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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1B_114/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 28. April 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Chaix, 
Gerichtsschreiber Uebersax. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas A. Müller, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn. 
 
Gegenstand 
Sicherheitshaft, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 17. März 2017 des Obergerichts des Kantons Solothurn, Strafkammer. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Mit Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn wurde A.________ in zweiter Instanz wegen Raubes, räuberischer Erpressung, mehrfachen Diebstahls, mehrfacher Sachbeschädigung, mehrfachen Hausfriedensbruchs und Bruch amtlicher Beschlagnahme zu einer unbedingt zu vollziehenden Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt. Das Obergericht beurteilte dabei im Vergleich zum erstinstanzlichen Urteil zusätzliche Straftaten als erfüllt und erhöhte das Strafmass von zehn auf 24 Monate Freiheitsstrafe.  
 
A.b. Dieses Urteil wurde A.________ am 17. März 2017 mündlich eröffnet. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn hin ordnete das Obergericht gegen ihn gleichentags die Sicherheitshaft wegen Fluchtgefahr an.  
 
B.   
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 24. März 2017 beantragt A.________, den Beschluss des Obergerichts vom 17. März 2017 aufzuheben und ihn umgehend aus der Sicherheitshaft zu entlassen. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, er sei bereits freiwillig an die obergerichtliche Verhandlung eingereist, sei bereit, seine Strafe zu verbüssen und wolle später wieder in der Schweiz bei seiner Lebenspartnerin und seinem Kind leben können, was er nicht mit einer jetzigen Flucht in Frage zu stellen gedenke. 
Die Staatsanwaltschaft liess sich nicht vernehmen. Das Obergericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde. 
A.________ äussert sich am 24. April 2017 nochmals zur Sache. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Nach Art. 232 Abs. 1 StPO entscheidet die Verfahrensleitung über Sicherheitshaft während eines Verfahrens vor dem Berufungsgericht, wenn sich die Haftgründe wie hier erst vor demselben ergeben. Anstelle der Verfahrensleitung kann auch der gesamte Spruchkörper des Berufungsgerichts über die Haft entscheiden (BGE 138 IV 81 E. 2.1 S. 83). Ein solcher Entscheid ist nicht anfechtbar (Art. 232 Abs. 2 StPO) und damit kantonal letztinstanzlich. Dagegen steht einzig die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht nach Art. 78 ff. BGG offen. Der Entscheid des Obergerichts des Kantons Solothurn ist mithin beim Bundesgericht anfechtbar.  
 
1.2. Der Beschwerdeführer nahm vor der Vorinstanz am Verfahren teil und hat als Inhaftierter und direkt betroffener Adressat des angefochtenen Entscheides ein aktuelles rechtlich geschütztes Interesse an dessen Änderung bzw. Aufhebung. Er ist daher nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt.  
 
1.3. Mit der Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht prüft die Auslegung und Anwendung der Strafprozessordnung mit Blick auf die Schwere des Eingriffs frei. Art. 98 BGG gelangt bei strafprozessualen Zwangsmassnahmen nicht zur Anwendung (BGE 138 IV 186 E. 1.2 S. 189 mit Hinweisen).  
 
2.  
 
2.1. Nach den Grundvoraussetzungen von Art. 221 StPO ist Sicherheitshaft insbesondere nur zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ein im Gesetz genannter Haftgrund vorliegt. Die hier strittige Haft stützt sich auf Fluchtgefahr gemäss Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO. Überdies hat die Haft wie alle strafprozessualen Zwangsmassnahmen verhältnismässig zu sein (vgl. insbes. Art. 197 StPO) und sie darf nicht länger dauern als die zu erwartende Freiheitsstrafe (Art. 212 Abs. 3 StPO).  
 
2.2. Beim Haftgrund der Fluchtgefahr gemäss Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO geht es um die Sicherung der Anwesenheit der beschuldigten Person im Verfahren. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts braucht es für die Annahme von Fluchtgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich die beschuldigte Person, wenn sie in Freiheit wäre, dem Vollzug der Strafe durch Flucht entziehen würde. Im Vordergrund steht dabei eine mögliche Flucht ins Ausland, denkbar ist jedoch auch ein Untertauchen im Inland. Bei der Bewertung, ob Fluchtgefahr besteht, sind die gesamten konkreten Verhältnisse zu berücksichtigen. Es müssen Gründe bestehen, die eine Flucht nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Schwere der drohenden Strafe darf als ein Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden, genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62 mit Hinweisen). Miteinzubeziehen sind insbesondere die familiären und sozialen Bindungen, die berufliche und finanzielle Situation und die Kontakte zum Ausland (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 1B_150/2015 vom 12. Mai 2015 E. 3.1 mit Hinweis). Die Wahrscheinlichkeit einer Flucht nimmt in der Regel mit zunehmender Verfahrens- bzw. Haftdauer ab, da sich auch die Dauer des allenfalls noch abzusitzenden strafrechtlichen Freiheitsentzugs mit der bereits geleisteten prozessualen Haft, die auf die mutmassliche Freiheitsstrafe anzurechnen wäre (Art. 51 StGB), kontinuierlich verringert (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 1B_73/2015 vom 19. März 2015 E. 4.1).  
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts für eine massgebliche Anlasstat nicht, und ein solcher steht angesichts des Urteils in der Sache auch nicht in Zweifel.  
 
3.2. Das Obergericht begründete die Fluchtgefahr im Wesentlichen damit, die angeordnete zweijährige Freiheitsstrafe stelle einen gewichtigen Fluchtanreiz dar; der Beschwerdeführer müsste die Schweiz aufgrund einer gegen ihn bestehenden Einreisesperre verlassen; er habe im Kosovo, wo sein Lebensmittelpunkt sei, eine Wohnung; die Familie besitze überdies in Mazedonien eine Liegenschaft und die Hinterlegung des Reisepasses oder des Flugtickets, wie er das anbiete, stelle keine geeignete Ersatzmassnahme dar. Der Beschwerdeführer wendet dagegen im Wesentlichen ein, sein Lebensmittelpunkt befinde sich "zumindest geistig" in der Schweiz bei seiner Lebenspartnerin und seinem 2015 geborenen Kind; er sei bereit, die Strafe zu verbüssen, um danach wieder bei seiner Familie leben zu können, und er werde diese Perspektive nicht durch eine Flucht gefährden; dass er bereits an die Berufungsverhandlung eingereist sei und dafür bei der Ausländerbehörde die Suspendierung des Einreiseverbots erwirkt habe, spreche klar gegen eine Fluchtgefahr. Überdies habe er den vorzeitigen Strafvollzug beantragt, um ins entsprechend günstigere Haftregime wechseln zu können, was auch angesichts seines Gesundheitszustandes dringend angezeigt sei.  
 
3.3. Der Beschwerdeführer lebt seit einer ihm gegenüber ausgesprochenen ausländerrechtlichen Entfernungsmassnahme im Kosovo. Er untersteht einer Einreisesperre in die Schweiz, die bis zum 14. Oktober 2019 gültig ist. Für die Berufungsverhandlung erhielt er eine Suspendierung des Einreiseverbots, die am 18. März 2017 abgelaufen ist. Auch wenn seine Familie, insbesondere seine Lebenspartnerin und das gemeinsame Kind, in der Schweiz lebt, befindet sich sein Lebensmittelpunkt demnach im Kosovo. Daran ändert rechtlich nichts, dass er selbst diesen gefühlsmässig in der Schweiz bei seiner Familie ansiedelt, und dass er offenbar arbeitslos ist.  
 
3.4. Sodann ist nicht ersichtlich, wie der Beschwerdeführer bis zum Strafantritt rechtmässig bei seiner Familie in der Schweiz weilen können sollte, nachdem die Einreisesperre weiter gilt. Dass die Ausländerbehörde bereit wäre, ihm einen Aufenthalt zu bewilligen, behauptet er nicht und erscheint angesichts seiner Vorgeschichte auch wenig wahrscheinlich. Am 19. März 2017 beantragte der Beschwerdeführer den vorzeitigen Strafvollzug, wodurch er sich nach eigenen Angaben insbesondere ein günstigeres und seinem Gesundheitszustand angepassteres Haftregime verspricht. Obwohl dieses Anliegen verständlich erscheint, würde dem entsprechenden Antrag weitgehend die Grundlage entzogen, würde der Beschwerdeführer aus der Haft entlassen. Allfälligen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ist im Haftvollzug ohnehin Rechnung zu tragen.  
 
3.5. Der Beschwerdeführer verfügt nicht nur über eine Wohnung im Kosovo, sondern sein Vater überweist ihm jeden Monat einen fixen Geldbetrag, der die gesamten dortigen Lebenshaltungskosten deckt. Vor Obergericht gab er überdies an, seine Lebenspartnerin habe die Bereitschaft signalisiert, zu ihm in den Kosovo umzuziehen. Im Übrigen besitzt die Familie noch eine Liegenschaft in Mazedonien. Der Beschwerdeführer verfügt demnach über geeignete Möglichkeiten, im Ausland zu leben, und sähe sich dafür keinen grösseren Schwierigkeiten gegenüber. Angesichts der gegenüber ihm bestehenden ausländerrechtlichen Massnahmen und seinem Anliegen, in der Nähe der Familie weilen zu wollen, ist im Übrigen auch nicht belanglos, dass er in der Schweiz über ein intaktes Beziehungsnetz verfügt, das er für ein Untertauchen im Inland nutzen könnte.  
 
3.6. Immerhin ist der Beschwerdeführer zur Hauptverhandlung vor dem Obergericht erschienen und hat dafür sogar eine Suspension seiner Einreisesperre erwirkt. Zwar war die Berufung in erster Linie von der Staatsanwaltschaft eingereicht worden, die bereits vor der ersten Instanz eine deutlich höhere Freiheitsstrafe beantragt hatte. Der Beschwerdeführer musste mithin mit der Gefahr einer Erhöhung der ihm auferlegten Strafe rechnen. Wie er in seiner Replik an das Bundesgericht selbst einräumt, war es aber sein persönliches Ziel, "eine massive Erhöhung des Strafmasses zu vermeiden", wofür die Chancen bei einer eigenen Teilnahme an der Verhandlung besser standen, als wenn er dieser ferngeblieben wäre. Er konnte zudem hoffen, dass die Strafe gesenkt würde, wie es seinem Antrag (Reduktion von zehn auf vier Monate Freiheitsstrafe) entsprach und wofür die Chancen bei einer Teilnahme an der Verhandlung ebenfalls grösser erscheinen mussten als bei einem Fernbleiben. Mit dem Ausgang des Berufungsverfahrens verschlechterte sich seine Lage erheblich, indem das Obergericht die vorher auf zehn Monate festgelegte Freiheitsstrafe auf 24 Monate erhöhte. Im Ergebnis kann sich der Beschwerdeführer nunmehr lediglich noch an das Bundesgericht wenden, dessen Prüfungsbefugnis in tatsächlicher Hinsicht auf Willkür beschränkt ist und das dem urteilenden Gericht im Rahmen der Strafzumessung einen erheblichen Ermessensspielraum einräumt (vgl. etwa BGE 135 IV 130 E. 5.3.1 S. 134). Damit sieht sich der Beschwerdeführer heute einem klar ungünstigeren Urteil bzw. einer deutlich verschlechterten Ausgangslage gegenüber als vor dem obergerichtlichen Berufungsentscheid in der Strafsache.  
 
3.7. Der Beschwerdeführer wird eine deutlich längere Freiheitsstrafe zu verbüssen haben, als sie vor der ersten Instanz angeordnet wurde. Er hat ohne weiteres die Möglichkeit, im Ausland zu leben, und es erscheint sogar nicht einmal ausgeschlossen, dass seine engsten Familienangehörigen zu ihm ziehen. Ein rechtmässiger Aufenthalt in der Schweiz ist ihm auf längere Zeit verwehrt oder erscheint jedenfalls unwahrscheinlich. Insgesamt ist die Fluchtgefahr damit erstellt.  
 
3.8. Schliesslich ist die Anordnung von Sicherheitshaft nicht unverhältnismässig. In zeitlicher Hinsicht macht auch der Beschwerdeführer nicht geltend, die Haft sei bereits in derartige Nähe zur maximalen Dauer der Freiheitsstrafe gerückt, dass Überhaft drohe. Zu prüfen bleibt einzig, ob eine Haftentlassung gegen Hinterlegung des Passes oder des Flugtickets oder von beidem als Ersatzmassnahme (vgl. Art. 237 StPO) in Frage käme. Dazu ist jedoch festzuhalten, dass ein Verbleiben des Beschwerdeführers in der Schweiz in Freiheit im Widerspruch zum Einreiseverbot stünde, dem er untersteht. Um so mehr wäre diesfalls mit einem Untertauchen in der Schweiz zu rechnen.  
 
3.9. Der angefochtene Entscheid verstösst demnach nicht gegen Bundesrecht.  
 
4.   
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen. 
Bei diesem Verfahrensausgang wird der unterliegende Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1, Art. 65 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (vgl. Art. 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 28. April 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Uebersax