditätsgrads (9 %) im Grundsatz hätte verneinen dürfen (zum Richtwert von 20 %: BGE 130 V 488 E. 4.2; 124 V 108 E. 2b). Vielmehr hätte sie abklären müssen, ob beim noch jungen Versicherten mit entsprechend langer verbleibender Aktivitätsdauer ein Ausnahmefall vorliegt, sodass ihm berufliche Massnahmen ungeachtet der Erheblichkeitsgrenze zugesprochen werden könnten (vgl. dazu: BGE 124 V 108 E. 3c; SVR 2011 IV Nr. 51 S. 152, 9C_704/2010 E. 3.1; Urteile 9C_623/2020 vom 8. März 2021 E. 2; 8C_808/2017 vom 11. Januar 2018 E. 3).
Dementsprechend hat das kantonale Gericht erkannt, die Beschwerdeführerin werde im Zuge der Rückweisung zu prüfen haben, "welche Massnahmen konkret infrage kommen, und ob die jeweiligen Voraussetzungen für eine Kostenübernahme erfüllt sind (Geeignetheit, Notwendigkeit und Angemessenheit in sachlicher, zeitlicher, wirtschaftlicher sowie persönlicher Hinsicht) ". Vor diesem Hintergrund besteht nach wie vor eine offene Ausgangslage. Insbesondere wird die Beschwerdeführerin dem Umstand Rechnung tragen dürfen, dass der Beschwerdegegner vor Eintritt des Gesundheitsschadens seit Jahren nicht mehr in seinem erlernten Beruf als Industrielackierer erwerbstätig war, sondern sich - wie die Vorinstanz festgestellt hat - während längerer Zeit bewusst auf Temporäranstellungen beschränkte. Materiellrechtliche Vorgaben, welche die Beschwerdeführerin dazu zwingen würden, eine ihres Erachtens rechtswidrige Verfügung zu erlassen, welche sie nicht mehr anfechten könnte (vgl. E. 3.2 hievor), enthält das Rückweisungsurteil folglich keine. Mit anderen Worten fehlt es an einem nicht wiedergutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG. Die Beschwerde erweist sich daher als unzulässig, weshalb darauf nicht einzutreten ist.
5.
Mit diesem Urteil wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegenstandslos.
6.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 erster Satz BGG), welche dem Beschwerdegegner überdies eine Parteientschädigung auszurichten hat (Art. 68 Abs. 1 BGG). Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtspflege wird damit gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1400.- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 27. Oktober 2022
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Parrino
Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder