Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess {T 7}
I 910/05
Urteil vom 28. Juni 2006
I. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Ferrari, Ursprung, Meyer und Seiler; Gerichtsschreiberin Fleischanderl
Parteien
Bundesamt für Sozialversicherungen, Effingerstrasse 20, 3003 Bern, Beschwerdeführer,
gegen
M.________, 1983, Beschwerdegegnerin,
verbeiständet durch R.________ von der Amtsvormundschaft des Bezirks X.________, und diese vertreten durch Advokat Dr. Nicolas Roulet, Rebgasse 1, 4058 Basel,
Vorinstanz
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau
(Entscheid vom 21. Oktober 2005)
Sachverhalt:
A.
M.________, geboren am 6. November 1983, welche wegen den Folgen einer schon früh einsetzenden psychischen Fehlentwicklung mit Wirkung ab 1. Dezember 2001 in den Genuss einer ganzen Invalidenrente gelangt war, wurde am 4. Dezember 2004 in Untersuchungshaft gesetzt. Auf entsprechende Mitteilung ihres Beistandes vom 21. März 2005 verfügte die IV-Stelle des Kantons Aargau am 31. März 2005 die Sistierung der Invalidenrente ab 1. Januar 2005 und am 13. April 2005 die Rückforderung der von Januar bis März 2005 bereits bezogenen Rentenleistungen im Betrag von Fr. 4299.-. Die gegen die Sistierung erhobene Einsprache wies die IV-Stelle mit Entscheid vom 29. April 2005 ab.
B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau unter Aufhebung des Einspracheentscheides vom 29. April 2005 und mit der Feststellung gut, dass der Versicherten auch während der Untersuchungshaft ein Anspruch auf Invalidenrente zustehe (Entscheid vom 21. Oktober 2005).
C.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides.
Während die IV-Stelle auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, lässt M.________, verbeiständet durch R.________ von der Amtsvormundschaft des Bezirks X.________, vertreten durch Advokat Dr. Roulet, den Antrag auf Abweisung stellen; für den Unterliegensfall wird um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung nachgesucht.
D.
Am 28. Juni 2006 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht eine parteiöffentliche Beratung durchgeführt.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Nach Art. 132 Abs. 1 OG in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG (in Kraft seit 1. Juli 2006) kann das Eidgenössische Versicherungsgericht in Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen in Abweichung von den Art. 104 und 105 OG auch die Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung beurteilen und ist an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts nicht gebunden. Gemäss Art. 132 Abs. 2 OG gelten diese Abweichungen nicht, wenn der angefochtene Entscheid Leistungen der Invalidenversicherung betrifft. Nach Ziff. II lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 ist indessen auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängigen Beschwerden bisheriges Recht anwendbar. Da die hier zu beurteilende Verwaltungsgerichtsbeschwerde am 1. Juli 2006 beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängig war, richtet sich dessen Kognition nach der bis Ende Juni 2006 gültigen Fassung von Art. 132 OG, welche dem neuen Abs. 1 entspricht (Urteil O. vom 14. Juli 2006, I 337/06, Erw. 1).
2.
Art. 21 Abs. 5 ATSG, in Kraft seit 1. Januar 2003 und auf die hier als Sistierungsgrund in Betracht fallende Untersuchungshaft ab 4. Dezember 2004 intertemporalrechtlich anwendbar, lautet:
"Befindet sich die versicherte Person im Straf- oder Massnahmevollzug, so kann während dieser Zeit die Auszahlung von Geldleistungen mit Erwerbsersatzcharakter ganz oder teilweise eingestellt werden; ausgenommen sind die Geldleistungen für Angehörige im Sinne von Absatz 3."
Die Verfahrensbeteiligten sind sich uneins über die materiellrechtliche Bedeutung dieser Bestimmung. Es stellt sich die Frage, ob die Untersuchungshaft seit 4. Dezember 2004, welche gemäss Urteil des Strafgerichts Y.________ vom 27. April 2005 an die ausgesprochene Strafe von sieben Monaten und 16 Tagen Gefängnis angerechnet wurde, unter den gesetzlichen Sistierungsgrund des "Straf- oder Massnahmenvollzugs" fällt. Während IV-Stelle und beschwerdeführendes BSV dies bejahen, ziehen kantonales Gericht und Beschwerdegegnerin insbesondere aus dem Gesetzeswortlaut den Schluss (e contrario), Untersuchungshaft berühre - da keinen Straf- oder Massnahmevollzug darstellend - im Gegensatz zu diesem den laufenden IV-Rentenanspruch nicht.
3.
3.1 Bis zum Inkrafttreten des ATSG verhielt es sich mit dem Rentenanspruch während strafrechtlich motivierten Inhaftierungen im Allgemeinen wie folgt: Während die ältere Rechtsprechung von einem Revisionsgrund analog altArt. 41 IVG (aufgehoben auf den 31. Dezember 2002) ausging (BGE 110 V 286 Erw. 1b, 107 V 219; ZAK 1981 S. 91), qualifizierte das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 113 V 273 die Inhaftierung als blossen Sistierungsgrund, was die Weiterausrichtung der Zusatzrenten erlaubt (BGE 114 V 143 [entsprechend dem zweiten, hier nicht zur Diskussion stehenden Teil der Satzverbindung von Art. 21 Abs. 5 ATSG], in der Folge bestätigt durch AHI 1998 S. 182; SVR 1995 IV Nr. 35 S. 93; nicht veröffentlichtes Urteil N. vom 2. Februar 1988, I 373/86; vgl. auch BGE 129 V 216 Erw. 1.1). Der Strafverbüssung gleichgestellt hat die Rechtsprechung die Untersuchungshaft von gewisser Dauer ("d'une certaine durée"). Stellt sich die Untersuchungshaft im Nachhinein als ungerechtfertigt heraus, sind die sistierten Rentenbetreffnisse nicht nachzuzahlen; vielmehr stellen sie Teil des Schadens dar, welchen der zu Unrecht Verhaftete allenfalls auf dem Weg der Staatshaftung geltend machen kann (BGE 116 V 323). Ob der Rentenanspruch zu sistieren ist, beurteilt sich nach der Vollzugsart, und nicht etwa danach, wer für die Kosten des Unterhalts aufkommt (BGE 116 V 20).
3.2 Das Militärversicherungsgesetz war bis zum Inkrafttreten des ATSG der einzige sozialversicherungsrechtliche Erlass, welcher das rechtliche Schicksal der Geldleistungen bei Freiheitsentzug ordnete. Nach altArt. 13 Abs. 1 MVG, in der vom 1. Januar 1994 bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung, inhaltlich übereinstimmend mit der Vorgängernorm des altArt. 43 MVG (Jürg Maeschi, Kommentar zum Bundesgesetz über die Militärversicherung [MVG] vom 19. Juni 1992, Bern 2000, N 4 zu Art. 13), konnte die Auszahlung des Taggeldes oder der Invalidenrente ganz oder teilweise eingestellt werden, wenn die versicherte Person eine Freiheitsstrafe oder eine Massnahme nach den Art. 42 bis 44 oder 100bis des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB) verbüsst. Im Gegensatz zur Praxis in der Invalidenversicherung (erwähnter BGE 116 V 323) gaben Untersuchungs- und Sicherheitshaft keinen Anlass zur Sistierung der Leistungen nach altArt. 13 MVG, auch wenn sie an eine spätere Freiheitsstrafe angerechnet werden (Maeschi, a.a.O., N 13 zu Art. 13 [unter Hinweis auf Schatz, Kommentar zur Eidgenössischen Militärversicherung, Zürich 1952, S. 215]).
3.2.1 Weil nun altArt. 13 MVG nahezu wörtlich in den Entwurf zum ATSG in der Fassung des Bundesrates vom 17. August 1994 übernommen wurde (Maeschi, a.a.O., N 6 zu Art. 13), zieht Kieser (ATSG-Kommentar, N 79 zu Art. 21) den Schluss, dass Untersuchungs- und Sicherheitshaft nicht zum Straf- oder Massnahmenvollzug zählen, was bisher bezüglich der IV-Leistungen, wie bereits dargelegt, anders betrachtet (vgl. BGE 116 V 323 ff.), hingegen durch altArt. 13 Abs. 1 MVG (welcher Gesetzesbestimmung Art. 21 Abs. 5 ATSG entspricht; vgl. BBl 1999 4567) für die Militärversicherung so entschieden wurde (vgl. Maeschi, a.a.O., N 13 zu Art. 13). Während das kantonale Gericht und ihm folgend die Beschwerdegegnerin sich diese Sichtweise zu eigen machen, präzisiert das BSV seine im IV-Rundschreiben Nr. 225 vom 19. September 2005 dargelegte Haltung unter Hinweis auf einen Passus in der Vertieften bundesrätlichen Stellungnahme vom 17. August 1994 zum Bericht der Kommission des Ständerates vom 27. September 1990, der lautet (BBl 1994 V 937):
"Die Frage nach dem Schicksal von Geldleistungen stellt sich bei Freiheitsentzug immer wieder und verdient von daher eine Regelung in einem Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts. Der von uns vorgeschlagene Wortlaut hat seine Grundlage in Einklang mit der Rechtsprechung (BGE 113 V 273, 114 V 143) in Art. 13 des neuen MVG vom 19. Juni 1992."
3.2.2 Soweit das BSV in diesem Passus, welchem die Kommission des Nationalrates im Bericht vom 26. März 1999 inhaltlich zugestimmt hat (BBl 1999 4567), eine klare Meinungsäusserung der gesetzgebenden Organe erblickt, die im Gesetzestext zum Ausdruck gekommen und daher für die rechtsanwendenden Stellen praxisgemäss weitgehend verbindlich wäre, kann ihm von vornherein nicht beigepflichtet werden. Offensichtlich werden in der erwähnten Textstelle durch den Bundesrat zwei Dinge vermischt: Dass Art. 27 Abs. 5 ATSG-Entwurf (nunmehr Art. 21 Abs. 5 ATSG) altArt. 13 MVG entspricht, ist das eine; dass die vorgeschlagene ATSG-Regelung die Kontinuität zur bisherigen Rechtsprechung wahre, das andere. In Tat und Wahrheit verbergen sich darin zwei verschiedene Rechtsgedanken: Dass gemäss geänderter Rechtsprechung (Erw. 3.1) der Straf- oder Massnahmenvollzug nicht mehr einen Revisions- sondern einen blossen Sistierungsgrund bildet und dass andererseits altArt. 13 MVG eine Sistierungsregelung (inhaltlich beschränkt auf den Straf- und Massnahmenvollzug) enthält. Damit ist in keiner Weise präjudiziert, dass Untersuchungshaft vom Sistierungsgrund des Straf- oder Massnahmenvollzuges im Sinne von altArt. 13 Abs. 1 MVG oder nunmehr Art. 21 Abs. 5 ATSG erfasst oder nicht erfasst wird. Dementsprechend ziehen denn auch die Verfahrensbeteiligten höchst unterschiedliche Schlüsse aus der bestehenden Materialienlage.
4.
4.1 Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Bestimmung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente. Abzustellen ist dabei namentlich auf die Entstehungsgeschichte der Norm und ihren Zweck, auf die dem Text zu Grunde liegenden Wertungen sowie auf die Bedeutung, die der Norm im Kontext mit anderen Bestimmungen zukommt. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht unmittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen (BGE 131 I 396 Erw. 3.2, 131 II 368 Erw. 4.2, 131 V 93 Erw. 4.1, 176 Erw. 3.1, 439 Erw. 6.1, 130 II 211 Erw. 5.1 mit Hinweisen). Namentlich bei neueren Texten kommt den Materialien eine besondere Stellung zu, weil veränderte Umstände oder ein gewandeltes Rechtsverständnis eine andere Lösung weniger nahe legen (BGE 131 V 292 Erw. 5.2, 128 I 292 Erw. 2.4, 124 II 377 Erw. 6a). Das Bundesgericht hat sich bei der Auslegung von Erlassen stets von einem Methodenpluralismus leiten lassen und nur dann allein auf das grammatische Element abgestellt, wenn sich daraus zweifelsfrei die sachlich richtige Lösung ergab (BGE 131 II 703 Erw. 4.1, 124 II 376 Erw. 5 mit Hinweisen).
4.2
4.2.1 Vom Wortlaut her (vgl. auch die französische ["Si l'assuré subit une mesure ou une peine privative de liberté, ... ."] und die italienische Fassung ["Se l'assicurato subisce una pena o una mesura, ... ."]; zur Gleichwertigkeit der drei Amtssprachen: Art. 14 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 18. Juni 2004 über die Sammlungen des Bundesrechts und das Bundesblatt [Publikationsgesetz, PublG; SR 170.512]) verdient die vorinstanzliche Rechtsauffassung klar den Vorzug: Untersuchungshaft ist keine Form von Straf- oder Massnahmevollzug. Im Hinblick auf das Gesetzmässigkeitsprinzip - es geht um die Suspendierung eines formellgesetzlich ausgewiesenen und mit rechtsbeständiger Verfügung zugesprochenen Leistungsanspruches - ist der wortlautgetreuen Auslegung auch der Rechtssinn zuzumessen, dies unter dem Vorbehalt, dass die übrigen Auslegungselemente nicht triftige Gesichtspunkte zu Tage fördern, welche ein Abgehen vom Wortlaut gebieten.
4.2.2 Wie dargelegt (Erw. 3.2.2), ergibt sich aus den Materialien lediglich, dass der Gesetzgeber an altArt. 13 MVG und die Rechtsprechung zum IVG anknüpfen wollte, sich dabei aber offenbar nicht bewusst war, dass der Gesetzeswortlaut der Militärversicherungsbestimmung bezüglich Untersuchungshaft mit der IVG-Praxis nicht übereinstimmte. Eine bewusste Haltung des historischen Gesetzgebers ist weder für die eine noch die andere Position erkennbar.
4.2.3 Das systematische Auslegungselement zeigt lediglich, dass in der Militärversicherung eine - zwar nicht von der Rechtsprechung, aber doch von der Doktrin bestätigte (vgl. Erw. 3.2 hievor) - abweichende Regelung bestand, deren Wortlaut (von redaktionellen Unterschieden abgesehen) in das ATSG Eingang fand. Wenn der Gesetzgeber ferner die Sistierung als Rechtsfolge bei Strafverbüssung und Massnahmenvollzug in Art. 21 Abs. 5 ATSG, soweit es um Leistungen mit Erwerbsersatzcharakter geht, verallgemeinert hat, steht damit lediglich ausser Frage, wieder auf die ursprüngliche revisionsrechtliche Betrachtungsweise nach der alten IVG-Rechtsprechung zurückzukommen. Ob aber auch die Rente der in Untersuchungshaft befindlichen versicherten Person zu sistieren sei, wird damit nicht präjudiziert.
4.2.4
4.2.4.1 Unter einem teleologischen Blickwinkel (Sinn und Zweck) - verbunden mit der Forderung nach rechtsgleicher Behandlung (Art. 8 Abs. 1 BV; zur Bedeutung der Rechtsgleichheit im Rahmen der Auslegung vgl. BGE 126 V 97 Erw. 4b mit Hinweisen; SVR 2006 IV Nr. 47 S. 172 Erw. 3.1 und 3.2 [Urteil J. vom 18. August 2005, I 68/02]) - rechtfertigt sich indessen, mit dem BSV, eine vom Wortlaut der Norm abweichende Betrachtungsweise. Als Ratio legis von Art. 21 Abs. 5 ATSG ist die Gleichbehandlung der invaliden mit der validen inhaftierten Person, welche durch einen Freiheitsentzug ihr Einkommen verliert, anzusehen. Entscheidend ist, dass eine verurteilte Person wegen der Verbüssung einer Strafe an einer Erwerbstätigkeit verhindert ist. Nur wenn die Vollzugsart der verurteilten versicherten Person die Möglichkeit bietet, eine Erwerbstätigkeit auszuüben und somit selber für die Lebensbedürfnisse aufzukommen, verbietet es sich, den Rentenanspruch zu sistieren. Massgebend für eine Sistierung der Rentenleistungen eines Invaliden ist somit, ob eine nicht invalide Person in der gleichen Situation durch den Freiheitsentzug einen Erwerbsausfall erleiden würde. Bei Untersuchungshaft eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Lohnfortzahlung nach Art. 324a OR, da es sich in der Regel um eine selbstverschuldete Arbeitsverhinderung handelt. Erweist sich die Inhaftierung jedoch auf Grund eines Freispruchs oder einer Verfahrenseinstellung als ungerechtfertigt, so gilt die Arbeitsverhinderung im Sinne von Art. 324a OR als nicht verschuldet, ausser wenn falsche oder widersprüchliche Angaben des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin vor dem Untersuchungsrichter zu der Anklage oder Inhaftierung geführt haben. Beruht die Festnahme dagegen allein auf den Aussagen anderer Personen, kann die Verhinderung an der Arbeitsleistung nicht als selbstverschuldet erachtet werden (Urteil H. des Bundesgerichts vom 16. August 2001, 4C.74/2000; Brunner/Bühler/Waeber/Bruchez, Kommentar zum Arbeitsvertragsrecht, Basel 2005, S. 92; Streiff/von Kaenel, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR , 6. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2006, N 19 zu Art. 324a/b).
Hinzu kommt folgende Überlegung: In den meisten Fällen, in denen eine Untersuchungshaft von einer gewissen Dauer angeordnet wurde, erfolgt nachmals eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, wobei die Untersuchungshaft in aller Regel an die Freiheitsstrafe angerechnet wird (altArt. 69 StGB [in Kraft bis 31. Dezember 2006] bzw. Art. 51 StGB [in Kraft ab 1. Januar 2007]). Die Untersuchungshaft ist damit im Ergebnis in den meisten Fällen zugleich ein Teil der Freiheitsstrafe, während welcher die Rente zu sistieren ist. Würde die Rente während der Untersuchungshaft nicht sistiert, würde sie im Ergebnis entgegen Art. 21 Abs. 5 ATSG auch während eines Teils der Freiheitsstrafe ausbezahlt.
4.2.4.2 Nach dem Gesagten ist der Rentenanspruch einer Person, die sich in Untersuchungshaft befindet, grundsätzlich zu sistieren, da auch eine gesundheitlich unbeeinträchtigte Person während dieser Zeit in der Regel einen Erwerbsausfall zu gewärtigen hat. Dies kann jedoch, wie das Eidgenössische Versicherungsgericht bereits in seiner bisherigen Rechtsprechung erkannt hat (vgl. u.a. BGE 116 V 326 mit Hinweis), aus Praktikabilitätsgründen lediglich für Untersuchungshaft gelten, welche eine gewisse Zeit angedauert hat ("d'une certaine durée"). Diese "gewisse Dauer" der Untersuchungshaft, während der die Rente noch auszurichten ist, dürfte - in Anlehnung an die gemäss Art. 88a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 IVV rentenrevisionsrechtlich massgebliche Zeitspanne der anspruchsbeeinflussenden Änderung der Verhältnisse - bis zu drei Monate betragen. Anders als im Falle eines erwerbstätigen Inhaftierten spielt sodann bei einem invaliden Untersuchungshäftling die Verschuldensfrage im Hinblick auf die Weiterausrichtung der Rente keine Rolle. Erweist sich die Inhaftierung im Nachhinein als zu Unrecht angeordnet, so bildet der Rentenverlust nach wie vor Teil des Schadens, den er bei der Behörde geltend machen kann, die ihn ungerechtfertigt inhaftiert hat (BGE 116 V 323; vgl. in diesem Sinne auch zu Art. 324a OR: Streiff/von Kaenel, a.a.O., N 19 zu Art. 324a/b OR).
4.3 Die teleologische und die Rechtsgleichheit miteinbeziehende Betrachtungsweise zeigt somit den Rechtssinn des Art. 21 Abs. 5 ATSG auf, weshalb vom Wortlaut der Norm abzuweichen ist. Der Umstand, dass die Bestimmung als Grund für eine Rentensistierung lediglich den Straf- oder Massnahmenvollzug nennt, kann bei diesem Auslegungsergebnis kein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers im Sinne einer bewusst negativen Antwort darstellen. Vielmehr ist eine auf dem Auslegungsweg ermittelte stillschweigende Anordnung desselben (BGE 125 V 11 Erw. 3) anzunehmen. Eine ausfüllungsbedürftige Gesetzeslücke (BGE 130 V 233 Erw. 2.3, 127 V 41 Erw. 4b/cc; vgl. BGE 131 II 567 Erw. 3.5, 130 III 245 Erw. 3.3), sei dies im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit (echte Lücke) oder einer sachlich unbefriedigenden Antwort (unechte oder Wertungslücke), scheidet in dieser Interpretationslage ebenfalls aus.
4.4 Die Beschwerdegegnerin befand sich laut Urteil des Strafgerichts Y.________ vom 27. April 2005 seit 4. Dezember 2004 - und damit seit beinahe fünf Monaten - in Untersuchungshaft. Diese Zeitspanne entspricht ohne weiteres der nach dem Gesagten einen Rentensistierungsgrund darstellenden Untersuchungshaft von gewisser Dauer, weshalb die IV-Stelle den Rentenanspruch der Beschwerdegegnerin zu Recht ab 1. Januar 2005 eingestellt hat.
5.
Einspracheweise hatte die Versicherte zwar ausdrücklich nur die Rentensistierungsverfügung der IV-Stelle vom 31. März 2005 beanstandet. Da jedoch ein sachlogischer Zusammenhang zwischen dieser und der Rückforderungsverfügung vom 13. April 2005 besteht, indem eine Rückerstattung der während der Untersuchungshaft ausgerichteten Rentenbetreffnisse überhaupt nur für den Fall einer rechtmässigen Sistierung des Rentenanspruchs in Frage kommt, hat diese als implizit mitangefochten zu gelten. Die Rückforderungsthematik bildete in der Folge indes nicht Gegenstand des Einspracheentscheides vom 29. April 2005, sodass die IV-Stelle, angesichts des aus dem vorliegenden Verfahren resultierenden Ergebnisses, noch über die Rückforderung der betreffenden Rentenleistungen als solche zu entscheiden hat. Sie wird in diesem Zusammenhang namentlich zu berücksichtigen haben, dass zu Unrecht bezogene Geldleistungen, die auf einer formell rechtskräftigen Verfügung beruhen, nur zurückgefordert werden können, wenn entweder die für die Wiedererwägung oder die prozessuale Revision erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind (BGE 129 V 110 Erw. 1.1, 126 V 399 Erw. 1).
6.
Das Verfahren betrifft Versicherungsleistungen, weshalb keine Gerichtskosten zu erheben sind (Art. 134 OG [in der noch anwendbaren, bis 30. Juni 2006 in Kraft gestandenen Fassung; Erw. 1]). Das Gesuch der Beschwerdegegnerin um unentgeltliche Prozessführung ist daher gegenstandslos. Die unentgeltliche Verbeiständung kann gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. Die Vorinstanz wird im Rahmen der Neuverlegung der Parteikosten für das kantonale Verfahren noch über die am 30. Mai 2005 beantragte unentgeltliche Verbeiständung zu befinden haben.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 21. Oktober 2005 aufgehoben.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Advokat Dr. Nicolas Roulet, Basel, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.
4.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wird über eine Neuverlegung der Parteikosten für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, der IV-Stelle des Kantons Aargau und der Ausgleichskasse des Kantons Aargau zugestellt.
Luzern, 28. Juni 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der I. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: