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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_265/2022  
 
 
Urteil vom 28. Juni 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Rüedi, Kölz, 
Gerichtsschreiber Matt. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Häfliger, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Nidwalden, Kreuzstrasse 2, Postfach 1242, 6371 Stans, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Urkundenfälschung, Betrug etc.; Strafzumessung; Ersatzforderung, Kanzleisperre auf Grundstück; Kosten; Willkür, rechtliches Gehör etc., 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Nidwalden vom 23. Dezember 2021 (SA 21 8; vormals SA 15 18-20 und 18 2). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Urteil vom 9. Juli 2019 erklärte das Obergericht Nidwalden A.________ und einen weiteren Beschuldigten in verschiedenen Sachverhaltskomplexen der Misswirtschaft, der Urkundenfälschung, der Erschleichung einer falschen Beurkundung, der ungetreuen Geschäftsbesorgung, des Betruges, der Veruntreuung, der Unterlassung der Buchführung sowie der falschen Anschuldigung schuldig und verurteilte ihn zu 39 Monaten Freiheitsstrafe. In weiteren Anklagepunkten, namentlich im Sachverhaltskomplex B.________ GmbH und "C.________", sprach es die Beschuldigten u.a. von der Anschuldigung des Betruges, der ungetreuen Geschäftsbesorgung und der Veruntreuung frei. 
Die dagegen erhobene Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Nidwalden, womit sie mit Bezug auf beide Beschuldigten im Sachverhaltskomplex "C.________" die Teilfreisprüche wegen Betruges (Kauf der C.________ AG) sowie wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung (Grundstücksverkauf der C.________ AG an die C.________ Immobilien AG) anfocht, hiess das Bundesgericht am 10. März 2021 (6B_511/2020) gut, hob das Urteil des Obergerichts auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Die von A.________ gegen das Urteil vom 9. Juli 2019 erhobene Beschwerde, womit er primär einen Freispruch beantragte, hiess das Bundesgericht am 10. März 2021 nur im Kostenpunkt teilweise gut und wies die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück; im Übrigen wies es die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat (Verfahren 6B_460/2020). 
 
B.  
Das Obergericht des Kantons Nidwalden hielt in der Folge fest, es sei einzig noch über die in der Beschwerde der Staatsanwaltschaft aufgegriffenen Punkte und über die Kostenauflage an A.________ zu entscheiden. 
Mit Urteil vom 23. Dezember 2021 stellte das Obergericht soweit hier relevant fest, dass folgende Schuldsprüche gegen A.________ in Rechtskraft erwachsen seien (Dispositiv Ziff. 5.3) : Betreffend den Sachverhaltskomplex D.________ AG wegen Urkundenfälschung, Erschleichung einer falschen Beurkundung, ungetreuer Geschäftsbesorgung, Misswirtschaft und Unterlassung der Buchführung; betreffend den Sachverhaltskomplex E.________ AG wegen Urkundenfälschung, Erschleichung einer falschen Beurkundung, ungetreuer Geschäftsbesorgung und Misswirtschaft; betreffend den SachverhaltskomplexF.________ AG wegen Urkundenfälschung und Erschleichung einer falschen Beurkundung; beim Sachverhaltskomplex "C.________" wegen Veruntreuung und ungetreuer Geschäftsbesorgung in je zwei Fällen sowie wegen Urkundenfälschung; beim Sachverhaltskomplex G.G.________ und H.G.________ wegen falscher Anschuldigung. Ebenso in Rechtskraft erwachsen sei die Verpflichtung des Beschwerdeführers zu einer Ersatzforderung des Staates von Fr. 100'000.-- (Dispositiv Ziff. 6). Ferner sprach das Obergericht A.________ im Sachverhaltkomplex "C.________" wegen Betruges und ungetreuer Geschäfsbesorgung schuldig (Dispositiv Ziff. 7). Es setzte die Freiheitsstrafe auf 3 Jahre und 10 Monate (46 Monate) fest (Dispositiv Ziff. 8). Sodann verpflichtete das Obergericht die C.________ Immobilien AG zu einer Ersatzforderung von Fr. 150'000.-- an den Staat und hielt bis zu deren Bezahlung eine Grundbuchsperre auf dem Grundstück Nr. xxx, Grundbuch U.________, aufrecht (Dispositiv Ziff. 10 und 11). Schliesslich auferlegte es A.________ die ihn betreffenden Verfahrenskosten (Dispositiv Ziff. 14). 
 
C.  
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, die Ziff. 5.3, 6, 7, 8, 10, 11 und 14 des Urteils des Obergerichts seien aufzuheben. Es sei festzustellen, dass die Schuldsprüche und Verfügungen in Ziff. 5.3 und 6 nicht in Rechtskraft erwachsen seien. Die Rechtskraftbestätigungen seien aufzuheben. Er sei im "Sachverhaltskomplex C.________" vom Vorwurf des Betrugs freizusprechen und zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten zu verurteilen. Eventualiter sei eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren auszusprechen, wobei der unbedingte Teil auf 6 Monate zu beschränken sei. Von der Verpflichtung zu einer Ersatzforderung zulasten der C.________ Immobilien AG sei abzusehen und die Grundbuchsperre sei aufzuheben. Die Kosten seien je hälftig dem Beschwerdeführer und dem Staat sowie im zweiten Umgang vollständig dem Staat aufzuerlegen. Eventualiter sei die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Schuldsprüche unter Ziff. 5.3 des angefochtenen Urteils seien infolge Kassation des Urteils der Vorinstanz vom 9. Juli 2019 durch das Bundesgericht (Urteile 6B_460/2020 und 6B_511/2020 vom 10. März 2021) nicht in Rechtskraft erwachsen. Vielmehr hätte die Vorinstanz auch diese Punkte neu verkünden müssen. Die Feststellungen betreffend Rechtskraft seien aufzuheben.  
 
1.2. Die Rüge ist begründet. Dem Beschwerdeführer ist zuzustimmen, dass die Vorinstanz die Rechtsnatur des kassatorischen Rückweisungsurteils verkennt. Aufgrund der kassatorischen Rückweisungsurteile des Bundesgerichts vom 10. März 2021 existiert das Berufungsurteil vom 9. Juli 2019 formell nicht mehr. Im Fall einer (teilweisen) Gutheissung einer Beschwerde bringt lediglich ein reformatorischer Entscheid die Angelegenheit zum endgültigen Verfahrensabschluss (vgl. Botschaft Totalrevision, BBl 2001 4345 f Ziff. 4.1.4.5). Wird das angefochtene Urteil, wie hier, aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen, erwächst aufgrund der kassatorischen Wirkung (Art. 107 Abs. 2 BGG) der angefochtene Entscheid nicht in Rechtskraft bzw. die Rechtskraft wird aufgehoben (HEIMGARTNER/WIPRÄCHTIGER, Basler Kommentar BGG, 3. Aufl. 2018, N. 14 zu Art. 61 BGG). Dass die angefochtenen Urteile hinsichtlich der nicht gerügten und vom Bundesgericht nicht beanstandeten Punkte einer rechtlichen Neubeurteilung nicht mehr zugänglich sind und insoweit als bestätigt gelten (vgl. BGE 135 III 334 E. 2; Urteile 6B_16/2016 vom 28. Dezember 2016 E. 2.3.2 f.; 6B_1276/2015 vom 29. Juni 2016 E. 1.2.1; 6B_51/2016 vom 3. Juni 2016 E. 1.1; HEIMGARTNER/WIEPRÄCHTIGER, a.a.O., N. 14 und 28 zu Art. 61 BGG; je mit Hinweisen), ändert an dessen formeller (vollumfänglicher) Aufhebung infolge der Kassation nichts. Zwar sind aufgrund der Bindungswirkung der bundesgerichtlichen Rückweisungsurteile nur noch die von der Oberstaatsanwaltschaft beanstandeten Freisprüche und die Kostenauflage neu zu beurteilen, jedoch sind auch die materiell "bestätigten" Urteilsteile infolge vollumfäglicher Aufhebung des Berufungsurteils nicht in Rechtskraft erwachsen und müssen formell neu verkündet werden.  
Die Vorinstanz hätte somit mit Bezug auf die im bundesgerichtlichen Rückweisungsurteil vom 10. März 2021 nicht beanstandeten Schuldsprüche gemäss Ziffer 5.3 des angefochtenen Urteils 6B_511/2020 (vgl. oben Sachverhalt B) ein Urteil fällen müssen. Dies gilt ebenso für die Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer Ersatzforderung von Fr. 100'000.-- gemäss Ziff. 6 des angefochtenen Urteils. Aufgrund der vollumfänglichen Aufhebung des Berufungsurteils liegt noch kein materieller Entscheid über Straf- oder Zivilfragen vor (vgl. Art. 80 Abs. 1 Satz 1 StPO). 
 
1.3. In formeller Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass ein gemäss Art. 408 StPO zu fällendes Berufungsurteil den Formerfordernissen von Art. 81 StPO genügen muss (vgl. Urteil 6B_99/2012 vom 14. November 2012 E. 5.4). Auch im Rahmen einer beschränkten Berufung drängt es sich aufgrund des Wortlauts von Art. 81 Abs. 4 StPO auf, nicht die Rechtskraft einzelner Dispositivziffern des erstinstanzlichen Urteils, sondern des Entscheidergebnisses, d.h. der Anordnung der Rechtsfolgen (über Schuld und Sanktion, Kosten- und Entschädigungsfolgen) unter Nennung der angewendeten Gesetzesbestimmungen festzuhalten.  
 
2.  
Die Beschwerde ist gutzuheissen und die Sache ist an die Vorinstanz zurückzuweisen. Auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers (vgl. oben Sachverhalt C; Beschwerde S. 8 ff.) ist nicht einzugehen. 
Es sind keine Gerichtskosten zu erheben. Der Kanton Nidwalden hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 66 Abs. 1 und Abs. 4, Art. 68 Abs. 1 und Abs. 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts Nidwalden vom 23. Dezember 2021 wird aufgehoben und die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Nidwalden hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Nidwalden schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 28. Juni 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Matt