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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_580/2012 
 
Urteil vom 28. Februar 2013 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Mathys, Präsident, 
Bundesrichter Schneider, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Gerichtsschreiber Borner. 
 
Verfahrensbeteiligte 
S.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Manuel Brandenberg, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
1. Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, 
An der Aa 4, 6300 Zug, 
2. H.________, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jürg Pilgrim, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Einfache Körperverletzung, Parteientschädigung, Kosten; Willkür, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts 
des Kantons Zug, Strafabteilung, vom 21. August 2012. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
H.________ verschaffte sich mit Kollegen als Untersuchungsorgan der EBK, heutige FINMA, am Morgen des 19. November 2007 Zutritt zu den Büros der P.________ AG in Zug. Dabei packte er die Sekretärin S.________, die die Türe ein wenig geöffnet hatte, mit der rechten Hand am rechten Handgelenk und stiess sie beiseite. Diese entwickelte in der Folge eine reaktive Depression und war während 3 Monaten zu 100 % arbeitsunfähig. 
 
B. 
Das Strafgericht Zug sprach H.________ am 16. Juni 2011 vom Vorwurf der eventualvorsätzlichen sowie fahrlässigen einfachen Körperverletzung frei. Es auferlegte ihm die Verfahrenskosten und verpflichtete ihn, eine Umtriebsentschädigung von Fr. 14'500.-- an S.________ zu zahlen. Es verwies deren Genugtuungsforderung auf den Zivilweg und verpflichtete sie, H.________ eine Umtriebsentschädigung von Fr. 1'000.-- auszurichten. 
 
Auf Berufung beider Parteien bestätigte das Obergericht des Kantons Zug am 21. August 2012 das erstinstanzliche Urteil, sah jedoch von einer Umtriebsentschädigung von S.________ an H.________ ab. 
 
C. 
S.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das angefochtene Urteil sei hinsichtlich Schuldspruch, Genugtuung, erst- und zweitinstanzliche Parteientschädigung sowie Gerichtskosten aufzuheben. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerdeführerin rügt eine willkürliche Beweiswürdigung. Die Vorinstanz halte unter Berufung des behandelnden Arztes fest, Ursache für die reaktive Depression der Beschwerdeführerin sei das schockierende überfallartige Untersuchen des Büros und nicht das überfallartige, tätliche Eindringen des Beschwerdegegners gewesen. 
 
Die Vorinstanz stützt ihre Beurteilung auf eine Aussage des Arztes, wonach "das schockierende Ereignis des überfallartigen Untersuchens des Büros" die reaktive Depression ausgelöst habe. Die Beschwerdeführerin zitiert eine andere Aussage des Arztes, die dahin gehend ausgelegt werden kann, dass das Zupacken des Beschwerdegegners die Depression verursacht habe. Damit stellt sie der vorinstanzlichen Beweiswürdigung lediglich eine andere mögliche Sicht der Dinge gegenüber, die vielleicht sogar vorzuziehen wäre. Das reicht nicht, um Willkür darzutun (BGE 138 I 49 E. 7.1). 
 
Dasselbe gilt, soweit sie den Arzt zitiert, ihre Arbeitsunfähigkeit habe mit der überstandenen Krebserkrankung und der Trennung von einem Gewalt anwendenden Partner nichts zu tun. Die Vorinstanz verweist auf Aussagen des Arztes, wonach der Vorfall vom 19. November 2007 die Vorbelastung der Beschwerdeführerin durch "Gewalterlebung" wieder aktiviert habe. Durch das neue Ereignis sei die alte Wunde aufgerissen worden, bzw. durch das neue Ereignis sei es zu einer Depression gekommen. Im Attest hatte er bereits festgehalten, die Beschwerdeführerin habe sich gerade erst von einer Krebserkrankung und von der Trennung von einem ebenfalls Gewalt anwendenden Partner erholt und fühle sich nun in das Loch zurückgeworfen, aus dem sie sich eben erst herausgearbeitet habe. Der vorinstanzliche Schluss, der Arzt sehe einen Zusammenhang zwischen der Vorbelastung der Beschwerdeführerin, dem neuen Ereignis und der Depression, ist nicht willkürlich. 
 
2. 
Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie habe morgens um 8 Uhr im Rahmen ihrer Bürotätigkeit die Tür leicht geöffnet und gefragt, ob der Beschwerdegegner angemeldet sei. Indem er "jetzt schon" geantwortet, sie am Handgelenk gepackt und zur Seite gestossen habe, habe er in Kauf genommen, dass sie einen Schock erleide. Da er dies habe voraussehen können, habe er den Tatbestand der leichten Körperverletzung eventualvorsätzlich oder zumindest fahrlässig erfüllt. 
 
2.1 Die Vorinstanz verneint für beide Schuldformen die Voraussehbarkeit. Es könne und müsse einem medizinischen Laien nicht bekannt sein, dass bereits ein physisches Einwirken auf eine Person, welches lediglich als Tätlichkeit zu qualifizieren sei, eine reaktive Depression oder einen Schock auslösen könne, und zwar unabhängig von der Tageszeit und dem Geschlecht der angegriffenen Person. Sei aber nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht zu erwarten, dass das Verhalten des Beschwerdegegners bei der angegriffenen Person eine reaktive Depression bzw. einen Schock bewirke, so könne ihm unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, er habe den Eintritt dieser Folgen in pflichtwidriger Weise nicht beachtet. 
 
2.2 Dass der Beschwerdegegner die Beschwerdeführerin am Handgelenk gepackt und zur Seite gestossen hat, beurteilt die Vorinstanz zutreffend als Tätlichkeit. Tätlichkeiten grenzen sich von einfachen Körperverletzungen dadurch ab, dass der Angriff bloss geringfügig und folgenlos ist, d.h. keine Schädigung des Körpers oder der Gesundheit bewirkt. Entscheidend ist nicht, ob der Angriff beim Betroffenen zu einer Störung des Wohlbefindens oder einem deutlichen Missbehagen führt; denn sonst hinge die Strafbarkeit des Täters von der Empfindlichkeit des Opfers ab (BGE 117 IV 14, S. 17 E. 2a/bb). 
Die Argumentation der Beschwerdeführerin ist nicht stichhaltig, weil sie einerseits den erlittenen Schock aus der Tätlichkeit des Beschwerdegegners ableitet und nicht aus dem überfallartigen Untersuchen des Büros (E. 1). Anderseits projiziert sie ihre persönliche Empfindlichkeit (Schock und reaktive Depression - so bedauerlich diese Folgen auch sind) auf die Voraussehbarkeit des Beschwerdegegners, was nicht statthaft ist. Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, war es für diesen nicht voraussehbar, dass seine Tätlichkeit unter den konkreten Umständen bei der Beschwerdeführerin einen Schock auslösen würde. 
 
3. 
Zur Parteientschädigung führt die Vorinstanz unter anderem aus, nach einer summarischen Prüfung der Honorarnoten enthielten diese nach wie vor Leistungen, die keinen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Strafverfahren hätten ("Studium Akten Strafverfahren gegen Klientin", "Abklärung betr. Persönlichkeitsverletzung gem. Art. 328b OR", "Strafklage gegen M.________", "Besprechung mit Hr. W.________"). Zudem falle auf, dass der Rechtsvertreter ausgesprochen häufig per Mail und Briefpost mit der Beschwerdeführerin korrespondiert habe. Er stelle insgesamt annähernd 200 Arbeitsstunden in Rechnung, was offensichtlich in keinem Verhältnis zur Tragweite und Schwierigkeit des Falles stehe. 
 
Die Beschwerdeführerin rügt diese Ausführungen als aktenwidrig und willkürlich. Sie erläutert für alle zitierten Positionen, inwiefern diese einen Zusammenhang zum Strafverfahren aufwiesen. Dies ist jedoch nicht entscheidend. Vielmehr hätte sie aufzeigen müssen, dass für die Vorinstanz bereits bei einer summarischen Prüfung der einzelnen Positionen der Zusammenhang mit dem Strafverfahren offensichtlich gewesen wäre. Sie weist darauf hin, in den Beilagen 1 bis 14 ihrer Berufungsschrift könne nachgeprüft werden, dass der Aufwand des Rechtsvertreters und seines Mitarbeiters lediglich 150 Stunden betragen habe. Es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, aus 14 jeweils mehrseitigen Aktenstücken die Anzahl Arbeitsstunden herauszusuchen, zu addieren und mit der vorinstanzlichen Berechnung zu vergleichen. Zur häufigen Korrespondenz äussert sich die Beschwerdeführerin nicht, ebenso wenig wie zum beantragten Stundenansatz von Fr. 280.--. 
 
Auf die Rügen ist wegen ungenügender Begründung nicht einzutreten. 
 
4. 
Die Beschwerdeführerin beziffert ihren Entschädigungsanspruch für das vorinstanzliche Verfahren auf Fr. 3'000.-- bis Fr. 4'200.--. Gemäss Kostenverteilung habe sie Anspruch auf 4/10 der vollen Entschädigung. 
 
Die Vorinstanz berücksichtigt bei der Entschädigung, dass die Beschwerdeführerin sowohl im Hauptpunkt (Schuldspruch) als auch in einem gewichtigen Nebenpunkt (Genugtuung von Fr. 10'000.--) unterlag und nur bezüglich ihrer Verpflichtung, den Beschwerdegegner mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen, obsiegte. Inwiefern unter diesen Umständen die pauschale Entschädigung von Fr. 500.-- gegen Bundesrecht verstossen sollte, legt die Beschwerdeführerin nicht dar und ist auch nicht ersichtlich. 
 
5. 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Angesichts der persönlichen Betroffenheit der Beschwerdeführerin rechtfertigt es sich, keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 BBG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zug, Strafabteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 28. Februar 2013 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Mathys 
 
Der Gerichtsschreiber: Borner