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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
6B_762/2015  
   
   
 
 
 
Urteil vom 27. November 2015  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Oberholzer, 
Gerichtsschreiber Briw. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Fürsprecher Philipp Kunz, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, 
2. A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Gafner, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Versuchte schwere Körperverletzung, Willkür, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung, 1. Strafkammer, vom 26. Juni 2015. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ und seine Ehefrau B.________ besuchten am 27. Juni 2009 die Barbarie in Biel. Sie konsumierten Alkohol, B.________ auch MDMA. Im Verlauf der Nacht zog sich das Ehepaar auf eine Rasenfläche zurück. Dort wurde A.________ von zwei Männern zusammengeschlagen. 
Es ist vom durch das Ehepaar geschilderten Sachverhalt auszugehen: Das Ehepaar liess sich auf dem Rasen nieder, um "für sich zu sein". Mit Ausnahme eines ca. 15 m entfernt sitzenden Mannes befand sich niemand in der Nähe. Nach einiger Zeit näherten sich plötzlich drei Männer. Der Haupttäter kniete vor A.________ nieder, der zweite stand hinter diesem und der dritte stellte sich hinter das Ehepaar. Der Haupttäter fragte nach einer Zigarette. Als er eine erhielt, forderte er weitere Zigaretten. Dies lehnte das Ehepaar ab. Als A.________ eine Zigarette drehen wollte, schlug ihm der Haupttäter diese aus der Hand und forderte einen Joint. Als A.________ aufstand, schlugen der Haupttäter und der zweite Mann mit Fäusten auf seinen Kopf ein. A.________ fiel zu Boden, worauf die Beiden mit massiven Fusstritten auf ihn einschlugen. B.________ griff ohne Erfolg ein und schrie um Hilfe. Der Mann, der in einiger Entfernung sass, mischte sich ein und fragte, ob sie eigentlich wahnsinnig seien. Darauf entfernten sich die drei Männer. 
Das Ehepaar fuhr im Taxi zu seinem Domizil. Dort stellte es den Verlust von A.________s Brille fest. B.________ fuhr mit dem Taxi zurück zur Barbarie, fand die Brille und traf zufällig auf X.________, Y.________ und Z.________, die sie als die Täter identifizierte. Die drei Männer wurden anschliessend festgenommen. 
 
B.  
X.________, Y.________ und Z.________ wurde mit Überweisungsbeschluss vom 12. August 2009 vorgeworfen, am 27. Juni 2009 zwischen 01.00 und 02.30 Uhr A.________ auf der Wiese zusammengeschlagen zu haben. X.________ wurden zudem falsche Anschuldigung und Irreführung der Rechtspflege vorgeworfen, da er B.________ wegen falscher Anschuldigung und allenfalls Verleumdung angezeigt hatte. 
Das Einzelgericht Berner Jura-Seeland ging am 1. November 2013 von der oben Bst. A erwähnten Darstellung des Ehepaars aus, hegte aber nicht zu unterdrückende Zweifel an der Täterschaft der Beschuldigten. Eine Verwechslung durch das Ehepaar sei wahrscheinlicher. Es sprach die Beschuldigten in allen Anklagepunkten frei. 
 
C.  
Gegen das erstinstanzliche Urteil erhoben der Straf- und Zivilkäger A.________ sowie die Generalstaatsanwaltschaft vollumfänglich und der Kanton Bern im Zivilpunkt Berufung. 
Der Generalstaatsanwalt beantragte: 
X.________ sei wegen versuchter schwerer Körperverletzung, eventuell einfacher Körperverletzung, begangen am 27. Juni 2009 in Biel z.N. von A.________ (indem er zusammen mit Y.________ A.________ zuerst mit Fausschlägen und, nachdem dieser zu Boden gegangen war, auch mit Fusstritten, Verletzungen im Gesicht, an den Zähnen und Brüche beider Arme zufügte) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten zu verurteilen, 
Y.________ sei aus dem gleichen Grund zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten zu verurteilen, 
Z.________ sei wegen Gehilfenschaft dazu mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten zu bestrafen, weil er durch seine bedrohliche Aussage "tu es raciste" und seine Präsenz X.________ und Y.________ psychisch unterstützte. 
 
D.  
Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte am 26. Juni 2015: 
X.________ wegen versuchter schwerer Körperverletzung, gemeinsam begangen mit Y.________ und einem dritten Täter am 27. Juni 2009 in Biel z.N. von A.________, zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, schob den Vollzug der Freiheitsstrafe auf und setzte eine Probezeit von 2 Jahren fest, 
Y.________ aus dem gleichen Grund zu einer bedingt ausgesprochenen Freiheitsstrafe von 16 Monaten. 
Z.________ sprach es frei. 
 
E.  
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil aufzuheben und ihn freizusprechen, eventuell die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Für das Bundesgericht ist grundsätzlich der vorinstanzlich beweismässig festgestellte Sachverhalt massgebend (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 140 III 264 E. 2.3). 
Dem Grundsatz in dubio pro reo als Beweiswürdigungsmaxime kommt keine über das Willkürverbot hinausgehende Bedeutung zu (BGE 138 V 74 E. 7; 127 I 38 E. 2a; 120 Ia 31 E. 2d S. 38). 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer hält fest, nachdem es die Polizei unterlassen habe, die Kleidung der Beschuldigten zu untersuchen, sei davon auszugehen, dass diese keine Blutspuren aufwies (mit Hinweis auf Urteil S. 26 und 29). Er folgert: "Die Vorinstanz geht damit - völlig zurecht, aber darauf ist sie zu behaften - davon aus, Schuhe und Kleidung des Beschwerdeführers wiesen nach dem angeblichen Angriff auch keine nur mit technischen Hilfsmitteln sichtbaren bzw. im Labor erkennbaren Blutspuren auf" (Beschwerde S. 7).  
Der Beschwerdeführer führt anschliessend aus, in naturwissenschaftlicher Hinsicht sei damit vorab von Interesse, welche Methoden heute standardmässig zum Nachweis von Blut angewandt würden. Er zitiert dazu KÖLZER, Die Aussagekraft humanspezifischer Bluttests zur Einschätzung des postmortalen Intervalls bei Knochenfunden, Diss. Giessen 2013, S. 3 f. (Beschwerde S. 7). Entgegen der Vorinstanz könne aus dem Fehlen von Blutspuren richtiger Weise nur geschlossen werden, dass die Beschuldigten nicht als Täter in Frage kommen. Aus dem Ablauf des Übergriffs könne zwar willkürfrei gefolgert werden, dass die Kleidung des Beschuldigten keine offensichtlichen bzw. auf den ersten Blick erkennbaren Blutspuren aufweisen musste. Aber es liege ausserhalb jeglicher Lebenserfahrung, dass keinerlei Blutpartikel vom Opfer auf die Täter übertragen wurden. "Wäre der Beschwerdeführer Täter gewesen, wären daher unter Anwendung der gängigen Untersuchungsmethoden ohne jeden vernünftigen Zweifel zumindest an den Schuhen, die er zur Tatausübung verwendet hätte, Blutspuren des Opfers festgestellt worden." Das Fehlen nachweisbarer Spuren an Schuhen/Kleidern des Beschwerdeführers schliesse diesen zwingend als Täter, der getreten hat, aus. Etwas anderes sei ihm nie vorgeworfen worden, so dass er vom Vorwurf freizusprechen sei (Beschwerde S. 8). 
 
2.2. Die Vorinstanz führt auf den Einwand der fehlenden Blutspuren durch die Verteidiger von X.________ und Y.________ aus, wie die Erstinstanz zutreffend ausgeführt habe, sei "davon auszugehen, dass die Kleidung der Beschuldigten keine Blutspuren oder sonstige offensichtlichen Verschmutzungen aufwiesen, ansonsten die Polizei dies festgestellt haben müsste und genauer untersucht hätte [Hinweis auf erstinstanzliches Urteil]. Aus dem Fehlen von Blutspuren und Flecken kann jedoch keineswegs abgeleitet werden, dass die Beschuldigten nicht als Täter in Frage kommen" (Urteil S. 26).  
Die Vorinstanz nimmt ferner an, soweit die Verteidigung geltend mache, die Strafuntersuchungsbehörden hätten es unterlassen, den Sachverhalt genügend abzuklären, respektive Beweise zu sichern, könne auf die Erstinstanz verwiesen werden. "Demnach war der Fall für die Polizei - gerade aufgrund der Identifikation durch das Ehepaar - sehr rasch klar, weswegen auch eine weitere Beweissicherung unterblieb" (Urteil S. 28). "Hat es die Polizei also unterlassen, die Kleidung der Beschuldigten zu untersuchen, ist davon auszugehen, dass diese keine Blutspuren aufwies" (Urteil S. 29). 
 
2.3. Die Vorinstanz stellt somit fest, dass die Polizei die Kleidung der Beschuldigten nicht auf Blutspuren untersuchte. "Schuhe" erwähnt die Vorinstanz nicht.  
Entgegen der Vorinstanz kann mangels Untersuchung nicht davon ausgegangen werden, dass die Kleidung "keine Blutspuren aufwies". Vielmehr kann, wie der Beschwerdeführer zutreffend festhält, lediglich "willkürfrei der Annahme gefolgt werden, dass die Kleidung des Beschuldigten keine offensichtlichen bzw. auf den ersten Blick erkennbaren Blutspuren aufweisen musste" (Beschwerde S. 8). Denn die Vorinstanz geht sachverhaltlich nur davon aus, dass "Blutspuren und Flecken" fehlten, "ansonsten die Polizei dies festgestellt haben müsste und genauer untersucht hätte" (oben E. 2.2). Angesichts der Tatsache, dass die Kleider nicht auf Blutspuren untersucht wurden, hätte die Vorinstanz berechtigter Weise nur diese Tatsache der fehlenden Untersuchung annehmen können. 
Entgegen dem Beschwerdeführer lässt sich aus der vorinstanzlichen Annahme jedoch nicht folgern, dass "Schuhe und Kleidung des Beschwerdeführers [...] auch keine nur mit technischen Hilfsmitteln sichtbaren bzw. im Labor erkennbaren Blutspuren" bzw. "keinerlei Blutpartikel vom Opfer" aufwiesen (oben E. 2.1). Ein solcher Sachverhalt wurde weder von der Polizei untersucht noch von der Vorinstanz in dieser Form angenommen. 
Der Beschwerdeführer zieht lediglich die nicht haltbare vorinstanzliche Schlussfolgerung aus der unterlassenen Beweissicherung und Untersuchung heran und reformuliert sie in einer Form, die weder mit dem Wortlaut noch dem Sinngehalt der vorinstanzlichen Annahme übereinstimmt. Seine Argumentation erweist sich als frei konstruiert. Für den Ausgang des Verfahrens ist der gerügte Mangel (Art. 97 Abs. 1 BGG) irrelevant. 
 
2.4. Die Vorinstanz unternimmt eine ausführliche Beweiswürdigung. Sie stellt wesentlich darauf ab, dass der Geschädigte und seine Ehefrau X.________ und Y.________, die beide am Tatort von der Polizei festgenommen wurden (Urteil S. 27), unabhängig voneinander als Täter identifizierten (Urteil S. 29). Dass das Ehepaar dazu nicht in der Lage gewesen oder einer Täuschung oder Falschbelastung unterlegen sein könnte, ist nicht ersichtlich. Die Ehefrau handelte trotz des brutalen Überfalls bewusstseinsklar und zielgerichtet. Dass sie sich eindeutig orientieren und erinnern konnte, beweist sowohl ihre Entscheidung zur sofortigen Rückfahrt mit dem Taxi und das Auffinden der Brille zu nächtlicher Stunde auf der Wiese wie auch ihr Handeln beim Ansichtigwerden der Schläger vor Ort (oben Bst. A). Der Hinweis des Beschwerdeführers, dass Fehlerquellen beim Wiedererkennen durch Zeugen eine Hauptursache von Fehlurteilen darstellten, lässt sich unabhängig von konkreten Anhaltspunkten für ein Vorliegen bei der Ehefrau nicht mit einem Wikipedia-Eintrag über statistisch signifikante Defizite bei der Einnahme von MDMA bei allen Gedächtnisarten begründen.  
Die drei Männer hielten sich einige Zeit unmittelbar beim Ehepaar auf, der Haupttäter sprach mit ihnen und verlangte wiederholt Zigaretten und schliesslich einen Joint. Der Übergriff erfolgte nicht überfallartig. Dem Geschädigten und seiner Ehefrau blieb genügend Zeit, sich die Gesichter der beiden Schläger einzuprägen (Urteil S. 22). Diese vorinstanzliche Annahme erweist sich nicht als offensichtlich unrichtig (Art. 97 Abs. 1 BGG). Sie ist vielmehr haltbar. Eine Verletzung des Grundsatzes in dubio pro reo ist zu verneinen, und zwar sowohl in seinem Gehalt als Beweiswürdigungsmaxime wie in ihrem nicht geltend gemachten Inhalt als "Beweislastregel" (BGE 127 I 38 E. 2a). 
 
3.  
Die Beschwerde ist abzuweisen. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Strafabteilung, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 27. November 2015 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Briw